Im Dachgeschoss eines Hotels in Los Angeles' Little Tokyo wurde ich gerade Zeuge von etwas, von dem viele Adventurefans schon lange aufgegeben haben, dass sie es noch erleben würden: ein niegelnagelneues Monkey-Island-Spiel. Wie ihr inzwischen zweifellos mitbekommen habt, arbeiten LucasArts und Telltale Games zusammen an einer fünfteiligen Staffel namens Tales of Monkey Island. Die Jungs von Telltale, inklusive Dave Grossman, einem der Väter des ursprünglichen The Secret of Monkey Island, waren so nett, mich am Vorabend der E3 zu sich einzuladen, um mir einen ersten Blick auf die erste Episode "Launch of the Screaming Narwhal" zu gewähren. Die soll am 7. Juli für PC erscheinen, eine WiiWare-Version folgt "bald" darauf. Wenn es Fans gibt, die befürchten, dass der Dampfer für Monkey Island abgefahren ist, dann sei ihnen versichert, dass es durchaus so aussieht, als könnte Telltale der Kapitän sein, der das Ruder rumreißt und die Reihe dahin bringt, wo sie hingehört.
Unsere Geschichte beginnt genau da, wo Guybrush Threepwood, mächtiger Pirat(tm), gehofft hatte, dass sie enden wird. Es sind einige Jahre vergangen, seit wir Guybrush am Ende von Flucht von Monkey Island zuletzt gesehen haben, doch auf seinen Lorbeeren hat er sich nicht ausgeruht - unglücklicherweise genau wie der böse Geisterpirat LeChuck. LeChuck hat wieder einmal Guybrushs Frau, die liebenswürdige Elaine Marley, entführt und hält sie auf seinem Schiff gefangen, während er in seiner Freizeit mit Affen experimentiert, um ihre "Geheimnisse" zu lüften. Guybrush hat inzwischen alle Zutaten für die Verfluchte Machete von Kaflu, die, zumindest laut Voodoo Lady, ein und für alle mal Schluss mit LeChuck machen kann. Das war, bevor Guybrush sie versehentlich kaputt gemacht hat. Die erste nennenswerte Aufgabe für den Spieler ist es daher, "sinnvollen Ersatz" für die Zutaten aufzutreiben. Ist die notdürftige Machete erst mal einsatzbereit, schwingt Guybrush sie in LeChucks Brust, was allerdings nicht den Effekt hat, den Guybrush sich wünscht.
Anstatt für immer verbannt zu sein, verwandelt sich LeChuck vom Geisterpiraten zum menschlichen Piraten und eine nicht unerhebliche Menge von finsterem Mojo (bekannt als die "Pocken von LeChuck") bildet sich an Guybrushs Hand, die während der Transformation LeChuck beruehrt hat. Guybrushs neues böses Anhängsel weigert sich, den plötzlich verwundbaren LeChuck zu erstechen, um stattdessen versehentlich eine Kettenreaktion in Gang zu setzen, die ein klaffendes Loch in den Rumpf des Schiffes schlägt und Guybrush ins Meer schleudert, ohne dass dieser eine Möglichkeit hat, Elaine davor zu bewahren, in den Schlund des Ozeans hinabzusinken. Guybrush wird an die Küste von Flotsam Island gespült, wo er von einem zufällig vorbeilaufenden Piraten gefunden wird, der sogleich von Guybrushs pockendurchsiechter Hand einen Schlag ins Gesicht kassiert ("Meine Nase!" schreit der Pirat, "Meine schöne Piratennase!"). Das alles klingt schon nach einem echten Abenteuer, doch ist das nur der Anfang. Guybrush braucht ein neues Schiff.
Wer bereits einige von Telltales anderen episodischen Adventures gespielt hat, sei es Sam & Max, Strong Bad's Cool Game For Attractive People oder Wallace & Gromit's Grand Adventures, mag vermuten, zu wissen, was er von Tales of Monkey Island erwarten kann. Doch wird es einige wesentliche Unterschiede geben, die dies zu einem sehr spannenden Projekt machen. Einer davon ist, dass die Episoden nicht eigenständige "Geschichten" sind, wie der Titel vermuten lässt, sondern Kapitel in einer großen Handlung. "Episch" war definitiv das Wort des Tages während unseres Gespräches. Das Ziel des Teams ist es, ein Adventure zu erschaffen, das so unwiderstehlich ist, dass man mit dem Spielen nicht warten will, bis das ganze Ding veröffentlicht wurde. Jedes Kapitel wird eine Art Auflösung der Teilaufgabe haben, die gerade zu bearbeiten ist, diese wird aber mit einem Cliffhanger verknüpft, der die Spekulationen bezüglich der nächsten Folge anheizen soll.
Eine weitere große Neuerung ist, dass kaum Spielelemente wiederverwendet werden. Kevin Bruner (CTO von Telltale) und Dave Grossman waren sich nicht ganz einig, ob "gar keine" oder "sehr wenig" Locations wiederverwendet werden, auf jeden Fall wird es Guybrush aber immer wieder auf neue Inseln verschlagen und es wird keine "Heimatbasis" geben, wie es bei Sam & Max oder Wallace & Gromit der Fall war. Auch werden ständig neue Charaktere eingeführt. In den Szenen, die ich gesehen habe, war so gut wie jede Figur komplett neu im Monkey-Island-Universum (wartet bis ihr den verrückten Wissenschaftler seht, der glaubt, Guybrushs Hand wäre der Schlüssel zu ewigem Leben!).
Der dritte große Unterschied ist die Art, wie man das Inventar benutzt. In früheren Telltale-Spielen war das Inventar sehr simpel gehalten, mit einem Minimum an möglicher Interaktion. In Tales of Monkey Island ist es endlich möglich, Inventargegenstände zu kombinieren, um neue herzustellen und wenn die ersten Rätsel für die späteren stehen, dann wird von dem neuen Feature häufig Gebrauch gemacht. Gegenstände können jetzt auch im Inventar untersucht werden und auch wenn noch nicht klar ist, ob das für das Lösen der Rätsel notwendig sein wird, eröffnet das weitere Möglichkeiten, Tipps und Humor unterzubringen.
Einiges wird aber natürlich auch vertraut sein, beispielsweise im Bereich der Sprachaufnahmen. In der englischen Version werden Dominic Armato, die Stimme von Guybrush Threepwood, und Elaine Marleys Stimme Alexandra Boyd ihr Comeback feiern. Zwar konnte ich Boyd noch nicht im Spiel hören - sie war noch nicht eingebaut - Armato wieder zu hören hat aber eine Menge guter Erinnerungen in mir geweckt. Während der Präsentation habe ich immer wieder lachen müssen, was natürlich auch an den gut geschriebenen Texten liegt, aber mindestens zur Hälfte auch an Armatos Talent. Um den Sprechern unter die Arme zu greifen hat Telltale ein neues System für die Lippensynchronität entwickelt, das den Figuren erlaubt, ein breiteres Spektrum an Gesichtsausdrücken zu verwenden, während sie sprechen. Und soweit ich das sehen konnte, funktioniert das gut.
Nicht nur die Sprecher kehren zu der Lizenz zurück. Die Credits der Staffel lesen sich wie ein Monkey-Island-All-Star-Team. Die vollständige Liste findet ihr auf der offiziellen Website, es sei an dieser Stelle aber daran erinnert, dass Dave Grossman, einer der ursprünglichen Designer von Monkey Island, das Projekt als Design Director überblickt. Mike Stemmle, Designer von Flucht von Monkey Island und Sam & Max: Hit the Road, ist als Lead Designer der ersten Episode mit an Bord. Einige Künstler mit Monkey-Island-Erfahrung arbeiten an Tales genauso wie Michael Land, Komponist für alle bisherigen Monkey-Island-Spiele (wobei seine Kompositionen noch nicht in der Version enthalten waren, die ich gespielt habe). Telltale hat sogar Ron Gilbert höchstselbst für ein paar Tage ins Büro geholt, sodass er beim Brainstorming dabei sein konnte. Angeblich hat er deutliche Spuren in der ganzen Reihe hinterlassen. Da Gilbert Vollzeit bei Hothead Games arbeitet, insbesondere an seinem eigenen Projekt Deathspank, wird Tales laut Telltale nicht das Spiel sein, das das legendäre "Geheimnis von Monkey Island" lüften soll.
Was können wir noch erwarten? Dialogbäume sind drin, und sie sind großartig (wenn Guybrush gefragt wird, wozu er ein Schiff braucht, hat man die Wahl zwischen den Antworten "um nach meiner Frau Elaine zu suchen", "um LeChuck zu jagen" und "um diese armen Affen zu retten"). Vermutlich ein Grund zur Sorge für einige Fans ist die Tatsache, dass Telltale sich noch nicht festlegen wollte, wie die Steuerung in der finalen Version funktioniert. Zur Zeit wird noch daran gefeilt, doch soll auf beiden Plattformen irgendeine Form von "direkter Steuerung" zum Einsatz kommen. Einige Charaktere aus der Vergangenheit der Serie werden einen Auftritt haben, möglicherweise aber nicht "deine Lieblingsfigur". Und auch wenn es Schwertkämpfe gibt und Beleidigungen, so wird es keine Beleidigungsschwertkämpfe geben - zumindest nicht in dieser Staffel.
Zwar konnte ich nur einen kleinen Teil der ersten Episode sehen, doch kann ich bereits ohne zu zögern sagen, dass dies ein Monkey-Island-Spiel ist. Die Witze sind Monkey-Island-Witze. Die Situationen sind Monkey-Island-Situationen. Ich habe in der Präsentation mehr gelacht als in jedem Adventure, das ich in den letzten Jahren gespielt habe. Nur die Zeit wird zeigen, ob das ganze Tales of Monkey Island sein Potenzial ausschöpft und seinen älteren Geschwistern in den heiligen Hallen der ewigen Spielenostalgie Gesellschaft leistet. Von dem, was ich bisher gesehen habe, bleibt mir nur eins zu sagen: Mein Name ist Dante Kleinberg und ich will ein Pirat werden.
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