Test

von  Jan "DasJan" Schneider
12.11.2004
Myst IV Revelation
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch
87%

Etwa ein Jahr ist es jetzt her, als Cyan mit Uru seine überaus populäre Myst-Serie in eine neue Dimension führen und ein neues Kapitel der Adventure-Geschichte aufschlagen wollte. Enttäuschende Absatzzahlen sorgten jedoch dafür, dass der geplante Online-Modus schon vor dem eigentlichen Start eingestampft wurde und jetzt praktisch ungewartet von einigen unerschütterlichen Fans in Eigenregie fortgeführt wird (siehe Untìl Uru). Auch das Einzelspieler-Erlebnis wurde eher gemischt aufgenommen, zu umfangreich waren wohl die Innovationen wie die Einbettung der Spielwelt in unsere Zeit oder das 3rd-Person-3D-Konzept. Jetzt hat Ubisoft Myst IV Revelation veröffentlicht und kehrt damit zurück zu den spielerischen Wurzeln der Serie. Und Myst IV ist zweifellos ein außergewöhnliches Spiel...

Behutsame Einführung

Zu Beginn wird der Spieler langsam an die Spielwelt herangeführt. Nach einer Gondelfahrt zusammen mit der zehnjährigen Yeesha, die in Myst III noch als Baby zu sehen war, trifft man auch ihren Vater Atrus, der wie immer von Myst-Erfinder Rand Miller gespielt wird. Wie in einem Tutorial lernt man in dieser Phase die einzelnen Elemente des Spiels kennen und löst auch das erste Rätsel unter Aufsicht und mit Ratschlägen von Atrus. Erst während der weiteren Erkundung der Welt "Tomahna" ereignet sich plötzlich eine Explosion und alles beginnt, aus den Fugen zu geraten. Yeesha ist verschwunden und auch Atrus ist nirgendwo zu sehen.

Der Spieler bereist, wie es in der Serie üblich ist, andere Welten, die er durch spezielle Bücher erreicht. Im Zentrum von Myst IV stehen Yeeshas Brüder Sirrus und Achenar, die Myst-Veteranen schon vom allerersten Teil her kennen dürften. Sie haben ihren Vater hintergangen, seine Fähigkeit, eigene Welten zu schreiben, ausgenutzt und sind schließlich auf getrennte Gefängniswelten verbannt worden. Unter anderem auf diesen wird man im Laufe des Spiels auf die Suche nach wertvollen Hinweisen und knackigen Rätseln gehen, die Sirrus und Achenar dort hinterlassen haben.

Keine Angst vor Myst

Wer bisher keinen Draht zu Cyans Werken hatte, muss nicht befürchten, in einer überkomplexen Geschichte unterzugehen. Im Handbuch wird die relevante Vorgeschichte auf einer Seite zusammengefasst. Echte Myst-Kenner werden natürlich ein tieferes Verständnis für die Geschichte entwickeln können und Revelation in einem umfangreichen Gesamtkontext sehen, der aber zur Lösung nicht notwendig ist.

Ein häufig genannter Kritikpunkt der Vorgänger war die Einsamkeit, mit der der Spieler die phantasievollen Welten bereist hat. Nur selten trifft man darin auf andere Charaktere, interaktive Dialoge gibt es gar nicht. Zwar gibt es im jüngsten Teil mehr Gesellschaft als sonst, Plaudertaschen sollten aber dennoch zu anderen Titeln greifen. Ein Großteil der Handlung wird nicht direkt, sondern durch hinterlassene Aufzeichnungen oder Rückblenden erzählt. Ein Amulett ermöglicht es dem Spieler, an vielen Punkten Yeeshas Erinnerungen abzurufen, die sie mit diesem Ort verbindet. Insgesamt braucht man übrigens keine Angst vor zu vielen zu langen Tagebüchern zu haben. Texte jeder Art finden sich zwar auch in Revelation wieder, fast alle davon sind jedoch relevant für Rätsel, nicht zu ausufernd geschrieben und dennoch sehr interessant zu lesen.

Geschmackssache

Myst ist nicht für jeden. Schon immer haben sich daran die Geister geschieden wie an kaum einem anderen Spiel und daran ändert sich auch in diesem Fall nichts. Was für die einen die perfekte Mischung aus entspannendem Gameplay und fordernden Rätseln, aus exotischer Spielwelt und involvierendem Gameplay ist, wirkt für die anderen nur uninteressant und langweilig. Jeder wird für sich selbst entscheiden müssen, ob er diesen Spieltyp mag oder nicht. Aber was ist so "anders" an Myst?

Aus vielen anderen Spielen bekannt ist die Steuerung aus der Ego-Perspektive mit Rundumsicht, abschnittweise klickt man sich von Punkt zu Punkt. Da immer aufwändige Animationen und Echtzeit-Effekte geladen werden müssen, passiert das gerade auf schwächeren Rechnern nicht unbedingt schnell und Geduld sollten Myst-Spieler auf jeden Fall reichlich besitzen. Ungewöhnlicher ist da schon das Fehlen eines Inventars - alle Rätsel werden durch direkte Manipulation der Spielwelt gelöst, "Benutze Ast mit zweiköpfiges Eichhörnchen" sucht man vergebens. Auch Dialoge gibt es keine, nur gelegentlich reden andere Realfilm-Charaktere auf den Spieler ein. Held von Revelation ist, wie auch bei den anderen Teilen der Myst-Serie, kein vorgefertigter Charakter, sondern der Spieler selbst. Dementsprechend ist er nie im Bild zu sehen und eine Stimme hat er auch nicht.

Konsequente Verbesserungen

Besonders durchdacht ist das Interface von Revelation. Der Mauszeiger hat die Form einer Hand, Hautfarbe und Händigkeit lassen sich im Menü einstellen. Diese interagiert direkt mit der Spielwelt, will man also einen Hebel ziehen, reicht es nicht, diesen nur ein mal anzuklicken, man muss ihn vielmehr greifen und mit der Maus ziehen. Dieses Konzept wurde konsequent durchgehalten, auch bei komplexeren Bewegungen, und macht die Umgebung ein ganzes Stück begreifbarer - im wahrsten Sinne des Wortes. Auch mit nahen Wasserpfützen oder verschiedenen Tieren kann der Spieler so interagieren. Überhaupt ist die Welt in Myst IV voll von Details und Spielereien, die nicht unbedingt nötig wären, aber alles glaubwürdiger und echter erscheinen lassen.

Harte Nüsse

Die Rätsel sind in den seltensten Fällen Situationen, die man im Alltag vorfinden würde. Vielmehr basieren sie auf einer gründlichen Erkundung der Umgebung, vielen Notizen und knallharter Logik. Wer sich nicht intensiv mit der Spielwelt beschäftigt, hat kaum eine Chance, ohne Hilfe den Abspann zu erreichen. Häufig ist das größte Problem, herauszufinden, was überhaupt getan werden muss und nicht wie man es tut. Dabei sind die Aufgaben trotz Inventar-Abstinenz sehr vielseitig: Von den typischen Maschinenrätseln über Rätsel, die mit der Tierwelt zu tun haben hin zu visuellen oder akustischen Herausforderungen.

Der Schwierigkeitsgrad liegt insgesamt sehr hoch. Manche Rätsel erschließen sich nur durch intensives Studium der Umgebung und logisches Denken. Neben der sinnvollen Möglichkeit, im Spiel Fotos zu schießen, was den Verbrauch von Notizzetteln deutlich reduziert, haben die Entwickler auch ein integriertes Hilfesystem eingebaut. In drei Stufen kann man sich dort zunächst subtile Hinweise, dann deutlichere Tipps und schließlich (fast) ganze Lösungen durchlesen. Die Lektüre dieser Anleitungen führt zwar in der Regel dazu, dass man das entsprechende Rätsel löst, zu einem tieferen Verständnis desselben fehlen aber leider meistens genauere Beschreibungen. Zudem führt ein Anzeigefehler in der deutschen Version dazu, dass hier und da ein paar Zeilen verschluckt werden.

2D at its best

Wer sich bis hierhin nicht hat abschrecken lassen und bereit ist, sich auf eine Spielmechanik abseits der üblichen Point&Click-Einheitsware einzulassen, findet in Myst IV ein ganz besonderes Spiel. Dem Team von Ubisoft ist es nämlich hier gelungen, ein audiovisuelles Erlebnis zu schaffen, das so zur Zeit wohl einzigartig ist.

Früher wurde den Myst-Spielen oft vorgeworfen, kaum mehr als starre Diashows mit Rätseln zu sein. Das hat sich geändert. Was in Myst IV an Dynamik über den Bildschirm flimmert, lässt jedes andere Adventure wie einen schwarzweißen Fotoroman dastehen. Die Zahl der vorgerenderten Animationen ist enorm, was bei einer Vollinstallations-Größe von 8 Gigabyte auch zu erwarten ist. Sträuche und Bäume wehen im Wind, ein Aufzug kommt von der Ferne herangefahren, in den Wellen auf dem Wasser spiegeln sich entfernte Strukturen. Während sich in Tomahna gelegentlich einer der vielen umherfliegenden Vögel an den Spieler herantraut und sich für kurze Zeit auf einem nahen Geländer niederlässt, streifen in der Dschungel-Welt Haven noch viel mehr Tierarten durch Wald und Sumpf.

Sie fallen den Spieler an, helfen ihm, stehen ihm im Weg, mustern ihn verwundert oder warnen Artgenossen vor ihm. Einige Vögel fliegen ab und zu senkrecht ins Wasser, um einen Fisch zu fangen, ein fliegendes Gefährt taumelt vor sich hin, Flüsse durchziehen das Gelände und treiben riesige Wasserräder an und so weiter. Die Animationen sind teilweise äußerst lang und haben mehrere Varianten, sodass nie der Eindruck entsteht, Dinge würden sich immer gleich wiederholen.

Technische Glanzleistung

Die technisch absolut überzeugende Spiel-Engine ist in der Lage, Animationen großflächig anzuzeigen, ohne dem Spieler die Kontrolle zu entreißen. Wenn Atrus am Anfang das Spiels am Spieler vorbei an die andere Seite des Raumes geht, kann man ihm hinterhersehen, oder es lassen. Auch im Aufzug auf Tomahna, der durch drei Fenster einen Blick nach draußen gewährt, kann man sich während der Fahrt nach Belieben umblicken. Nur wenn sich rundum alles bewegt, schaltet Revelation auf vorberechnete, feste Videos um. Das sind dann häufig spektakuläre Kamerafahrten, bei denen man gerne auf die Kontrolle über den Blickwinkel verzichtet.

Und selbst da, wo keine vorgerenderte Animation abläuft, steht das Bild nur selten still. Trotz 2D-Technik intensivieren zahlreiche Echtzeit-Effekte den Eindruck von einer echten, lebendigen 3D-Welt. Der Schatten der Wolkendecke, die sich langsam vor der grellen Sonne herschieben, ziehen langsam über Berge und andere Terrains. In Gebäuden schimmern einfallende Lichtstrahlen subtil in der Luft und über dem leicht flackernden Licht von Tischlampen deuten langsam aufsteigende Staubpartikel die erhitzte Luft an. An einigen Stellen kann man mit dem handförmigen Mauszeiger durch Wasser streifen und so realistische Wellen erzeugen.

Wind trägt Sand durch enge Pässe im Gebirge und nachts funkeln die Sterne am Himmel. Eine zuschaltbare Tiefenunschärfe-Option setzt den optischen Fokus auf die Bildebene, über der der Mauscursor schwebt, indem alles andere ettwas an Schärfe verliert. Praktisch nirgendwo steht der Spieler vor einem Bild, in dem sich nichts bewegt. Nur an einigen Stellen könnte man sich ein etwas mehr Schäre wünschen.

Klangwelten

So spektakulär die Optik ist, so opulent ist die Musik. Dass ein Soundtrack von einem professionellen Orchester eingespielt wird, ist nicht unbedingt neu, hier aber nur die Spitze des Eisbergs. Hauptverantwortlich für die Musik war wie schon in Myst III Jack Wall, der auch in Titeln wie Splinter Cell oder Unreal II seine musikalischen Finger im Spiel hatte. Dazu kommt ein Song von Ex-Genesis-Sänger Peter Gabriel, der im Spiel sogar sein eigenes, optisch faszinierendes "Musikvideo" bekommen hat. Zusätzlich zu dem Orchester und den beiden Musikern waren ein 8-köpfiger Chor, eine 6-köpfige Band, ein knappes Dutzend Solo-Musiker, 4 Solo-Sänger und etliche Tontechniker sowie Verantwortliche für die Soundeffekte an der akustischen Ausgestaltung des Titels beteiligt. Herausgekommen ist ein gewaltiger Soundtrack, der die Stimmung des Spiels an jeder Stelle hervorragend unterstützt.

Zusammen mit modernen Surround-Effekten, einer stimmigen ambienten Soundkulisse, die zum Beispiel den Wind auch entsprechend pfeifen lässt und den Geräuschen, die zum Material passen, wenn man mit dem Cursor auf einen beliebigen Gegenstand tippt, ist die Akustik nicht weniger als perfekt. Auch die deutsche Sprachausgabe ist gut gelungen, auch wenn der ein oder andere Sprecher qualitativ ein wenig abfällt.

Fazit

Myst IV ist kein Spiel, Myst IV ist Urlaub. Urlaub in einer fantastischen, unglaublich lebendigen Welt voller glaubwürdiger Fantasy und knackigen Rätseln, einer mystischen Welt mit einer tiefen Hintergrundgeschichte, interessanten Charakteren und einer einmaligen Optik. Das starke, konsistente Konzept ist das Erfolgsgeheimnis der Myst-Serie und auch Revelation lässt hiervon nichts vermissen. Spielerisch ist und bleibt es klare Geschmackssache, viele Fans "klassischer" Adventures werden sich mit dem Titel zu Tode langweilen, die Qualität der Umsetzung ist aber über alle Zweifel erhaben und wird vermutlich noch lange Referenz bleiben - vielleicht ja, bis Myst V die Grenze des Machbaren wieder auf eine neue Ebene hebt.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Das müssen die Erfinder der CD-ROM in ihren Träumen gesehen haben, als sie Zauberbegriffe wie Multimedia geprägt und echt wirkende, interaktive Welten prophezeiht haben. Mir war das ein oder andere Rätsel vielleicht schon ein bisschen zu hart, der Kaufpreis würde sich aber auch ganz ohne Rätsel schon lohnen für eine beeindruckende Demonstration dessen, was mit dem Medium DVD heutzutage möglich ist. Oft habe ich einfach staunend die Spielwelt betrachtet und die ausstehenden Rätsel einfach einen Moment zurückgestellt.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Fantastische, dynamische Grafik
  • Perfekter Soundtrack
  • Dichte, glaubwürdige Spielwelt
  • Intuitives Interface
  • Manche Rätsel hart an der Grenze
  • Spielerisch Geschmackssache