Grim Fandango erschien im Jahre 1998 und ist bis dato das letzte veröffentlichte Adventure von LucasArts. Bekannt und beliebt geworden durch revolutionäre Spiele wie Maniac Mansion und Zak McKracken, beanspruchen die Kalifornier mit einer ganzen Reihe von klasse Adventures, von der Monkey-Island-Saga über Sam & Max bis hin zu Day of the Tentacle, den Olymp der Adventure-Spiele für sich.
Mit ihrem neuesten Titel, Grim Fandango, das unter der Obhut von Designer-Legende Tim Schafer (Vollgas, Day of the Tentacle) steht, wird sich das nicht ändern. Aber sonst hat sich eine ganze Menge geändert: Tastatur- anstelle von Maussteuerung, keine SCUMM-Engine, 3D-Charaktere und so weiter.
Alles beim Alten hingegen bei den bekannten Tugenden von LucasArts: abgefahrene, spannende Story, hohe Atmosphäre, einmalige Charaktere, witzige Dialoge, schwere aber logische Rätsel.
Mit Vollgas und Day of the Tentacle hat Tim Schafer bereits bewiesen, was für einzigartige Geschichten er erfinden kann. Mit Grim Fandango setzt er sich selbst die Krone auf, spielt das Adventure doch im Reich der Toten! Die Idee dazu kam Schafer anlässlich einer mexikanischen Sage, in der die Verstorbenen nach ihrem Ableben ins Reich der Toten kommen.
Ihr spielt den charismatischen Manny Calavera, der im DOD (Departhment of Death oder Dienststelle Organisierter Diplomsenser) die neu angekommenen Seelen im Reich der Toten aufgabelt, um ihnen Tickets und Angebote für ihre Reise zur 9. Unterwelt, der letzten und ewigen Ruhestätte der Toten, zu verscheuern. War die Seele in ihrem Leben eine gute, kann ihr Manny auch ein gutes und teures Ticket andrehen. Etwa die legendäre Nummer 9, ein Zug, der die ansonsten 4-jährige, gefährliche Reise durch das Reich der Toten in eine 4-minütige Bahnfahrt umwandelt. War die Seele schlecht, so bekommt sie von Manny auch ein dementsprechendes Angebot unterbreitet, was sich auch auf die Provision für Manny auswirkt. Und der braucht unbedingt bessere Kunden, da er erst selbst in die 9. Unterwelt kommen kann, wenn er sich eine genügend hohe Provision verdient hat. Manny verbrachte seine Lebzeiten mehr schlecht als recht, darum muss er sich sein Ticket in El Marrow, dem Portal ins Reich der Toten, erst verdienen.
Aber das Schicksal spielt Manny übel mit, er bekommt immer nur die bösesten Seelen, während sein neuer Arbeitskollege, Domíno Hurley, anscheinend immer die besten und heiligsten Seelen bekommt. Noch dazu macht ihm sein Chef, Don Copal, das Leben zu einer wahren Qual.
Frustriert beschließt Manny, dem Schicksal zu seinen Gunsten etwas nachzuhelfen, und mit einer List gelingt es ihm, Mercedes Colomar, einen wahren Engel im Reich der Lebenden, zu ergattern. Doch seltsamerweise kann Manny auch ihr nichts anderes als sie zu Fuß auf die gefährliche Reise zu schicken. Geplagt von einem schlechten Gewissen beschließt Manny, sie wiederzufinden.
Dabei lernt er nicht nur allerhand komisches Gesindel kennen, von revolutionären Arbeitsbienen über Feuerbiber bis hin zu riesigen Dämon aus der 9. Unterwelt, sondern besucht auch abgelegene Orte wie das Ende der Welt, den Meeresboden, den versteinerten Wald oder lernt das Nachtleben der Hafenstadt Rubacava kennen.
Nebenbei kommt Manny noch hinter eine Verschwörung rund um den Bösewicht Hector LeMans und Nummer-9-Tickets. Hector betrügt die guten Seelen um ihre Nummer-9-Tickets, die er dann an die meistzahlenden weiterverkauft. Zusammen mit seinem treuen Weggefährten und Fahrer Glottis, einem gutmütigen Dämon aus der 9. Unterwelt, der nur dazu da ist, Autos aufzumotzen (oder auch Schubkarren und untergegangene Schiffe, wenn gerade nichts anderes zur Verfügung steht) und ordentlich Gas zu geben, stürzt er sich in das gefährliche Abenteuer.
Wer von der Story noch immer nicht ganz überzeugt wurde, der wird sich sicherlich durch die weiteren Pluspunkte von Grim Fandango bekehren lassen. Die Grafik im Spiel ist wirklich gelungen, die Kombination von wunderschönen vorgerenderten Hintergründen und 3D-Polygoncharakteren im Vordergrund sieht hervorragend aus. Die ausgefallenen Schauplätze, angefangen in El Marrow, einer klar mexikanisch beeinflussten Stadt, über die Hafenstadt Rubacava, die man wohl am besten mit „Nightlife“ beschreibt, und eine Bohrinsel am Ende der Welt bis hin zu einem Mayatempel irgendwo in verschneiten Bergen sind alle wunderbar getroffen und vermitteln den Eindruck, dass sich in diesem Spiel zig verschiedene Welten tummeln.
Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass Grim Fandango in vier Kapitel aufgeteilt ist. An sich nichts Besonderes, aber jedes Kapitel spielt am Tag der Toten, also immer genau ein Jahr nach dem vorherigen Kapitel. Hört das erste Kapitel mit Manny als Kellner auf, so beginnt das zweite mit dem Calavera Cafe, einem der angesagtesten Clubs in Rubacava. Der zweite Teil endet mit Manny als Schiffsjunge, der Dritte beginnt mit Manny als Kapitän und so weiter.
In jedem Kapital finden sich die Hauptcharaktere woanders, lernen neue Orte und Charaktere kennen, so wird das Spiel nie langweilig. Aber im Laufe des 4. Kapitels kehrt man auch an bereits zuvor besuchte Orte zurück, und es ist wirklich aufregend, die ganzen Änderungen, welche die Orte in zwei, drei Jahren durchgemacht haben, herauszufinden.
Was für Klassik-Fans Mozart und Beethoven, ist für Adventure-Freunde LucasArts. Nur die Erwähnung von Namen wie Michael Land (Musik für Monkey Island) und Peter McConnel, der für die Musik in Grim Fandango verantwortlich ist, lässt Herzen höher schlagen. Zurecht, denn keine andere Softwareschmiede versteht es so wie LucasArts, mit einer bombastischen (es gibt kein anderes Wort dafür) und vielfältigen Musik einem Spiel noch die Krone aufzusetzen. Grim Fandango verfügt wohl über den besten Soundtrack aller Zeiten. Es kommt nicht von ungefähr, dass LucasArts einen Soundtrack zu Grim Fandango herausgebracht hat, und dass dieser nun, da ich diesen Test schreibe, sich in meinem CD-ROM-Laufwerk dreht. Mit Big Band, Bebop und Swing-Era-Jazz unterstreicht Peter McConnel den mexikanischen und den Film-Noir-Einfluss von Grim Fandango. Ob dramatisch, „groovy“ oder unterhaltende Musikstücke – ein Stück ist besser als das nächste. Der Soundtrack erreicht mit „Manny & Meche“ seinen Höhepunkt, ein herrlich traurig-schönes Violinenstück!
Neben einer guten Story und der richtigen Atmosphäre ist auch die Steuerung des Spiels ein wichtiger Bestandteil. Und hier ist auch leider der einzige Kritikpunkt von Grim Fandango neben den teilweise recht langen Ladezeiten zwischen den einzelnen Orten (vor allem bei langsameren Computern).
Im Sinne von „Abschied nehmen von alten Sachen“ darf die Maus bei Grim Fandango getrost in ihrem Loch bleiben, hier wird die Tastatur oder auch der Joystick herangezogen. Adventurefreunde wird dies sicherlich etwas abschrecken – ein Adventure mit Joystick? Bedeutet das nicht automatisch Action-Einlagen? Die Entwarnung folgt aber auf dem Fuß – es gibt keinerlei Action-Einlagen in Gim Fandango, das Spiel ist ein reines Adventure.
Warum also nicht mehr die beinahe perfekte Maussteuerung von Curse of Monkey Island? Designer Tim Schafer beschreit das damit, dass er den Spieler wirklich vollkommen in die Spielwelt einbinden will. In der Praxis bedeutet das: Ein konventionelles Inventar gibt es nicht, stattdessen wirf Manny nun bei einem Klick auf die Return-Taste einen Blick in seinen Mantel und zieht dort einen Gegenstand nach dem anderen hervor, der dann angesehen werden kann. Sich durch die ganzen Gegenstände immer und immer wieder durchzusuchen ist gleich zu Beginn mühsam und eigentlich überflüssig. Hat man sich für einen Gegenstand entschieden, trägt ihn Manny fortan in seiner Hand mit sich herum. Mit einem weiteren Klick benutzt er es oder steckt es wieder zurück in seinen Mantel.
Entdeckt Manny irgendwo ein interessantes Objekt, früher durch sogenannte Hotspots gekennzeichnet, dreht er seinen Kopf in diese Richtung. Ein Klick lässt ihn dann das Gesehene kommentieren, benutzen oder mitnehmen. Die Steuerung von Manny beim Laufen ist ebenfalls unglücklich gelungen, da man sich oftmals, vor allem zu Beginn, verrennt oder irgendwo an unsichtbaren Vorsprüngen hängen bleibt – schöne neue 3D-Welt! Die Dialoge werden aber zum Glück immer noch mit dem guten alten Dialog-Tree bewältigt, aus fünf oder mehr vorgeschriebenen Antworten oder Fragen kann eine ausgewählt werden.
Bei der Steuerung kann gesagt werden, dass sich ein mausgesteuerter Manny sicher effizienter und einfacher hätte bedienen lassen können. Das angestrebte Ziel von Schafer, den Spieler mehr in die Welt des Spiels einzubinden, ist mit der Tastatursteuerung sowieso nicht erreicht worden. Lobenswerter Versuch, der aber leider danebengegangen ist.
Bei Adventures ist nichts frustrierender, als wenn man nicht mehr weiterkommt, da sämtliche logische Lösungsansätze nicht funktionieren und man bloß noch durch wahlloses Geklicke weiterkommt. Bei Grim Fandango ist dies glücklicherweise nicht der Fall, die Designer in Kalifornien haben schließlich mehr als genug Erfahrung in Sachen Rätsel. Kombinations- oder 20-Schalter-umlegen-Rätsel á la Myst kommen in Grim Fandango nur ein oder zwei vor, und dabei bieten sie eine willkommene Abwechslung. Trotz neuer Grafiken und Techniken sind die Rätsel immer noch klassisch geblieben. Wenn Manny zum Beispiel einen Weg finden muss, Glottis als Fahrer für seinen Wagen zu bekommen, der Chef aber keine Zeit dafür hat, fühlt man sich in die Zeiten eines Monkey Island und Day of the Tentacle zurückversetzt.
Für sämtliche Lokalisierungen von LucasArts-Adventures sorgte Softgold bzw. THQ. Wurden früher die Piratenbeleidigungen von The Secret of Monkey Island ohne Verlust des Humors ins Deutsche übersetzt, so wurden nun professionelle und perfekt passende Synchronsprecher für die Rollen von Manny Calavera (Alf-Stimme Tommi Piper mit hervorragendem mexikanischen Akzent), Glottis und Co. gefunden. Manch andere Spielefirma kann sich bei THQ noch so einiges abschauen. Grim Fandango erlitt durch die Lokalisierung nicht den geringsten Qualitätsverlust und die hohe Latte, die LucasArts in der Originalversion bereits gesetzt hatte, wurde erreicht. Ein Lob an THQ!
Abschließend kann gesagt werden, dass LucasArts mit Grim Fandango ein weiteres meisterhaftes Adventure gelungen ist und sie nicht umsonst die Könige des Adventure-Genres genannt werden. Die kleineren Schwächen bei den CD-Ladezeiten und der Steuerung werden von der hohen Atmosphäre, der einmalig skurrilen Geschichte, den einzigartigen, unvergesslichen Charakteren, der schönen Grafik, der fehlerlosen Lokalisierung und der unvergleichlichen Musik mehr als wettgemacht, und Grim Fandango hat sich somit wie fast kein anderes Spiel einen Adventure-Treff.de-Award verdient!
Ohne zu übertreiben kann ich behaupten, dass Grim Fandango das wohl beste Adventure seit langem ist. Seit Vollgas hat mich keine Geschichte mehr so gefesselt wie die von Grim Fandango, und der Soundtrack allein ist eine Auszeichnung wert!
Adventure-Treff-Verein
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