Es geht auf Weihnachten zu, und - es ist kaum zu glauben - das Jahr 2002 bringt doch noch ein paar (mehr oder weniger) klassische Adventures ans Tageslicht. Nach Syberia veröffentlicht die Französische Spieleschmiede Microïds nun also auch noch Post Mortem, das im Paris der 20er Jahre spielt. Nach der Veröffentlichung von Syberia, und dessen (auch wirtschaftlichen) Erfolg, stand wohl außer Frage, dass Adventures sehr wohl noch erfolgreich sein können. Ob Post Mortem, dass im Vorfeld kaum angekündigt und umworben wurde, einen schönen Abschluss fürs 'Adventure-Jahr' bieten kann, soll dieser Bericht zeigen. Die deutsche Version wird voraussichtlich am 20. Dezember in deutschen Läden stehen und konnte von uns schon einmal vorab getestet werden.
Der Protagonist des Spiels ist Gus McPherson, mittelmäßig erfolreicher Maler, ehemaliger Detektiv und in Paris lebender Amerikaner. Eigentlich hat er seine Tätigkeit als Privatdetektiv hinter sich gelassen, als er selbst unter Verdacht geriet, ein Serienkiller zu sein. Eigentlich - bis die mysteriöse Sophia Blake in sein Leben tritt. Sie beauftragt ihn, den Mord an einem amerikanischen Ehepaar aufzuklären, dass enthauptet in einem Pariser Luxushotel aufgefunden wurde. Die Polizei tappt wie immer im Dunkeln, oder will vielleicht auch nicht mehr wissen? Im Laufe des Spiels nimmt die Story immer tiefere Dimensionen an. Geht man am Anfang noch von einem psychisch gestörten Täter aus, der Münzen in den abgeschnittenen Köpfen der Opfer versteckt, nimmt diese Person immer abstraktere Formen an. Die Story ist eine der besten 'Detektivgeschichten', die ich je bei einem Computerspiel gesehen habe - unabhängig vom Genre.
Mehr zu verraten wäre bei dieser Story eine Sünde, da der Spielverlauf zudem auch noch sehr unlinear angelegt ist und man immer von unterschiedlichen Stellen aus immer tiefer ins Geschehen eintauchen kann.
Post Mortem sieht sich selbst nicht einfach als Adventure, sondern viel mehr als einen Vertreter des Film Noir ('Was ist Film Noir' (engl.)). Es ist nicht das Paris, das wir kennen, sondern ein finsteres, von geheimnisvollen Personen bewohnt, die alle am Rande der Legalität handeln und nicht zu viel von sich preisgeben. Jeder der aktiven Charaktere ist irgendwie in den Mordfall verwickelt oder hat zumindest eine Meinung dazu. So ergeben sich immer wieder neue, ganz eigene Persönlichkeiten. Da gibt es vom Portier, der sich selbst für sehr pflichtbewusst hält, über den korrupten Polizisten bis zur Putzfrau, die im Selbstmitleid versinkt, fast alles. Als Spieler fühlt man sich als Teil des Ganzen, als verfolgte Person, als die Person, die Licht ins Dunkel zu bringen versucht. Zusammen mit der Story ist die Atmosphäre das Beste, was Post Mortem zu bieten hat. Dazu trägt auch bei, dass komplett in der Nacht gespielt wird. Man erblickt nie auch nur einen Sonnenstrahl, hört einen zwitschernden Vogel oder ähnliches.
Und hier kommt die erste Enttäuschung. Rätsel sind in Post Mortem - zumindest in ihrer klassischen Form - faktisch so gut wie nicht vorhanden. Das Einzige, was hier geboten wird, sind Schalterrätsel und ein paar Gegenstandrätsel. Allerdings wurden bei diesen Rätseln auch neue Wege eingeschlagen. Zum Beispiel bekommt man ein Original und eine Fälschung eines Kunstwerkes. Nun muss man bei der Fälschung die versteckten Fehler finden. Leider hat man hier noch nicht einmal beide Gemälde auf dem Bildschirm, sondern muss immer hin und her schalten. Wenn ich ein solches Rätsel will, schlage ich eine der Rätselseiten deutscher Tageszeitungen auf - und bin besser bedient. An anderer Stelle muss man aus verschiedenen chemischen Materialien den richtigen Mix finden oder mit einer Kerze ein Bild so beleuchten, dass versteckte Linien sichtbar werden. Hier enttäuscht Post Mortem schon sehr stark, den Rätseln darf aber ein gewisser Grad an Originalität nicht abgesprochen werden. Man muss allerdings auch anmerken, dass mehr Wert auf Atmosphäre und Fortlauf der Story gelegt wurde als aufs Rätseldesign. Hier wurde eher ein interaktiver Film geschaffen als ein herkömmliches Adventure.
Die Grafik hat zwei Gesichter. Zum einen die hübsch animierten, wohl geformten und gut texturierten Charakter - auf der anderen verschwommene Hintergrundgrafiken, die absolut steril und tot wirken, da nichts, aber auch garnichts animiert ist. Gespielt wird aus der Ich-Perspektive. Man ist von einer 360° Rundumsicht umgeben. Bewegungen in verschiedene Richtungen sind absolut nicht animiert, es wechseln einfach in einem Klick die Hintergründe, und man ist einen Schritt weiter. Dazu kommt noch, dass alle Hintergründe leicht verschwommen wirken. Das hat in Bezug auf Rätselsystem den Vorteil, dass alle Gegenstände gleich ins Auge stechen, man also nichts übersehen kann. Anklickbar sind sowieso nur solche Gegenstände, die man auch benutzen kann. Was ich persönlich aber am hässlichsten finde, ist, dass nur die Charaktere animiert sind, mit denen man auch interagieren kann. Die restlichen wurden einfach in 2D in den Hintergrund integriert. Das macht sich vor allem in einer Kneipe mit 30 Gästen bemerkbar. Ein Gast hebt gerade sein Bierglas, wird aber nie zum trinken kommen, da er sich ja nicht bewegen kann. Ein anderer unterhält sich mit seiner Partnerin, bewegt sich aber soviel als würde ihm ein Monster gegenüber stehen, dass nur auf Bewegungen reagiert - nämlich garnicht (das war sogar damals in Larry 1 EGA besser gelöst, selbst wenn einige jetzt sagen werden, dass man das nicht wirklich vergleichen kann). Was aber positiv auffällt, sind die Gespräche. Es wird oft in verschiedene Blickwinkel 'geschnitten', was schon ein bisschen an einen echten Film erinnert. Und noch etwas muss Erwähnung finden: Die echten Zwischensequenzen sind wunderschön animiert und geschnitten. Die Lokalitäten wirken hier sehr lebendig, Blätter fegen über die Straße, es fängt an zu regnen usw. Hier hält Microids das, was eigentlich auch für die Spielgrafik versprochen wurde.
Bei der Musik und den Sounds hat Microids ganze Arbeit geleistet. Die Musik ist sehr stimmig und passt sich stets der gegebenen Situation an. Auch die Sounds sind sehr gut. Ist es nun Gemurmel von Gästen in einem Restaurant oder der Schuss aus einer Pistole, alles wirkt sehr realitätsnah. Hier waren sicherlich, wie auch schon in Syberia, Profis am Werk.
Die Steuerung ist sehr einfach und gut gestaltet. Der Mauszeiger verändert sich bei Hotspots (zum Beispiel ein Bücherregal oder eine Person) und bei Gegenständen, die man aufnehmen oder untersuchen kann. Leider sind nur die Objekte anklickbar, die auch für die Story relevat sind. Microids hat aus seinen Fehlern bei Syberia also nicht im Geringsten gelernt und noch nicht einmal das Feedback der Fans berücksichtigt. Sowas ist einfach nur ärgerlich und nicht einfach zu entschuldigen.
Das Inventar ist sehr umständlich zu bedienen. Es befindet sich am unteren Bildschirmrand. Will man zu einem bestimmten Gegenstand, muss man immer wieder unzählig viele Gegenstände durchscrollen, um das Ziel zu erreichen. Auch das frustet nach einer gewissen Zeit sehr. Leider sehen manche Gegenstände im Inventar auch absolut gleich aus (zum Beispiel verschiedene Briefe), so dass man Probleme hat, diese zu unterscheiden. Im Hauptmenü gibt es dann noch die Möglichkeit, sich alle Gespräche und Objekte, die man angesehen hat, noch einmal anzeigen zu lassen. Für vergessliche Menschen sicherlich hilfreich.
Dann wäre da noch das im Vorfeld stark gepriesene Dialogsystem zu erwähnen, welches als sehr innovativ angekündigt wurde. Der hauptsächliche Unterschied zu herkömmlichen Systemen ist, dass man nicht mehr alle Antworten auf einmal sieht sondern jede Antwort eine eigene Karteikarte hat. Angeblich könne man ja so die Stimmung der Charaktere stark beeinflussen und den Spielverlauf in ganz andere Richtungen lenken. Denkste. Im Endeffekt muss man eh alles sagen, was am Anfang aufgeführt ist. Die Reihenfolge kann man zwar beeinflussen, das ist für den Gesprächsverlauf aber einfach nur egal. Natürlich kann man auch Stimmungen ausdrücken, nur hat das auch keinen Sinn, wenn dadurch nichts verändert wird. Man kann Personen wirklich aufs tiefste beleidigen und kränken, diese reden dann aber trotzdem weiter mit einem, als wäre nichts gewesen, wenn man eine neue Frage stellt. Und dann kommt noch ein entscheidender Nachteil des Dialogsystems zum Vorschein, der den ganzen Spielverlauf zerstören und sehr ärgerlich sein kann. Man bekommt manchmal Antwortmöglichkeiten, in denen man Sachen erwähnt, die man noch garnicht wissen kann. So weiß der Spieler schon im Vorfeld Dinge, die Gus McPherson eigentlich erst später erfahren dürfte. Man wird also regelrecht gespoilert, was einfach nicht passieren darf.
Auch hier wurde ja das Blaue vom Himmel versprochen. Von wegen perfekte Auswahl der supermotivierten Synchronsprecher. Ein zwanzigjähriger Jüngling, der klingt wie ein achtzigjähriger Greiß wirkt nicht wirklich realitätsnah. Hier wurde anscheinend auch wieder kräftig gespart. Die Sprecher wirken sehr unmotiviert, betonen falsch und man hat manchmal das Gefühl, dass sie garnicht gewusst haben, was sie eigentlich ausdrücken sollen. Eine Person, die eigentlich verzweifelt sein sollte, spricht einfach als würde sie aus einem Buch vorlesen. Auch Namen werden falsch ausgesprochen, dass jedoch nur am Rande. Ich muss ehrlich sagen, dass mir da die englische Sprachausgabe besser gefallen hat.
Post Mortem ist sicher nicht das Maß aller Dinge, sollte allerdings von allen ernsthaften Adventurefans zum Kauf in Betracht gezogen werden. Wie Syberia ist es wieder recht kurz und sollte so in 16 - 18 Stunden durchgespielt sein. Und doch ist es etwas ganz besonderes: Es hat für mich eine der besten Detektivgeschichten, die die Adventurewelt je gesehen hat. Sicher - es ist kein Epos, und wenn man es ernsthaft betrachtet eher simpel gestrickt, und doch schafft Microids es hier, den Spieler richtig ins Geschehen einzubeziehen und eine einzigartige Atmosphäre aufzubauen.
Sicher trägt auch dieses Spiel etwas zur Rettung des Genres bei, schreckt aber vor allem Adventure-Neulinge erst einmal ab. Wer bisher nur 3D Shooter kannte, wird bei der Grafik denken, er wird verarscht. Bei näherem untersuchen werden aber viele feststellen, dass Post Mortem ein wahres Meisterwerk ist. Leider verfehlt es die wichtige 80 % Bewertung wegen der schlechten Grafik, den Schnitzern im Dialogsystem und im Rätseldesign und nicht zuletzt auch der misslungenen Synchronisation - wenn auch nur knapp. Zu guter Letzt kann ich eigentlich nur eine Empfehlung aussprechen.
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