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Betreutes Spielen: Adventure-Treff zu Besuch bei Cranberry in Hannover
Vom: 03.01.2012

 

Zwischen Weihnachtsmarkt und Entwicklerstudio

Landeshauptstadt Hannover am 21.12.2011
Der Hauptbahnhof ist geflutet von Menschenmassen, wie sie sonst nur bei einem Heimspiel von Hannover 96 gegen Eintracht Braunschweig zu erwarten sind. Angelockt von Glühweinständen mit süßlichem Alkoholduft und besinnlichen Klängen bekannter deutscher Weihnachtsinterpreten wie Scooter, bewegt sich die Masse gen Süden, wo es in der Innenstadt letzte Weihnachtsgeschenke zu erhaschen gilt. Gegen diesen Strom bewegt sich eine kleine Abenteurergruppe in Richtung Norden. Hier liegen, nur etwa 200 Meter vom Raschplatz entfernt, die Büros des Entwicklerstudios Cranberry Production, das uns unter anderem Black Mirror 2 und 3 beschert hat.
Besagte Abenteuergruppe besteht aus unserem mutigen Leser Jakob aus Frankfurt, der mit einem Alter von 16 Jahren den Adventure-Nachwuchs vertritt, sowie den Redaktionsmitgliedern Hans “Das Vieh” Duschl und Simon Tschirner. Wir drei, ein weiterer Leser musste leider absagen, dürfen einen ersten Blick auf den aktuellen Stand der kommenden Adventuretitel "Lost Chronicles of Zerzura" und "Memento Mori 2" werfen. Strahlend öffnet uns Andrea, verantwortlich für kleinere Teile des Gamedesigns (wenn euch beim Spielen eine merkwürdige Zeichnung eines lustigen Mannes mit einer Angel auffallen sollte: Diese Idee stammt aus ihrer Feder) und Scripting von Lost Chronicles of Zerzura.

Die erste Aufgabe


Ein unerwartetes Rätsel erwartet die Spieler bereits außerhalb
des Testraumes

Auf der Toilette erwartet uns schon das erste Rätsel: Die Kabinentür hat innen keine Türklinke. Ein Problem, auf das man erst aufmerksam wird, wenn man den Schauplatz wieder verlassen will. Direktes Herumwerkeln an der Tür führt nur dazu, dass eine innere Stimme ruft: “Das wird nicht funktionieren”. Doch unsere tapferen Redakteure sind beide nacheinander in der Lage, das vertrackte Rätsel zu lösen: Sie nehmen etwas Klopapier in das Inventar auf und kombinieren es mit der Tür. Der Weg zum Testspielen wird frei. Große Erleichterung. Inzwischen tragen Magnus und Daniel von dtp Rechner mit den Testversionen in den stilecht mit Kicker und Konsolen eingerichteten Konferenzraum bei Cranberry. Wir haben gut zwei Stunden Zeit, die beiden Spiele selbst auszuprobieren. Der Fokus liegt hierbei auf dem fast fertigen Zerzura, welches bald ins Presswerk gehen soll. Nach der in der Spielebranche nahezu obligatorischen Unterschrift eines Non-Disclosure-Agreements (Vertraulichkeitsvereinbarung), geht es dann auch endlich los.


Magnus erklärt Jakob und Hans die Bedingungen
der Vertraulichkeitsvereinbarung

Nicht auf verlorenem Posten

Von den Bildschirmen leuchtet das eher unscheinbare Menü von Lost Chronicles of Zerzura, in dem ein Klick auf „Neues Spiel“ das einfach gehaltene Intro startet, bestehend aus sparsam animierten Strichzeichnungen. Es ist nicht unansehnlich und lässt einen auf die gut gewählte Erzählerstimme konzentrieren, die uns einige Anhaltspunkte zu den Hintergründen des Spiels berichtet und Rätsel aufgibt, die wir hoffentlich im späteren Spielverlauf ergründen werden. Auf das Intro folgt jedoch zunächst ein Sprung, sowohl was Inhalt als auch die grafische Präsentation betrifft. Hatten wir bei den Blicken auf die ersten Screenshots noch die Befürchtung, dass das Spiel eher steril daherkommen könnte, belehren uns die liebevollen Animationen, die das Spiel mit Leben füllen, eines Besseren. Mehr hierzu erfahrt ihr aber in unserem ausführlicheren Vorschaubericht.
Unter den eisernen Blicken unserer drei Gastgeber rätseln wir uns nun wacker voran. Wir sind nicht ganz sicher, ob es an der ungeheuren Versagensangst liegt, die auf uns lastet – schließlich will keiner als schlechter Rätsler entlarvt werden – oder daran, dass man ab und zu hilfreiche Tipps von den Nachbarn aufschnappen kann, jedenfalls kommen wir relativ gleichmäßig voran, ohne dabei komplett gleich vorzugehen. Einzig Simon ist am bereits vielfach erwähnten Reißbrettmodus kurz vorm Verzweifeln – ein Überspringen, was als Option angeboten wird, ist natürlich für einen Adventure-Treff-Redakteur indiskutabel. Der Reißbrettmodus, der sich wunderbar in den Rätselstrang einfügt, ist spaßig und innovativ. Es ist fast schon schade, dass er nur einmal im Spielverlauf auftauchen soll.


Die Testrechner. Später wurde der "Arbeitsplatz" noch durch
jede Menge Schokolade aufgewertet

Zerzura zieht uns sichtlich in seinen Bann, sodass wir den Erklärungen zu dem tatsächlich existierenden Mythos um das Atlantis der Wüste nur mit einem Ohr lauschen (aber wozu gibt es Wikipedia?) und die Erklärung, weshalb das Ankh-Symbol als Mauszeiger genutzt wird, nahezu komplett ignorieren (es hat wohl irgendwas mit der Besessenheit des Bruders für ägyptische Artefakte zu tun). Nicht entgeht uns dagegen die Info, dass der Mann, der regelmäßig an und hinter einem Laden für merkwürdige Gegenstände auftaucht, tatsächlich existiert. Er hat erfolgreich an einem Gewinnspiel eines Computerspielemagazins, welches Adventurespieler häufig ausschließlich wegen der auf DVD beigefügten Spiele erwerben, teilgenommen, woraufhin sein Gesicht ins Spiel übertragen wurde.
Nach etwa 90 kurzweiligen Minuten müssen wir das Spiel schließlich beenden. Unser Eindruck ist durchweg positiv. Der einzige Punkt der wirklich noch verbessert werden muss, ist die Anzeige des Inventars. Der Hotspot hierfür ist auf Breitbildschirme ausgelegt und rutscht bei den seltener werdenden 5:4-Bildschirmen, an denen wir probespielen durften, arg weit nach unten. Cranberry und dtp haben gute Arbeit abgeliefert und wir sind überrascht, wie weit das doch eher kleine Team Zerzura in nur einem Jahr Entwicklungszeit gekommen ist. Wenn die durchgängig hohe Qualität über die versprochene Spielzeit von zwölf bis 15 Stunden anhält, wird Lost Chronicles of Zerzura ein sicherer Kauftipp.


Jakob und Hans sind in das Spiel vertieft, während Andrea
interessiert beobachtet, wie die beiden vorankommen

Bedenke, dass es unfertig ist

Nach einer kurzen Pause und den üblichen Fragen über den Titel Zerzura (“Linear? Spielzeit? Leoparden-Modus?”) wenden wir uns dem nächsten Titel zu: Memento Mori 2. Im Gegensatz zu Zerzura ist dieser Titel alles andere als fertig. Die Sprachausgabe wird momentan von einer Computerstimme übernommen, teilweise sind die Texte noch auf Englisch. Das sorgt für einige vergnügliche Momente, wenn die deutsche Computerstimme verzweifelt versucht, englische Passagen deutsch vorzulesen. Ändern soll sich dies bereits in der zweiten Kalenderwoche 2012, für die die Sprachaufnahmen angesetzt sind. Das Spiel soll übrigens direkt an eines der Enden des ersten Teils anknüpfen. Für alle, die jenes Ende nicht erlebt haben, befindet sich ein entsprechendes Introvideo in Produktion. Optisch bietet Memento Mori 2 bereits jetzt eine ganze Menge: Die 3D-Engine sieht sehr schmuck aus und kleinere technische Kniffe verbessern diesen Eindruck zusätzlich. So bewegt sich die Kamera in der Nahansicht eines Objektes mit der Maus mit. Auch eine Cutscene, klassisch ausgelöst vor dem Badezimmerspiegel, weiß zu überzeugen.
Geradezu traumhaft für einen echten Computernerd, wie ein Privatsender ihn auf der diesjährigen gamescom dargestellt hat, fällt eine Dusch-Szene aus: Der Hauptcharakter äußert den Wunsch zu duschen, der Spieler steuert ihn ins Bad. Um nun im Spiel voranzuschreiten, steigt man aber nicht etwa in die Dusche, sondern verlässt das Bad gleich wieder. Fertig. Wir können allerdings (zum Glück) nicht prüfen, wie der Hauptcharakter danach roch.
Da bei Memento Mori 2 noch einige wichtige Elemente wie die Sprachausgabe und das einführende Video fehlen, fällt es uns sichtlich schwer, eine erste Einschätzung über das Spiel zu geben. Viel wird von dem zukünftigen Intro und der Qualität der Sprachaufnahmen abhängen, bei unserem Testspiel wirkten die Texte alleine noch etwas farblos. Die Grafik ist hingegen vielversprechend, und auch die technischen Feinheiten in der Nah-Ansicht eines Gegenstandes überzeugen bereits jetzt. Da an Memento Mori 2 aber noch gearbeitet wird, wird die Preview-Version Anfang nächsten Jahres sicherlich ein klareres Bild zeichnen.

Was für ein Tag

Gegen 17 Uhr haben alle Spieler dann ziemlich viereckige Augen und ein leicht dusliges Gefühl im Kopf. Auf der bequemen Couch wird noch das obligatorische “Guckt mal, wir waren bei Cranberry mit dtp”-Foto aufgenommen. Während Magnus und Daniel die mitgebrachten Rechner wieder für die Fahrt nach Hamburg ins Auto tragen, diskutieren wir noch angeregt über Übersetzungen, Synchronleistungen, Wimmelbilder und Webspiele. Schließlich verlassen die drei Abenteurer das Entwicklerstudio und machen sich auf den dunklen, kalten und zum Glück kurzen Weg zum Hauptbahnhof. Im Gegensatz zu den Menschenmassen rund um den Bahnhof haben sie zwar keine Weihnachtsgeschenke gefunden, aber jede Menge Rätsel gelöst. Und wenn wir ehrlich sind: Das ist doch auch viel besser.

Hans Duschl
Simon Tschirner