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Interviews

Benoît Sokal
Gesprächspartner: Silke 'silly' Stein
Sprache:
Vom: 05.05.2004

Über

Benoît Sokal ist Zeichner und Gamedesigner. Comicfans ist er schon seit längerem als der Schöpfer von "Inspektor Canardo" bekannt. Ende der neunziger Jahre bringt Sokal sein erstes Adventure auf den Markt "Amerzone", drei Jahre später folgt "Syberia" - eine abenteurliche Reise in den Osten.



Adventure-Treff: Mr. Sokal. Verglichen mit dem ersten Teil, wie wird die Atmosphäre in Syberia II sein?

Benoît Sokal: In Syberia I herrschte eine sehr europäische Atmosphäre. Hier gab es eine festgefügte Architektur, mit Bauwerken und so. In Syberia II geht die Reise in den hohen Norden, in die Natur. Es ist eine sehr offene und weite Landschaft mit einer sehr natürlichen Atmosphäre, mit Schnee, mit Sturm, mit Wäldern, all solchen Dingen eben. Das ist also ein bisschen anders.

A-T: Was haben sie in Syberia II geändert, was haben sie beibehalten?

Benoît Sokal: Die Änderungen: Es sind immer technische Änderungen, die bei solchen Projekten vorgenommen werden. Kleinigkeiten wie die Reflektionen, die Schatten. Also Details, die Stück für Stück einen Gesamteindruck ergeben. Was das Drehbuch betrifft, so ist ja klar, dass das die Fortsetzung von Syberia I ist. Wir haben einfach versucht der Geschichte erzählerische Elemente hinzuzufügen, die den Verlauf spannender machen. Also so weit wie das möglich und nötig ist, schließlich ist es ja immer noch ein Adventure. So gibt es in Syberia II Bösewichte, die versuchen Kate Walker zu behindern und aufzuhalten.

Aber großartige Veränderungen wird es nicht geben, da dies ja die Fortsetzung von Syberia I ist.

A-T: Wird es einen Comic zu dem Spiel geben?

Benoît Sokal: Ja, für das nächste Spiel, das ich machen werde, wird es einen Comic geben. Vielleicht auch für Syberia, wir sind da noch in Verhandlungen. Auf jeden Fall wird das ein Projekt sein, dass ich mit meiner neuen Firma (White Bird Productions, Anm. d. Red.) realisieren werde. Aber ist auf jeden Fall ein Projekt, das mich auch interessiert. Also Syberia, wie auch Lost Paradise und alle folgenden Spieleprojekte.

Mich interessieren Comics nicht weil ich einen einfachen Abklatsch von meinen Spielen machen will, sondern um die Szenerie mal anders darzustellen. Es ist ja eine komplett andere Welt, ein Spiel kann man ja nicht mit einem Comic vergleichen.

A-T: Wie war denn die Zusammenarbeit mit Microïds?

Benoît Sokal: Die Arbeit an Syberia hat für mich vier Jahre gedauert. Davon habe ich einen großen Teil in Kanada verbracht. Nun haben sich unsere Wege etwas getrennt, vor allem, weil ich mein eigenes Unternehmen gegründet habe. Aber Microïds bleibt ein bevorzugter Publisher für meine zukünftigen Projekte, die ich mit meiner neuen Firma realisieren werde. Ich möchte nun aber auch ein paar Dinge anders machen. Also das verbessern, was zu verbessern ist und eine kleinere Struktur schaffen, die aber eine größere Kapazität für Kreativität hat. Was mich dabei interessiert hat ist neben dem eigentlichen kommerziellen Business eine autonome Struktur zu schaffen, in der es in erster Linie darum geht, Geschichten zu erzählen.

A-T: Wird das Ende von Syberia II auch das Ende der Geschichte von Kate Walker sein?

Benoît Sokal: Ja, für mich ist die Geschichte damit beendet. Ohne Zweifel wird Kate Walker für Microïds weiterleben aber für mich ist es derzeit wichtiger zu anderen Dingen überzugehen. Ich finde, dass Syberia eine Geschichte ist, die einen guten Abschluss gefunden hat. Ich finde außerdem, dass es eine schöne Liebesgeschichte zwischen einem Mädchen, einem Automaten und dessen Erfinder ist. Meiner Meinung nach hat das ein gutes Ende gefunden. Darum muss man sich mit dem Abschluss dieser Geschichte neuen Dingen zuwenden.

Als ich noch Comics gemacht habe, habe ich den Fehler gemacht und habe über 20-25 Jahre immer die gleiche Person gezeichnet. Und wenn ich das noch weitere 10 Jahre gemacht hätte, wäre ich komplett depressiv geworden: immer den gleichen Kopf einer Ente zu zeichnen (lacht). Aber mal ernsthaft: wenn man immer das selbe macht, wird es irgendwann zuviel. Das ist wie mit Schokolade. Fast jeder mag sie. Aber iss mal 50 kg davon, dann magst auch du keine Schokolade mehr. Darum möchte ich diesen Fehler nicht noch mal machen. Wenn man in einer kreativen Branche arbeitet gibt es eine Regel: man darf sich niemals langweilen, wenn man sich langweilt läuft man schnell in Gefahr schlechte Arbeit abzuliefern.

Also habe ich es vorgezogen Kater Walker zu verlassen, ehe ich mich zu langweilen beginne. Deswegen springe ich vom hohen Norden in den Süden, nach Afrika.

A-T: Das ist ihr nächstes Projekt?

Benoît Sokal: Ja. Das ist die Geschichte von der Tochter eines Diktators, die auf die Suche nach ihrem Vater geht, der im Sterben liegt. Es ist die Geschichte einer Beziehung zwischen einem alten, afrikanischen Diktator und seiner Tochter, verbunden mit einer Reise quer durch Afrika. Gut, dass wird nicht die gleiche Sorte Frau wie Kate Walker sein. Sie wird anders aussehen. Aber ich werde wieder eine Frau als Hauptrolle nehmen. Das ist amüsanter.

A-T: Wann können wir denn einen Blick auf diese Frau werfen?

Benoît Sokal: Es gibt schon einige kleine Neuigkeiten, die man auf der Website von White Birds sehen kann. Vielleicht 2005 oder 2006 kann man dann mehr von ihr sehen.

A-T: Wieviel von ihren persönlichen Erfahrungen und ihrer Geschichte sind in die Entwicklung von Syberia eingeflossen?

Benoît Sokal: Ich bin nicht Kate Walker (lacht). Aber alles in diesem Spiel basiert natürlich auch auf meinem persönlichen Hintergrund. Wenn man Geschichten erzählt, erzählt man immer, was man selber erlebt oder gehört hat. Also Syberia ist ein bisschen die Bilanz von meinem zwanzigsten Jahrhundert. Jeder der in mein Alter kommt zieht ja Bilanz aus dem vergangen Jahrhundert. So ist das für mich die Geschichte vom Europa des letzten Jahrhunderts, aber eigentlich auch die Geschichte von meinem Vater und meinem Großvater, die damals ganz Europa durchquert haben. Mein Vater war ein österreichisch-polnischer Soldat, der flüchten musste. Die Geschichte ist also seine – natürlich umgesetzt in eine Frau, die aus New York kommt. Aber das ist meine Vorstellung, meine Vorstellung von Europa. Das kommt zum Beispiel in der Reise von Kate Walker zum Ausdruck.

In meiner Vorstellung ist der Zug das beste Fortbewegungsmittel um Europa zu durchqueren. Dieser Zug symbolisiert aber auch den Orient-Express mit all seinem Luxus auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch die Züge des zweiten Weltkriegs. Es geht aber immer um das eine: die große Reise in den Osten. Das ist meine Vorstellung gewesen. Und jede Welt, die man in dem Spiel erreicht stellt einen anderen Aspekt von diesem Europa dar. Deswegen spielt der Anfang von Syberia I zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem kleinen französischen Dorf. Hier ist ein bisschen industrielle Revolution, ein bisschen Jules Verne. Die zweite Welt symbolisiert für mich ein wenig den zweiten Weltkrieg in Deutschland mit seiner sehr geraden und akkuraten Architektur und auch der Mauer. Aber das ganze ist natürlich sehr symbolisch gemeint. Aber wenn ich an Deutschland denke, stelle ich mir eine Universität vor, eigenartigerweise. Und dann geht es weiter in den Osten. Nach Aralbad. Das ist eine fantastische Vorstellung. Natürlich ist es ein ökologisches Desaster: ein Hafen ohne Meer. Aber das hat mich fasziniert und das ist eine ganz wunderbare Kulisse. Russland und Sibirien sind für mich die exotischsten Orte, die ich mir vorstellen kann.

Wenn man ins Kino geht, sieht man doch immer dieselben Orte, die jeder kennt, meistens aus dem Süden. Selbst wenn man nie da gewesen ist, man kennt die Bilder. Also habe ich mir überlegt, was ist am weitesten weg für mich, wovon hast du keine Bilder und keine genaue Vorstellung. Also bin ich in meinem Kopf nach Osten gereist.

A-T: Waren Sie denn schon in Russland?

Benoît Sokal: Nein, das sind alles Bilder aus meinem Kopf, aus meiner Vorstellungskraft. Ich reise nur in meinen Videospielen (lacht).

A-T: Was ist für Sie der größte Reiz an Adventures?

Benoît Sokal: Das ist ein Gesamtbild. Also nicht nur ein einzelner Aspekt. Man kann auf einmal soviel machen. Angenommen man malt ein Bild, zuvor muss man sich noch ein Szenario ausdenken, eine Geschichte dazu schreiben. Dann muss man diese Geschichte auf die Video-Spielebene bringen. Also hat man auf einmal eine Interaktivität, das ist eine ganz andere Art zu arbeiten. Zunächst arbeitet man alleine. Man hat zum Beispiel eine Idee: die Mammuts. Und dann wird das umgesetzt und dann sehe ich auf einmal die Mammuts und wie sie sich bewegen. Das ist toll. Sie werden auf einmal Wirklichkeit, mit Fell und all dem. Das eröffnet einem ungeahnte Möglichkeiten, ich denke mir etwas aus und mit Hilfe eines Adventure kann ich es auch realisieren.

A-T: Vielen Dank für das Interview!