Der schwedische Entwickler Frictional Games hat vor wenigen Jahren mit seiner Penumbra-Reihe für Aufsehen gesorgt. Die beiden Abenteuer auf Grönland konnten vor allem mit ihrer atmosphärischen Kulisse punkten, die mit - für Adventureverhältnisse - technisch beeindruckenden 3D-Levels, stimmungsvollen Licht- und Schatteneffekten und angsteinflößenden Soundeffekten überzeugen konnten. Zudem bot der Entwickler mit seiner umfassenden Physikengine ein Element, das nicht nur gekonnt der Atmosphäre diente, sondern zugleich auch von großer spielerischer Wichtigkeit war. Im September steht mit Amnesia - The Dark Descent das nächste Werk der Schweden in den Startlöchern. Eine Vorschau-Version gab uns die Möglichkeit, vorab ins Spiel hineinzuschnuppern.
In der Nacht ist der Mensch nicht gern' alleine
Ein pechschwarzer Bildschirm empfängt uns zu Beginn. Die ängstliche Stimme eines Mannes erklingt. Der Mann faselt etwas von Schatten, die ihn verfolgen, und jemandem, den er unbedingt aufhalten müsse. Er ringt um Fassung, glaubt, keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können. Zweifelt selbst daran, sich an seinen eigenen Namen zu erinnern. Er reißt sich mit aller Kraft zusammen. Sein Name ist Daniel? Ja, er ist Daniel. Das undurchschaubare Schwarz lichtet sich. Wir liegen auf dem Boden, versuchen unsere Umgebung zu erfassen. Es ist ein Schloss. Langsam richten wir uns auf, der milchige Schleier vor unseren Augen beginnt sich langsam aufzulösen. Das Gemäuer strahlt eine beinahe unnatürliche Kälte aus. Es ist nicht völlig finster und doch können wir nur wenige Meter weit sehen. Draußen tobt ein heftiges Gewitter, das markerschütternde Laute produziert und dessen Blitze grelle Lichtschläge durch die vergitterten Fenster treiben. Der Regen prasselt unaufhörlich während wir aus dem Inneren des Gewölbes allerlei seltsame Geräusche vernehmen, die uns das Blut in den Adern gefrieren lassen. Wir sind schwach, unser Atem geht schwer. Obwohl wir uns vor dem fürchten, was uns hinter dem nächsten Abzweig erwarten könnte, beginnen wir nach einem Ausweg zu suchen und folgen ein paar undefinierbaren Spuren auf dem Boden. Fast wie in Trance schwanken wir durch das klamme Gemäuer. Je näher wir der Dunkelheit kommen, desto mehr wähnen wir uns in Gefahr. Die Umgebung scheint lebendig, oder sind wir nur verrückt? Mit einem Zündwerkzeug entflammen wir ein paar Kerzen, was uns kurzzeitig die Angst zu nehmen scheint. Doch wir müssen weiter. Die vor uns liegende Schwärze scheint unendlich und unser Vorrat an Zündhilfen ist begrenzt. Wir gehen weiter in die Finsternis. Auf einmal scheinen die Schatten ihre Pranken nach uns auszustrecken. Panisches Stöhnen, hektisch blicken wir in alle Richtungen, unser Sichtfeld vernebelt sich, wir straucheln, stürzen fast zu Boden...
Finster, fies, verstörend
Der Einstieg in Frictionals neuestes Werk ist gleichsam verstörend wie packend. In den ersten Spielstunden ist dies vor allem der audiovisuellen Präsentation und verschiedenen geskripteten Schockeffekten zu verdanken. Die Kamera, die immer die Egosicht unserer Spielfigur zeigt, geht stetig mit, sodass man jeden einzelnen Schritt beinahe fühlen kann. Wenn wir einen kleinen, nicht allzu raschen Sprint einlegen, bewegt sich die Kamera noch dynamischer. Bei manchen der geskripteten Ereignisse verlieren wir für einen kurzen Moment weitestgehend die Kontrolle über unseren Spielcharakter und sind dem Geschehen quasi hilflos ausgeliefert. Das gilt auch für die Erinnerungsschübe, denen Spielfigur Daniel an bestimmten Stellen ausgesetzt ist. Hierbei kann man sich zwar meist mit kleineren Einschränkungen weiter fortbewegen, die optisch deutlich veränderte, beispielsweise in glutrote Lichteffekte getauchte Umgebung macht eine genaue Orientierung aber unmöglich. Während wir selbst die Lauf- und Blickrichtung bestimmten, merkt man grundsätzlich, wie dynamisch die Egosicht ist und wie intensiv sie den Spieler beeinflusst. Denn nicht nur wenn unser Charakter einen Augenblick der Ohnmacht nahe ist und die Kamera rasch herumschwenkt, geht man automatisch mit, während sich die Spielfigur durch die Gänge schleppt. Selbst kleinste Veränderungen des Sichtfeldes oder der Sichtschärfe zwingen den Spieler förmlich dazu, nicht einfach nur stur auf den Bildschirm zu gucken, sondern in ausgleichender Form zu reagieren. Manchmal zieht das Gefühl zwischen kontrollierter Aktion und erzwungener Reaktion dem Spieler bis in den Magen. Wer auf solche "Karussellfahrten" eher empfindlich reagiert, dem könnte ab und zu tatsächlich etwas übel werden. Die Dunkelheit, das Spiel mit Licht und Schatten und die eindringliche Sounduntermalung verstärken die Atmosphäre zusätzlich. Knarzendes Holz, Wimmerlaute, herabtropfendes Wasser, der deutlich hörbare Herzschlag Daniels, später auch choralartige Gesänge. Spätestens, sobald man die ersten Abschnitte erreicht, in denen Daniel von Feinden angegriffen werden kann, deren nahende Bedrohung ständig mit Soundeffekten untermalt und durch dramatische Musik untermauert wird, merkt man, dass es sich bei Amnesia um Survival-Horror in Reinkultur handelt. Die Intensität der ersten Spielstunden ist jedenfalls enorm, besonders, solange man noch kaum mit der Spielmechanik vertraut ist.
Orientierungslos, verloren, hilflos
In den zahlreichen Räumen des Schlosses sind einige Schriftstücke zu finden, die uns etwas über das Gebäude und was sich in ihm zugetragen hat verraten. Nicht zuletzt auch über uns selbst, denn wie der Name des Spiels bereits verrät, leidet unser Alter Ego unter Gedächtnisverlust und stößt auch auf von ihm verfasste Tagebuchaufzeichnungen, die nicht selten Details preisgeben, die ihm vielleicht lieber verborgen geblieben wären. Ein zwar nicht ganz taufrischer, aber interessanter Ansatz, der viel Raum für Kreativität lässt. Frictional Games betont, dass es in erster Linie darum geht, den Spieler eine intensive Erfahrung machen zu lassen. Inwieweit die im 18. Jahrhundert angesiedelte Story ihren Teil dazu beitragen kann, wagen wir nach den Eindrücken der ersten rund drei Spielstunden nicht einzuschätzen. Allein auf die Effekte scheint man sich auf Seiten des Entwicklers aber nicht zu verlassen, denn die nutzen sich naturgemäß mit der Zeit etwas ab. Stattdessen schwenkt man zunehmend stark auf den Bereich um, in dem insbesondere der Hintergrund unserer Spielfigur beleuchtet wird, ohne den anderen zu vernachlässigen. Da das Abenteuer immer surrealere Züge annimmt und Daniel später auch von todbringenden Gegnern gehetzt wird, bestehen zweifellos Möglichkeiten, den Spieler auch im weiteren Verlauf mit außergewöhnlichen Levels und noch unwirklicheren Ereignissen zu stressen.
Gameplay als Mittel zum Zweck
Echte Rätsel sind uns bislang nur wenige begegnet und diese waren eher von der einfachen Sorte. Hier und dort muss mal ein versteckter Schalter bzw. Schlüssel gefunden werden, an anderer Stelle gilt es ein paar ziemlich offensichtlich platzierte Bücher aus dem Regal zu ziehen, um eine Geheimtür zu öffnen. Später müssen wir ein paar Chemikalien zusammenmischen, um mit dem säurehaltigen Gebräu ein Hindernis aus dem Weg zu räumen. Das anspruchsvollste Element dabei ist aber nicht das Mischen der Zutaten, sondern das Auffinden der vier Inhaltsstoffe, die sich auf verschiedene mittelgroße, zeitgleich betretbare Areale verteilen. Die Schwierigkeit der Aufgaben soll auch später nicht nennenswert zunehmen. Der Entwickler möchte mit den Rätseln erreichen, dass der Spieler sich mehr als Teil des Spiels empfindet. Sie sollen ihn deshalb nicht zu sehr aus der jeweiligen Spielsituation herausreißen. Auch die Physikengine ist regelmäßig von spielerischer Bedeutung. Anfangs beschränkt sich deren Einsatz auf das Öffnen von Türen, Schränken oder Truhen, später müssen aber auch mal ein paar herabgestürzte Balken aus dem Weg geräumt, eine brüchige Zwischenwand eingerissen oder ein mit Kisten versperrter Zugang freigelegt werden. Eine eingestürzte Treppe wiederum können wir nur überwinden, wenn wir uns eine kleine Hilfskonstruktion aus umherliegenden Kisten zusammenstellen. In diesem Fall hat der Spieler auch einen gewissen Freiraum, wie genau diese Konstruktion aussehen kann. Ansonsten existiert bislang meist nur genau ein Weg, um die vorgeschriebenen Ziele zu bewältigen, die der Spieler grob skizziert jederzeit im Journal nachlesen kann. Alternative Lösungswege soll es später aber häufiger als zu Beginn geben. Zerstörbare Objekte gibt es, abgesehen von den bereits genannten, übrigens nur sehr selten. Ein gegen die Wand geklatschter Stuhl oder ein aus mehreren Metern herabgestürztes Fass, bleiben beispielsweise intakt. Die meiste Zeit sind wir aber ohnehin eher damit beschäftigt, uns in den Gängen zu orientieren und die Räume nach Hilfsutensilien abzusuchen. In unserem Inventar können wir Zündwerkzeuge, Lampenöl, aber auch Gesundheitspäckchen sowie psychische Stimulanzien und ähnliches verstauen. Nachschub findet man meist in Truhen und Schränken. Mit den Zündkästchen können Fackeln und Kerzen entzündet werden, die sich überall in der Umgebung befinden. Mit dem Öl können wir unsere Lampe befüllen, die uns dann bei Bedarf für wenigen Minuten Licht spendet, wohin auch immer wir uns bewegen. Von beidem sollte man Gebrauch machen. Sobald wir zu lange der Dunkelheit ausgesetzt sind, wird unsere Spielfigur nämlich psychisch geschwächt und beginnt unter ächzendem Stöhnen zu halluzinieren. Daniels Gang wird dann schwerfälliger, das Sichtfeld und die Sichtverhältnisse verändern sich, Atmung und Herzschlag werden beschleunigt, Panik greift um sich. Das ist nicht nur für unseren Spielcharakter, sondern vor allem auch für den Spieler selbst sehr stressig. Theoretisch könnte man aber auch einfach die Auswirkungen ignorieren und den Mann eben durchdrehen lassen. Uns ist es bisher jedenfalls nicht gelungen, Daniel allein über den psychischen Stress zum Ableben zu zwingen. Anders sieht es bei den Gegnern aus, die Daniel ab einem bestimmten Zeitpunkt im Spiel begegnen. Diese können uns auch verletzen, was sich ebenfalls optisch und akustisch manifestiert, und sogar töten, sofern wir uns nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen. Will man die Auswirkungen in Grenzen halten, kann man sich vor den Feinden in der Dunkelheit verstecken, bis sie wieder verschwinden, oder verlässt den Schauplatz zwischenzeitlich wieder. Gegner tauchen an manchen Stellen nämlich nur sporadisch auf und treten folglich nicht immer am selben Ort in Erscheinung. Der Spieler ist grundsätzlich dazu angehalten, einer direkten Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Denn im Nahkampf hat unsere Spielfigur kaum eine Überlebenschance. Aber nicht immer kann man den Feinden so leicht entkommen. In einem späteren Level muss Daniel einen überfluteten, verzweigten Korridor durchqueren. Wenn wir den Kontakt mit dem Wasser meiden, passiert uns nichts. Einige im Raum verteilte Kisten formen dabei sozusagen unsere Rettungsinseln. Manche davon erreichen wir mit einem beherzten Sprung. Um zu anderen Kisten zu gelangen, müssen wir jedoch wohl oder übel das Wasser betreten, woraufhin uns gleich ein unsichtbarer Gegner auf die Pelle rückt, dessen Position wir nur anhand von ein paar Wasserbewegungen feststellen können. Um weiterzukommen, muss zu allem Überfluss ein schweres Tor geöffnet werden, dessen Schalter mitten im bedrohlichen Nass lieg. Sterben wir bei der Aktion, werden wir zu einem Checkpoint am Anfang des aktuellen Raums zurückgesetzt. Bis dahin verwendete Inventarobjekte sind allerdings futsch.
Ausblick
Amnesia verspricht ein sehr intensives und atmosphärisches Abenteuer zu werden. Dem Spiel gelingt es nach den ersten Eindrücken sehr gut, den Spieler auf Dauer zu verängstigen und immer wieder in besonders fieser Form zu stressen. Es ist durchgehender Psychoterror mit ein paar etwas weniger stressigen Verschnaufpausen, in denen kleinere Quests stärker im Mittelpunkt stehen, bei denen Freunde klassischer Adventures allerdings nur bedingt auf ihre Kosten zu kommen scheinen. Die Story wirkt bislang noch etwas nebensächlich, rückt aber zunehmend in den Vordergrund. Das zumindest spricht für die Option, die gelungene Atmosphäre auch auf diese Weise dauerhaft aufrecht halten zu wollen. Denn die Schockeffekte an sich wiederholen sich schon relativ früh und könnten auf Dauer einen Teil ihrer Wirkung einbüßen. Die ersten Gegner steigern den Adrenalinspiegel nochmal deutlich, aber auch dabei muss man aufpassen, dass sich nicht so schnell Routine einstellt. Man darf gespannt sein, ob Frictional Games später noch ein paar clevere Ideen hat, um den Spieler zu überraschen, und inwieweit sie über die Story versuchen, die Spannung auf dem hohen Niveau zu Beginn zu halten. Wer einer intensiven Spielerfahrung in einem furchteinflößenden, stockfinsteren Schloss nicht abgeneigt ist, der sollte das Spiel unbedingt auf dem Schirm behalten.
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