Mit gespannter Mine schiebe ich die CD ins Laufwerk. Und nach einem zugegeben recht schaurig-schönen Vorspann fällt die Dunkelheit über mich herein...
... nur leider nicht die Dunkelheit, die ich mir von Dark Fall 2 erhofft hatte: Das Spiel schmiert nach dem Intro auf Grund eines Quicktime-Fehlers auf meinem Windows 98 System schlicht ab, wenn ich auf das Logo mit dem sinnigen Namen "darkfall2.exe" klicke, das mir das Setupprogramm auf meinen Desktop geklatscht hat.
Erst auf Windows XP gelingt es mir, das Spiel zum Laufen zu bewegen - dann aber auch erfreulich problemlos. Frisch ans Werk dimme ich das Licht, schließe mich in meinem Zimmer im obersten Stockwerk unseres Hauses ein und bereite mich auf einige gruselige Winterabende vor.
Mittlerweile sind ganze drei Wochen vergangen, aber der Klick auf das merkwürdige Desktop-Icon bringt mich mittlerweile mehr zum Gähnen. Nun gut, zugegeben, ab und zu grusele ich mich noch ein bisschen vor der Grafik, oder dem erschreckendem „Scripting“ - aber im Großen und Ganzen nutze ich Dark Fall 2 mittlerweile eher als Einschlafmittel (der Untertitel ist ja sinnigerweise „Lights Out!“). Doch alles erst mal der Reihe nach.
Es sind nun knapp 2 Jahre her, als der Brite Jonathan Boakes die Adventuregemeinde mit einem völlig in Eigenregie produzierten Adventure überraschte. Gut, Fanadventures gab es schon einige - aber für ein Soloprojekt war Dark Fall 1 tatsächlich eine Meisterleistung: Selten hatte jemand zuvor es vermocht, mit so simplen Mitteln so eine unheimliche Atmosphäre zu erschaffen.
Die Qualität überzeugte wohl auch The Adventure Company und so sicherten sich diese flugs die Rechte an dem Projekt und vermarkteten es direkt als Stand-Alone Produkt. Nun ist der zweite Teil der Reihe erschienen, wieder unter dem Label von TAC und wieder hat ihn Boakes prinzipiell fast in Eigenarbeit erstellt.
Die Geschichte beginnt 1912, nachts, im Fischerdorf Trewarthan. Der Kartograph Benjamin Parker wurde in diese verlassene Einöde geschickt, um die bislang unsauber gezeichnete Gegend erneut abzubilden. Doch schon bald stößt Parker auf weit mysteriösere Probleme als die ungenauen Karten: Der Dorfarzt Dr. Demarion scheint ein Geheimnis zu kennen, welches mit dem Leuchtturm auf der Insel Fetch Rock zusammenhängen soll. Als Demarion von Parker auch noch verlangt, in einer Nacht- und Nebelaktion mit einem kleinen Boot zu dieser Insel überzusetzen, scheint das Abenteuer unvermeidlich.
Eins vorneweg: Teil 2 ist umfangreicher. Zumindest was die Locations und die Spiellänge (und den benötigten Festplattenplatz) betrifft. Spielte Teil 1 noch in einem verlassenen Bahnhofshotel, dreht es sich diesmal um einen unheimlichen Leuchtturm. Der ist zwar nicht ganz so groß, kann aber in verschiedenen Zeitepochen bereits werden. Die Parallelen zu dem schon etwas älteren Sierra-Adventure "Lighthouse" scheinen auf der Hand zu liegen.
Was nicht heißen soll, dass Dark Fall 2 einfallslos wäre. Boakes hat sich diesmal noch mehr als in Teil 1 ins Zeug gelegt, viele spannende Neben-Plots in die Geschichte mit einzubringen. Die meisten dieser Erzählungen sind in Tagebuchaufzeichnungen oder Büchern festgehalten. Und wenn man über das Spiel eine sichere Aussage treffen kann, dann ist es diese: Zu lesen gibt es genug! Wen also einige Textseiten nicht abschrecken, der bekommt bei Dark Fall 2 zumindest schon mal spannende Geschichten en masse geliefert.
Problematischer wird es hier schon bei der Grafik, die Boakes natürlich auch komplett selbst erstellt. Trugen die sterilen und finsteren Grafiken in Dark Fall 1 noch sehr gut zur knisternden Spannung bei, können die neuen Rendergrafiken in Lights Out nicht mehr vollständig überzeugen. Hier spielt sich bedeutend mehr in freier Natur ab und da das Gestalten von natürlichen Umgebungen wie Gesteinsformationen nicht gerade zu Boakes Stärke gehört (bzw. per Rendering sowieso eine Kunst für sich darstellt), wirkt der Grafikstil dadurch bedeutend unprofessioneller und kaum mehr zeitgemäß.
Besonders offensichtlich werden die Schwächen bei Tageslicht – in Dark Fall 1 konnte Boakes diese noch sehr gut in purer Dunkelheit oder in Blitzlicht-Effekten verstärken und auf die Fantasie der Spieler vertrauen. Hier bietet sich der eigenen Vorstellungskraft nur ein jäher Abgrund in einer Welt aus meist steifen Standbildern.
Es soll aber nicht der Eindruck erweckt werden, Boakes habe sich nicht weiterentwickelt. Prinzipiell ist die Grafik viel umfangreicher und farbenprächtiger als in Teil 1. Nur sollte man sich fragen, ob sich Boakes hier nicht einfach zu viel vorgenommen hat: Im Bereich realistischer Grafiken wird der geneigte Spieler heutzutage einfach besseres gewohnt sein. Man darf schon froh sein, wenn sich alle Jubeljahre mal ein Rad im Wind dreht, sich eine Puppe bewegt oder das Wasser mit einem eigenen Welleneffekt versehen wurde. Wenn ich allerdings auf der Spitze des Leuchtturms durch einen „stehenden“ Nebel wandere, dann fühle ich mich eher an die größten Probleme aus der Frühzeit der Renderadventures erinnert – diese sollte man nicht erneut begehen.
Apropos Frühzeit – Dark Fall 2 arbeitet wie schon im ersten Teil mit der Software Director und all den damit verbundenen Einschränkungen. Myst-Anhänger kennen das Prinzip noch aus dem ersten Teil: Simples Point’n Click mit dem Hand-Mauszeiger auf der Grafik führt einen entweder zum nächsten Slide, legt einen Hebel um oder vergrößert ein Bild. Inventargestaltung ist mit Director eher kompliziert umzusetzen und so gibt es auch nicht allzuviele Gegenstände mitzunehmen (aber immerhin gibt es ein Inventar). Für Kombinationen von Gegenständen gibt es zudem schon so gut wie gar keinen Aufwand: Ein Schraubenschlüsselsymbol zeigt an, dass auf einen Bildschirm ein Gegenstand angewendet werden muss, ein simpler Klick ins Inventar auf das richtige Objekt reicht dann völlig aus. Die Puzzles selbst beschränken sich zudem auf viel (ausführlichen) Lesestoff, das Eingeben von Codes (aus dem Lesestoff) oder dem Bedienen einiger (nicht allzu schwerer) Maschinen. Und wo wir schon bei „Frühzeit“ sind: Zeitreisen spielen bei Dark Fall 2 diesmal eine ganz besondere Rolle.
Das Interface ist also im Großen und Ganzen sehr intuitiv und dürfte für Niemanden ein größeres Problem darstellen. Leider kommt auch Dark Fall 2 um einige lästige Pixelhunt-Probleme nicht herum: Hin und wieder muss der Bildschirm schon sehr genau abgesucht werden, um noch einen entsprechenden Hotspot zu entdecken.
Problematischer noch als die Pixelhunts ist das etwas starre Scripting. Lights Out ist zwar prinzipiell recht nicht-linear und lässt dem Spieler große Freiheiten. Wenn es aber um das Erschließen neuer Regionen geht, kennt das Spiel keine Gnade. Boakes wollte sich damit wohl unnötige Scriptarbeit ersparen, indem er bestimmte Bereich erst dann für den Spieler zugänglich macht, wenn er alles andere notwendige erledigt hat. Ziemlich ärgerlich wird das ganze, wenn man dann zwar in einem Tagebuch von einer geheimen Höhle am Fuße des Leuchtturms erfährt, der entsprechende Hotspot aber erst verfügbar wird, wenn man andere – teilweise belanglose - Aktionen durchgeführt hat. Noch problematischer wird das Ganze, wenn man, wie der gepeinigte Autor dieses Artikels, jeden der vielen Bildschirme zwar Pixel für Pixel absucht und noch dazu von einem unsichtbaren Geist mit Ausdrücken wie „Hier rüber“ oder „Nein, hier rüber!“ in die Irre geführt wird, nur um später festzustellen, dass die entsprechende Region halt einfach noch nicht zugänglich war.
In einem anderen Fall teilt der Arzt Demoriam unserem Spielhelden mit, er solle seine Sachen aus der Hütte holen und mit dem Boot zur Insel Fetch Rock übersetzen. Ärgerlich nur, wenn es in der eigenen Hütte eigentlich gar nichts mehr mitzunehmen gibt, das Boot aber trotzdem nicht anklickbar ist, weil man einen x-beliebigen Bildschirm an einen ganz anderen Ort schlicht und ergreifend noch nicht gesehen hat.
Noch was zu den Gesprächen: Eine weitere Neuheit in Dark Fall 2 ist neben dem größerem Umfang auch die Möglichkeit, mit Charakteren zu sprechen. Diese sind jedoch nur sehr vereinzelt zu finden und zudem meist so dargestellt, das nicht mal Mundbewegungen zu sehen sind. Außerdem sind die Multiple Choice Gespräche wenig aufschlussreich: Im Dialog mit Demoriam ist es mit wenigen Ausnahmen ganz egal, welchen Satz man anklickt – die Antwort ist immer die gleiche. Vermutlich wollte Boakes mit seinem Versuch, Charaktere in die stille Welt von Dark Fall einzubauen den schon seit Myst bestehenden Vorwurf entkräften, Renderwelten seien grundsätzlich langweilig, die sie unbesiedelt seien. Dabei macht für viele Fans dieses Genres gerade die Exploration unerforschter Welten den Reiz aus. So wirkt das plötzliche und kurzfristige Auftreten einiger Charaktere eigentlich nur noch unrealistischer.
Wie bereits erwähnt war es die größte Stärke des ersten Teils, mit der Vorstellungskraft des Spielers zu spielen. Dazu zählten neben den grafischen Effekten wie Einblendungen von Menschen innerhalb von Millisekunden in einem Stroboskoplicht auch eine Geräuschkulisse, die nur ganz wenige Spiele bisher erreichten - schon garnicht im "Independent-Sektor". So wisperten im alten Hotel immer wieder mal unsichtbare Geister, ließen Türen urplötzlich zudonnern oder das Telefon klingeln – natürlich immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Dark Fall 1 hatte damit endgültig auch die Wichtigkeit und die Stärke von Ton in einem Spiel erwiesen.
Schade, dass Dark Fall 2 an dieser Idee nicht anknüpfen kann. Zwar gibt es auch hier wieder wispernde Geister und ähnliche Soundeffekte – nur werden diese leider bei weitem nicht mehr so effektiv eingesetzt wie im Vorgänger: Hallende Schritte aus dem Keller, die sich zudem fast immer an der gleichen Stelle wiederholen oder undeutliches Sauseln aus einer Telefonanlage erzeugen bei mir nicht wirklich eine gruselige Atmosphäre. Einen Teil der schlechteren Audiogestaltung könnte auch die deutsche Synchronisation beigetragen haben. Während im englischen Original von Teil 1 die Geister beispielsweise oft nur flüsterten und man nur ganz entfernt überhaupt den Satz heraushören konnte, bekommt man in der deutschen Version von Lights Out gleich überdeutlich Nägel mit Köpfen serviert - insgesamt ist daher die deutsche Lokalisation im Vergleich zur internationalen Fassung nur durchschnittlich. Schade!
Generell muss man aber zugeben, dass die deutsche Übersetzung größtenteils gelungen ist. Gleiches gilt auch weiterhin für die Soundkulisse, von der sich trotz der erwähnten Mängel die meisten Spieleentwickler immer noch eine Scheibe abschneiden könnten. Sie ist immer noch sehr gut, nur eben nicht mehr so gut wie im ersten Teil. Weniger erfolgreich ist Boakes auch mit der Auswahl der Musik. Wohl auch um den Unabhängigkeitscharaker des Adventures zu unterstreichen hat er diesmal auf simple Streicher-Melodien gesetzt. Das passt zwar thematisch sehr gut zur Atmosphäre des Spiels, wenn aber zum x-ten Male an der gleichen Stelle die gleiche Violine mit dem gleichen Thema aus den Boxen zirpt, hat man zugegeben irgendwann die Streicherei satt.
Das mag sich nun alles sehr negativ anhören, soll aber trotzdem nicht davon ablenken, dass Dark Fall 2 eine gewisse Atmosphäre aufbauen kann. Im Bereich von Renderadventures gibt es beileibe bedeutend populärere und trotzdem schlechtere Beispiele. Zudem zeigt die immer noch große Resonanz von Fans zum zweiten Teil der Dark Fall Saga in zahlreichen Internetforen, dass viele Spieler Spaß auch an diesem Teil von Jonathan Boakes gefunden haben. Zudem: Technik ist oft nicht alles – denn eines liefert Dark Fall 2 ohne Zweifel: Eine spannende Geschichte. Vorkenntnisse aus Dark Fall 1 sind übrigens nicht nötig, es gibt nur ganz marginale Überschneidungen aus beiden Teilen.
Boakes größter Fehler dürfte diesmal folgender sein: Er hat versucht, die großen Ego-Adventures in Eigenregie zu kopieren. Herauskommen ist dabei ein Produkt, welches sich im Sumpf der zahlreichen Renderspielchen kaum mehr abheben kann. Dark Fall ist beliebig geworden – dabei hatte genau die Innovationen von Dark Fall 1 das Spiel zu so einem Renner gemacht. Oder wie es der Regisseur Robert Rodriguez immer ausdrückte: „Zu viel Erfolg und zu viel Mittel zerstören grundsätzlich Kreativität und Innovation.“
Trotzdem: Für unverbesserliche Ego-Zocker dürfte Dark Fall in zweierlei Hinsicht eine willkommene Zeitreise sein: Neben der Story fühlt man sich bei Lights Out unweigerlich an die großen Klassiker der Mitt-90er erinnert – mit all seinen Schwächen und Stärken. Wer also mit altertümlicher Grafik, einer zugegeben noch recht guten Soundkulisse, dem Interface und Stil von Myst 1, dafür mit leichteren Rätsel und einer gehörigen Textflut etwas anfangen kann, der kann einen Blick auf Dark Fall 2 werfen. Allen anderen Render- und Leuchtturmfreunden sei eher zum schon etwas betagteren „Lighthouse“ geraten. Das hat neben einer schwächeren Soundkulisse eine ähnliche Grafik, ist mindestens genauso umfangreich (wenn auch schwerer) und gruselig, kostet dafür aber nur ein Viertel von Dark Fall 2.
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