Zwei Jahre ist es nun her, als HMH und King Art uns erste Details ihrer Vieh-Chroniken verrieten, mit denen das Gespann das beliebte Book of Unwritten Tales ergänzen wollten. Der Umfang sollte erheblich geringer ausfallen als beim Vorgänger, dafür war ein Release zum kleinen Preis im Gespräch. The Book of Unwritten Tales eineinhalb, sozusagen. Leider wurde aus dem Plan nichts: Kurz vor der Fertigstellung ging HMH das Geld aus und musste Insolvenz anmelden, die Vieh-Chroniken verschwanden im Wirrwarr der Publisher-Pleite – bis sie bei JoWooD wieder auftauchten. Doch auch die Österreicher kamen ins Schwimmen, überwarfen sich mit dem Entwickler und strudelten ebenfalls ins Pleite-Chaos. Seitdem war das Spiel rund um das rosa Wuschelwesen an den Scheiterhaufen gebunden, der einst JoWooD war, und pfiff “Always Look on the Bright Side of Life”.
Viehquel statt Sequel
Vor Kurzem kam dann aber endlich die erlösende Meldung von Crimson Cow: Der Runaway-Publisher hat den Titel zurück nach Hamburg geholt und wird ihn voraussichtlich im Oktober in den Handel bringen. Mehr noch: Die ursprüngliche Planung wurde etwas nach oben korrigiert, das Spiel soll nun umfangreicher werden als in den alten HMH-Plänen vorgesehen, dafür aber preislich Richtung 30-Euro-Marke schielen (von unten, wohlgemerkt). Schon vor der diesjährigen gamescom durften wir eine Betaversion probespielen, die 2 der 5 Kapitel enthielt und noch ohne Sprachausgabe auskommen musste. Unsere Eindrücke wollen wir euch nicht vorenthalten. Die Vieh-Chroniken ist keine Fortführung, sondern erzählt einen Teil der Vorgeschichte von The Book of Unwritten Tales, genauer gesagt den Teil, in dem sich Nate und das knuffige Vieh kennengelernt haben. Wenig überraschend also, dass wir im ersten Kapitel den Menschen Nate über sein frisch beim Glücksspiel gewonnenes Schiff steuern. Der bunte Fantasy-Mix wartet gleich mit allerlei abenteuerlichen Elementen auf: Während sich Nate auf dem Deck des fliegenden Luft-Schiffs gegen die heranbrausende orkische Kopfgeldjägerin Ma’Zaz verteidigen muss, trifft er in der Brücke auf die sprechende Galionsfigur Mary, die ihren neuen Hausherren eher grantig willkommen heißt. Die musikalisch und optisch spannungsvoll inszenierte Szene beinhaltet aber weder Zeitdruck noch Geschicklichkeitselemente: Trotz der heiklen Situation bleibt euch alle Zeit der Welt, die Umgebung zu erkunden.
Knobeln bis zum abviehnken
Beim Spielstart dürft ihr euch für einen von zwei Schwierigkeitsgraden entscheiden. Der normale soll laut Beschreibung etwa das Niveau des Vorgängers erreichen, der schwere Modus bietet denjenigen zusätzliche Kopfnüsse, die sich vom meist moderaten Anspruch von Teil 1 unterfordert gefühlt haben. Die beiden Modi unterscheiden sich nicht nur in Kleinigkeiten wie zusätzlichen Tipps in Dialogen, sondern auch in den Rätselketten. Beispielsweise findet Nate Schwarzpulver, das er in der schweren Variante aufwändig herstellen muss, in der einfacheren Variante fertig zubereitet in einem Holzfass. Das Holzfass ist natürlich mit einem Korken verschlossen, ganz rätselfrei sollen schließlich beide Varianten nicht sein. Der höhere Schwierigkeitsgrad schaltet die eingebaute Hotspotanzeige zunächst ab, diese dürft ihr aber manuell wieder dazuschalten, ohne die kniffligen Rätsel missen zu müssen. Praktischerweise verfärbt sich der Mauszeiger, wenn die ausgewählte Interaktion möglich ist, sodass allerlei sinnlose Item-Kombinationen gar nicht erst angeboten werden. Das bedeutet aber nicht, dass jede Aktion auch ein Treffer ist: Immer wieder hat Nate für nicht funktionierende Aktionen auch spezifische Kommentare in petto. Ein guter Kompromiss aus den Extremen, nur sinnvolle Handlungen zuzulassen und immer wieder dieselben Standard-”Das geht so nicht”s abzuspulen.
Das viehrte Kapitel
Im vierten Kapitel hat Nate inzwischen das Vieh kennengelernt. Da beide Protagonisten jetzt spielbare Charaktere sind, steigt die Rätselkomplexität weiter an. In der Szene, die im gestalterisch an die paradoxe Architektur des M. C. Escher erinnernden Magierturm spielt, darf man frei zwischen dem Schönen und dem Biest wechseln und die individuellen Fähigkeiten der beiden ausnutzen. Auch oder vielleicht gerade in diesem Screen weben die Vieh-Chroniken verworrene Rätselpfade, die durchaus in der Tradition der LucasArts-Vorbilder stehen, dank reduziertem Interface und Komfortfunktionen aber weniger Frustresistenz abverlangen. Wer die Story nur in Ausnahmefällen von Rätseln unterbrochen sehen möchte, könnte sich allerdings an dem klaren Knobelkonzept des Spiels stoßen. Leider hatte unsere Version noch keine Sprachausgabe. King Art scheint in diesem Bereich aber ein weiteres Mal keine Kosten und Mühen zu scheuen, die bisher benannten Sprecher können sich jedenfalls hören lassen. So werden Detlef Bierstedt, der sonst George Clooney oder Commander Riker spricht, und Lutz Mackensy alias Doc Brown oder Al Pacino mit von der Partie sein. Nate wird wieder von Dietmar Wunder gesprochen, seines Zeichens Stammsprecher von Cuba Gooding Jr. und Daniel Craig. Er bekommt es in einem unerhaltsamen ihrem Bericht ein Video mit weiteren bereits vertonten Szenen. Die musikalische Untermalung reicht von pompös bis zurückhaltend und setzt die atmosphärischen, markanten aber nie nervigen Klänge des Vorgängers fort. Ausschnitte der Musik könnt ihr euch auf der Website zum Spiel anhören.
Auvieh Plätze, fertig, los!
Glaubt man den Entwicklern, sind die Vieh-Chroniken durch das langsame, aber lang anhaltende Weiterentwickeln seit der HMH-Pleite doppelt so lang geworden wie ursprünglich geplant. Von den zwei gespielten Kapiteln hochgerechnet scheinen die geschätzten 10-12 Spielstunden durchaus realistisch. Das ist erheblich weniger als der außergewöhnlich große Vorgänger, kann aber mit den meisten heutzutage erscheinenden Adventures gut mithalten. Wer Freude an einer witzigen Story mit abgedrehten Charakteren, jeder Menge Anspielungen aus der weiten Welt von Adventurespielen und Fantasy-Genre und an urklassischer 3rd-Person-Point-and-Click-Kniffelei hat, darf sich auf den baldigen Release des jüngsten King-Art-Adventures uneingeschränkt freuen.
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