Vorschau

von  Benjamin "Grappa11" Braun
01.05.2011
Harveys neue Augen
Skurrile Charaktere, beknackter Humor und eine vergleichsweise schnöde 2D-Grafik – das war Edna bricht aus, als es vor gut drei Jahren auf den Markt kam. Das ursprünglich als Diplomarbeit von Daedalics Kreativchef Jan Müller-Michaelis gestartete Projekt traf mit seiner humorvollen Darbietung einer im Kern sehr traurigen Geschichte einen Nerv bei den Adventure-Spielern, die das Abenteuer in nicht zu verachtender Anzahl aus dem 'Kinderregal' in ihren Einkaufskorb wandern ließen. Im Sommer dieses Jahres soll es ein Wiedersehen mit Edna und ihrem vorlauten, pyromanisch veranlagten Stoffhasen in Harveys neue Augen geben. Wir konnten vor Ort in Hamburg einen Blick auf das Spiel werfen.

Fortsetzung oder Spin-off?

Was Harveys neue Augen genau ist, da ist sich Daedalic selbst nicht so ganz sicher. PR-Chef Claas Paletta meint, dass die Bezeichnung Spin-off wohl am ehesten zutrifft, denn die Geschichte spielt zwar zeitlich nach dem ersten Teil und baut auf den Geschehnissen und Figuren des Vorgängers auf, die Hauptfigur ist aber eine andere.
Diesmal steht nämlich die brave Klosterschülerin Lilli im Mittelpunkt der Handlung. Diese ist aber nicht nur sehr brav, sondern auch sehr geduldig und pflichtbewusst. Treudoof kommt sie den Pflichten nach, die Oberin Ignatz ihr auferlegt. Aus irgendeinem Grund hat die strenge Klosterleiterin das kleine Mädchen mit den freundlichen blonden Zöpfen auf dem Kieker und weist ihr stets die undankbarsten Aufgaben zu. An jenem Tag soll sie gar im Alleingang einen von Termiten befallenen Baum befreien, während Lillis Zimmergenossin und einzige Freundin Edna – ja, die Edna - im Gemüsegarten arbeiten muss.

Überzeichnet wie eh und je

Die introvertierte und von ihren Mitschülern verpönte Lilli, der zu Beginn kaum ein Wort über die Lippen kommt, hat es bei aller Bravheit jedoch faustdick hinter den Ohren – sie selbst weiß davon nur nichts. Um die Termiten vom Baum wegzulocken, sucht sie nach etwas Süßem, das sie in einem Bienennest in der Nähe eines Brunnens vermutet. Dort spielt gerade Klosterschüler und James-Dean-Verschnitt Freeman, obwohl Schwester Ignatz dies ausdrücklich verboten hat. Mit ihrer gut gemeinten Warnung vor den Gefahren des Kletterns am Brunnen spornt Lilli den coolen Mitschüler unbewusst dazu an, noch ein bisschen mehr zu riskieren – und prompt stürzt er hinein. Im Gegensatz zum Spieler registriert Lilli den Sturz jedoch nicht und wundert sich lediglich darüber, dass Freeman plötzlich verschwunden ist.
Nun, da der Weg frei ist, versucht sie an das Bienennest zu gelangen, das Freeman nach der missglückten Aktion auf den Boden des Brunnens folgt. Seine Schmerzensschreie verhallen erneut ungehört. Lilli gelingt es, Wasser in den leeren Brunnen zu pumpen, wodurch sie letztlich an das Bienennest gelangt. Mit ein wenig Honig im Gepäck schafft sie es, die Termiten vom Baum wegzulocken. Ihr entgeht allerdings die Honigspur, die sie auf dem Weg dorthin hinterlässt - der bereits sichtlich gezeichnete Freeman muss nun auch noch eine Termiteninvasion über sich ergehen lassen. Was es mit dem kleinen Kartoffelgnom auf sich hat, der danach einen Teil des Bildes pink anmalt, überlassen wir an dieser Stelle eurer Fantasie.
Ein freundloses Dasein: Lilli lässt sich von allen unterbuttern.

Außen humorvoll, innen ernst

Diese und andere Slapstick-Einlagen sind genauso wie die skurrilen Begegnungen immer wieder für einen Lacher gut, ein Erzähler kommentiert das Geschehen zudem regelmäßig mit spöttischen Bemerkungen. Ähnlich wie bei Edna bricht aus weiß der Spieler anfangs nicht viel über Lilli und wird erst im Laufe der auf drei Kapitel aufgeteilten Handlung mehr über ihren eigentlich deutlich ernsteren Hintergrund erfahren. Während Edna im Vorgänger immer wieder von Harvey in die Vergangenheit „tempomorpht“ wurde, wird der Spieler in Harveys neue Augen ab und zu in Lillis Bewusstsein reisen. Die anfangs etwas beschränkt wirkende Hauptfigur offenbart mit der Zeit, dass sie bestimmte Ereignisse wie den Zwischenfall mit Freeman nur deshalb nicht korrekt wahrnimmt, weil sie die unschönen Konsequenzen ihres Handelns sogleich verdrängt.
Nicht nur für Freeman, sondern auch für Edna hat dieses Ereignis Auswirkungen, denn Oberin Ignatz beschließt in Folge dessen, Hilfe aus einer nahegelegenen psychiatrischen Klinik herbeizurufen. Edna befürchtet, Klinikchef Dr. Marcel könnte speziell hinter ihr her sein.
Welche Rolle Namensgeber Harvey spielen wird, wissen wir übrigens noch nicht. Der Stoffhase, so viel sei aber verraten, wird wenigstens zunächst nicht ganz so sein, wie wir ihn in Erinnerung haben.

Gleicher Stil, aufwändigere Umsetzung

Daedalic ist sich im Klaren darüber, dass ein Spiel mit der technischen Qualität des Vorgängers in der kommerziellen Vermarktung kaum ein zweites Mal funktionieren wird. Deshalb will der Entwickler diesmal mehr bei Grafik und Sound zeigen, betont aber, dass der Stil des Vorgängers grundsätzlich beibehalten werden soll.
Die ersten Spielszenen, die diesmal in voller HD-Auflösung vorliegen, wirken bereits jetzt detaillierter, die Charakteranimationen auf den ersten Blick deutlich runder. So aufwändig wie bei Daedalics The Whispered World oder A New Beginning ist die Grafik freilich nicht, trotz zahlreicher noch fehlender Animationen liegen aber bereits jetzt Welten zwischen Edna bricht aus und Harveys neue Augen.
Bemüht ist Daedalic auch um eine hochwertige Sprachausgabe, die zu diesem Zeitpunkt bereits im Tonstudio aufgenommen wird. Neben Alexander Grimm, der erneut den Hasen Harvey spricht, werden alle bekannten Figuren von denselben Sprechern vertont.
Jeder Haushalt sollte einen Staubsauger haben.

Zugänglicheres Spieldesign

Verbessern möchte sich Daedalic für Harveys neue Augen nicht zuletzt auch mit Blick auf Steuerung und Gameplay. Grundsätzlich orientieren sich die Hamburger beim Rätseldesign an Genre-Vorbildern wie Monkey Island, bei dem der Spieler an mehreren Stellen Fortschritte erreichen kann, die letztlich gemeinsam zum großen Ziel führen. Einem unnatürlich alten Herren im Kloster muss Lilli beispielsweise drei Objekte besorgen, damit dieser sich an etwas Bestimmtes erinnern kann. In welcher Reihenfolge wir diese besorgen, bleibt weitestgehend dem Spieler freigestellt.
Um das Spiel nicht zu komplex werden zu lassen, werden die einzelnen Abschnitte jedoch nicht ganz so weitläufig ausfallen. Drei Dutzend zeitgleich betretbare Räume wie im Vorgänger sind also nicht zu erwarten. Eine Hotspotanzeige wird zudem dafür sorgen, dass relevante Objekte nicht mehr so leicht übersehen werden können. Zugleich möchte Daedalic stärker darauf achten, dem Spieler genügend Tipps an die Hand zu geben, um nicht ganz so schnell Gefahr zu laufen, auf dem Schlauch zu stehen. Daedalic verspricht aber, es nicht durch zu viele Tipps zu leicht zu machen.
Im Bereich der Steuerung fällt das fehleranfällige Verbenmenü weg und wird durch einen intuitiven Mauszeiger ersetzt, der lediglich zwischen 'Aktion' und 'Betrachten' unterscheidet. Auch am Inventar und Dialogsystem schraubt Daedalic noch herum. So werden die Dialoge diesmal in Form von Symbolen angezeigt werden. Anders als in Geheimakte Tunguska, reicht es jedoch nicht, diese durchzuklicken. Der Spieler bewegt sich auch in Harveys neue Augen durch leicht verschachtelte Dialogbäume.
Lilli wirkt unschuldig, hat's aber faustdick hinter den Ohren.

Ausblick

Daedalic ist mit Harveys neue Augen auf einem guten Weg. Technisch wird das Spiel sicherlich keine Offenbarung und ob „noch abgedrehter“, wie Jan Müller-Michaelis sagt, wirklich besser ist, darüber können wir derzeit nur spekulieren. Wir konnten in der rund einstündigen Präsentation des ersten Kapitels allerdings weit häufiger schmunzeln, als das beim Vorgänger der Fall war. Die (noch nicht finalen) Verbesserungen beim Interface und die versprochenen Änderungen beim Gamedesign lassen uns auf ein unterhaltsames, deutlich zugänglicheres Abenteuer mit weniger Frustmomenten hoffen. Die Edna-bricht-aus-Fans hat Daedalic dabei unserem Eindruck nach ebenfalls fest im Auge, gerade mit Blick auf diese sollten die Entwickler aber darauf achten, nicht zu viel Komplexität herauszunehmen. Genügend Zeit für diese und andere Feinheiten stehen dem Entwickler zur Verfügung, denn das bereits vollständig spielbare Abenteuer soll nicht vor der diesjährigen gamescom im August erscheinen.

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Sieht gut aus