Wer schon einen Blick auf die Teaser-Website von Lost Horizon geworfen hat, könnte leicht verwirrt sein, assoziiert man die folgenden 94 Sekunden nicht unbedingt mit einem Grafik-Adventure. Zu sehen ist ein prall gefüllter Kinosaal, die Szenen auf der Leinwand: Ausschnitte aus dem neuen Spiel von Animation Arts, dem Entwickler-Team aus Halle an der Saale, das uns in der Vergangenheit mit den beiden Geheimakte-Teilen erfreute. Es sind Zusammenschnitte verschiedener Zwischensequenzen, reich an Action: Auf der Ladefläche eines Lastwagens prügeln sich zwei Kerle während links von ihnen die Abgründe der eisigen Gebirge Tibets klaffen und nicht nur an einer Stelle rattern Maschinengewehre, dröhnen Propellermaschinen oder klirren sogar Schwerter. Eine mystisch blau leuchtende Götzenstatue im Inneren eines Tempels versprüht Abenteuerfeeling. Die Szenerie erinnert stark an die alten Indiana-Jones-Streifen. Ja, und auch hier kommen Nazis vor. Kein Wunder, denn wir schreiben das Jahr 1936. Wie in den Abenteuern des bekannten Schlapphutträgers sind die Nazis auch diesmal auf der Suche nach einer mächtigen Waffe, um ihre finsteren Absichten voranzutreiben. Jenes Artefakt soll sich im mythologischen Shambala befinden. Fenton Paddock, ein britischer Ex-Soldat, soll dies verhindern.
Action und Adventure?
Ungewohnt viel Geballer und Kawumms für ein Adventure, mag man nach Betrachten des ersten Trailers denken, doch keine Bange! In Lost Horizon wird man wohl kaum selbst Hand an ein Maschinengewehr legen, noch irgendwelche abstrusen Action-Einlagen, die nicht ins Genre gehören, absolvieren. Animation Arts folgt dem derzeitigen Trend des spielbaren Films, zwar auf keinen Fall in der Form wie es ein Heavy Rain in seiner gesamten Andersartigkeit geradezu zelebriert, dennoch soll der Spieler durch eine Präsentation gefesselt werden, die einem guten (Abenteuer-)Film gleicht. Anspielungen auf den glorreichen Indiana Jones sind daher vorhanden und gewollt. Direkte Assoziationen mit dem LucasArts-Indy rief neben der Thematik vor allem die Karte hervor, auf welcher eine rote Linie den zurückgelegten Weg markierte. Verschiedene technische wie spielerische Stilmittel sollen den Übergang von Film und Spiel so weich wie möglich gestalten, sodass sich der Spieler quasi in einem Abenteuerfilm zum Mitspielen wähnt. Stilecht präsentiert sich schon das Intro, welches mit einem typischem 30er Jahre Song unterlegt wurde. Auch die Erzählstruktur von Lost Horizon soll ihren Teil zum Vorhaben beitragen. So möchte man den Spieler zu Beginn ohne Umschweife durch ein hohes Spieltempo und viele Cutscenes an den Bildschirm fesseln. Für das Gameplay bedeutet dies, dass die Rätsel anfänglich eher leicht ausfallen und der Fokus auf der Storyentfaltung liegt. Der Schwierigkeitsgrad soll aber im Spielverlauf sukzessive steigen, genau wie die Spielzeit der einzelnen Kapitel, und sich knapp über dem von Geheimakte 2 einpendeln, sofern sich das überhaupt bemerkbar macht.
Quer über den Globus
In Köln konnten wir schon mal sehen, wie Animation Arts versucht, die Dramatik und Action der Zwischensequenzen in das Spiel zu transportieren. Wir sahen eine Verfolgungsjagd, bei der sich Fenton auf der Ladefläche des vorderen Fahrzeugs befand, die Häscher dicht im Nacken. Mit peitschender Musik und der passenden Kameraeinstellung konnte man schon in der mit Hintergrundgeräuschen belasteten Messe-Präsentation eine Spur Dramatik erzeugen, während man in aller Ruhe daran knobelte, die Widersacher abzuschütteln. Reaktions-Sequenzen, wie etwa in Baphomets Fluch 3, wo man an einigen Stellen zum schnellen Handeln gezwungen war, gibt es auch im restlichen Spielverlauf nicht.
Ansonsten schaut Animation Arts Werk sehr vielversprechend aus: Die Schauplätze sind weit gestreut und sollen sich über circa 150 Bildschirme in fünf Kapiteln erstrecken. Unter anderem bereist ihr Tibet, Hongkong, Berlin und Marrakesch. Dies lässt auf Abwechslung hoffen. Innerhalb der Kapitel gibt es eine Karte, über die ihr bereits besuchte Lokalitäten schnell aufsucht. Die Lösung der Rätseleinlagen, die sich in ihrer Art und Schwierigkeitsgrad an den Geheimakte-Spielen orientieren, beschränkt sich also nicht nur auf die nähere Umgebung. Ebenfalls wieder mit an Bord befindet sich das bewährte Team-Feature, das man auch schon von Geheimakte Tunguska, mehr aber von Geheimakte 2, kennt. Einige Abschnitte löst Fenton Paddock in Zusammenarbeit mit Kim, der weiblichen Nebenfigur in Lost Horizon. Primär rätselt er sich jedoch im Alleingang durch das Adventure.
Ein Schritt nach vorne
Technisch hat man sich gegenüber früheren Produktionen auf jeden Fall weiterentwickelt. Was die Steuerung angeht, ist verständlich, dass nichts gegenüber Geheimakte verändert wurde. Die funktionierte da schon tadellos. Komplett neu sind jedoch die handgemalten Hintergründe, während sich die 3D Spielfiguren in den Vorgängern durch gerenderte Landschaften bewegten. Im Zusammenspiel mit detailliert ausgearbeiteten Räumen und hübschen Effekten, wie etwa einprasselndem Regen, macht Lost Horizon optisch schon jetzt einen sehr guten, respektive erwachsenen Eindruck, obwohl bis zum Release irgendwann im nächsten Jahr noch reichlich Zeit für Verbesserungen bleibt. Das finale Produkt unterstützt Auflösungen bis zu 2048 Bildpunkten in der Breite. Unschöne Treppeneffekte, vor allem aber Unschärfe bei den zahlreichen Close-Ups dürften damit vermieden werden. Über die ansprechend inszenierten Zwischensequenzen wurde schon zu Beginn berichtet, fehlt nur noch die Information, dass die Filmchen nahtlos in Spielgrafik übergehen, um den Spieler nicht aus dem Geschehen zu reißen. Soundtechnisch möchten die Entwickler natürlich auch nichts anbrennen lassen. Wir konnten schon mal die professionelle Stimme von Rolf "Captain Picard" Schult hören, der als eine Art Erzähler fungiert und das Spiel bis jeweils zum aktuellen Spielstand zusammenfasst, sofern der Spieler, etwa nach einer längeren Spielpause, davon Gebrauch macht. Im Gegenzug fällt das bekannte Tagebuch raus, was man damit begründet, dass die Spieler es kaum benutzt hätten. Es soll aber einen „Rätselknopf“ geben, der Infos zu aktuell zu erledigenden Aufgaben liefert. Die übrigen Sprechrollen möchte man ebenfalls mit erfahrenen als auch bekannten Stimmen besetzen. Um konkrete Namen zu nennen, war es jedoch noch zu früh.
Lasst uns noch etwas warten
Mit Geheimakte Tunguska und Puritas Cordis haben Animation Arts ihr Können bewiesen und genießen Kredit bei der Adventure-Gemeinde. Alles in allem würden wir aber gerne noch mehr von Lost Horizon sehen und hören, um den guten Eindruck von der Kölner Messe bestätigen zu können. Zum Beispiel würden wir uns freuen, einen ausführlichen Blick auf Dialoge und einhergehende Dialog-Rätsel werfen zu können, die gegenüber Geheimakte 2 komplexer ausfallen sollen. Dies äußert sich etwa in unterschiedlichen Verhaltensarten Fentons, die man seinem Gesprächspartner gegenüber an den Tag legen kann. Inwiefern und ob es hier zu mehreren Lösungsansätzen kommt, bleibt abzuwarten. Üben wir uns in Geduld, denn bis zum Release 2010 ist es wie schon gesagt noch ein Weilchen hin.
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