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Interviews

Agustin Cordes (Dritter Teil)
Gesprächspartner: Ingmar Böke
Sprache:
Vom: 30.08.2010

Über

Mit dem First-Person-Adventure Scratches wurde der argentinische Indie-Entwickler Agustin Cordes schlagartig einem großen Publikum bekannt. Nun ist Cordes mit seinem neuen Studio Senscape zurück und bereitet die Ankunft des Horror-Adventures Asylum vor.



Auf den ersten Teil des Interviews zugreifen/Auf den zweiten Teil des Interviews zugreifen



A-T: Den meisten Leuten, die mit dir und deiner Arbeit vertraut sind, dürfte deine Bewunderung für H.P. Lovecraft sicherlich nicht entgangen sein. Lass uns also etwas näher auf deine Beziehung zu Lovecraft eingehen: Wie du das erste Mal mit ihm in Berührung gekommen bist, inwiefern er bei dir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat und was du als Grund dafür siehst, dass die Faszination, die sein Schaffenswerk auf viele Leute ausübt, nach wie vor ungebrochen ist.



Agustin: Ich könnte dir Tonnen an Geschichten zu diesem Thema erzählen, aber ich befürchte leider, dass dieses Interview irgendwann ein Ende haben muss. Jedenfalls bin ich das erste Mal mit ihm in Kontakt gekommen, als ich zehn oder elf Jahre alt gewesen bin. In diesem jungen Alter habe ich den größten Teil meiner Zeit mit Lesen und Spielen verbracht, also gab mir mein Vater irgendwann ein Buch, in dem vier seiner Geschichten enthalten waren: The Call of Cthulhu (Cthulhus Ruf), The Colour Out of Space (Die Farbe aus dem All), The Whisperer in Darkness (Der Flüsterer im Dunkeln) und At the Mountains of Madness (Berge des Wahnsinns). Mich haben damals allein schon die Namen, inklusive der unheilvollen und verbotenen Dinge, die sie andeuteten, umgehauen und als ich dann begann, das Buch zu lesen, konnte ich es überhaupt nicht mehr aus der Hand legen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich das Buch verschlungen habe und eine regelrechte Obsession für diese albtraumhafte Betrachtungsweise der uns bekannten Welt entwickelt habe. Besonders beeindruckt war ich davon, wie Lovecraft es meistert, die normalsten und alltäglichsten Dinge in etwas wirklich Gruseliges zu transformieren: Egal, ob es um die Ozeane, den Himmel oder irgendwelche Wälder geht. Er schafft es, Geschichten zumeist an völlig gewöhnlichen Orten am hellichten Tag anzusiedeln und dich dennoch dazu zu bringen, dir fast ins Hemd zu machen. Es gibt da übrigens diese eine Stelle in The Colour Out of Space, die ein gutes Beispiel für seinen Stil darstellt und sogar in Scratches aufgetaucht ist, da ich sie einfach nur liebe: „Ich hatte den undeutlichen Wunsch, es möchten ein paar Wolken aufziehen, denn eine merkwürdige Angst vor dem Himmel über mir hatte sich in meine Seele geschlichen.“ Angst vor einem wolkenlosen Himmel! Mann, was für ein Konzept! (Anmerkung der Redaktion: Deutsche Übersetzung von Rudolf Hermstein)



Agustin und seine Frau in den Flitterwochen.

Jedes Mal wenn ich Lovecraft lese, kommt es mir so vor, als würde ich in eine andere Zeit transportiert, die mit extrem vielen Details und einem sehr langsamen Tempo zum Leben erweckt wird und das ist wohl auch der Teil, den ich am meisten mag. Seine dichte Erzählstruktur ist ganz schlicht und ergreifend perfekt und hat sicherlich auch sehr stark auf meine Vorlieben bei Büchern insgesamt abgefärbt. Mittlerweile geht es mir echt so, dass mich viele der großen Bestseller nur noch langweilen, da sie sich einfach wie ein Hollywood-Skript lesen und ich keinen Spaß an literarischem Fast Food habe! Darüber hinaus teile ich auch Lovecrafts Faszination für die Vergangenheit und den nicht sehr positiven Zustand der Menschheit. Auf den Punkt gebracht: Viele seiner Geschichten mögen gealtert sein, aber er ist auch heute noch einer der originellsten Autoren, die es je gegeben hat und im Horror-Genre nach wie vor unerreicht.



A-T: Es existieren etliche Spiele, die auf die ein oder andere Art mit Lovecraft in Verbindung stehen – oftmals in einer sehr vagen Form – und ich bin mir sicher, du hast nicht wenige von ihnen gespielt. Würdest du sagen, irgendeiner dieser Titel ist jemals an so etwas wie einen wahren Lovecraft-Geist herangekommen? Gibt es darüber hinaus für dich irgendwelche besonderen Highlights und Tiefpunkte unter diesen Spielen?



Agustin: Für mich ging es bei Lovecraft immer um die Atmosphäre, nicht um die Kreaturen, auf die sich so ziemlich jeder, der versucht, Lovecraft zu adaptieren, konzentriert. Mich schaudert es ehrlich gesagt immer ein bisschen, wenn ich sehe, wie Lovecrafts Name mit irgendwelchen Tentakel-Wesen oder formlosen Kreaturen in Verbindung gebracht wird. Und verdammt, ich selbst kann mich nicht davon freisprechen, auch wenn es bei mir immer als eine Form von augenzwinkernder Hommage stattfindet. Ich habe mich im Lauf der Zeit bereits zweimal durch sein komplettes literarisches Schaffenswerk durchgearbeitet und bin gerade bei meinem dritten Durchlauf (ganz genau, ich bin wirklich derart besessen) und es mag überraschend klingen, wenn ich sage, dass besagte Wesen nur einen kleinen Teil in seinem gesamten Schaffen einnehmen.



Ich meine, klar, du hast Cthulhu, aber letztlich dient seine bizarre Beschreibung doch dazu, dem Leser ein Gefühl der Entfremdung zu vermitteln, ihn mit etwas zu konfrontieren, was völlig unbegreiflich und zu seltsam ist, um es überhaupt mit Worten beschreiben zu können. In seinen späteren Werken hat Lovecraft seine Kreaturen im Übrigen deutlich weniger detailliert umrissen, dafür dann aber mit Beschreibungen wie „der kleinste Anblick einer derartigen Abscheulichkeit konnte einen in den Wahnsinn treiben“ gearbeitet. Irgendwann haben die Leute begonnen, eine riesige Sache aus dem Cthulhu-Mythos zu machen, und ihm eine Bedeutung zugeordnet, die in dieser plastischen Form nicht der Intention von Lovecraft entsprochen hat – wofür man wohl August Derleth die Schuld in die Schuhe schieben darf.



Screenshot aus Shadow of the Comet (Dank an Adventure Gamers)

Aus besagten Gründen bin ich also der Meinung, dass es bis heute keine wirklich bemerkenswerte Adaption im eigentlichen Sinne gegeben hat, da sich alle Lovecraft-Spiele auf die Monster fokussieren. Aber versteh mich nicht falsch, diese Aussage bedeutet natürlich nicht, dass ich einige dieser Spiele nicht mögen würde. Shadow of the Comet ist zum Beispiel ein persönlicher Favorit von mir und der erste Akt, in dem es darum geht, die Stadt kennenzulernen, den uralten Wald zu erforschen, während über allem und jedem diese mysteriöse Note schwebt, ist wirklich perfekt und gefüllt mit großartigen Momenten. Nur dann tauchen leider die Monster auf und die Sache geht den Bach runter. Gleiches gilt auch für Prisoner of Ice, das sich recht schnell zu einer ziemlichen Katastrophe entwickelt. Ich verstehe auch nicht, warum viele Adaptionen dazu neigen, über sehr komplizierte Storys zu verfügen, denen man nur schwer folgen kann, während Lovecrafts Aufbau ein deutlich anderer gewesen ist und in den Geschichten im eigentlichen Sinne noch nicht mal „sonderlich viel passiert“ (als Beispiel nenne ich jetzt mal The Whisperer in Darkness).



Ein absolut großartiges Lovecraft-Spiel, welches noch nicht einmal als Adaption tituliert wurde, ist übrigens Anchorhead – wirklich eines der besten Text-Adventures, die es je gegeben hat. Dagegen wirkt selbst das Text-Adventure The Lurking Horror fast schon brav. Anchorhead dürfte bislang wohl der Titel sein, der am nächsten an Lovecraft herangekommen ist, was in erster Linie sicherlich daran liegt, wie es Michael Gentry damals geschafft hat, die befremdliche Lovecraft-Atmosphäre und sein Erzähltempo hervorragend einzufangen. Aus offensichtlichen Gründen werde ich Scratches nicht als Teil dieser Liste kommentieren, aber ich kann zumindest sagen, versucht zu haben, dem Spiel ein „würdiges“ Lovecraft-Ende zu verpassen (Protagonist sieht sich mit dem ultimativen Grauen konfrontiert und rennt davon) – mit einem gemischten Ergebnis.



Zum Henker, sieh dir an, zu wie viel Aussagen über Lovecraft du mich jetzt letztlich doch noch getrieben hast!



A-T: Welche anderen Autoren würdest du als direkten Einfluss auf dein eigenes Schaffen bezeichnen?



Agustin: Ich lese sehr viele Science-Fiction-Romane. Genau genommen ist es sogar das Genre, in dem ich mich momentan am meisten bewege. J.G. Ballard ist einer meiner Lieblingsautoren und selbst wenn er keinen direkten Einfluss auf meine eigene Arbeit hat, empfinde ich seine Ansichten rund um das menschliche Wesen und gesellschaftliche Aspekte wirklich als sehr inspirierend. High Rise (Der Block) ist ein Buch von ihm, das ich besonders liebe, da es, obwohl es in den frühen Siebzigern geschrieben wurde, auf sehr clevere Art Kritik an einer Gesellschaft übt, mit der wir uns heutzutage auf genau diese Weise konfrontiert sehen. Wirklich ziemlich prophetisch das Ganze, was ebenso für Crash gilt, in dem es um eine gefährliche Art von Obsession mit Sex und Technologie ging, die mittlerweile recht weit verbreitet ist.



Agustin im Paradies.

Ein weiterer Autor, den ich absolut liebe, ist Christopher Priest. Ich bin zwar noch ein ziemlicher Priest-Newcomer, kann aber schon jetzt sagen, dass er einige der faszinierendsten Bücher geschrieben hat, die ich je gelesen habe… Bücher, die mich wirklich sehr stark zum Nachdenken bewegt haben. Während Ballard eher eine Obsession für Themen wie Todestrieb (psychologisch gesprochen) und unsere Beziehung zu Technologie gehabt hat, fokussiert sich Priest stark auf die Wahrnehmung von Realität und Identität. Zwei Bereiche, die mich sehr interessieren und die, bis zu einem gewissen Ausmaß, auch in Scratches eine Rolle gespielt haben.



Natürlich würde ich es nie wagen, auch nur einen Paragraphen, den ich je zu Papier gebracht habe, mit ihm zu vergleichen, da er problemlos als der größte lebende Schriftsteller unserer Zeit durchgeht. Schon das erste Buch, das ich von ihm gelesen habe, The Affirmation (Der weiße Raum) war eine regelrecht bewusstseinserweiternde Erfahrung. In diesem Buch geht es um einen vom Unglück gebeutelten Mann, der eine imaginäre Welt erschafft, die zwar einen Spiegel seines eigenen Lebens darstellt, nur eben mit deutlich positiveren Bedingungen. Nach einer Weile verliert dieser Mann dann den Bezug zur Realität und du weißt als Leser nicht mehr, welche der Worte, die du gerade liest, noch real sind und welche nicht. Und am Ende kommt es dir dann einfach nur vor, als hätte dir jemand mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen - jeder Versuch, es näher zu erklären, würde mir definitiv nicht gelingen. Priest liebt es einfach, Spiele mit seinen Lesern zu spielen und fügt der Literatur eine völlig neue Dimension hinzu, die es so vorher nicht gegeben hat: Die Perspektive des Autors, wenn man so will, die absolut nichts mit dem Erzähler oder Protagonisten zu tun hat. Aus diesem Grund wäre es bei vielen seiner Bücher wohl auch unmöglich, sie zu Filmen oder Spielen zu machen, da sie sehr stark in ihrem Medium verankert und dazu gedacht sind, in erster Linie im Kopf des Lesers zu funktionieren. Es ist schwierig zu erklären, aber ich kann versichern, es handelt sich um eine großartige Erfahrung.



Viele Leute dürften mit Priest vertraut sein, da sie den Chris-Nolan-Film The Prestige kennen. Ich selbst habe das Buch noch nicht gelesen, da ich aber bereits den Film liebe, dürfte es genau das richtige für mich sein. Als letztes möchte aber ich auch noch die Gelegenheit nutzen, um The Glamour (Der schöne Schein) und The Inverted World (Die Stadt) zu empfehlen, die Adventure-Spielern sicherlich zusagen könnten, da jedes für sich ein großes Rätsel darstellt. Gerade The Inverted World ist einfach nur ein literarisches Fantasy-Werk, das seinesgleichen sucht und es verdient, als eines der besten Bücher aller Zeiten bezeichnet zu werden.



Der Boss bei der Arbeit.

A-T: Du bist als jemand bekannt, der kein Geheimnis aus seinem festen Glauben an die immense Wichtigkeit von qualitativ hochwertigem Storytelling macht - ein Aspekt, den wir leider nur in sehr wenigen Adventures zu sehen bekommen. Was ist deine Meinung zum Zustand in puncto interaktives Storytelling innerhalb eines Genres, das zumindest in der Theorie einen enormen Raum für “echtes” Storytelling bieten würde? Speziell, wenn es um emotional involvierende Erfahrungen von erwachsener Natur geht.



Agustin: Die Storytelling-Kunst befindet sich leider in jeglichem Genre in einem schlechten Zustand. Auf dem Adventure-Höhepunkt in den frühen 90gern gab es noch eine sehr positive Entwicklung hin zu sehr dichten Erzählstrukturen und zunehmenden literarischen Elementen in Spielen zu beobachten, aber leider haben wir in dieser Hinsicht bedauerliche Rückschritte erleben müssen. Mittlerweile sieht es wieder so aus, dass sich die Spiele weit mehr auf die Themen Gameplay und Herausforderung konzentrieren und den Story-Aspekt stark vernachlässigen. Es hört sich ironisch an, ich weiß, aber Adventures sind historisch immer das Genre gewesen, in dem die spielerischen Elemente eine geringere Rolle gespielt haben als in anderen Genres, dafür waren sie das Modell, dem es zu folgen galt, wenn man aus künstlerischer Hinsicht wirklich etwas bewegen wollte. Wenn du mich fragst, ist das alles eine sehr komplexe Angelegenheit, in der es verschiedene Faktoren zu beachten gilt: Den Niedergang des PC-Marktes, den Aufstieg der Konsolen und einen sehr niedrigen Literatur-Standard generell.



Lass mich das etwas näher erläutern: Die große Ausbreitung von Adventures hat damals auf PCs stattgefunden, ohne dass dieses Genre auf Konsolen jemals irgendeine Form von Durchbruch erreicht hat, was damit zu tun hat, dass PC-Spiele traditionell eher auf intellektuell anspruchsvolleres und gleichzeitig weniger protziges Gameplay gesetzt haben. Ich möchte jetzt echt nicht elitär oder so klingen, aber das ist einfach ein Fakt. Man muss einfach mal die Arten von Strategiespielen oder Rollenspielen vergleichen, die wir auf beiden Plattformen sehen konnten, um zu verstehen, wie sehr sie sich von einander unterschieden haben. Mittlerweile ist es so, dass wir eine völlige Simplifizierung von Gameplay und Bedienung erleben und zwar nicht, weil es die natürliche Evolution von Spielen wäre, sondern aus dem Grund, dass die Konsolen das Geschehen bestimmen und die Konsumenten diese Dinge dementsprechend verlangen. Es gab eine Zeit, in der es eine gewisse Balance gegeben hat, in der beide Märkte friedlich nebeneinander existiert haben, aber die Konsolen haben PC-Spiele langsam aber sicher mehr und mehr zu beeinflussen begonnen – und das war lange Zeit, bevor die großen Entwicklerteams dazu gezwungen waren, mehrere Plattformen zu bedienen, um zu überleben.



Screenshot aus Heavy Rain

Hin und wieder kommt es vor, dass in Form von Titeln wie Uncharted, Alan Wake oder Heavy Rain, um ein paar Beispiele zu nennen, Spiele auf Konsolen erscheinen, die in Sachen Storytelling wirklich hervorragend sind, aber selbst in diesen Spielen ist es immer noch das Gameplay, das an erster Stelle steht. Hinzu kommt, dass diese Spiele dann Dinge wie Achievements, multiple Enden und nervende Mini-Games einbauen und damit im großen Maße das Potenzial verringern, welches die Story eigentlich gehabt hätte. Silent Hill ist so ein Beispiel: An und für sich haben diese Spiele richtig gute Storys und Settings, aber sie sind dazu verdammt, den gängigen Formeln von Survival-Horror-Titeln zu folgen, da die Käufer genau das erwarten. Als Resultat wird man dann mit Dingen wie aufgesetzten Boss-Kämpfen und irgendwelchem banalen Zeug konfrontiert, einzig damit der Wiederspielwert erhöht wird. Wenig überraschend wurde Shattered Memories, der einzige Silent-Hill-Titel, der sich gewagt hat, aus diesem Muster auszubrechen, dann in der Luft zerrissen. Was soll ich sagen? Zum Teufel mit dem Wiederspielwert! Wenn Spiele eines Tages eine Kunstform sein wollen, den Spieler emotional wirklich berühren möchten und lebensverändernde Erfahrungen bieten wollen, müssen Entwickler, Publisher und Spieler damit aufhören, sich über den verfluchten Wiederspielwert, die Herausforderung und das Gameplay zu sorgen. Die Gesamterfahrung und die Story sind die Dinge, die sie annehmen müssen. Mit anderen Worten: In erster Linie sollten es keine Spiele sein, die wir erwarten. Es mag sich paradox anhören, aber so sehe ich es.



Da hast du also die Antwort: Das miese Storytelling, das wir heutzutage sehen, was übrigens genauso für Filme und Bücher gilt, ist eine Reflektion unserer Gesellschaft. Viele Leute erwarten keine tiefgründigen Geschichten, sondern Entertainment und die Publisher, die sehen müssen, wie sie sich ihre Brötchen verdienen, sind dazu gezwungen, ein möglichst großes Publikum anzusprechen. Und eben jenen Publishern wird dann ja auch gerne und oft die Schuld für die niedrige Qualität der Spiele gegeben, aber ich gebe den Leuten generell die Schuld: Du bekommst halt das, wonach du fragst. Lediglich in Independent-Produktionen, die nur eine kleine Schicht an Spielern ansprechen, gibt es noch Raum, um zu experimentieren und erfüllende Erfahrungen mit Substanz und Tiefgang zu erschaffen. Ein Grund dafür ist auch ganz einfach der, dass diese Entwickler wirklich lieben, was sie tun und wesentlich näher an ihrer Zielgruppe dran sind.



Screenshot aus Silent Hill: Shattered Memories (Dank an Adventure Gamers)

Das gilt ganz besonders für Adventures. Große Projekte müssen für ein entsprechend großes Publikum attraktiv sein, um sich zu rentieren und genau aus diesem Grund mache ich mir auch Sorgen um größere Projekte wie Dark Star und Gray Matter, bei denen genau das nicht der Fall zu sein scheint – wobei ich natürlich nicht anmerken muss, aufrichtig zu hoffen, dass beide von ihnen hervorragend einschlagen. Bei den Independent-Entwicklern sieht es wie gesagt so aus, dass sie wesentlich sensibler sind, wenn es um das Thema Storytelling geht, da sie deutlich persönlichere Spiele machen. Und genau hier mag auch der Schlüssel liegen: persönlich zu sein, so wie ein Romanautor. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass das bislang storylastigste Genre auch die größte Gruppe an prominenten Entwicklern hervorgebracht hat: Leute wie Roberta Williams, Jane Jensen, Steve Meretzky, Bob Bates, Al Lowe, Steve Ince und viele weitere. Zum Abschluß der Antwort fühle ich mich sogar dazu verführt, den Niedergang der Adventures mit dem generellen Desinteresse an Literatur zu vergleichen - das ist doch etwas Stoff, um sich Gedanken zu machen.



A-T: Bitte nenne uns fünf Adventures (gegebenenfalls auch Serien), die dich in Sachen Storytelling im Laufe der Jahre wirklich nachhaltig beeindruckt haben und erläutere uns die jeweiligen Gründe.



Agustin: Meine erste Wahl fällt mir wirklich leicht: Gabriel Knight, beziehungsweise die Arbeit von Jane Jensen generell. Jane ist ebenfalls eine Autorin, was unter Game-Designern selten ist, daher ist es der starke literarische Inhalt, den ihre Spiele haben, naheliegend. Der Recherche-Aufwand und das Auge für Details in der Gabriel-Knight-Serie ist meiner Ansicht nach bis heute unerreicht geblieben. Vielleicht habe ich vorhin auch einen etwas falschen Eindruck abgeliefert, denn ich mag es durchaus, neue Titel zu spielen und kann mittlerweile auch Konsolentiteln etwas abgewinnen. Wenn ich mir aber diese neueren Titel nun ansehe und sie mit dem vergleiche, was die Gabriel-Knight-Titel und einige andere Adventures bereits damals erreicht haben, fühle ich mich geradezu in die Steinzeit zurückversetzt.



Dann kämen mir auch noch die meisten Spiele von Legend Entertainment in den Sinn. Wirklich ein Unternehmen, das einfach nichts falsch machen konnte. Fast alle ihrer Veröffentlichungen sind erzählerisch sehr stark gewesen, gerade im Bezug auf ihre Sci-Fi-Titel. Herauspicken würde ich mir an dieser Stelle wohl Mission Critical, welches ich, bezogen auf sämtliche Medien, als eines der stärksten Science-Fiction-Werke innerhalb der letzten zwei Dekaden ansehe. Als Spiel mag es vielleicht einfach „nur“ ein guter Titel gewesen sein, aber was die Story anging, war Mission Critical eine ganz große Nummer und ich habe nie zuvor irgendein Spiel gesehen, das sich auf so wunderbare Art mit der Menschheit auseinandergesetzt hat.



Screenshot aus Gabriel Knight: Sins of the Fathers

Nach den ersten zwei Spielen, die ich mir ausgesucht habe, möchte ich nun Brian Moriarty ins Spiel bringen: Loom und Trinity, um genau zu sein. Zwei sehr berührende Spiele, wie wir sie seit Ewigkeiten nicht gesehen haben. Als letztes fällt meine Wahl dann auf The Dark Eye, was im Grunde ein reiner Storytelling-Exzess ohne Gameplay gewesen ist. Ich habe es selten erlebt, dass mir ein Spiel das Gefühl gegeben hat, derart stark ins Geschehen involviert zu sein und auf vergleichbare Art mit der Hauptfigur mitzuleiden. The Dark Eye war damals einfach eine herausragende Leistung - leider hat seit 1995 niemand mehr den Mut gehabt, seinen experimentellen Spuren zu folgen.



A-T: Wo wir uns langsam aber sicher dem Ende des Interviews nähern, möchte ich gerne die Gelegenheit nutzen und ein weiteres aktuelles Projekt von dir ansprechen: Slightly Deranged - ein Blog, der sich mit Kultfilmen und -spielen beschäftigt. Bitte stell unseren Lesern Slightly Deranged vor und erläutere kurz, wie die ganze Geschichte zustande kam.



Agustin: Ich wollte schon seit einer Weile einen eigenen Blog starten. Ich meine, heutzutage kann doch jeder Trottel seinen eigenen Blog haben, warum also nicht auch ich? Ich liebe es einfach, mit Leuten in Verbindung zu sein, die meine Interessen teilen und ich habe das Gefühl, ich habe sehr viel zu erzählen. Es gibt viele Filme und Spiele, die ich liebe und ich möchte zumindest gerne auf ihre Existenz hinweisen. Dementsprechend liegt der Fokus auch auf eher unbekannten Sachen. Mir gefällt der Gedanke, Slightly Deranged als so eine Art Museum zu betrachten, welches die Erinnerung an bestimmte Filme und Spiele wahrt. Darüber hinaus ist es natürlich eine weitere gute Plattform für meine Schreiberei, die mir wie gesagt sehr am Herzen liegt. Allerdings dreht sich mein Blog nicht nur um die Vergangenheit, so habe ich beispielsweise auch Gedanken zum gegenwärtigen Zustand der Spielelandschaft festgehalten und rege gerne zu Diskussionen an – wer weiß, vielleicht können wir ja auf diese Art herausfinden, was zum Henker gerade mit der Spieleindustrie falsch läuft. Übrigens werde ich in der Zukunft auch über Asylum schreiben, die Seite wird mir also auch als eine Art von Entwickler-Tagebuch dienen. Im Grunde weiß ich selbst nicht genau, worauf Slightly Deranged den Fokus legt. Das Programm ist recht vielschichtig, aber auf jeden Fall habe ich eine Menge Spaß mit der Seite!



Slightly Deranged

A-T: Neben allen anderen Dingen ist Slightly Deranged natürlich auch eine exzellente Plattform, um deinen Faible für Horrorfilme auszuleben. Tun wir mal so, als hätte ich in meinem ganzen Leben nicht einen einzigen Horrorfilm gesehen, welche fünf Filme müsste ich aus welchem Grund unbedingt gesehen haben?



Agustin: Ich muss vorab sagen, dass meine Auswahl recht offensichtliche Filme beinhaltet. Merkwürdigerweise gibt es nicht viel Spielraum, wenn es um die besten Horrorfilme aller Zeiten geht. Auf dem ersten Platz sehe ich ganz klar Evil Dead (Tanz der Teufel), der einfach ein absoluter Meilenstein gewesen ist. Ehrlich, einflussreicher kann solch ein Film eigentlich kaum sein. Und ich sage mit ganzem Ernst, dieser Film hätte eine Oscar-Nominierung für die beste Regie verdient gehabt, kein Scherz! Diese letzte Szene, in der nicht ein Wort gesprochen wird, du aber hautnah fühlen kannst, was für sonderbare Dinge im Kopf von Bruce Campbell vor sich gehen, ist einfach nur überragend. Der Film ist ganz einfach in jeder Hinsicht ein Meisterwerk, auch wenn das niedrige Budget natürlich nicht zu übersehen ist.



Braindead ist hingegen ein Film, den ich aus völlig gegensätzlichen Gründen nenne. Er ist mit voller Absicht komplett haarsträubend, dabei aber auch richtig gut gemacht. Letztlich ist er in erster Linie eine Komödie und kein echter Horrorfilm, dafür aber auch eine meiner Lieblingskomödien. Als nächstes kommt dann Dawn of the Dead, der sich weit mehr mit den menschlichen Charakteren als mit Zombies beschäftigt und in seiner Gesamtheit einfach ein sehr starker Film ist. Natürlich werde ich hier auch nicht daran vorbeikommen, The Thing (Das Ding aus einer anderen Welt) anzusprechen, zu dem mir fast die Worte fehlen: Großartiges Setting, großartiger Soundtrack, großartige Charaktere… hier stimmt einfach alles. Definitiv der Lovecraft naheste Film, der je gedreht wurde. Abschließend gibt es aus offensichtlichen Gründen noch das Texas Chainsaw Massacre zu vermerken: Ein Beispiel dafür, wie extrem ein Film sein kann, ohne dabei exzessiv zu sein.



Agustin trinkt auf seinen Erfolg.

Darüber hinaus werde ich zum Spaß auch noch fünf Filme empfehlen, die deutlich weniger populär sind: 1. Let’s Scare Jessica to Death (Grauen um Jessica) wegen seiner bemerkenswerten Atmosphäre, der starken Story und einer zeitlosen Darstellung von Zohra Lampert. 2. The Wicker Man, dessen Ausrichtung stark Richtung Drama tendiert: Eine tolle Geschichte mit sehr menschlichen Charakteren, wobei es in dem Film weder Helden noch Bösewichter gibt. Darüber hinaus verfügt der Film über eines der schockierendsten Enden aller Zeiten. 3. Zombie (Zombie 2 – Woodoo – Schreckensinsel der Zombies), da ich irgendeinen Film von Lucio Fulci hier rein packen muss. Der Film hat das beste Zombie Make-up aller Zeiten und über die Tatsache, dass Zombies verdammt cool sind, besteht ja ohnehin kein Zweifel. Dazu gibt es die Augen-Piercing-Szene und den Kampf zwischen dem Zombie und dem Hai – mehr muss ich wohl nicht sagen. 4. The Changeling (Das Grauen), da er eine perfekte Gruselgeschichte erzählt und in jedem Bereich vorbildlich ist. Leider ein sehr unterbewerteter Titel, obwohl er sich problemlos zu den gruseligsten Filmen aller Zeiten zählen darf. The Changeling, The House by the Cemetery (Das Haus an der Friedhofmauer) und House of the Long Shadows (Das Haus der langen Schatten) dürften im Übrigen wohl auch die drei Filme sein, die den stärksten Einfluss auf Scratches gehabt haben. 5. Shock Waves (Die Schreckensmacht der Zombies): Eine sehr merkwürdige Wahl zum Ende hin, ich weiß. Shock Waves ist einfach ein sehr geradliniger Horrorfilm, der gleichzeitig aber eines der ultimativen Beispiele in puncto Atmosphäre ist. Man muss ihn wohl gesehen haben, um zu verstehen, was ich meine. Da ist etwas an diesem Film, das für immer in deinem Kopf hängen bleibt, sei es der Soundtrack, das Setting oder der mysteriöse Plot. Echt ein sehr seltsamer Film.



A-T: Zum Abschluss noch eine richtig harte Frage. Das letzte Jahrhundert hat unvergessene Horror-Stars wie Bela Lugosi, Vincent Price, Peter Cushing, Boris Karloff oder Christopher Lee hervorgebracht. Wie sieht deine persönliche Rangliste aus? Tatsächlich hast du nun die Chance der Welt (OK, das mag ein bisschen übertrieben sein) mitzuteilen, wer von ihnen der Größte aller Zeiten gewesen ist.



Agustin: DER Größte? Nun, ich kenne die Kandidaten, soviel ist sicher: Peter Cushing, Vincent Price und Christopher Lee. Allerdings ist es fast unmöglich, einen von ihnen herauszupicken, da sie alle absolute Meister ihres Fachs gewesen sind. Ich bezweifle, dass wir jemals wieder ähnlich prominente Genre-Stars erleben werden, aber glücklicherweise werden uns ihre Auftritte für immer erhalten bleiben. Wenn ich mich nun allerdings auf eine Person festlegen müsste, sollte ich erwähnen, dass ich immer einen besonderen Bezug zu Peter Cushing gehabt habe. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, aber ich habe seinen Stil immer geliebt. Er ist einfach der ultimative gebildete Engländer, der dunkle Geheimnisse aufdeckt. Gleichzeitig kann man aber ebenso wenig die beeindruckende Vielseitigkeit von Christopher Lee unter den Teppich kehren, dessen aktuelles Schaffen uns nach wie vor begleitet. Wirklich, es sollten Straßen nach diesen Leuten benannt werden, ganz zu schweigen von Monumenten, die ihrer Figuren gedenken.



Senscape samt Frauen.

A-T: Vielen herzlichen Dank, dass du dir so viel Zeit für uns genommen hast, Agustin. Viel Glück mit Senscape, Asylum und deinen anderen Aktivitäten. Wir werden dich in der Zukunft sehr gerne zu weiteren Interviews begrüßen!



Agustin: Jederzeit! Vielen Dank für diese Gelegenheit, ganz im Ernst… eure Unterstützung bedeutet uns wirklich eine Menge! Ich bin sehr optimistisch, dass Asylum sehr gut ankommen wird und werde natürlich auch in der Zukunft gerne wieder zurückkehren – insofern eure Leser noch einmal die Energie haben, sich durch so einen langen Text zu arbeiten. Herzliche Grüße an all die Adventure-Treff-Leser, bleibt dieser Seite treu und lasst das Adventure-Genre niemals sterben!