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Interviews

Sam Clarkson
Gesprächspartner: Ingmar Böke
Sprache:
Vom: 05.02.2010

Über

Sam Clarkson ist in seiner Funktion als Creative Director des neuseeländischen Indie-Entwicklers Areo einer der führenden Köpfe hinter dem FMV-Episodenformat Casebook, für welches er auch als Regisseur tätig ist.



Adventure-Treff.de: Hallo Sam und herzlich willkommen. Bitte stelle dich und deine Funktionen in der Casebook-Entwicklung unseren Lesern vor.

Sam Clarkson: Ich bin einer der Schöpfer der Casebook-Serie, schreibe die Design-Dokumente und entwickle die Storys zusammen mit dem eigentlichen Autor. Außerdem führe ich bei den Filmaufnahmen Regie und kümmere mich um das Schneiden des Filmmaterials.

A-T: Bitte erzähle uns etwas über Areo, die Philosophie, die hinter eurem Studio steht und die langfristigen Pläne von Areo.

Sam: Areo wurde aus dem Grund gegründet, weil uns der Mangel an Innovationen in der Welt der Computergrafiken frustriert hat. Ich meine, jedes Jahr werden Computer immer leistungsfähiger, aber die Fortschritte im grafischen Bereich halten sich wirklich sehr im Rahmen. Meine jetzige Grafikkarte hat wahrscheinlich fünfzigmal mehr Power als die, die ich noch vor fünf Jahren besessen habe, trotzdem erhalte ich nicht mehr als ein paar Extra-Polygone, nettes Anti-Aliasing und einige schicke Shader. Natürlich hat Polygongrafik ihre Daseinsberechtigung, aber wir dachten uns, dass es doch einen anderen Ansatz geben müsste, der nicht nur ein realistischeres Ergebnis liefert, sondern auch schneller zu erschaffen ist. Und genau dafür steht unsere Areograph-Technologie: Ein System, das reale Schauplätze festhält und rendert, um sie in Videospielen zu verwenden. Bei Casebook kommt die erste Generation dieser Technologie zum Zug, in Zukunft werden aber auch andere Genres die Areograph-Umgebungen nutzen. Wir haben gar nicht vor, mit traditionellen Polygongrafiken zu konkurrieren, uns geht es darum, eine Alternative anzubieten, die dann Sinn macht, wenn es um das Stichwort Realismus geht und der Entwickler sich kein riesiges Künstlerteam wie bei den großen Triple-A-Titeln leisten kann.



A-T: Du warst an zahllosen Dokumentationen für Institutionen wie Animal Planet und den Discovery Channel beteiligt (von denen eine sogar für einen Emmy nominiert wurde). Vorher hast du dir als Regisseur von mehrfach prämierten Kurzfilmen einen Namen gemacht. Wie genau hat jemand mit deinem Hintergrund eigentlich den Weg in die Spieleindustrie gefunden und wie würdest du deine bisherigen Erfahrungen beschreiben?

Sam: Als junger Mann habe ich mir das Ziel gesetzt, bis zu meinem dreißigsten Geburtstag entweder einen Film oder ein Videospiel gemacht zu haben. So wie sich die Dinge nun ergeben haben, konnte ich also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Eigentlich hätte ich mir nie erträumt, dass ich diese beiden Interessen jemals auf diese Weise zusammenführen könnte, aber ich habe wirklich viel Glück gehabt.



Als ich noch Dokumentationen gemacht habe, hatte mein Freund Luke Reid (der Geschäftsführer von Areo, d.Red.) diese verrückte Idee, eine fotorealistische Render-Engine auf die Beine zu stellen, die reale Umgebungen scannt, um sich schon ein paar Tage später am Computer durch sie fortbewegen zu können. Glücklicherweise konnten Luke und sein Bruder Justin das Ganze tatsächlich auf die Beine stellen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir dann auch die Firma gegründet. Meine Aufgabe war es, ein Konzept für ein Spiel zu entwickeln, das sich mit den Limitierungen der Technologie vereinbaren lässt, mich anschließend um das Design zu kümmern und die Entwicklung zu managen. Bei diesem Spiel handelt es sich um Casebook, in dem der Spieler an verschiedenen Tatorten ermitteln muss.



Bis jetzt habe ich es als sehr angenehm empfunden, in der Spieleindustrie zu arbeiten, zumindest ab dem Punkt, an dem du all das Fachchinesisch verstehst! Das Entwickeln eines Episodenformats hat uns glücklicherweise die Möglichkeit gegeben, in der ersten Folge einige Fehler zu begehen, dann zu sehen, wie Spieler und Rezensenten reagieren und im Anschluss unser Bestes zu geben, um die Fortsetzungen zu verbessern. Der Teil, der mir am meisten Spaß an meinem Job macht, ist wohl der Moment, in dem ich zum ersten Mal eine Beta-Version anspielen kann und sehe, inwiefern die Minigames, Filmsequenzen, Sprachausgabe etc. sich zusammenfügen - ein sehr erfüllender Prozess!

A-T: Einige unserer Leser sind vielleicht noch nicht mit Casebook vertraut. Bitte verschaffe ihnen einen Einblick, mit was für einem Konzept sie es hier zu tun haben.

Sam: Eigentlich betrachte ich Casebook mehr als Krimiserie denn als traditionelles Videospiel. Es ist wie eine Fernsehserie, an der du selbst teilhast und dabei hilfst, den Fall zu lösen. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines unsichtbaren forensischen Ermittlers, der an der Seite des Stars Detective James Burton agiert. Während der Spieler jede Menge an Beweisen sammelt und analysiert, setzt sich Burton mit den Verdächtigen auseinander, sodass ihr das jeweilige Verbrechen als Team löst. Casebook ähnelt durch die Atmosphäre des Spiels klassischen FMV-Titeln wie Tex Murphy. Das Gameplay ist allerdings etwas entschlackt, sodass es auch für Casual Gamer zugänglich ist. Allerdings hat sich herausgestellt, dass bislang weit mehr klassische Adventurespieler Casebook mit offenen Armen empfangen haben als Gelegenheitsspieler. Mich freut dieser Umstand insofern, dass das Adventure-Genre mir immer am meisten am Herzen gelegen hat. Monkey Island 1 und 3 sind meine absoluten Lieblingsspiele… tatsächlich haben wir erst vor kurzem mit einem der Schöpfer von Monkey Island 3 über ein mögliches neues Spiel gesprochen, das wir vielleicht zusammen auf die Beine stellen könnten - was eine riesige Ehre wäre.



A-T: Die Balance in Sachen Schwierigkeitsgrad ist wohl eine der größten Herausforderungen für jeden Titel, der gleichermaßen das klassische Adventurepublikum und den Casual-Markt erreichen will - ein Konflikt, dem auch Casebook ausgesetzt ist. Wie genau sind die Reaktion auf dieses Thema bislang ausgefallen und wie glücklich bist du mit der Balance, die ihr bis zu diesem Punkt erreicht habt? Gibt es darüber hinaus konkrete Ansätze für die Zukunft, wie ihr diesen Spagat noch besser bewältigen könnt?

Sam: Generell kann man sagen, dass viele Casual Gamer die Navigation in Casebook für zu kompliziert halten, da sie nicht an eine First-Person-Steuerung dieser Art gewöhnt sind, während sie mit den Minigames und anderen Aspekten sehr gut zurecht kommen. Im Bezug auf die Adventurespieler kannst du das Ganze im Grunde einfach auf den Kopf stellen: Sie haben kein Problem mit der Fortbewegung, halten aber die Minigames und das Auswerten des Beweismaterials für zu simpel und zu automatisiert. Wir sind nach wie vor intensiv mit dem Balance-Aspekt beschäftigt und tatsächlich arbeiten wir derzeit an einer Special Edition der Trilogie, die sich mehr an Adventurespieler richten soll. Diese überarbeiteten Versionen beinhalten ein neues Ordnersystem für Beweismaterial, das nun nicht mehr alle Verbindungen automatisch herstellt und mehr einem traditionellen Inventar gleicht. Darüber hinaus wird es einige neue Minigames und ein Ranking-System geben.



Es ist natürlich nach wie vor ein Casual-Adventure, aber wir hoffen, dass die neuen Elemente Casebook noch mehr an das eigentliche Adventurepublikum heranführen. Ich schätze mal, dass es für einen solchen Hybridtitel wohl so etwas wie der heilige Gral ist, beide Parteien vollends glücklich zu machen, aber realistisch gesehen, glaube ich nicht, dass das vollständig möglich ist. Klar, es hört sich auf dem Papier toll an, aber persönlich glaube ich, dass es ein bisschen so ist, als würde Hollywood einen Blockbuster machen, der wirklich jedem zusagen soll, was nur dazu führen kann, dass ein verwässertes Ergebnis herauskommt, das mit seinem Potenzial nicht mithalten kann, weil du es einfach nicht jedem recht machen kannst. Im Bezug auf zukünftige Projekte wäre es mir daher auch lieber, von vorneherein ein Spiel zu entwickeln, das sich ganz klar an eine spezifische Gruppe richtet.

A-T: Eure Technologie hat sicherlich eine Menge Rezensenten und Spieler sehr beeindruckt und nicht wenige werden sich fragen, wie genau das Ganze eigentlich funktioniert. Bitte gib uns ein paar Einblicke in die technische Entwicklung von Casebook.

Sam: In Casebook wird eine Aufnahmetechnik verwendet, die wir als Areographing bezeichnen. Man kann sich das Ganze quasi als den größten Flachbett-Scanner der Welt vorstellen, der auf den Kopf gestellt wird und dann oberhalb eines Filmsets angebracht wird. Die Kamera, die an einem robotischen Arm angebracht ist, scannt das komplette Set und nimmt nun tausende von Bildern auf. Diese Bilder werden anschließend zusammengesetzt und in die Casebook-Engine eingesetzt. Generell brauchen wir etwa zwei bis vier Wochen, bis wir ein Set fertig vorbereitet haben, danach erfolgt dann der Areographing-Prozess, der etwa vier bis zwölf Stunden benötigt. Für die Verarbeitung des Materials benötigen wir dann noch einen Tag, bevor wir uns daran begeben, die Hotspots herauszuarbeiten.



A-T: Momentan befindet sich eine neue Version eurer Technologie in Entwicklung. Welche Möglichkeiten wird euch diese bieten und welche Limitierungen der Vergangenheit werden von Areo 2.0 ausgemerzt?

Sam: Bei Areo 1.0 war die Kamera wie gesagt noch an einer Roboter-Vorrichtung oberhalb des Sets angebracht und wir sind auf Innen-Locations limitiert gewesen. Bei Areo 2.0 handelt es sich im Grunde um eine einfache Kamera, mit der wie uns auch in der freien Natur bewegen können und dabei die Möglichkeit haben, fotografisch zu erfassen, was auch immer wir wollen. Der wirklich anspruchsvolle Aspekt dieser Technologie ist dann der, was mit den ganzen aufgenommenen Bildern im Anschluss geschieht. Areo 2.0 erstellt anhand der Bilder automatisch ein dreidimensionales Netz, das auf charakteristischen Punkten basiert, die in den Bildern identifiziert werden. Danach werden die Bilder dann wieder auf dieses 3D-Netz projiziert und der daraus resultierende Abgleich sieht genau so aus wie die Realität.



Natürlich gibt es in realen Außenumgebungen Hindernisse, wie etwa das Wetter oder störende Objekte, mit denen wir konfrontiert werden, sodass wir auf ideale Rahmenbedingungen angewiesen sind. Momentan konzentriert sich unsere Technologie auf lineare Außenareale, wie etwa Straßen. Diese Technik wird dann entweder von unserem Team verwendet werden, um ein Rennspiel zu erschaffen oder, was wahrscheinlicher ist, von anderen Herstellern für ihr eigenes Rennspiel oder eine Hardcore-Rennsimulation lizenziert. In Zukunft würden wir gerne in sehr große Außenumgebungen expandieren, die sich für Ego-Shooter, Rollenspiele oder andere Spiele oder Simulationen eignen, in denen sich der Spieler frei fortbewegen kann.

A-T: Da der Spieler unsichtbar bleibt, hat sich sein Partner, Berater und Freund Detective Burton, der von Julian Temple gespielt wird, zum Aushängeschild der Serie entwickelt. Wie würdest du die wichtige Beziehung zwischen Regisseur und Hauptdarsteller bezeichnen? Wie beurteilst du darüber hinaus Julians Entwicklung als Schauspieler, gerade, wenn man bedenkt, dass er vorher keinerlei praktische Erfahrung in diesem Bereich hatte, seinem Charakter aber dennoch ein starkes Profil verleihen konnte.

Sam: Es ist unglaublich wichtig, dass sich Regisseur und Darsteller vertrauen können. Julian weiß, dass ich ihn auf der Leinwand nicht dumm aussehen lassen werde und ich weiß, dass er sein Inneres nach Außen kehren wird, um einen starken Charakter zu verkörpern.

Meine Hoffnung ist die, dass Julian und ich noch lange in dieser Kombination zusammen arbeiten werden. Momentan planen wir einen Action-Abenteuer-Survival-Film namens The Pursuit, den wir 2011 drehen wollen. Ich glaube daran, dass Julian über die Eigenschaften verfügt, die ein hervorragender Schauspieler besitzen muss und denke, dass er das mit seinem natürlichen Instinkt für die Schauspielerei in Casebook bewiesen hat.



A-T: Wo wir gerade von Detective Burton gesprochen haben: Der Charakter hat in den drei Episoden eine merkliche Entwicklung durchgemacht und immer mehr von dem offenbart, was unter der Oberfläche des coolen Cops steckt, der vermeintlich alles unter Kontrolle hat. Kannst du uns vielleicht eine Idee geben, in welche Richtung seine Reise gehen könnte, wenn ihr die Serie fortsetzt?

Sam: Casebook war immer als sechsteiliges Konzept angelegt, das in zwei verschiedene Hälften aufgeteilt ist. In der ersten Trilogie ist Burton als Polizist Teil des Systems, zum Ende dieser Trilogie beginnt er dann damit, sich außerhalb des Gesetzes zu bewegen, was ihn in ernsthafte Probleme bringt.



SPOILER: Zu Beginn der vierten Episode hat Burton seine eigene Detektei aufgemacht und arbeitet nun als privater Ermittler. In den nächsten Storys werden die Casebook-Fans also mit einer etwas anderen Note konfrontiert und Burton wird sich damit abfinden müssen, sich nicht länger hinter einer Dienstmarke verstecken zu können. Wenn er sich auf den Straßen als Privatdetektiv durchschlagen will, wird er all seinen Verstand gebrauchen müssen, aber natürlich wird er auf die Unterstützung eines forensischen Spezialisten zählen können, auf den er sich immer verlassen kann und bei dieser Person handelt es sich natürlich um niemand anderen als den Spieler.

A-T: Das Outtake-Video zur kostenlosen Episode The Missing Urn scheint dafür zu sprechen, dass ihr euch neben aller Professionalität am Set nicht ernster nehmt als es sein muss und ihr durchaus auch Spaß beim Drehen habt. Gibt es in diesem Zusammenhang irgendwelche amüsanten Anekdoten von den Dreharbeiten, die du auf Lager hast?

Sam: Dreharbeiten sind natürlich generell ein Umfeld, das von hohem Druck geprägt ist, trotzdem geben wir uns Mühe, die Atmosphäre freundlich zu halten und auch Spaß zuzulassen. Ich weiß noch, wie unwohl ich mich dabei gefühlt habe, als wir in der ersten Episode die „gekidnappten“ Kinder fesseln mussten und ihnen Klebeband um den Mund banden. Tatsächlich fanden die Kinder es ziemlich lustig! Also bin ich darauf eingestiegen und ließ sie ebenfalls Klebeband um meinen Mund binden, was das Regieführen bei ihnen durchaus zu einer Herausforderung gemacht hat. Genauso wenig werde ich jemals die erste Szene vergessen, die wir überhaupt für Casebook gedreht haben: Das Verhör, das Burton mit dem Kindermädchen Clara führt. Julian hat niemals professionell geschauspielert und auch ich habe nie bei etwas Vergleichbarem Regie geführt. Wie ihr euch denken könnt, waren wir also beide recht nervös. Als Julian dann aber auftauchte, hatte er alle seine Zeilen perfekt drauf und hat die Szene beeindruckend auf die Beine gestellt. Erst später habe ich erfahren, dass er gerade erst eine große Tour mit seiner Band gespielt hat, einen Abend vorm Dreh einen wichtigen Auftritt mit seinen Kollegen hinter sich hatte und dann die ganze Nacht fahren musste, um rechtzeitig beim Dreh zu sein. Er hatte kaum noch Zeit, sich die entsprechende Frisur schneiden zu lassen, sich in seinen Anzug zu schmeißen und dann stand er auch schon vor der Kamera und spielte die Rolle zum ersten Mal.



A-T: Siehst du momentan eine realistische Chance, dass es irgendwann lokalisierte Versionen von Casebook in Deutschland geben wird?

Sam: Ja, wir führen weltweit Gespräche über Lokalisierungen. Eine italienische Version der ersten Episode ist bereits erschienen, eine russische Fassung wird Anfang 2010 erscheinen. Wir würden in der nahen Zukunft sehr gerne auch deutsche, französische, holländische und japanische Versionen sehen.

A-T: Ursprünglich war die erste Staffel von Casebook als Sechsteiler konzipiert. Nun habt ihr bekannt gegeben, dass die Produktion für den Moment unterbrochen wurde und ihr euch derweil auf das Marketing der ersten Trilogie konzentrieren wollt. Wie zufrieden seid ihr momentan mit den Verkaufszahlen und wie optimistisch können die Fans der Serie sein, weitere Fälle an der Seite von Detective Burton lösen zu können?

Sam: Es stimmt, eigentlich sollten zum jetzigen Zeitpunkt schon sechs Episoden erschienen sein, aber die Entwicklung hat länger gedauert als wir erwartet haben und die Verkaufszahlen haben dazu geführt, dass wir die Produktion nun erstmal aussetzen. Aber wie ich schon vorher sagte, war es immer so konzipiert, dass es diese beiden verschiedenen Stränge innerhalb der Staffel geben sollte. Für den Moment kann ich Casebook also mit ganz gutem Gefühl ruhen lassen. Aus kritischer Sicht wurde die Reihe wirklich gut aufgenommen, die Absatzzahlen sind allerdings schon enttäuschend.



Trotzdem sind wir vorsichtig optimistisch, dass die russische Version etwas Geld in die Kasse spült und sich auch andere Lokalisierungen ergeben, wir wollten der Reihe ohnehin immer einen internationalen Anstrich verleihen. Das Mindeste was ich aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass es eine vierte Episode geben wird. Das Filmmaterial haben wir bereits im Kasten und die Schauplätze sind auch bereits alle erstellt. Es fehlt also nur noch die Produktion des Ganzen, was aber keinen wahnsinnig großen Aufwand an Ressourcen darstellt. Ich hege die Hoffnung, dass irgendein größerer Publisher (sagen wir mal The Adventure Company) sich der Trilogie annimmt, sie als Box-Version in die Läden bringt und die Verkäufe gut genug laufen, um noch viele weitere Episoden zu rechtfertigen!

A-T: Arbeitetet ihr momentan eigentlich noch an weiteren Spielen, abgesehen von Casebook?

Sam: Derzeit liegt unser Fokus eher auf unserer Technologie und weniger auf der Produktion von Spielen. Es besteht allerdings die Chance, dass wir, anstatt unsere Technologie jemand anderem für eine Rennsimulation zur Verfügung zu stellen, selbst eine auf die Beine stellen. Es wäre eine wirklich tolle Geschichte, das erste komplett fotorealistische Rennspiel der Welt zu entwickeln!

A-T: Nach der Ankündigung von Titeln wie Under a Killing Moon und Phantasmagoria schien es in den 90gern so, als sei interaktives Storytelling davor, in eine komplett neue Dimension vorzustoßen. Doch auch wenn es einige sehr gute FMV-Titel gegeben hat, die das enorme Potenzial dieses Mediums angedeutet haben, erschienen haufenweise schlechte Spiele und die originale FMV-Ära sollte ein schnelles Ende finden. Wie hast du damals den Aufstieg und Fall von FMV-Spielen erlebt und worin siehst du persönlich den Untergang dieses Mediums in der damaligen Zeit begründet?

Sam: Es gibt drei FMV-Titel, die mir wirklich im Gedächtnis geblieben sind: Space Ace, Under a Killing Moon und irgendein Star-Wars-Titel, an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann. Für mich war die Sache die, dass ich die Filmsequenzen beeindruckend fand, aber die interaktiven Elemente auf mich wirkten, als würden sie nicht recht zum Rest passen. Das ist auch der Grund, warum ich so aufgeregt reagiert habe, als Luke mir sagte, dass unser Spiel reale Umgebungen verwenden würde, die vollständig organisch in den filmischen Aspekt verzahnt sein würden. Um also deine Frage zu beantworten: Ich denke, dass der damalige Untergang von FMV damit in Verbindung stand, dass diese Spiele auf Anhieb, auch aufgrund der in manchen Fällen sehr hohen Budgets, sehr beeindruckend gewirkt haben, aber die mangelnde Integration des Gameplays den Nerv vieler Spieler nicht getroffen hat. Natürlich gab es durchaus auch Ausnahmen, wo die beiden Elemente sehr wohl erfolgreich miteinander verknüpft worden sind, aber irgendwie ist es im Ergebnis wohl nicht genug gewesen, die Studios davon zu überzeugen, dass dies der richtige Weg sei. Ein anderer Aspekt ist der, dass Entwickler gerne mit Werkzeugen arbeiten, mit denen sie sich auskennen und die Einführung von fremden Elementen wie den Dreharbeiten zu Filmaufnahmen, Schauspielern oder den ungewohnten technologischen Aspekten durchaus recht bedrohlich auf viele Hersteller gewirkt haben kann. Natürlich hat auch auf der Aufstieg des allmächtigen Polygons dazu geführt, dass viele Entwickler ihre Aufmerksamkeit auf dieses Areal konzentriert haben, was nachvollziehbar ist.



A-T: Während der Entwicklung von Gabriel Knight: Sins of the Fathers gab Jane Jensen folgendes Statement ab: “Ich versuche nicht, meine Denkweise im Bezug auf die Kraft dieser Geschichte zu limitieren, weil es sich hierbei um ein Computerspiel handelt. Ich denke, dass wir Computerspiele erschaffen können, die genau so gut sind wie jede andere Form von Entertainment.“ Seit dieser Aussage aus dem Jahr 1993 ist jede Menge Zeit vergangen und im Bezug auf das Adventure-Genre als erwachsenes Storymedium haben Jane Jensen und wenige andere sicherlich bewiesen, dass dieses Statement seine Berechtigung hat, aber ich bin wohl nicht der Einzige, dem es so erscheint, dass das Medium insgesamt Meilenweit von diesem Anspruch entfernt ist. Was denkst du persönlich: Über wie viel Potenzial verfügt das Adventure-Genre als ernstzunehmendes Erzählmedium und welche Form von kulturellem Status könnte es theoretisch unter den richtigen Voraussetzungen erlangen - gerade auch in Relation zur FMV-Thematik?

Sam: Ich schätze, dass es sich hier ähnlich verhält, wie in jedem anderem Erzählmedium, das noch in den Kinderschuhen steckt. In den ersten vierzig Jahren der Filmgeschichte gab es endlos viele Filme, die nicht im geringsten das Medium vorangetrieben oder beeinflusst haben, sondern stattdessen einfach Geld aus der aufkommenden Popularität des Films herausgeholt haben, während eine kleine Gruppe von Filmemachern für die ganzen Innovationen zuständig gewesen ist. Für mich ist es bei Spielen exakt dasselbe Prinzip. Es gibt in allen Medien viele mäßige Geschichtenerzähler und Spiele sind keine Ausnahme. Glücklicherweise gibt es aber auch ein paar wenige Individuen, die mit ihrer Scharfsicht und ihrer Kreativität auf Innovationen setzen und den Spielern neue Erfahrungen bieten wollen - aber diese Leute sind wirklich rar gesät.



Im Bezug auf das FMV-Thema: Auch wenn es eine Nuss ist, die noch kein Entwickler wirklich geknackt hat, sehe ich keinen Grund, warum FMV-Titel nicht das Potenzial mit sich bringen sollten, auf breiter Ebene sehr erfolgreich zu sein. Ich habe es nie verstanden, warum Spiele zu TV-Serien, zum Beispiel C.S.I., zu Polygontiteln gemacht werden. Warum holt man nicht die Regisseure der Serien und andere Leute der TV-Crew an Bord, um eine interaktive Episode auf die Beine zu stellen? Warum machen sie ein traditionelles Spiel daraus, in dem nur noch ein paar Elemente aus der Original-Serie überhaupt den Übergang zum Spiel überleben? Es hat sicherlich damit zu tun, dass die Beziehung zwischen Spieleentwicklern und Filmstudios noch im Kleinkindalter steckt… aber mit der Zeit wird sich diese Lücke schließen, die Qualität von FMV-Titeln näher an ihre TV/Film-Pendants heranreichen und diese Titel auf sehr viel mehr Akzeptanz und Popularität stoßen. Ich mag den Gedanken, dass Casebook einen kleinen Schritt in diese Richtung darstellt und würde es sehr gerne sehen, dass dieser Weg weiterverfolgt wird.



A-T: Lass uns zum Ende noch mal etwas auf deine Passion als Regisseur eingehen: Gab es bei dir einen konkreten Schlüsselmoment, der dir schlagartig klar gemacht hat, dass dies deine Berufung ist oder wie hast du bereits im jungen Alter zur Regie gefunden? Welche Regisseure und Filme siehst du darüber hinaus als besonders einflussreich auf dein eigenes Schaffen an?

Sam: Ich bin mir nicht mehr sicher, ob es so einen konkreten Schlüsselmoment gegeben hat. Es wird wohl mehr so gewesen sein, dass ich es einfach geliebt habe, Filme zu gucken und es natürlich schien, eine Kamera in die Hand zu nehmen. Meinen ersten Kurzfilm habe ich bereits im Alter von dreizehn Jahren gedreht, wirklich ernst ist es mir mit der Filmerei aber erst in der Altersspanne zwischen achtzehn und dreiundzwanzig geworden. Damals war ich wirklich geradezu besessen von Martial-Arts-Filmen, in erster Linie von Jackie Chan, sodass ich mehrere Kung-Fu-Kurzfilme gedreht habe, die mir tatsächlich am Ende des Tages die Tür für die Arbeit an den ganzen, zuvor angesprochenen, Dokumentationen geöffnet haben. Davon abgesehen hatte ich immer ein Faible für Schauspieler, die auch Regie führen. Leute wie Clint Eastwood oder eben Jackie Chan sind fantastisch, da sie ihre großen Talente auf beiden Seiten der Kamera besitzen. Ich bin übrigens der Meinung, dass Jackie Chan zu Unrecht nicht viel Respekt dafür bekommt, etwas zu tun, was sehr stark an die Ära der Stummfilmkomödien anknüpft - er ist der Einzige, der diese sehr physische Art des Humors von Genies wie Buster Keaton oder Charlie Chaplin weiterführt.



Die Regisseure, die mich am meisten beeinflussen, sind: John Carpenter, Paul Verhoeven, James Cameron, Ridley Scott, Sergio Leone, John Woo, Howard Hawks und Alfred Hitchcock. Mir gefallen Regisseure, die große und unterhaltsame Filme machen, insgesamt kann ich aber etwas mit allen möglichen Arten von Filmen anfangen.

Worauf ich viel Wert lege, ist die Kameraarbeit… sie sollte wirklich durchdacht sein und einem konkreten Zweck dienen. Die Kamera sollte nicht einfach grundlos bewegt werden, sondern einem Sinn folgen. Neuerdings habe ich übrigens angefangen, ein Interesse an Filmen von Werner Herzog zu entwickeln. Er ist einfach nur ein ebenso großartiger wie wahnsinniger Regisseur… was ich als sehr inspirierend empfinde. Außerdem bin ich besessen von Western, deswegen bin ich auch wirklich sehr angetan von der Idee, irgendwann selbst einen mit Julian Temple in der Hauptrolle zu drehen… für meinen Geschmack steckt ein bisschen Clint Eastwood in ihm.



A-T: Wenn du die Chance hättest, dir irgendwelche bekannten Schauspieler/innen auszusuchen, mit denen du zusammenarbeiten könntest, wer käme dir spontan in den Sinn?

Sam: Der Großteil meiner Lieblingsschauspieler ist mittlerweile entweder sehr alt oder tot. Ich liebe Leute wie Cary Grant, Jimmy Stuart, John Wayne, Lee Marvin etc. Allerdings, und du wirst mir das wahrscheinlich nicht glauben, hätte ich unglaublich gerne die Gelegenheit mit Jean Claude Van Damme zu arbeiten und mit ihm einen intelligenten Actionfilm zu drehen. Nach seinem halbautobiographischen Film J.C.V.D. habe ich das Gefühl, er sollte diesen Weg weiter gehen und ein paar wirklich solide Actionfilme nachlegen - darauf hätte ich wirklich Lust. In einem Western würde ich mit Vorliebe Kurt Russell als Bösewicht besetzen - er war einfach klasse in Tarantinos Death Proof. Außerdem habe ich schon seit einer Ewigkeit sehr viel für den 70er/80er-Komiker Gene Wilder übrig. Ich könnte ihn mir sehr gut in einem meiner Filme als netten, lustigen Großvater vorstellen. Aber ich glaube, dass er mittlerweile die Schauspielerei an den Nagel gehangen hat, was echt eine Schande ist. Als letztes wäre eine Fortsetzung von Zurück in die Zukunft als Spiel ein absoluter Hammer. Es würde bedeuten, Doc und Marty zurückzubringen… fantastisch!

A-T: Wir haben bereits über die Philosophie von Areo gesprochen. Wie können wir uns hingegen deine Philosophie und deinen Ansatz beim Regieführen vorstellen?

Sam: Ich bin immer noch ein junger Regisseur, der noch keinen Film in Spielfilmlänge gedreht hat, sodass mein Stil immer noch in Entwicklung ist und ich noch viel zu lernen habe. Aber es gibt einige Prinzipien, an die ich mich halte, während ich Regie führe. Ich habe viel Erfahrung mit dem Schneiden von Filmmaterial und denke, dass hier meine größte Stärke liegt. Immer wenn ich Regie führe, denke ich daran, wie ich das Ganze am Ende schneiden werde. Das hört sich sehr simpel an, aber es ist unglaublich einfach, sich am Set zu verlieren und viel zu viel Material aufzunehmen, zum Beispiel durch zu viele verschiedene Kameraperspektiven. Am Ende stehst du dann mit einer Menge an willkürlichem Material da, das du irgendwie im Schneideraum „retten“ musst. Ich versuche mir direkt klarzumachen, welche Perspektiven die Besten sind und dann auch nur diese aufzunehmen. Bei zu vielen Takes besteht sowieso die Gefahr, dass am Ende alles sehr mechanisch wirkt. Gerade bei Action-Szenen bin ich der Meinung, dass es immens wichtig ist, sich genau mit den Details der Umgebung beschäftigt zu haben: Es gibt nichts, was ich mehr hasse, als eine Actionszene mit verwackelten Kameras und endlosen Schnitten. Ich bevorzuge einen Ansatz mit Einstellungen aus der Breite, der Verwendung von Zeitlupeneffekten und klugen Schnitten. Und mit klugen Schnitten meine ich Folgendes: Du musst dir in jeder Szene bewusst sein, worauf sich das menschliche Auge beim Betrachten fokussieren wird (ein Objekt, die Augen des Schauspielers, eine helle Lichtquelle etc.) und wohin ihre Augen in der nächsten Einstellung wandern werden. Es ist nervig für den Zuschauer, wenn seine Augen bei jedem einzelnen Schnitt „auf die Suche gehen“ müssen.



Generell fühle ich mich sehr wohl, wenn es um die technischen Aspekte des Regieführens geht. Am meisten lerne ich immer noch darüber, wie du die Schauspieler zu führen hast. Ich denke, es ist ein einfach zu begehender Fehler, zu denken, man müsse die Schauspieler permanent leiten, weil man eben der Regisseur ist. Aber in Wirklichkeit ist es so, dass ein Großteil deiner Aufgabe in dieser Hinsicht bereits erledigt ist, wenn gut gecastet wurde. Wenn die Schauspieler also einen sehr guten Job machen, sollte man sich einfach mal zurücklehnen, die Klappe halten und die Show genießen.



A-T: Was kannst du uns zum Abschluss über den Hintergrund deines geplanten Films The Pursuit sagen?

Sam: Dieser Film verfolgt mich seit über einem Jahrzehnt. Ich wollte immer einen Action-Adventure-Survival-Film im Stil von John Boormans Klassiker Deliverance drehen, allerdings mit der Verwendung von noch mehr Überlebenstechniken. Als ich das ursprüngliche Drehbuch geschrieben habe, war ich ungefähr 25 und als ich es vor nicht allzu langer Zeit noch mal gelesen habe, ist mir klar geworden, dass es furchtbar gewesen ist. Ich hatte versucht, über Dinge zu schreiben, von denen ich einfach keine Ahnung habe (Gangster und Drogenschmuggel) und so wurde das Ganze völlig klischeehaft und unglaubwürdig. Dadurch wurde mir bewusst, dass man über Dinge schreiben sollte, die man versteht, wenn man eine glaubwürdige Geschichte erzählen möchte, die ein Herz und eine Seele unter der Oberfläche zu bieten hat. Letzen Endes musst du etwas erschaffen, was du dir selbst gerne ansehen würdest und ich würde es lieben, mir diesen Film anzuschauen. Ich hoffe, The Pursuit wird irgendwann 2011 rauskommen.

A-T: Vielen Dank für die Zeit, die du dir für dieses umfangreiche Interview genommen hast. Du bist natürlich auch in Zukunft ein gern gesehener Gast für weitere Interviews, aber in der Zwischenzeit wünschen wir dir erstmal alles Gute mit Casebook, weiteren Areo-Projekten und The Pursuit!

Sam: Vielen Dank für die Gelegenheit, über Casebook und ganz generell die Verschmelzung von Spielen und Filmen zu sprechen! Ich hoffe, dass meine Antworten nicht zu umfangreich oder langweilig geworden sind. Cheers.