Die Adventure-Landschaft ist nicht gerade bekannt dafür, von Innovationen getrieben zu sein. Hin und wieder schaffen es echte Neuerungen, auch an der Kasse erfolgreich zu sein. Telltale war einst mit mutigem Konzept gestartet und freut sich heute über Millionen via Internet verkaufte Episoden und auch Heavy Rain zeigt, wie man mit neuem Konzept mehr Spieler erreichen kann als alle klassischen Adventures der letzten Zeit. Demgegenüber stehen allerdings unzählige gescheiterte Innovationsversuche, darunter echtes Kassengift wie die originellen Titel von Lexis Numérique oder Cyan Worlds Online-Gehversuche, aber auch viele Entwickler, die ihre ansonsten gewöhnlichen Adventures um gut gemeinte Gameplay-Gimmicks bereicherten, welche sich letztendlich jedoch als Spaßbremsen herausstellten.
Sometimes change a running system
Daedalic Entertainment wollte sich bisher aus diesem Innovationsdschungel heraushalten und getreu dem Motto „Schuster bleib bei deinem Leisten“ auf Altbewährtes setzen. Edna Bricht Aus, The Whispered World und auch andere Projekte des Entwicklers setzten auf klassische Comicgrafik, handgezeichnete Figuren, witzige Dialoge und quirlige Inventarrätsel – ganz die alten Werte, die schon LucasArts Anfang der 90er vorturnte. Keine Experimente, kein Risiko. Das soll sich jetzt ändern. In den Hamburger Daedalic-Büros konnten wir die jüngste Version des Comic-Adventures A New Beginning anspielen. Die unterscheidet sich wesentlich von den bisher gezeigten Previews, besonders in einem Punkt: 3D. Doch ganz anders, als man meinen könnte... 3D bedeutet in diesem Fall nicht, dass wir befürchten müssen, auf die liebevoll handgezeichnete Spielwelt zu Gunsten von klumpiger Polygonmatsche verzichten zu müssen, denn A New Beginning setzt weiterhin auf die bekannten Hintergründe und die Visionaire-Engine. Stattdessen hat man das Spiel für den aktuellen Trend des 3D-Gaming fit gemacht und Unterstützung sowohl für Rot-Cyan-Brillen als auch für Shutter-Brillen eingebaut. So kann man das eigentlich 2-dimensional konzipierte Spiel tatsächlich räumlich wahrnehmen. An dieser Stelle soll es darum nicht so sehr um Story und Gameplay des Zeitreise-Abenteuers gehen – die haben wir schon auf der GC 2007 und einem früheren Entwicklerbesuch beleuchtet – sondern um den Paradigmenwechsel und die neue Technik.
Technik die begeistert
Und die weiß auf Anhieb zu beeindrucken. Mit einer eigens angefertigten Software namens 3Daedalic hat man die bereits vorhandenen Grafiken in die dritte Dimension gebracht. Ganz ähnlich wie Tim Burton seine aktuell im Kino zu laufende Alice-Version konventionell gedreht und dann nachträglich im Computer 3D-ifiziert hat, gelingt dies auch mit den Kulissen von A New Beginning. Die Grafiken werden dabei mehrstufig skaliert, um dann die Parallaxenverschiebung anhand der Differenz derart gezoomter Bildvarianten extrapolieren zu können. Die anaglyphe Bildinformation wird dann einmal mittels Rot-Cyan-Verfahren und einmal progressiv für die Shutter-Technik eingearbeitet, sodass der Betrachter später den räumlichen Eindruck erhält. Besonders zentrale Bildelemente, insbesondere die Sprites der Hauptcharaktere, werden nicht automatisch prozessiert, sondern ein zweites Mal speziell für die plastische Darstellung gezeichnet – unseres Wissens erstmals in der Welt der Videospiele. So erreicht man für diese häufig gesehenen Objekte einen beesonders überzeugende Effekt.
2D war gestern
Das Ergebnis muss man gesehen haben. Zwar lässt sich auch mit in Echtzeit berechneten Polygon-Welten eine gewisse Tiefe erzeugen, das tatsächliche Gefühl, durch den Monitor als Fenster in eine räumliche Spielwelt zu blicken, ist jedoch noch etwas ganz anderes. Den Kopf zur Seite zu bewegen und zu sehen, was hinter Zeitpilotin Fay noch in der Szene verborgen ist, hinter Bent Svensson, der gerade droht, in einen Abgrund zu stürzen, wirklich in die Tiefe zu blicken und das Donnern und Blitzen um den greifbar nahen Eiffelturm erzeugen ein nie dagewesenes Gefühl des Dabeiseins. Am besten wirkt das Gesehene durch eine Shutter-Brille. Bei dieser Technik zeigt der Bildschirm abwechselnd Bilder für das linke und das rechte Auge, genau genommen 120 mal in der Sekunde, und die Brille dunkelt genauso oft ein Glas ab, sodass jedes Auge nur die korrekten Bilder sieht. Etwas schwächer wird der Effekt durch eine altbekannte Rot-Cyan-Brille, da hier Teile des Farbraums nicht abgebildet werden können. Der 3D-Effekt ist da, die Farben jedoch arg verfremdet. Immerhin darf man in diesem Modus sofort losspielen, denn eine aus Recyclingpapier hergestellte Rot-Cyan-Brille wird der aufwändigen Pappbox beiliegen. Shutter-Brillen müssen extra gekauft werden, die Preise sinken angesichts der massiven Nachfrage aber zur Zeit rapide.
Ein neuer Anfang
Im Kino hat die große 3D-Welle mit Avatar schon im vergangenen Jahr begonnen, jetzt rollt sie auch bei Videospielen los. Erste 3D-fähige Monitore stehen bereits im Handel, der Absatz an entsprechenden Brillen steigt. Dass diesmal gerade ein Adventure zu den Early Adopters gehört mag überraschen, doch auch Telltale belegte früh die Nische der Episodenspiele und gilt dort heute als Pionier. Die 3D-Technik weiß schon zu begeistern und man darf spekulieren, dass eine Shutter-Brille bald genauso selbstverständlich zu einem Spielerechner gehört wie Maus und Tastatur. Wer den Trend als Eintagsfliege oder ungerechtfertigten Hype abtut, dürfte noch kein Spiel in der neuen Technik gespielt haben. Wir haben jedenfalls den Eindruck, dass Daedalic hier weit über Genregrenzen hinaus eine neue Dimension des Videospielens aufstößt.
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