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Kommt es nun doch auf die Länge an? (QuerSchläger)
Vom: 01.04.2005
Die Erwartungen an Nibiru waren groß und sie wurden, so war es z.B. in unseren Newskommentaren zu lesen, in den Augen vieler Fans nicht erfüllt. Einer der wichtigsten Kritikpunkte war die relativ geringe Spieldauer: Einer will schon nach 6 Stunden den Abspann gesehen haben, viele andere haben ebenfalls keine 10 Stunden gebraucht und kaum jemand hat offenbar länger als 12-13 Stunden mit dem ersten Durchspielen verbracht, was gerade im Vergleich zu dem relativ langen Black Mirror skandalös kurz erscheint.



Provokant gefragt: Wo ist das Problem? Fünf bis sechs Kinobesuche, die grob dasselbe kosten würden wie ein fabrikfrisches Nibiru, dauern auch nicht länger als besagte 10 Stunden, zumal beim Spiel die Werbung vor dem Film wegfällt und Nachos im Supermarkt um die Ecke erheblich billiger sind als im örtlichen Kinopolis. Wer die Filme gar mehrfach genießen möchte, wie er es mit Nibiru tun könnte, der muss sich für den Preis von 30-40 Euro sogar auf lediglich zwei bis drei aktuelle DVDs beschränken. Sicher lassen Käufer eines GTA: San Andreas weniger Euro pro Stunde auf der Strecke, dafür werden sie aber zu mordlustigen Tötungsmaschinen erzogen und zudem waren diese genrebedingten Unterschiede früher dieselben wie heute.



Apropos "früher": Wie viele Stunden hat man denn beim ersten Durchspielen für Day of the Tentacle gebraucht? Wie umfangreich war eigentlich Larry 1 genau? Und wer hat mehr als 10 Stunden für Vollgas gebraucht? Oder Bad Mojo? Manchmal habe ich den Eindruck, dass die regelmäßig aufkommende Unzufriedenheit mit der Spiellänge in den letzten Jahren auch viel mit einer nostalgischen Verklärung zu tun hat, die damit zusammenhängt, dass man sich gerne daran erinnert, wie man den ganzen Winter quasi ununterbrochen mit Spiel Xyz verbracht hat.



Doch was ist da wirklich dran? Blendet man in der Erinnerung vielleicht einfach den Frust aus, den einige Rätsel bereitet haben? Vergisst man, dass man auch mal ein paar Wochen pausiert und erst dann wieder mit dem Spiel begonnen hat? Hat "der ganze Winter" vielleicht eigentlich nur drei Wochen gedauert, in denen dem Spiel alle paar Tage mal ein Stündchen gewidment wurden, wohingegen heute auch mal eher Marathon-Sessions am Release-Tag eingeschoben werden? Und ein verschämter Blick in die Komplettlösung ist in Zeiten des Internet, wo sie nur ein Alt-Tab und eine Eingabe in die Google-Suchleiste entfernt ist, auch erheblich schneller verfügbar als anno dazumal, als es noch kein Internet gab und Twix noch Raider hieß. Oder aber es liegt daran, dass heute viele Spieler offenbar mit der Stoppuhr spielen, anstatt neue Adventures zu genießen und in die Spielwelten einzutauchen. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, dass plötzlich alle Welt weiß, wie lange sie zum Durchspielen gebraucht hat. Wenn ich nicht gerade für Adventure-Treff teste und auf die Uhr achte, dann habe ich jedenfalls für gewöhnlich nicht die geringste Ahnung, welche Nettospielzeit das Spiel mir nun beschert hat.



Ich muss auch zugeben, dass sich in den letzten Jahren meine Spielgewohnheiten verändert haben. Vielleicht werde ich anspruchsvoller, vielleicht ungeduldiger oder einfach nur alt, ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich keine Lust mehr, stundenlang an einem Rätsel festzuhängen, sämtliche Kombinationen in seitenfüllenden Inventarscreens auszuprobieren und 1024x768 gelbe Pixel nach den drei hellbraunen abzusuchen, die die Tür in die Freiheit öffnen. Und so kommt es, dass ich in vielen neueren Spielen, sei es Sherlock Holmes oder Forever Worlds, ganz ohne beklemmendes Schamgefühl, auch ein oder zwei (oder drei) Blicke in die Lösung riskiert habe - wobei gerade bei Letzterem wohl die allermeisten bestrebt wären, das Spiel schnellstmöglich zu den Akten legen zu können.



Da finde ich es gar nicht so schlimm, wenn ich auch mal ein einfacheres Spiel auf den Tisch bekomme, das ein spannendes und flüssiges Gameplay bietet und die Zeit, die man woanders mit frustiger Inventarbastelei und Pixelhunting totgeschlagen oder aber durch die Komplettlösung eingespart hätte, einfach weglässt - auch wenn das Spiel so insgesamt an Länge verliert. Nibiru war so ein Fall und, so viel kann ich wohl anhand unserer Previewversion schon sagen, Still Life wird einen ähnlichen Weg gehen.



Sehnsüchtig blicke ich auf Spiele wie The Longest Journey und Grim Fandango zurück, die über eine sehr lange Spielzeit hervorragende Qualität lieferten. Doch wir müssen uns wohl leider damit abfinden, dass solche Projekte nicht mehr finanzierbar sind, solange kein reicher Wohltäter vom Himmel steigt oder alle anderen Genres wegen Gewaltverherrlichung verboten werden.



Die Länge spielt also schon eine Rolle, aber ohne gute "Technik" nützt sie wenig.