Viel zu sehen war bisher nicht von So Blonde, dem im Frühjahr dieses Jahres angekündigten Comic-Adventure, das eindeutig in die Runaway-Kerbe schlägt: Eine Handvoll Screenshots, ein Trailer, der größtenteils auch Standbilder zeigt und ein großer Name - Steve Ince, der schon bei Revolution Software an der Entwicklung und Produktion von namhaften Adventures wie Baphomets Fluch mitgewirkt hat. Die Rahmenbedingungen stehen also gut: Comic-Aventures mit Topgrafik in Verbindung mit humorvoller und abgedrehter Story - geht man nach den zahlreichen Kommentaren in einschlägigen Adventureforen ist das genau das, was der durchschnittliche Adventurefan sucht.
Schon nachdem wir So Blonde bei dtp zusammen mit Steve Ince Mitte des Jahres begutachten konnten, spricht unser Redaktionskollege Marco von einem "potenziellen Highlight" (siehe Vorschau). Inzwischen hat das Spiel einen Engine-Wechsel (von der Wintermute-Engine zur OGRE-3D-Engine, die unter anderem auch von Deck13 für Ankh oder Jack Keane eingesetzt wird) hinter sich und der voraussichtliche Release im kommenden März ist in greifbare Nähe gerückt. Wir hatten anhand einer Previewversion die Möglichkeit, einen näheren Blick auf das vermeintliche Blondinenadventure So Blonde zu werfen.
Schiffbrüchig
Sunny Blonde hat ein schönes Leben. Als einzige Tochter vermögender Eltern ist ihr Problemhorizont auf Makeup, die neueste Mode, Tratsch und Männer beschränkt. Und genau letztere werden ihr auf dem Deck eines prunkvollen Kreuzfahrtschiffes, das irgendwo durch die Karibik schippert, zum Verhängnis. Nach einer handfesten Auseinandersetzung mit einem höheren Besatzungsmitglied führen einige widrige Umstände dazu, dass Sunny über Bord geht. Als sie das Bewusstsein wieder erlangt, findet sie sich am malerischen Sandstrand einer wunderschönen Insel wieder. Nachdem Haare und Makeup korrigiert wurden, macht sie sich auf die Suche nach der nächstgelegenen Hotelanlage, um sich von den vorangegangenen Strapazen zu erholen. Doch statt auf den erhofften Hotelmanager, trifft sie auf der Insel nur auf stinkende Piraten und ein paar andere seltsame Gestalten. Und spätestens als sie in die Brigg der Windsome Maid (einem Piraten-Segelschiff) geworfen wird, kommen Sunny erste Zweifel an ihrer Theorie, es handele sich hier um einen gut inszenierten Themenpark.
Doch es kommt viel schlimmer. Nicht nur, dass es sich bei dem Eiland nicht um einen Themenpark sondern um ein verschlafenes Piratennest handelt, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, bereitet unserer Protagonistin Kopfzerbrechen. Nachdem einige der Inselbewohner näher kennengelernt, einige Probleme geschaffen, ein paar andere aber auch gelöst wurden, kristallisiert sich das eigentliche Problem heraus; die Insel wird von einem einäugigen Piraten tyrannisiert und ist außerdem mit einem schrecklichen Fluch belegt, der über kurz oder lang zur Zerstörung der Insel führen wird. Und natürlich ist Sunny die einzige, die dieser verzwickten Situation ein Ende bereiten kann.
Die Geschichte ist insgesamt interessant umgesetzt, wirkt aber an wenigen Stellen etwas unglaubwürdig oder unlogisch. Dafür überrascht Sunny mit Intelligenz und Charme (gerade von Ersterem ist sie oft selbt überrascht) und erobert so schnell das Herz des Spielers.
Solide Umsetzung
Das Erste, was beim Spielen ins Auge fällt, sind die großartigen Hintergrundgrafiken. Die wunderschönen und mit Liebe zum Detail umgesetzten Areale sind hauptsächlich mit der Hand gezeichnet. Vereinzelt sind aber auch vorgerenderte Objekte vorhanden, die ganz selten noch etwas aufgesetzt wirken. Auch Hintergrundanimationen wurden nicht vergessen: Auf jedem Bildschirm bewegen sich meist mehrere Dinge. Das Reportoire reicht hier von Schmetterlingen, über Wasserfälle, Nebel, Rauch und verschiedenen Lichtquellen bis hin zu hin- und herwabernden Vorhängen. Kurz gesagt: Jeder Fan von 2D-Comicgrafik in gezeichneter Form dürfte entzückt sein.
Anders sieht es bei den in Echtzeit berechneten Charakteren aus. Auch wenn die Ausarbeitung schon ganz ordentlich wirkt, ist die Umsetzung teilweise noch fehlerhaft. So führen Bewegungen oft dazu, dass bestimmte Körperpartien durchsichtig dargestellt werden. Charaktere werden außerdem meist aus relativ großer Entfernung dargestellt (was evtl. die kaum vorhandenen Gesichtsanimationen kompensieren soll). Hier wünscht man sich aber gerade bei Dialogen eher Close-ups. Zumindest werden bei Gesprächen aber die Gesichter der Charaktere in unterschiedlichen Ausdrücken neben den Textblasen dargestellt - ein bisschen so wie in den alten Sierra-Adventures. Auch die Interaktionen mit Gegenständen oder Charakteren sind noch nicht allzu ausgereift. Meistens greift Sunny ins Leere, wenn eine Interaktion abläuft.
Neben Close-Ups vermisst man außerdem richtige Zwischensequenzen. Neben selbstablaufenden Sequenzen in normaler Spielgrafik gibt es überall, wo eine Cutscene notwendig wäre, Comicstrips. Zwar mit Musik- und Sounduntermalung sowie Sprachausgabe, aber eben fast nicht animiert. Diese stören den Spielfluss nicht unbedingt, man wünscht sich aber eher richtige Zwischeneinlagen herbei.
Ein Stück weit entschädigt dafür aber schon jetzt die hohe Zahl an begehbaren Arealen. Und da mitten im Spiel die Tageszeit wechselt (es wird Nacht), sind von den meisten Orten auch noch zwei Versionen zu sehen: einmal bei grellem Sonnenschein und einmal atmosphärisch beleuchtet bei vollmondiger Nacht und allerlei unterschiedlichen Lichtquellen.
Beim Spielen sind die Kritikpunkte schnell vergessen: Durch ein ausgeklügeltes Rätseldesign mit oft mehreren parallel laufenden Handlungssträngen kommt keine Langeweile auf. Der Schwierigkeitsgrad nimmt schnell zu, bleibt aber immer fair - die meisten Rätsel weisen auch logische Lösungsmöglichkeiten auf. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Rätsel, bei denen Sunny die offensichtlichste Lösung aus fadenscheinigen Gründen verweigert, nur um dann eine komplexere Lösung zu finden. Selten gibt es auch unterschiedliche Ansätze pro Rätsel und oft liegt die Lösung eines solchen an einer ganz anderen Stelle der Insel.
Und hier kommen wir auch schon zum nächsten Kritikpunkt. Die Steuerung an sich funktioniert recht gut und bietet sogar eine Art Optionsmenü. Bei vielen Gegenständen kann zwischen Ansehen, Nehmen und Sprechen unterschieden werden, was bei vielen aktuellen Adventures nicht mehr der Fall ist. Geht es aber darum, von einem Ort zum anderen zu gelangen, ist durchauch noch Verbesserungspotenzial vorhanden. Es gibt zwar eine Karte des Eilands, diese kann aber nicht bedient werden. Es muss also immer der ganze Weg manuell abgelaufen werden (Ausgänge können aber mit Doppelklicks angesprungen werden). Auch das wäre nicht so schlimm, gäbe es nicht bei jedem Bildschirmwechsel eine Ladepause von etwa 5-10 Sekunden. Das wird beim Durchqueren von über fünf Bildschirmen, was durchaus häufig vorkommt, schon nervig. Hier müsste eigentlich nur die schon vorhandene Karte steuerbar gemacht werden. Bei Dialogen bieten sich immer wieder identische Auswahlmöglichkeiten an - egal ob diese schon einmal ausgewählt wurden oder nicht. Die Charaktere stören sich auch nicht daran, wenn man immer wieder dieselbe Frage stellt. Positiv fällt noch die Menge an Hotspots auf. So gibt es in jedem Bildschirm so einiges zu betrachten, inklusive sinnvoller Kommentare. Wer nicht gerne sucht, kann den eingebauten Snoop-Key verwenden. Hier waren jedoch gelegentlich die Hotspot-Textfelder noch an den falschen Stellen. Gelegentliche Minispiele, die man meistens überspringen kann, lockern das Spielgeschehen auf. Die Auswahl reicht vom Space-Invaders-Klon bis hin zur Überwindung von tödlichen Fallen, die in ihrer Gestaltung offensichtlich von Indiana Jones' Weg zum heiligen Gral inspiriert wurden.
Da die Sprachausgabe noch nicht eingedeutscht wurde, kann hierüber noch kein Urteil gebildet werden. Die englische Synchronisation ist auf jeden Fall bestens gelungen. Gerade Sunny ist perfekt besetzt und hört sich genau so an, wie man sich eine eingebildete und verwöhnte Göre vorstellt. Durch viel Wortwitz und Charme hat sie es aber schnell geschafft, dem festgefahrenen Bild der dummen Blondine zu entfliehen.
Die Musikuntermalung ist mit gefühlten drei Titeln in Endlosschleife noch etwas monoton, aber vielleicht wird daran ja noch gearbeitet. Die Soundeffekte sind nicht außergewöhnlich, können sich aber schon jetzt hören lassen.
Klassisches Adventure
So Blonde hat fast alles, was das Herz jeden Fans klassischer 2D-Adventures höher schlagen lässt. Eine spannende Geschichte mit durchdachtem Handlungsbogen, ausgefeilte Rätsel in hoher Dichte, intuitive Steuerung mit mehr als einer Interaktionsmöglichkeit und ganz viel Atmosphäre. Wenn jetzt noch die deutsche Sprachausgabe gelingt, und hier wird vor allen Dingen eine passende Besetzung von Sunny eine Rolle spielen, und einige kleine Ungereihmheiten wie die fehlende steuerbare Karte, vor allem aber auch die noch zu schlichten Zwischensequenzen und fehlerhaften Charakteranimationen beseitigt werden, steht einem Top-Adventure nichts mehr im Wege. Aber dafür stehen ja auch noch ein paar Wochen zur Verfügung.
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