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Test

von  zeebee
25.11.2002
Runaway
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch
86%

Kaum ein anderes Adventure hat die Gemüter der Adventurefans so hart auf die Probe gestellt wie dieses Spiel. Bereits Ende 2001 sollte es in Deutschland erscheinen, doch die plötzliche Insolvenz des damaligen Publishers Dinamic hat für eine lange Zeit die Hoffnung auf dieses Spiel zerstört. Jetzt, über ein Jahr später, hat dtp es doch noch veröffentlicht. Ist Runaway wirklich die Rettung des Adventure-Genres oder nur ein schwacher Aufguss wie Simon 3D?

Geschichte

Brian Basco, der Held des Spiels, will eigentlich nur ein Buch aus der Bücherei in Manhattan abholen und dann ab nach Kalifornien, um an der Universität von Berkeley seinen Doktortitel zu machen. Doch urplötzlich rennt ihm eine bildhübsche Frau vor sein Auto und bleibt nach dem Zusammenstoß bewusstlos auf der Straße liegen. Natürlich bringt Brian diese Frau schnellstmöglich in ein Krankenhaus und wartet, bis sie erwacht. Als sie schließlich aufwacht, erfährt Brian, dass Gina – so der Name der Sängerin – von Mafiakillern verfolgt wird, weil sie Zeugin der Ermordung ihres Vaters wurde. Kurz vor seinem Tod übergab ihr Vater Gina ein mysteriöses Kruzifix, nach dem die Killer suchen. Nun liegt es an euch, herauszufinden, was dieses Kruzifix wirklich bedeutet und warum dafür sogar Menschen umgebracht werden. Muss ich erwähnen, dass Brian selbst auf der Abschussliste ganz oben steht?

Grafik

Fangen wir mit dem Positiven an: Die Ingame-Grafik von Runaway ist sehr hochauflösend (1024x768), pixelfrei, voller Details, mit viel Liebe gezeichnet und muss sich vor keinem Disney-Zeichentrickfilm verstecken. Der Charme der Hintergrundgrafiken ist einfach grandios: Stilvolle Sonnenuntergänge, heiße Wüstentage und verlassene Geisterstädte sind genauso eine Augenweide wie die Charaktere, die sich nahtlos in das Spiel einfügen und kein bisschen aufgesetzt wirken wie z.B. in The Longest Journey. Die Animationen der Charaktere sind butterweich und interagieren sehr gut mit der Umwelt des Spiels. Wenn Brian an einer Lok hochklettert oder jemanden einen Ball zuwirft, ist es eine Freude, mit anzusehen, wie gut alles aufeinander abgestimmt ist. Das optionale Antialiasing für Besitzer moderner Grafikkarten lässt die Charaktere sogar noch einen Tick besser aussehen.

So sehr ich die Ingame-Grafik gelobt habe, umso mehr enttäuscht bin ich von den Zwischensequenzen. Zwar sind sie bis auf wenige Ausnahmen sehr gut animiert und tragen viel zur Atmosphäre bei, aber sie sind so stark komprimiert, dass man sich vor Artefakten kaum retten kann. Dass die Videos eine Auflösung von 640x480 haben und auf 1024x768 gestreckt werden verschlimmert die Sache zusätzlich. Zwar ist einzuräumen, dass das Spiel schon vor über einem Jahr in Spanien erschien, aber selbst in The Longest Journey sahen die Zwischensequenzen besser aus – und dieses Spiel erschien im Jahre 2000. Syberia, die Messlatte in Sachen Zwischensequenzen, ist nicht einmal annähernd erreicht worden. Dies ist sehr schade, denn der Inhalt der Videos hätte eine bessere Komprimierung mehr als verdient.

Musik und Sound

Schon lange vor der Veröffentlichung in Deutschland konnte man an vielen Orten des Internets MP3-Dateien des Spiels downloaden. Und das mit gutem Grund: Runaway hat seinen eigenen professionellen Soundtrack von der Band Liquor bekommen. Schon der Titelsong ist mitreißend und ich muss zugeben, dass dieser noch heute in meiner Winamp-Playlist vorhanden ist. Die Hintergrundsmusik passt sich während des Spiels gut der Situation an. In entspannten Momenten diskret im Hintergrund und bei Action treibend, so soll es sein.

Die Soundeffekte fallen ebenfalls positiv auf. Wenn Brian auf ein Metallteil springt, hört sich der Ton genauso passend an wie das Öffnen eines Tresors. Oft nimmt der Spieler die Geräusche nicht bewusst wahr, da sie so real klingen und man genau mit diesen Lauten rechnet.

Lokalisation

Herzlichen Glückwunsch, dtp! Selten hat man eine solch professionelle Übersetzung und Vertonung gesehen. Die Sprecher sind allesamt Profis und passen in allen Fällen zum jeweiligen Charakter. Besonders die Stimme von Brian klingt sehr sympathisch und weiß die Sätze richtig zu betonen, lieblos abgelesene Dialoge gibt es in diesem Spiel nicht – bei keinem Charakter. Ob Transvestit, Killer, Indianer oder „Bob-Marley-Fan“, jeder Sprecher weiß zu überzeugen. Ein kleiner Wermutstropfen bleibt jedoch: Nach einigen Dialogen ist ein Knacksen des Mikrofons zu hören. Dies ist zwar schade, aber die Vertonung ist so gut gelungen, dass jeder Abenteurer lächelnd darüber hinwegsieht.

Steuerung

Point and Click: Zeigen und Klicken. Warum neuere Spiele wie Monkey Island 4, Grim Fandango oder Simon 3D von dieser bewährten Steuerung abweichen, ist mir unbegreiflich. Pendulo hat sich nicht lumpen lassen und Runaway eine sehr intuitive Steuerung verpasst. Per Maus visiert man das Objekt oder den Ort seiner Begierde an, mit der rechten Maustaste kann man die passende Aktion wählen und mit einem Linksklick ist die Aktion des Spielers schon wieder beendet. Lobend zu erwähnen ist, dass auf unnötige Komplexität verzichtet wurde. Gegenstände kann man entweder anschauen oder das „Handsymbol“ (bei Personen das „Sprachsymbol“) verwenden, wobei sich dieses immer an den Gegenstand anpasst. So gibt es also kein „Nimm Motorrad“, sondern nur „Benutze Motorrad“, kein „Benutze Brunnen“, sondern nur „Spring in Brunnen“. Gesprochen wird im gewohnten Multiple-Choice-Verfahren, wobei es sich natürlich empfiehlt, mit allen über alles zu reden. Das Inventory-Icon sitzt am oberen Bildschirmrand oder kann schnell per Tab-Taste aufgerufen werden. Als Besonderheit sei zu vermerken, dass Brian, besser gesagt sein Oberkörper, im Inventory vertreten ist und hier direkt mit dem Spieler spricht. Will man nachschauen, was sich in einer Tasche befindet, so bückt sich Brian und sucht darin.

Bei Ausgängen verwandelt sich der Cursor in einen Pfeil und mit einem Doppelklick müsst ihr nicht mal warten, bis Brian hingelaufen ist, sondern seid sofort an Ort und Stelle. Größere Strecken werden per Landkarte absolviert, mehrere Bildschirme lang rennen müsst ihr an keiner Stelle. Mir fehlt jedoch eine Funktion wie in Syberia, mit der alle Ausgänge angezeigt werden. Besonders der Saloon später im Spiel ist sehr leicht zu übersehen.

Rätsel

Die Rätsel sind größtenteils sehr logisch aufgebaut und durch genaues Recherchieren immer lösbar. Natürlich muss bei vielen Rätseln um die Ecke gedacht werden, aber wenn das nicht so wäre, könnte man sie gleich weglassen und daher ist dies durchaus positiv zu vermerken. Einige Rätsel befinden sich jedoch jenseits von Gut und Böse: Ich kann mir bis heute nicht erklären, warum man im 4. Kapitel einen Blumentopf (!) vom Balkon werfen muss, um damit einen Gegenstand aus einer dreckigen Pferdetränke, die vom Balkon nicht sichtbar ist, zu befördern. Glücklicherweise gibt es nicht viele solche stellen, aber wenn sie doch zwei- bis dreimal auftreten, ist das ärgerlich. Ein zweischneidiges Schwert beim Lösen der Probleme ist manchmal Brian selbst. Bevor er etwas angeht, muss er definitiv wissen, warum er es macht. Manche Lösungswege, die man beschreiten will, sind korrekt, doch Brian muss erst mit anderen Personen darüber gesprochen haben oder über bestimmte Erkenntnisse verfügen. Manchmal ist Brian so kleinlich, dass er keine Person mit einem Spritzer Wasser wecken will, bevor er dies nicht in einem Buch nachgelesen hat. Sieht man von diesen Wermutstropfen ab, kann man viele schöne und einfallsreiche Rätsel lösen, die oft sehr humoristisch angegangen werden. Wenn Brian eine Kunststatue per Katapult auf die andere Seite der Straße schießt und dem Besitzer hinterher versichert, nichts mit dem Verschwinden zu tun zu haben, kommt der reichlich vertretende Humor des Spieles sehr gut rüber.

Wer kennt nicht diese Situation: Genervt klickt man sinnlos auf dem Bildschirm rum, weil die nächsten Schritte nicht klar sind. Diesen ärgerlichen Zustand kann Runaway größtenteils gut umgehen, Brian sowie andere Charaktere geben wertvolle Tipps, was als Nächstes zu erledigen ist. Im Gegensatz zu vielen modernen Adventures muss man hier jedoch immer sehr geradlinig vorgehen, Abweichungen sind so gut wie gar nicht möglich.

Einen Großteil der Spielzeit wird damit verbracht, Gegenstände zu suchen. Manchmal sind dunkle Gegenstände in lichtarmen Regionen zu finden oder ein einzelnes Blatt aus einem Haufen Blätter anzuvisieren, da kann leicht Frust aufkommen, wenn man Millimeter für Millimeter den Bildschirm absuchen muss, auch wenn das Handbuch ausdrücklich auf solche Suchaktionen hinweist. In einem Fall verdeckt sogar der Vordergrund einen wichtigen Gegenstand im Hintergrund, den man nur anwählen kann, wenn sich die Perspektive verschoben hat. Mir kommt es manchmal so vor, als versuche Pendulo damit, Spielzeit zu schinden. Für Pixeljäger vielleicht interessant, für den Rest der Abenteurer definitiv ärgerlich.

Fazit

Runaway hält viel von dem, was wir uns versprochen haben. Eine durchdachte Story mit Wendungen, viel Knobelei und fantastische Grafik. Trotz der ernsten Story, der Mafia und der Morde ist Runaway kein Thriller oder gar so ernsthaft wie z.B. Blade Runner, also ist dieses Spiel auch für Kinder ab ca. 14 Jahren gut geeignet. Brian nimmt oft andere sowie sich selbst auf die Schippe und schreckt auch nicht davor zurück, Termiten einzusetzen, um an Gegenstände zu kommen. Es ist kein Monkey Island und auch kein Blade Runner, Runaway spielt sich gekonnt irgendwo dazwischen ab und besitzt seinen eigenen Stil.

Ist dieses Spiel nun die erhoffte Erlösung für das Adventure-Genre? Werden nun wieder mehr klassische Adventures statt Action-Hybriden erscheinen? Diese Frage kann man nur mit einem klaren Jein beantworten. Runaway hat vieles, was sich der Abenteurer wünscht: knackige Rätsel, leichte Steuerung und eine sehr gute Sprachausgabe. Auf der anderen Seite gibt es zu oft unnötige Suchaktionen nach Gegenständen und Rätsel sträuben sich energisch der Logik. So bleibt mir nur zu sagen, dass Runaway ein sehr gutes Adventure ist, aber durch viele kleine Ungereimtheiten und eine recht kurze Spieldauer von 15-20 Stunden nicht den Thron der Adventures erklimmen kann. Dort halten sich unangefochten The Longest Journey und Grim Fandango. Trotzdem ist dieses Spiel eine klare Empfehlung für alle Einsteiger und Profis, da es insgesamt ebenso schön aussieht, wie es sich spielt.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Runaway ist ein gutes und vor allem gut aussehendes Adventure mit symphatischen Hauptfiguren. Leider hat das Spiel einige Schwächen im Rätseldesign, so dass es leider nicht den Thron der Adventures erklimmen kann. Zusammfassend kann man jedoch klar und deutlich sagen: ein tolles Adventure mit fast perfekter Übersetzung sowie Synchronisation.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Gute Story mit einigen Überraschungen
  • Sehr schöne Grafik
  • sehr gute Synchronisation
  • simple Maussteuerung
  • eigener Soundtrack
  • einige unlogische Rätsel
  • schwer zu findende Objekte
  • nur 15-20 Stunden Spielzeit
  • Zwischensequenzen stark komprimiert