Ein klassisches Adventure soll es sein. Da sind sich der Eschborner Publisher bitComposer Games und Entwickler Pixelcage aus Weimar einig. Ein klassisches Adventure mit Geschicklichkeitspassagen, Endgegnern und Plattformer-Einlagen. Trotzdem soll der Fokus dabei immer auf dem Herumrätseln liegen und gewinnen kann man mehr mit dem eigenen Köpfchen als mit dem rechtzeitigen Tastendruck. Der Point'n'Click-Purist mag da zunächst zusammenzucken, wir haben uns das Spiel aber erst einmal in einer Beta-Fassung bei bitComposer in Eschborn angeschaut.
Freie Interpretation
Jekyll & Hyde ist eine sehr freie Interpretation des Originalsettings. Im Prinzip wurden lediglich die Charaktere der Romanvorlage übernommen und eine neue Geschichte darum herum gebastelt. Zentrales Thema ist dabei der Kontrollverlust von Jekyll, der der Verwandlung in sein monströses Alter Ego Hyde im Laufe des Spiels immer weniger entgegensetzen kann. Dabei macht das Spiel keine langen Einleitungen, sondern beginnt direkt mit Protagonist Jekyll, der zum ersten Mal den mysteriösen Trank ausprobiert und sich zu Hyde verwandelt. Voran getragen wird die Geschichte durch rund 10 Filmsequenzen im Schraffurstil, wie man es bereits aus Spielen wie Gray Matter oder Black Sails kennt: Verschiedene Ebenen verschieben sich leicht zueinander, eine wirkliche Animation findet nicht statt. Dazu gesellen sich mehrere Ingame-Zwischensequenzen, die recht atmosphärisch mit zahlreichen Nahaufnahmen und Kameraschwenks inszeniert sind.
Dungeon Adventure in 3D
Das Spiel selbst läuft in Echtzeit-3D ab. Die durchaus fähige Engine bringt Pixelcage aus eigener Entwicklung mit. Gesteuert wird Jekyll entweder mit der Maus, der Tastatur oder dem Gamepad. Bei der Maussteuerung handelt es sich nicht um klassisches Point and Click; Der Spieler hält die Maustaste einfach so lange gedrückt, wie Jekyll laufen soll und bestimmt die Laufrichtung, indem er die Maus in die Richtung bewegt, in die er laufen möchte. Bei der Maussteuerung sind zusätzliche Tasten zum Ducken und Springen erforderlich. Dabei ist die Steuerung gut konfigurierbar. So ist es zum Beispiel auch möglich, die Spielfigur mit der Tastatur zu steuern und die Funktionen für das Ducken und Springen auf die beiden Maustasten zu legen. Die Kamera nimmt dabei entweder eine Verfolgerperspektive ein oder scrollt seitlich wie bei einem klassischen Adventurespiel mit. So begibt man sich zunächst in die unterirdischen Katakomben von Jekylls Villa, um dort weitere Erkundigungen anzustellen. Tatsächlich wird man von nun an die meiste kommende Zeit in Gewölben verbringen - von einem Kapitel, das im Big Ben spielt, einmal abgesehen. Gerade dieser dungeonartige Stil verrät auch schnell die Herkunft des Game Designers Martin Grieser, der vorher bei Rollenspielprimus Radon Labs gearbeitet hat. Wer Labyrinthe und lange, mit Fallen gespickte Gangsequenzen nicht mag, ist bei Jekyll & Hyde also an der falschen Adresse.
Alles ein klein wenig anders als gewohnt
Auch bei einigen anderen Gameplay-Elementen bedient man sich in Jekyll & Hyde bei Vorbildern aus artverwandten Genres. So gibt es z.B. Quickslots, in die bestimmte Gegenstände abgelegt werden können, sobald man sie korrekt im Inventar kombiniert hat. Das können z.B. Trankmischungen sein oder eine Fackel. Über den jeweiligen Quickslot, der immer links im Bildschirm zu sehen ist, kann man somit diesen besonders wichtigen Gegenstand schnell benutzen. Ein weiteres adventurefremdes Element ist das Fehlen einer manuellen Speicherfunktion. Stattdessen speichert das Spiel an bestimmten Stellen automatisch. Das Gleiche gilt allerdings grundsätzlich auch, wenn Jekyll das Zeitliche segnet: Hier kann der Spieler ohne einen früheren Speicherstand laden zu müssen beliebig viele erneute Versuche durchführen. Auch bei den Hotspots gibt es Unterschiede. So kann man beispielsweise je nach eigener Vorliebe einstellen, ob Hotspots permanent, nur wenn man in ihrer Nähe ist oder gar nicht angezeigt werden. Unabhängig davon gibt es auch in Jekyll & Hyde die beliebte Snoop-Key-Funktion, welche die Suche nach wichtigen Hotspots bei Bedarf erleichtert. Das Inventar wird einfach am unteren Bildschirmrand eingeblendet, wobei jeder Gegenstand objektbezogene Aktionsmöglichkeiten in Form von drei unterschiedlichen Icons hat. Neue Objekte werden zur besseren Sichtbarkeit speziell markiert, verbrauchte Gegenstände fliegen aus dem Inventar, eine Limitation an Gegenständen gibt es nicht.
Einsamer Indy
Während sich Jekyll auf der Suche nach Antworten durch die unterirdischen Gänge schleicht, trifft er kaum auf weitere Spielcharaktere. Ausnahme bildet lediglich der Gegenspieler Rufus, der Jekyll nachstellt und später auch durch die Dungeons verfolgt, sowie Jekylls Diener und seine Geliebte. Synchronisiert sind die einzelnen Akteure durchaus professionell, beispielsweise kommt für Rufus David Nathan zum Einsatz. Die einzelnen Dialoge sind selbstablaufend und können zumindest derzeit nur am Stück abgebrochen werden. Ansonsten beschäftigt sich der Spieler die meiste Zeit mit den verschiedenen Fallen und Rätseln der Dungeons. Tatsächlich wirkt Jekyll & Hyde dabei Indiana Jones fast näher als einem klassischen Horrorspiel: Speere müssen mit Steinen aufgehalten werden, Buchstaben-Platten wollen in der richtigen Reihenfolge besprungen werden und sogar eine Fahrt in einer Minenlore sind inklusive. Hin und wieder erschienen die Rätsel noch etwas arg repititiv, beispielsweise wenn Jekyll sich mit Hilfe einer speziellen Karte gleich durch drei Labyrinthe in Folge schlagen muss.
Unterirdisches Minispiel-Festival
Neben diesen klassischen Puzzles bietet Jekyll & Hyde aber wie erwähnt auch eine ganze Reihe an zusätzlichen Minispielen und kleinere Actioneinlagen. So gibt es eine ganze Reihe an Plattform-Sequenzen, in der man die Spielfigur mittels rechtzeitigen Tastendruck über einen Graben springen lassen muss. Auch ist es möglich, ähnlich wie bei einem Action-Adventure, Gegenstände zu schieben oder zu ziehen. Dazu gesellen sich einige Maschinen- und Schieberätsel, die Jekyll in den Katakomben erwarten. Großes Kernstück ist das Mini-Lab, das Jekyll mit sich führt. Hier kann er ebenfalls in Minispiel-Manier verschiedene Tränke zusammen mischen. Das richtige Mischverhältnis wird meist textlich umschrieben und durch Reaktionen in den Flakons angezeigt. Insgesamt soll es fünf derartige Chemie-Rätsel geben, die im Schwierigkeitsgrad sukzessive ansteigen. Zu Beginn muss natürlich der Trank zur Verwandlung in Hyde hergestellt werden, der dann auch gleich in einen Quickslot wandert. Leuchtet der Trank, kann man ihn an der entsprechenden Stelle im Spiel trinken und sich zu Hyde verwandeln. Dies ist auch notwendig, da einige Rätsel oder Plattform-Einlagen nur mit Hydes Stärke gelöst werden können. Die Zurückverwandlung erfolgt dann automatisch an bestimmten Stellen im Spiel. Der Spieler muss dann warten, bis der Trank wieder zur Verfügung steht. Außerdem bietet jedes der sechs Kapitel auch ein komplexeres Endrätsel oder einen eigenen Endgegner an. Beispielsweise muss eine mechanische Hydra eliminiert werden. Dabei ist sowohl Geschicklichkeit notwendig, da der Protagonist den verschiedenen Köpfen ausweichen muss, als auch Kombinationsgabe, um sie mit den mitgebrachten Utensilien zu erschlagen. Die bereits erwähnte Minenfahrt ist dann erneut eher eine Art Rail-Actionspiel, wo sich der Spieler zum richtigen Zeitpunkt ducken oder Weichen während der Fahrt umstellen muss. Erfreulicherweise schienen uns alle Minispiel-Rätsel recht stimmig in die Story eingebunden zu sein.
Hübsche Dungeon-Vielfalt
Wer nun glaubt, dauerhafte Dungeon-Rätsel seien eintönig, dem sei gesagt, dass sich Pixelcage durchaus Gedanken über möglichst vielfältige Settings gemacht hat: Egal ob stillgelegte Mine oder Lavahöhlen - man hat durchaus versucht, aus dem eingeschränkten Umfeld das Meiste rauszuholen. Grafisch ist Jekyll & Hyde mit Sicherheit kein Highlight, aber mit Hilfe von guter Ausleuchtung und einer sich ständig bewegenden Kamera wird durchaus eine gewisse, schaurige Atmosphäre erzeugt. Dazu kommt ein stimmiger Soundtrack mit gregorianischen Gesängen. Rund 12 Stunden soll der Otto-Normal-Verbraucher für einen ersten Katakomben-Durchlauf benötigen.
Das Team präsentiert uns den aktuellen Stand von Jekyll & Hyde (l.) Stephan Barnickel (bitComposer), André Leusenrinck (Projektmanager) und Martin Grieser (Game Designer), v.l.n.r.
Fazit
Erscheinen soll Jekyll & Hyde im September ausschließlich für PC-Systeme. Die Hardwareanforderungen sind moderat. Ob der gewagte Genre-Mix funktioniert, wird erst ein ausführlicher Testbericht zu Tage bringen. Puristen werden an dem Spiel wohl eher keine Freude haben: Kein Point'n'Click, Actioneinlagen und wenige Dialoge sind nicht unbedingt die "klassischen" Eigenschaften eines Adventures. Andererseits muss man es Pixelcage und bitComposer auch anrechnen, dass sie versuchen, mit genreverwandten Elementen das häufig wie versteinert vor sich hindümpelnde Adventure-Gameplay etwas aufzubohren, ohne gleich in ein Rollenspiel oder Action-Adventure zu verfallen. Kleinere Designschnitzer wie die nur komplett abbrechbaren Dialoge oder Aktionen und Hotspots mit "Runaway-Syndrom", die erst erscheinen, wenn die Spielfigur dafür einen Grund hat, trüben den Gesamteindruck etwas. Wer jedoch gerne Indiana-Jones-mäßig durch finstere Katakomben marschiert um zahlreiche Fallen auszuschalten, auf Spiele mit düsterer, klaustrophobischer Atmosphäre steht oder offen für neuartige Gameplay-Versuche innerhalb des eigenen Genres ist, der sollte Jekyll & Hyde hingegen als denkbaren Kandidaten einmal vormerken.
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