Es war einmal vor langer, langer Zeit, da ereignete sich ein Wunder im damals noch jungen PC-Geschäft: Einer der einstigen Monarchen, man sagt sich, sein Name sei Sierra gewesen, zettelte eine Revolution an. Die Revolution Grafik-Adventure. Eine wohlbeschenkte Haremsdame des Monarchen, Roberta Williams, übernahm die Führung dieses Aufstandes, dieses Aufbäumens gegen herrschende Sitten und Bräuche und Schuf ein Werk, dass nie in Vergessenheit geraten sollte und sie gab ihm den Namen "King's Quest". Damit war eine neue Ära eingeleitet, die Menschen folgten der Philosophie der Williams und noch lange schallte ihr Name in den Ohren des Volkes. Noch heute ranken sich Sagen und Mythen um die einstige Zeit, gar viele tausend Tage vergangen, und doch von schier ungreifbarer Aktualität.
Anno 2002: Die Mythen der Roberta Williams haben nicht nur ein ganzes Genre etabliert, sondern auch viele treue Fans gefunden, die noch heute, fast 20 Jahre später, die alten Klassiker feiern. In der Fangruppe "Tierra Entertainment" haben sich einige hochqualifizierte Anhänger der Sierra-Klassiker zusammengefunden und sich zur Aufgabe gemacht, diese in wesentlich höherer Qualität noch einmal neu zu produzieren, völlig ohne Budget. Im letzten Jahr haben sie das hoch gelobte King's Quest I VGA veröffentlicht, ein 1:1 Remake des Originals in authentischer VGA-Grafik und mit MP3-Soundtrack. Dieses Jahr ist der zweite Teil dran, der allerdings kein Remake mehr ist, sondern viel mehr...
Wir erinnern uns an "King's Quest II - Romancing the Throne": Der am Ende von KQ1 zum König geschlagene King Graham hat eine Vision von einer im Turm gefangenen Frau in seinem magischen Spiegel und macht sich auf, diese zu befreien. Dazu sucht er im Lande Kolyma drei Schlüssel, schließt drei mystische Türen, die im Nichts stehen, auf und wie die Geschichte ausgeht, ist selbst für Märchen-Unerfahrene kein Geniestreich herauszufinden. Deshalb hat sich Tierra einen Autor ins Team geholt, der aus der zugegeben relativ plumpen Story ein Juwel machen sollte. Und das hat er getan!
Aus der ursprünglichen Winz-Story wurde eine glaubwürdige, hervorragend erzählte Geschichte voller Wendungen und Überraschungen. Und auch wer Sierras King's Quest II bis auf den letzten Stein in- und auswendig kennt, muss sich im generalüberholten Kolyma völlig neu zurechtfinden. Wesentlich mehr als früher wird die Handlung durch Dialoge erzählt, aber auch durch Zwischensequenzen. Allein Intro und Outro sind zusammen über 20 Minuten lang. Bis auf ein grobes Grundgerüst der Story ist sonst nichts mehr übrig geblieben, teilweise wurden sogar massive Änderungen vorgenommen.
Durch das Zusammenspiel der Grafik, dem Interface und den für King's Quest typischen Motiven aus Märchen und Mythen fühlt sich der Spieler in die "gute alte Zeit" zurückversetzt. Aber nicht in die frühen 80er, sondern knapp 10 Jahre später in Zeiten von King's Quest 5 oder 6. Nicht zuletzt ist es der hochqualitative Soundtrack, die jedem Schauplatz ihren eigenen, ganz speziellen Charakter gibt. Aber auch andere Effekte sorgen für Stimmungen, die so gekonnt nur wenige kommerzielle Adventures erzeugen.
Was auffällt ist der Humor: Die ersten King's Quest Spiele strotzten nicht gerade davor, was sich - zumindest in Maßen - geändert hat. Desöfteren kann man über skurrile Situationen oder witzigen Dialoge herzhaft lachen, dennoch schafft das Spiel die Gratwanderung, nicht ins Lächerliche zu gleiten und an Atmosphäre zu verlieren. Aber auch zahlreiche geheime Eastereggs sorgen (wie auch schon in KQ1VGA) für fröhliche Stunden.
Zugegeben, die Rätsel im alten King's Quest II waren großteils wenig inspiriert und hatten kaum sinnvollen Zusammenhang. Die 15%, auf die das nicht zutrifft, sind noch im Spiel vorhanden. Satte 85% sollen komplett neu sein, und das ist sicher nicht übertrieben. Die Rätsel sind praktisch alle logisch, am Anfang leichter und später im Spiel immer kniffliger. Besonders schön ist, dass es für einige Probleme mehrere Lösungen gibt (bis zu 4!), die auch dem Punktekonto unterschiedlich zuträglich sind.
Man sollte seine Umgebung genau untersuchen, häufig gibt es subtile Hinweise in scheinbar unwichtigen Texten. Positiv ist auch die Rätselvielfalt anzumerken: King's Quest 2+ beschränkt sich nicht auf simple Inventar-Rätsel, sondern entwickelt auch andere Formen: So verstecken sich zum Beispiel in dem ein oder anderen Gedicht (die nicht selten vorkommen) kryptische Hinweise oder man muss sich eine Reihenfolge merken.
Die Grafik ist nichts für Auflösungs-Fetischisten, was aber nicht an dem Unvermögen der Grafiker liegt, sondern an dem Wunsch, den 320x200 Pixel großen Grafiken von King's Quest 5 und 6 möglichst nahe zu kommen. Und das ist gelungen. Die Grafiken stehen denen von Sierra quasi in nichts nach. Wunderschön gezeichnete Hintergründe (etwa 140 Stück!) reihen sich Glied an Glied zu einer weit größeren Welt, als Roberta Williams damals für das Spiel vorgesehen hatte. Diese gewaltige Welt ist nicht tot, ständig bewegt sich irgendwo etwas: Ob es ein vorbeifliegender Vogel, ein Schmetterling, die raue See oder ein qualmender Schornstein ist. Auch die Animationen, die animierten und extragroßen Dialogbilder, die Zwischensequenzen in Spielgrafik - alles passt zusammen.
Nur gelegentlich mischen sich stellen ins Spiel, bei denen scheinbar ein 3D-Renderer zu Hilfe genommen wurde. Glücklicherweise sind die gerenderten Grafiken sehr gut an den Stil des restlichen Spiels angepasst, sodass der unvermeidliche Stilbruch nur minimal ins Gewicht fällt. Häufig fällt nur bei genauem Betrachten der Unterschied auf.
Ausgeliefert wird das Spiel selbst nur mit einem Midi-Soundtrack. Der ist sehr gut, muss sich aber naturgemäß an die Grenzen von Midi-Musik halten. Deswegen sei jedem empfohlen, den 60 MB großen - natürlich ebenfalls kostenlosen - Zusatzdownload zu tätigen. Dieser veredelt das Spiel mit einer gewaltigen Menge an feinsten OggVorbis-Klängen aus der Feder des Profis Tom Lewandowski. Zwar ist nicht zu jeder Sekunde Musik zu hören, doch zumindest alle Schlüsselszenen sind mit einer eigenen Melodie versehen. Der Soundtrack lässt sich von professioneller Musik qualitativ nicht unterscheiden. Nur selten erkennt man ein bekanntes Thema wieder (Greensleeves...), der absolute Großteil ist eigens für King's Quest II+ komponiert worden.
An den gelegentlichen Soundeffekten gibt es nichts auszusetzen. Die selbstverständlichen ambienten Geräusche (Vogelzwitschern...) passen wunderbar in die Landschaft und verbessern auf subtile Art und Weise die Atmosphäre. Das einzige, was wirklich schade ist: Es gibt keine Sprachausgabe. Bei der großen Menge an Dialog war es einfach nicht möglich gewesen, genug Sprachaufnahmen anzufertigen, die den hohen Qualitätsstandards von Tierra entsprechen, und so hat man am liebsten ganz darauf verzichtet. Technisch gesehen ist es nicht unmöglich, später ein Voicepack anzubieten, dass dieses "Manko" behebt, wahrscheinlich ist es aber nicht.
King's Quest II+ verwendet im Wesentlichen das klassische Interface der jüngeren Sierra-Adventures: Bewegt man den Mauszeiger an den oberen Bildschirmrand, so klappt eine Iconleiste mit den verfügbaren Verben "gehen", "betrachten", "benutzen / nehmen", "reden" und "Inventargegenstand benutzen" auf, die sich auch durch mehrfachen Druck der rechten Maustaste auswählen lassen. Die GUI ist so gut nachgebildet, dass nur eingefleischte Fans noch Unterschiede erkennen können. Wo es möglich war, wurde diese sogar noch verbessert: So wechselt ein Druck der mittleren Maustaste zwischen zuletzt gewähltem Verb und "gehen" hin und her, das Mausrad scrollt wie die rechte Maustauste durch die Verben und beim Verwenden von Inventargegenständen wird der Mauszeiger zu einem Bild des Gegenstandes mit Hotspot-Markierung.
Entstanden ist das Spiel mit der mächtigen AGS-Engine von Chris Jones. Es reizt diese bis zum Letzten aus und macht sogar Dinge möglich, die kaum jemand AGS zugetraut hat. King's Quest II+ ist mit seinen 140 Räumen, über 30 Charakteren, der gewaltigen Zahl an Animationen, Musiken, Features und Effekten beste Werbung für die Engine. Das Spiel erscheint in englischer Sprache, eine deutsche Übersetzung wird es höchstwahrscheinlich nicht geben.
Mit King's Quest II+ beginnt ein neues Zeitalter in der Szene der Fan-Adventures. Vielleicht war Pleurghburg schon so umfangreich wie KQII+, vielleicht hatte ein anderes Spiel so gute Grafik und vielleicht (unwahrscheinlich) gab es auch ein Fanprojekt, das so gute Musik hatte, doch nie war ein nicht kommerzielles Projekt so komplett. Und das wurde erreicht von einem gerade mal vierköpfigen Team: Im Wesentlichen war nur ein Scripter, eine Grafikerin, ein Autor und ein Musiker beteiligt. Es ist nicht allzu lange her, da man für dieses Werk 80 DM auf den Ladentisch gelegt hätte und auch heute wäre es für Freunde des Genres sicher diesen Betrag wert.
Es spielt keine Rolle, ob man King's Quest II von Sierra kennt oder nicht. Im ersten Fall wird man unzählige Überraschungen erleben und eine fantastische Geschichte erzählt bekommen, von der man nur ein nacktes Grundgerüst kennt. Im anderen Fall wird man einfach eine fantastische, packende Geschichte erzählt bekommen, die das Herz jedes Adventure-Fans höher schlagen lässt. Danke, Tierra.
Kings Quest II+ ist ein ausgezeichnetes Fan-Adventure in kommerzieller Qualität. Nicht nur Sierra-Fans werden ihren Spaß daran haben.
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