Kickstarter hat dem Adventure-Genre einen zweiten (oder dritten, oder vierten…) Frühling beschert. Spätestens als Tim Schafer ein neues Projekt starten wollte, gab es kein Halten mehr. Der beispiellose Ansturm der Backer zeigte, wie groß der Hunger der Fans auf ein Adventure ist, das an die geliebten Klassiker anknüpft. Doch auf den Hype folgte die Ernüchterung: Nicht wenige wurden von Broken Age enttäuscht und eine gewisse Resignation machte sich breit. Bis sich Ron Gilbert und Gary Winnick schließlich bereiterklärten, die Erwartungen, die sich die LucasArts-Fans gemacht haben, zu erfüllen – diesmal wirklich.
So viel zur wohlbekannten Geschichte hinter Thimbleweed Park. Wir hatten die Gelegenheit, ein komplettes Kapitel zu spielen und euch unsere Eindrücke zu präsentieren.
Geläufig sollte die Momentaufnahme aus dem Spiel sein, die zwei FBI-Agenten zeigt. Vor dem Hintergrund einer Eisenbahnbrücke untersuchen sie eine Leiche, die sich bereits in ihre Pixel aufzulösen beginnt. Unsere Aufgabe ist, so scheint es, die Umstände des Ablebens dieser Person zu ergründen. Die beiden Agenten sind sich nicht ganz grün und vordergründig auch recht verschieden: Agentin Ray wirkt erfahren und abgebrüht, wohingegen sich Agent Reyes als Frischling gibt, der pflichtbewusst alles von Belang auf seinem Notizblock notiert. Nachdem wir den Ort des mutmaßlichen Verbrechens ausreichend untersucht haben, begeben wir uns auf einen längeren Weg in die Ortschaft. Dabei werden wir dezent auf eine der neueren Komfortfunktionen hingewiesen: Hält man die linke Maustaste gedrückt, läuft der Charakter in schnellem Tempo immer weiter. Eine sehr sinnvolle Funktion, da man doch einige Laufwege zurückzulegen haben wird.
Während unserer ersten Erkundung wird uns schnell klar, dass hier so einiges nicht stimmt. Der halbe Ort ist verlassen, im Prinzip wird alles mit Vakuumröhren betrieben und die Einwohner… Na ja… Also einige scheinen so dicht zu sein wie ein Hydrant, dem die Röhre durchgebrannt ist. Irgendwie beschleicht einen das Gefühl, dass der Ort eine Metapher für das Adventure-Genre ist: Überall wird man an den Glanz vergangener Tage erinnert und das Festhalten an altmodischer Technologie erzeugt fast ein wenig Melancholie.
Beim Besuch des örtlichen Polizeireviers wird uns schließlich dargelegt, was wir zu tun haben, um den Fall aufzuklären. Die einzelnen Schritte werden fein säuberlich auf einer Todo-Liste festgehalten. Diese ist neben dem Notizbuch ein zentraler Bestandteil des Spiels – praktisch, um nach einer längeren Pause wieder einzusteigen oder seine Gedanken zu ordnen, sollte man mal den Faden verlieren.
Charakteristisch ist die Pixelgrafik des Spiels. Dies war von Anfang an so kommuniziert und vermutlich sogar ein Grund des Kickstarter-Erfolges. Erinnerten erste Beispielbilder noch stark an die FM-Towns-Versionen der Klassiker Maniac Mansion und Zak McKracken, wurde die Grafikqualität während der Entwicklungszeit von Mark Ferrari – verantwortlich für die EGA-Hintergründe in Zak McKracken, Loom und The Secret of Monkey Island – auf ein ganz anderes Niveau gehoben. Dennoch blieb man dem originalen Stil treu. Wir bekommen zahlreiche richtig gut anzusehende Hintergründe geliefert. Verglichen mit Pixeladventures wie Technobabylon stellt man fest, dass die Hintergründe bei letzterem schon realistischer und teilweise detaillierter sind, Thimbleweed Park hält jedoch mit starker Technik dagegen. Es gibt zahlreiche und großflächige Animationen, Lichteffekte, und Paralax-Scrolling wird intensivst genutzt. Für alle, die nicht unter rigoroser Pixelallergie leiden, ergibt sich so eine sehr ansehnliche Gesamtheit.
An der Sprachausgabe gibt es ebenfalls nichts auszusetzen. Die Stimmen sind passend, die Sätze gut betont, Fehler sind keine aufgefallen. Mit etwas verringerter Lautstärke kann man die Hintergrundmusik gut mitlaufen lassen, verglichen mit den anderen Eigenschaften des Spiels fällt sie aber etwas ab. Aufgewertet wird die Vertonung jedoch durch einige ausgezeichnete Soundeffekte; beispielsweise das Bellen eines Hundes in der Ferne, das sich perfekt einfügt und der Atmosphäre sehr zuträglich ist.
Das alles sind nur Äußerlichkeiten, doch die eigentlich entscheidende Frage ist: Schafft es Ron Gilbert, das spielerische Kleinod zu präsentieren, das er versprochen hat? Ein Spiel, das an die alten Werte des Genres anknüpft? Bekommen wir eine unterhaltsame Geschichte, einzigartige Charaktere und vor allem rätseltechnische Leckerbissen vorgesetzt?
Fangen wir beim Humor an. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als eine kleine Bewegung aufkam, die genug von humorvollen Comicadventures hatte. Wie sie zu Thimbleweed Park stehen werden? Keine Ahnung. Es ist nämlich ein humorvolles Comicadventure. Das Spiel enthält zahlreiche Anspielungen auf das Adventure-Genre und die gute alte Zeit. Teilweise nah am Holzhammer, teilweise wird subtiler vorgegangen. Insgesamt so, wie man es von einem Spiel unter diesen Vorzeichen erwarten würde und gerade noch so zurückhaltend, dass man nicht zu sehr vom Spielgeschehen abgelenkt wird. Ein guter Kompromiss also. Auch der Rest des Humors ist vielschichtig. Mal flach, mal spitzfindig und oft einfach nur spaßig. Häufig ergibt er sich aus der Skurrilität Thimbleweed Parks. Man denke nur kurz über „Tauben-Brüder-Klempnerschwestern“ nach…
Ansonsten gibt sich das Spiel unerwartet atmosphärisch. Direkt zu Beginn wird man mit Ungereimtheiten konfrontiert. So scheinen beide FBI-Agenten ein Geheimnis zu bergen. Es ist auch nicht klar, warum der Sheriff einen am Weiterkommen hindert und was es mit merkwürdigen, bedrohlich wirkenden Einspielern auf sich hat, die suggerieren, dass jemand den Ort überwacht. In den ersten Spielstunden werden viele Handlungsbögen aufgebaut, die einen zum Weiterspielen motivieren und das Verlangen auslösen, mehr zu erfahren. Hierzu gehören auch die perfekt eingebetteten Rückblenden, in denen man andere Charaktere steuert, um weitere Puzzleteile der Hintergrundgeschichte zu ergründen. Diese Szenen sind in sich abgeschlossen und eine gelungene Abwechslung von der Erkundung Thimbleweed Parks mit den Agenten Ray und Reyes. Zwischen diesen kann man übrigens beliebig hin- und herschalten und für manche Rätsel benötigt man die Interaktion der beiden. Dieses Potential wird in der Vorschau noch nicht ganz ausgereizt. Es gibt nur wenige Momente, in denen Zusammenarbeit erforderlich ist, und in den meisten Situationen reagieren die beiden exakt gleich. Das bedeutet, dass man fast immer dieselben Kommentare bekommt und dieselben Aktionen durchführen kann.
Das Spiel bietet zwei Schwierigkeitsgrade, einen normalen und einen leichten. Im leichten Modus bekommt man beispielsweise mehr Hinweise und muss weniger Rätsel lösen. Der normale Modus soll sich an erfahrene Spieler richten, trotzdem ist der Schwierigkeitsgrad in den gespielten Abschnitten des Spiels niedrig. Hier darf gerne noch nachgelegt werden. Den größten Teil des gespielten Kapitels verbringt man damit, den Ort zu erkunden und Dialoge zu führen. Schön ist, dass man quasi von Beginn an sehr große Bewegungsfreiheit genießt, hier könnte auch einer der Gründe für die eher einfachen Rätsel liegen: Da man sehr viele Orte besuchen und rote Heringe sammeln kann, könnte man bei komplexeren Rätseln leicht auf die falsche Spur gelangen, das würde dann schnell in zielloses Rumgelaufe und unzählige Fehlversuche ausarten. Außerdem könnte es ein Mittel sein, ungeübte oder eingerostete Spieler sanft und ohne ein explizites Tutorial an die Spielmechanik heranzuführen.
Nicht unerwähnt sollte auch bleiben, dass das Spiel an vielen Stellen seine Kickstarter-Finanzierung preisgibt. Für Backer, die Objekte, Telefonbucheinträge, Bücher und anderes hinterlassen haben, wird die Suche danach bestimmt einen ganz besonderen Reiz ausüben und als Spieler kann man sich stundenlang mit Telefonanrufen und Bücherlesen beschäftigen.
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