"Thorgal - der Fluch des Odin", ein Spiel von Cryo Interactive, ist das neueste Adventure, das von Dreamcatcher Europe in Europa unter dem Label "The Adventure Company" vertrieben wird. Der Untertitel verrät es schon - es handelt sich hierbei um eine Geschichte im Land der nordischen Götter, Sagen und Mythen. Das mag zwar für manche auf den ersten Blick etwas abschreckend wirken, Adventure-Fans sollten dennoch weiterlesen.
Das Spiel basiert auf dem gleichnamigen Comic von Grzegorz Rosinksi und Jan Van Hamme und erzählt die Geschichte des Helden Thorgal Aegirsson, der von den Göttern der nordischen Welt auf eine schwere Probe gestellt wird. In einer Vision wird ihm vorhergesagt, dass er seinen Sohn Jolan mit seinem berühmten Bogen niederstrecken wird - oder ein Attentäter, der unserem Helden zum Täuschen ähnlich sieht. Für Thorgal beginnt eine verzweifelte Reise heimwärts, um seinen Sohn zu retten und zu seiner Familie zurück zu kehren. Dabei führt ihn sein Abenteuer quer durch das Land Midgar und sogar durch Raum und Zeit.
Die Geschichte wird in mehreren Kapiteln erzählt, wobei bei jedem zu Beginn automatisch gesichert wird. Die einzelnen Teile werden anhand von gezeichneten Comics miteinander verbunden. Für die Fans der Comics sicherlich ein Pluspunkt, da dies am Ende des Spieles einen ganzen Mini-Comic hergibt. Für alle anderen eine willkomene Abwechslung. Dazu wird das Spiel immer mal wieder mit ansprechend gerenderten Zwischensequenzen, die aber allesamt sehr kurz sind, aufgelockert.
Die Grafik von Thorgal ist ganz nett gemacht, vor allem die Hintergründe wissen zu gefallen, sie wurden in Zusammenarbeit mit dem Entwickler des Comics angefertigt. Leider geht es dort aber zumeist sehr statisch zu, einzelne Animationen sind die absolute Ausnahme. Passt einerseits in die düstere Atmosphäre des mittelalterlichen Nordens, ist aber auch leider etwas eintönig. Die Musik ist spärlich gesäht, aber unterhaltsam und sie trägt ihren Teil zum Aufbau der Mythenwelt bei. Auch die Soundeffekte sind sehr solide. Knisterndes Feuer, schreiende Kleinkinder oder plätscherndes Wasser - alles klingt sehr realistisch und erzeugt viel Atmosphäre (die dann aber gleich wieder dadurch kaputt gemacht wird, dass das so schön plätschernde Wasser komplett ruhig an einem Platz klebt, ohne jegliche Animation). Die Figuren sind 3D-gerendert, wie es im Adventure-Genre seit Grim Fandango zur Mode geworden ist. Genau wie die Hintergründe müssen auch sie mit sehr wenig Animationen auskommen, Mimik oder auch nur Mundbewegungen beim Sprechen sind nicht vorhanden.
Ein weiterer Schwachpunkt von "Thorgal - Der Fluch des Odin" ist die Bedienung. Der Mauszeiger reagiert nur sehr träge auf die Eingaben des Spielers und benutzbare Objekte sind kaum auszumachen, da sie weder durch eine Textzeile angekündigt werden noch (wie in Grim Fandango und Monkey Island 4) noch sonst irgendwie auffallend würden. Die betreffenden Objekte leuchten lediglich kurz auf, wenn der Cursor darüberfährt, bzw. der Cursor selbst verfärbt sich. Das ist aber nicht immer einfach auszumachen und oft muss jeder Bildschirm Pixel für Pixel abgesucht werden.
Der Bogen, den Thorgal auf seinen Reisen geschultert hat, ist alles andere als Zierde. In vielen Situationen ist er ein wichtiger Schlüssel zur Lösung von Rätseln und Auseinandersetzungen. Diese gibt es leider recht häufig. Dabei wird der Gegner nicht einfach von einem Pfeil durchbohrt. Vielmehr muss sich der Spieler einfallen lassen, wie er - oftmals mit Einbezug der Umgebung - den Gegner über Umwege ausschalten kann. Das heisst nicht, dass ihre Widersacher nicht den direkten Weg wählt, was in einem regelmäßigen Ableben des Heldens endet - und beim letzten Speicherstand wieder anfängt.
Der Tod lauert Thorgal überhaupt hinter vielen Ecken, oftmals unvorbereitet, auf. Eine nervige Szene ist beispielsweise das Forschungszimmer eines Magiers. Einmal den Raum betreten und einen Gegenstand berührt, fällt auch schon die schwere Eisentür ins Schloss und Giftgase beginnen den Raum zu füllen. Jetzt heisst es blitzschnell kombinieren, denn die Sanduhr an der Ecke beginnt unerbittlich zu rinnen. Wer hier die nötigen Rätsel gleich beim ersten Mal in der vorgegben Zeit löst und so dem Ableben entrinnt, ist wahrlich ein Künstler. Alle anderen müssen hoffen, nicht allzu lang davor mal gespeichert zu haben.
Die Rätsel werden keine Anfänger abschrecken, dafür echte Profis vielleicht zu wenig fordern, was auch in einer recht kurzen Spieldauer enden kann. Es handelt sich beinahe ausschließlich um direkte Rätsel mit wenigen Kombinationen. Meistens muss nur der richtige Gegenstand gefunden und der richtigen Person gegeben werden. Selten sind mehr als drei oder vier Objekte zur selben Zeit im Inventory, dass man über einen Klick mit der rechten Maustaste erreicht.
Bei manchen Rätsel spielt auch Zeit eine maßgebende Rolle - angezeigt wird das durch eine Sanduhr am linken Bildschirmrand, in der die verfügbare Zeit zur Lösung des Problems dahinrinnt. Nur ein paar wenige Rätsel fallen aus diesem Schema heraus und orientieren sich eher an Spiele wie Myst. Aber auch diese lassen sich mit etwas Herumprobieren und Überlegen lösen.
Die deutsche Version von "Thorgal" ist lediglich untertitelt. Die Gespräche werden allesamt in Englisch geführt, wobei sich die Entwickler anscheinend nicht lange mit der Auswahl passender Sprecher aufgehalten haben. Durch die bereits erwähnten, kaum vorhandenen Lippenbewegungen und der sehr eingeschränkte Mimik geraten Gespräche bald zur Tortur, auch weil sich nicht wie üblich unter mehreren Dialogmöglichkeiten aussuchen lässt. Statt dessen reicht ein Klick auf den Gesprächspartner und Thorgal wird automatisch den Satz sagen, der für die Situation gerade vom Spiel vorgesehen ist.
Noch weniger Zeit als bei der Auswahl der Sprecher wurde wohl auf die technische Umsetzung der deutschen Untertitel verwendet - diese reichen nämlich oft über den Bildschirmrand hinaus, sie hört also mitten im Wort oder sogar mitten im Satz auf. Das Handbuch ist dafür komplett auf Deutsch.
Thorgal ist ein durchschnittliches Adventure, ohne wirklich große Schwächen, aber auch ohne echte Höhepunkte. Gute Ansätze wie die nett gemachten Hintergrundgrafiken, stimmungsvolle Musik und die düstere Atmosphäre werden von einer schlechten Steuerung, nervigen Action-Einlagen und groben Schnitzern im Spieldesign aufgehoben. Für Fans des Comics aber sicherlich eine Empfehlung, Adventure-Freaks können ebenfalls einen Blick wagen (trotz allem ist endlich mal wieder ein klassisches Point & Click-Adventure).
Nette Ansätze werden durch einige Schlampigkeitsfehler im Spieldesign verdeckt. Fans des Comics und der nordischen Wikingerwelt sollten sich davon aber nicht abschrecken lassen.
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