Vorschau

von  Sebastian 'basti007' Grünwald
01.02.2008
Treasure Island - Angespielt
Bereits im August durften wir uns eine frühe Version des Echtzeit-3D-Adventures Treasure Island des deutschen Entwicklers Radon Labs anschauen. Jetzt hat Publisher HMH nach München in die Räume von Morphicon geladen, um den nahezu fertigen Titel rund um die Abenteuer des jungen Jim Hawkins noch einmal zu präsentieren. Wir haben den Titel dabei gleich mal angespielt.

Was hat sich seit unserer letzten Vorschau getan?

Sprecher: Unbekannt. Aber gut.

Neben der weiterhin sehr guten Grafik fällt zuerst das fertige Soundkorsett auf: Die Synchronisierung und die musikalische Untermalung sind nahezu vollständig und gefallen außerordentlich: Bei den Sprechern hat man lieber auf unbekannte aber dafür passende Stimmen gesetzt – und will auch auf entsprechendes Marketing à la „Mit der Stimme von...“ verzichten. Dadurch soll vermieden werden, dass Spieler bei Dialogen immer sofort den berühmten Schauspieler der Synchronstimme assoziieren.
Stattdessen steht bei Treasure Island ganz die narrative Stärke der Buchvorlage im Vordergrund. Tatsächlich sind die im Tonbüro Berlin aufgenommenen Stimmen wirklich passend und tragen schnell zur Atmosphärensteigerung bei. Teilweise hat HMH die Sprecher dafür auch gemeinsam ins Studio geholt, um bei witzigen oder aufbrausenden Dialogen eine bessere Dynamik zu erzeugen – eine Besonderheit, die man sich bei Profisprechern nur selten erlauben kann.
Dazu kommt ein filmischer Soundtrack, der die epische Breite der Vorlage samt Schifffahrt und Meuterei sehr gut einfängt. Damit die musikalische Untermalung nicht zu aufdringlich wird, wechselt man zwischen Musikeinspielern und atmosphärischer Untermalung mit Vögelgezwitscher oder Windböen. Allein vom Hören her macht Treasure Island damit bereits viel Spaß.

3D in höchster Vollendung

Dass auch die Grafik sehr gut ist, konnte man bereits in der Version des letzten Jahres feststellen: Treasure Island bringt als vollwertiges 3D-Spiel alles mit, was man von großen A-Titeln auch kennt. Die Detailtiefe der einzelnen Szenen ist enorm – von herumfliegenden Möwen über stark belebte Marktplätze bis hin zu einer komplett sich im Meer wiegenden Schiffs-Location - wie man es sonst nur aus Rollenspielen kennt. Durch die sich zusätzlich bewegende Kamera kommt so sehr viel Dynamik ins Spiel.
Trotzdem bleibt Treasure Island natürlich reines Point & Click, so wie man das auch aus 3D-Titeln wie „Ankh“ oder „The Westerner“ kennt. Die Kamera ist arretiert und schwenkt oder fährt lediglich mit der Hauptfigur mit. Bei Übergängen zu anderen Kamerapositionen erfolgt eine kurze Kamerafahrt. Wer längere Strecken zurücklegen muss kann nun, wie im Sommer bereits angedacht, auch dauerhaft auf dem linken Mausbutton bleiben. Das hat insbesondere den Vorteil, dass man nicht dauernd neu auf den Boden klicken muss, wenn sich der Hauptcharakter nur wenige Meter vor der Kamera befindet und man nach vorne aus dem Bild herausgehen möchte. Jeder, der klassische 2D Adventures spielt, sollte auch bei Treasure Island keine Probleme haben. Zum Einsatz kommt bei Hotspots ansonsten eine klassische 2-Button Navigation: Rechts für Anschauen, Links für Agieren. Schön ist auch das Inventar am unteren Bildschirmrand: Jeder Gegenstand lässt sich vergrößern und sogar um die eigene Achse drehen. Teilweise wird dies auch direkt für das Rätseldesign benutzt.

Modelle mit Wackel-Feature

Auch die verwendeten 3D Modelle gefallen und sind detailreich genug, dass in Dialogen nun auch zum Teil Close-ups verwendet werden. Zum Einsatz kommt ein „paraphrasiertes Multiple-Choice-Dialogsystem“: Es werden nicht die möglichen Antworten des wackeren Jim Hawkins eingeblendet, sondern seine Ideen und Gedanken dazu. Das hat zusätzlich den Vorteil, dass der Spieler ein und dieselbe Antwort dann nicht lesen, auswählen und noch selber anhören muss. Die Dialoge sind außerdem etwas moderner als in der Buchvorlage. HMH möchte damit ein bisschen Popcorn-Kino-Atmosphäre schaffen; die Nähe zum Blockbuster „Fluch der Karibik“ haben wir ja bereits in unserer ersten Vorschau erläutert. Hin und wieder waren uns die Dialoge aber etwas zu plump - z.B. wenn der besoffene Bill Bones im Hintergrund einfach die Zeile "Krazen im Hals" vor sich hinbrabelt, was nicht wie erhofft für mehr Dynamik in der Location sorgt sondern einfach nur unglaubwürdig ist. Hier wird laut Entwickler aber immer noch am Finetuning geschraubt.
Bei den Animationen werden Motion Capturing und Hand-Animation je nach Bedarf gemischt eingesetzt. Die Ergebnisse gefallen sehr gut. Besonderes Augenmerk haben die Grafikentwickler außerdem auf ein, Zitat, „Wackel-Feature“ gelegt, welches gut gebauten Damen im Rotlicht-Millieu zuteil wird.

Rückkehr der Dialogrätsel

Auf Seiten des Gameplays bleibt es trotz der modernen Technik klassisch: Keine Maschinenrätsel, keine Sterbemöglichkeit und keine zeitabhängigen Sequenzen. Zur Anwendung kommen hauptsächlich klassische Kombinations- und Inventarrätsel – aber auch das in letzter Zeit stark vernachlässigte Dialogrätsel. Zwischen den Kapiteln wird das Inventar geleert, mehrere Lösungswege sind nicht vorgesehen.
Fast schon obligatorisch wird ein „Snoop Key“ angeboten, der alle verfügbaren Hotspots anzeigt. Die Frage, ob man ihn an- oder abschalten will, wird zu Beginn des Spiels in einer eigenen Einleitungssequenz gestellt. Zusätzlich gibt es auch eine typische Tagebuchfunktion.
Einige der Rätsel wirkten noch etwas aufgesetzt, z.B. wenn sich Jim am Anfang weigert, Bill einen Brandtwein einzuschenken, nur um ihn am Ende aus purer Not dann doch zu spendieren. In einer anderen Szene schickt Jim bei einem Überfall Antoinette zur Sicherheit in den Keller voraus - nur um sich gleich darauf selbst dorthin zu begeben. Das Gameplay ist damit zwar linear, aber die Einschränkungen meist recht stimmig erklärt, so dass davon nicht wirklich viel unangenehm auffällt.

Do-It-Yourself-Zwischensequenzen

Da man auf volles 3D setzt, hat man sich außerdem bemüht, einen Teil der Zwischensequenzen interaktiv zu gestalten. Die von uns bereits im August vorgestellte Sturmsequenz auf der Hispaniola ist so ein Beispiel dafür. Spielerisch sind diese Szenen nicht sonderlich anspruchsvoll und erinnern eher an spielbare Intros wie z.B. aus Indiana Jones and the Fate of Atlantis. Sie sorgen aber dafür, dass man bei besonders nervenaufreibenden Passagen, die andere Adventures nur per Filmsequenz bringen würden, trotzdem hin und wieder an die richtige Stelle klicken darf.

Prognose: Rechner rüsten!

Treasure Island ist und bleibt ein heißer Kandidat für ein Adventure, das auch technikaffine Spieler begeistern könnte. Die Präsentation spielt mit allem, was die aktuelle 3D-Technik momentan so hergibt. Wenn im Finale im Hintergrund Kanonenkugeln fallen, Häuser explodieren, Piraten kämpfen und man selbst mit einer brennenden Fackel durch die Nacht läuft, merkt man erst, wie steril doch so mancher 2,5D-Titel heute immer noch wirkt.
Allerdings hat die schicke Präsentation ihren Preis. Ein Rechner mit 3 GHz, 2 GB Arbeitsspeicher und einer GeForce 6800 wird empfohlen, darunter wird man zumindest in der hohen Auflösung nicht allzu viel Spaß mit dem Spiel haben und ohne dynamische Beleuchtung und statischen Lightmaps spielen müssen.
Inwieweit sich das mit den meist eher schwachbrüstigen Rechnern der Adventuregemeinde verträgt, wird sich erst noch zeigen müssen. Für alle Aufrüstungswilligen könnte Treasure Island jedenfalls ein triftiger Grund zu einer neuen Ausstattung werden.

Treasure Island Webseite
Sieht gut aus