Entwickler: The Chinese Room
Vertrieb: Sony Computer Entertainment
Nachdem das kleine englische Entwicklerteam The Chinese Room 2012 viel Lob für ihr Spiel Dear Esther bekam, hat es drei Jahre später mit Hilfe von Sony Santa Monica den geistigen Nachfolger Everybody’s gone to the Rapture auf die PlayStation 4 gebracht. Dank der Cryengine kann die Optik schon mal überzeugen. Aber gilt das auch für den Rest des Titels?
Laut Behörden brach eine Art Grippe aus, die ihr Unwesen treibt und mit der sich scheinbar jeder ansteckt. Doch ein paar Leute wissen mehr, als sie sollten und gehen der wahren Ursache auf den Grund. Der Spieler erlebt einzelne Geschehnisse in insgesamt sechs Handlungssträngen, die immer eine bestimmte Person in den Vordergrund stellen. Neben relevanten, die Krankheit betreffenden Gesprächen, bekommt man auch Einblicke in das normale Alltagsleben mit all den Dramen drumherum. Wer sich darauf einlässt, kann also, sofern ihn die zerstreuten Dialogfetzen nicht stören, viel über die Menschen erfahren.
Ohne Tutorial oder große Introsequenzen wird man direkt vor das Dörfchen Yaughton gesetzt und hat anfangs keinerlei Ahnung, worum es eigentlich geht. Der alleinige Anhaltspunkt ist das, was eine Frau vor dem Start des Spiels erzählt. Demnach sei sie “die einzige noch übrige Person“, und “alles wäre vorbei“. Nur mit dieser Info macht man sich also auf, die Umgebung zu erkunden. Mit Ausnahme der Spiel-Optionen gibt es keinerlei Menüs, Inventare oder Statusbildschirme. Die einzige Möglichkeit, mit der Welt zu interagieren, ist das Drücken der X-Taste, um etwa Tonbandaufnahmen, Radiosendungen oder Telefongespräche abzuhören. Hier und da gibt es auch schwebende Lichtkugeln, die man per Controllerneigung auf einen bestimmten Punkt konzentrieren muss, um eine für die Story wichtige Unterhaltung zu triggern. Die sich unterhaltenden Personen werden allerdings nur durch eine lichtartige Masse schemenhaft dargestellt. Man bewegt sich ausschließlich zu Fuß fort. Und zwar sehr gemächlich. Zumindest bis man herausfindet, dass man mit der R2-Taste auch schneller laufen kann. Hingewiesen wird darauf im Spiel allerdings nirgends, erst nach mehrfacher Bemängelung der Geschwindigkeit gab The Chinese Room Aufschluss über die “versteckte” Sprint-Taste. Wer Dear Esther gespielt hat, wird sich auch mit dieser sehr minimalistischen Steuerung schnell anfreunden, da es sich quasi gleich spielt.
Was einem nach den ersten paar Schritten wohl am ehesten auffällt, ist das umherschwirrende Licht. Es unterscheidet sich jedoch zu den oben erwähnten Lichtkugeln, da man mit diesem nicht interagieren kann. Vielmehr scheint es den Spieler aufzufordern, ihm zu folgen. Und hier beginnt man, seine ersten Entscheidungen zu treffen. Geht man den direkten Weg und lässt sich nur die wichtigsten Punkte zeigen oder unternimmt man eine kleine Sightseeingtour durch das englische Dorf und findet weitere Aufzeichnungen, die nur darauf warten, abgehört zu werden? Diese machen zum Beispiel durch Störgeräusche auf sich aufmerksam, sodass man sich an diesen orientieren und somit die Quelle leichter finden kann. Soundtechnisch setzt das Spiel zwar mehr auf Naturgeräusche. Doch wenn man gewisse Punkte der Story erreicht, werden wundervolle orchestrale Stücke getriggert, die einen noch mehr in die schön gestaltete Umgebung hineinziehen. Komponiert wurde der Soundtracks übrigens von Jessica Curry und herausgegeben von Sony Classical.
Eine Sache muss einem klar sein, was die Story angeht; sie wird nicht-linear erzählt. Es mag durchaus vorkommen, dass man manche Gesprächsfetzen erst im weiteren Verlauf im Zusammenhang mit späteren Unterhaltungen verstehen und zuordnen kann. Daher könnte es ratsam sein, das Spiel in einem Rutsch durchzuspielen oder sich Notizen zu machen, wenn man der Geschichte denn genau folgen möchte. Gerade bei einer solchen Erzählweise kann man den Faden leider schnell verlieren und bereits gesehene Lichtspiele lassen sich nicht wiederholen. Lediglich Aufnahmen kann man beliebig oft anhören.
Hauptsächlich wurde hier das Spiel mit der deutschen Synchronisation getestet, die mit wenigen Ausnahmen wirklich ausgezeichnet ist. Hier merkt man, dass Sony wohl den Geldbeutel geöffnet hatte und recht spendabel war, denn eine solche Qualität ist im deutschen Raum leider nicht die Regel. Allerdings muss auch hier ein “aber” her. Wer nämlich sehr auf Feinheiten achtet, wird mit dem Originalton besser fahren, da es in dem Ort eine gewisse “Yankee-Frau” (Amerikanerin) gibt, der man das auch deutlich anmerkt. Außerdem ergeben dann auch manche Bemerkungen der Einheimischen mehr Sinn, da diese Bezug auf ihre Herkunft nehmen. Wem diese Nuancen allerdings egal sind und das Lesen von Untertiteln zu störend ist, der wird mit der deutschen Sprachausgabe viel Spaß haben.
Everybody’s gone to the Rapture ist ein Titel, den man im Normalfall nicht so wirklich auf dem Schirm hat. Dabei lohnt es sich definitiv, auch mal über den Tellerrand zu blicken, um eben diese Perle zu entdecken. Eine gute Entscheidung war es auch, auf die CryEngine zu setzen, anstatt wie noch im Vorgänger auf die Source Engine. Denn die ausgewählten Ortschaften in Shropshire lassen sich sehen! Wer also eine PS4 hat, sollte mal einen Blick riskieren.
Antonio Moss
"Anfangs war ich skeptisch, ob das denn was für mich wäre. Ich bin experimentierfreudig, was Spiele angeht, aber das zähe Voranschreiten wollte mir nicht so recht gefallen. Als ich nach kurzer Zeit erst mal pausierte, hatte ich abends wesentlich mehr Spaß damit. Es kam wohl einfach auf die Umgebung an, in der ich spielte. Die Atmosphäre, die im Spiel aufgebaut wird, kam viel besser rüber, als ich im Dunkeln saß und Kopfhörer auf hatte. Was die Story angeht - vielleicht sollte man das Spiel mindestens zweimal durchspielen, um sie wirklich in all ihren Facetten zu begreifen. Bekommt man gewisse Gespräche ein weiteres Mal mit bestimmtem Hintergrundwissen zu hören, kann man viel mehr aus ihnen gewinnen. "
Antonio Moss
Gesamtwertung: 81 Prozent
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