Nachdem Cranberry Production Spieler der letzten beiden Black-Mirror-Teile in die frühen 90er versetzte, wird man in ihrem nächsten Adventure zu einer etwas größeren Zeitreise antreten. Lost Chronicles of Zerzura beginnt im Barcelona des Jahres 1514, wo der junge Erfinder Feodor an einer Apparatur tüftelt, die Menschen durch die Lüfte tragen soll. Die Erfinderzunft des Mittelalters bewegte sich bekanntermaßen auf einem schmalen Grad. Einerseits gab es großen Bedarf an praktischen Erfindungen, doch andererseits schienen die wirklich großen Erfindungen bereits von Gott patentiert. Und als eine Art Patentanwalt Gottes mahnte die Inquisition so manchen Erfinder mit zehn Jahren Kerker ab - oder schickte ihn gleich auf den Scheiterhaufen. Eines Tages klopft die Inquisition unsanft an die Tür von Feodors Werkstatt. Doch statt des Erfinders wird sein älterer Bruder Ramon verschleppt, der sich in letzter Zeit lieber mit Archäologie beschäftigte, statt beim Bau des Flugapparates behilflich zu sein. Liegt da eine Verwechslung vor? Oder haben es die Glaubensverfechter in Wahrheit auf dieses geheimnisvolle Artefakt aus Nordafrika abgesehen, welches Ramon zurzeit untersuchte? Feodor macht sich auf, seinen Bruder aus den Fängen der Inquisition zu befreien.
Zu Lande, zu Wasser und in der Luft
Für die Verfolgung des Inquisitionsschiffes und im späteren Verlauf einer Inquisitionskarawane bedient sich Feodor verschiedenster Transportmittel. Im Korb eines Heißluftballons, an Bord mehrerer Schiffe und auf dem Rücken eines Kamels durchquert er einige interessante Orte; ausgehend von Barcelona geht es über Südspanien nach Malta, schließlich nach Tripolis und von dort über die libysche Wüste bis nach Ägypten. Diese Ortschaften, besonders die Städte des beginnenden 16. Jahrhunderts, wurden mit viel Liebe zum Detail gestaltet und wirken ausgesprochen glaubwürdig. Gebäude sind von ganz unterschiedlicher Bauweise, an einigen Stellen ist der Putz von den verschmutzten Fassaden gebröckelt und grob behauende Natursteine kommen zum Vorschein. Aus den staubigen Straßen haben sich hier und dort ein paar Pflastersteine gelöst und den lehmigen Boden darunter freigelegt. Geschäftiges Treiben, welches in einer mittelalterlichen Stadt zu erwarten wäre, bekommt der Spieler jedoch nicht zu sehen. Bis auf ein paar Händler hinter ihren Marktständen und vereinzelten Passanten bleiben die Straßen unbelebt. Immerhin liefern die Entwickler dafür auch Erklärungen; beispielsweise wurde Barcelona von vielen Bewohnern auf der Suche nach Arbeit verlassen, da sich die Küstenstadt gerade in einem wirtschaftlichen Tief befindet. Dafür werden die Ortschaften mit einigen Hintergrundanimationen belebt. Da segeln Blätter von den Bäumen, die sich langsam im Wind wiegen, aus den Schornsteinen steigt Qualm auf und Vogelschwärme ziehen über den Himmel. Gleich zu Anfang begleiten wir Feodor und Ramon bei einem ihrer Flugversuche, dessen klägliches Scheitern damit endet, dass der ältere Bruder eine Klippe hinab stürzt und auf einer Baumwurzel gute zehn Meter über dem tosenden Meer landet. In dieser Szene wird durch die vollständig animierten hohen und schäumenden Wellen ein überzeugender Eindruck drohender Gefahr vermittelt. Auch die Bewegungen der Figuren können überzeugen und es werden eine Menge Spezialanimationen geboten. Da wird Feodor von seinem Onkel mit einer herzlichen Umarmung begrüßt oder ein verletzter Gefangener humpelt aus seiner Zelle und lässt sich erschöpft auf einem Stuhl nieder. Intro und Zwischensequenzen fallen dagegen etwas sparsamer aus; statt gerenderter Filme gibt es, immerhin passend zur Epoche, nur farblose Zeichnungen zu sehen.
Mittelalterliche Klänge
Auch bei der Geräuschkulisse waren die Entwickler fleißig. Sowohl Hintergrundgeräusche, etwa zwitschernde Vögel oder plätschernde Wellen, als auch die Geräusche von Feodors Handlungen klingen überzeugend. Und sogar für passende Schrittgeräusche, immerhin ein beliebtes Versäumnis in diesem Genre, wurde gesorgt, sodass Schritte über Pflastersteine hart und über Teppiche flauschig klingen. Angenehme Musik gibt es natürlich ebenfalls zu hören, etwa zur Belohnung für die Lösung eines Rätsels. Auch die Sprachausgabe geht völlig in Ordnung; Feodor hat eine sympathische Stimme und besonders die schnippischen Bemerkungen von Jamila, einer emanzipierten Korsarin die uns ab Kapitel 3 begleitet, wurden klasse eingesprochen.
Das Rad wird nicht neu erfunden - dafür aber der Raddampfer
Die Probleme, mit denen es Feodor bisher zu tun bekam, erwiesen sich größtenteils als klassische Inventarrätsel. Doch bei einem Erfinder als Protagonisten erscheint adventuretypisches Handeln endlich auch mal glaubwürdig; das Zweckentfremden von Gegenständen zu unkonventionellen Konstruktionen ist schließlich Erfinderalltag. Auch wirkt es nicht aufgesetzt, wenn uns beispielsweise ein Fischer darum bittet, sein leckes Boot zu reparieren; immerhin verfügt ein Erfinder über handwerkliches Geschick und ist somit der Richtige für solche Aufgaben. Selbst wenn Feodor ein havariertes Segelschiff im Alleingang wieder seetüchtig machen soll und das Ergebnis als eine Art Prototyp des Raddampfers ausfällt, würde man nicht völlig ausschließen, dass sich ein Erfinder auf diese Weise behelfen könnte. Eine seltene Ausnahme zu diesen Inventarrätseln finden wir gleich zu Beginn auf Feodors Arbeitstisch. Dort bringt er eine Erfindung zu Papier, nachdem er zuvor in der Werkstatt Eingebungen gesammelt hat, beispielsweise dass sich vernähte Lederstücke zu einem Ballon aufblasen lassen oder dass ein großer Korb einen Menschen trägt. Diese Ideen gilt es nun in einer Konstruktionszeichnung sinnvoll zusammen zu stellen. Dass dies in einer bestimmten Reihenfolge geschehen muss, deren Logik schwer ersichtlich ist, lässt dieses Rätsel leider schnell in bloßes Durchprobieren ausarten. Für spaßigere Abwechslung sorgt an anderer Stelle ein spannendes Würfelspiel gegen einen Falschspieler.
Komfort im Mittelalter
Feodor steuert sich äußerst komfortabel. Wie bereits in den letzten Black-Mirror-Teilen wird innerhalb des Hauptbildschirmes nur der Linksklick benötigt; die rechte Maustaste dient lediglich im Inventar dem Betrachten und Manipulieren der Gegenstände. Fährt man über einen Hotspot, so zeigt der Cursor die jeweils mögliche Aktion an (wobei man hier den Singular beachte). Verwandelt er sich in eine Auge, so darf der Hotspot begutachtet werden, stellt der Mauszeiger eine Hand dar, so lässt sich der darunter liegende Gegenstand mitnehmen und so weiter. Ein möglicher Gesprächspartner wird durch eine Sprechblase angezeigt; bei einem Linksklick äußert Feodor sich kurz zur Person und verwickelt sie daraufhin in ein Gespräch. Auch einsammelbare Gegenständen werden nach einem Klick kurz kommentiert und wandern danach sofort ins Inventar. Da die meisten Spieler wohl sowieso in dieser Reihenfolge vorgehen – also erst betrachten, dann agieren – haben wir hiermit eine weitestgehend praktische Komfortfunktion an der Hand. Manchmal beschneidet sie aber auch die Entscheidungsfreiheit des Spielers. Im ersten Kapitel schiebt Feodor einen Topf in einen heißen Schmelzofen um darin etwas einzuschmelzen. Soll der Erfinder nun kontrollieren, ob der Inhalt des Topfes bereits schmilzt, wird dem Spieler die Option des 'Betrachtens' nicht angeboten. Klicken wir also auf den erhitzten Topf, so ergreift Feodor diesen mit bloßen Händen und verbrennt sich an diesem Hotspot natürlich die Finger.
Inquisitoren. Ich hasse diese Typen!
Natürlich gab es in unserer Preview-Version noch ein paar Ungereimtheiten und technische Probleme, welche die Entwickler bis Februar beheben sollten. Beispielsweise stand Feodor in einer Szene mit dem Rücken zu seinem Onkel, während dieser mit ihm sprach und ihm sogar einen Gegenstand übergab. An anderer Stelle ließ sich ein Korsar nicht auf ein von ihm gefordertes Objekt ansprechen, welches sich in unserem Inventar befand. Auch gab es noch einige Abstürze zu bemängeln. Dennoch konnte Lost Chronicles of Zerzura bei uns einen wirklich guten ersten Eindruck hinterlassen. Tolle Grafik, eine stimmige Geräuschkulisse und solide Rätsel hielten den Spielspaß auf einem angenehmen Niveau. Die Geschichte ist spannend und die Inquisition gibt einen glaubwürdigen Bösewicht ab, dem man als Spieler nur zu gerne das Handwerk legt. Positiv überrascht hat uns, dass das Abenteuer nochmal richtig an Fahrt aufnahm, als man eigentlich schon mit einem Ende rechnen konnte; die abschließende Suche nach Zerzura, der sagenumwobenen weißen Stadt im ägyptischen Wüstensand, dürfte so manchen Spieler angenehm an Indiana Jones and the Fate of Atlantis erinnern.
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