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Test

von  Sebastian 'basti007' Grünwald
13.01.2006
Agatha Christie - Und dann gabs keines mehr
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch

"Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?"

Das ist es also: Das erste Adventure unter der Agatha-Christie-Lizenz. Und nach Willen der Produzenten soll es auch nicht das einzige Christie-Adventure bleiben. Inwieweit 'Und dann gab's keines mehr' als Auftakt-Adventure einer ganzen Reihe taugt lest ihr in unserem Test!

'Und dann gabs keines mehr' (im englischen Original 'And then there were none') könnte man als Urvater aller Whodunit-Krimis bezeichnen: zehn Männer und Frauen werden zu einer Feier in einem Herrenhaus auf einer einsamen Insel eingeladen. Doch der mysteriöse Gastgeber taucht nicht auf - stattdessen spielt sein Dienstherr lediglich eine Schallplatte ab. Die Stimme aus dem Grammophon bezichtigt jeden Anwesenden eines Mordes. Keine zehn Minuten vergehen, und schon segnet die erste der zehn Personen durch ungeklärte Umstände das Zeitliche. Was danach folgt ist das '10-kleine-Negerlein'-Prinzip, übrigens auch der ursprüngliche Titel der Romanvorlage, welcher der 'Political Correctness' wegen geändert wurde (im Spiel spricht man statt von 'Negerlein' deswegen auch lieber von 'Leichtmatrosen').

Agatha Christie ist eine Meisterin der Wendung und Irreführung. In 'Und dann gabs keines mehr' spielt sie mit den Vorahnungen der Leser - just in dem Moment, in dem man glaubt, den Schuldigen erkannt zu haben, wird eben dieser ermordet aufgefunden und die Verdächtigen reduzieren sich so nach und nach auf immer weniger Personen. Damit das Rätselraten auch im Spiel gut funktioniert hat sich Autor Lee Sheldon (u.a. Rätsel des Master Lu, Dark Side of the Moon) bei der Interpretation des Stoffes gewisse Freiheiten genommen. So bietet das Spiel beispielsweise verschiedene Endsequenzen (darunter auch ein 'Bonus-Ende', das Agatha Christies Version erzählt) und eine ganze Reihe an Neben- und Unterplots, die in der Originalgeschichte nicht zu finden sind, sich aber sehr gut in die Romanvorlage einfügen. Der Spieler übernimmt die Rolle des Bootsmannes Narracott, der nach der wilden Überfahrt nicht mehr zurückkehren kann, da sein Boot zerstört wurde. Im Folgenden verbringt er die Nacht also ebenfalls im Herrenhaus und versucht sich sozusagen als selbsternannter Privatschnüffler.

"Sehen sie mich gefälligst an, wenn ich mit Ihnen rede!"

Die Grafik von 'Und dann gabs keines mehr' ist im Prinzip nur zweckmäßig. Der Großteil des Spiels findet in dem Anwesen auf der Insel statt - gestaltet ist es allerdings nicht so schön. Viele der Räume sind detailarm gerenderte Grafiken mit wenig Texturen und nur geringer Atmosphäre. Animationen beschränken sich auf ein bisschen Regen oder Blitze vor dem Fenster. Bei der spannungsgeladenen Romanvorlage, hätte man daraus deutlich mehr machen können. Darüber hinaus wirkt die Technik des Spiels recht altbacken.

Da wären besonders die Charaktere zu erwähnen. Die sind im Gegensatz zu dem lieblos gestalteten Anwesen ja noch ganz detailreich - zumindest in der totalen Perspektive. Geht das Spiel aber in Close-ups über und zeigt die Figuren in den vielen Sprachsequenzen in Porträtperspektive - sonst ja ein häufig viel zu selten genutztes Feature bei Adventures - können die Modelle nicht wirklich gefallen. Das liegt zum einen an der recht mickrigen Animierung: Die Figuren gehen zum Teil recht steif. Beim Gespräch gibt es außerdem meist nur eine Mundbewegung, nämlich auf und zu. Spezielle Mundwinkel sind nicht auszumachen - Lippensynchronität erst recht nicht. Dazu kommt, dass Gespräche auch nicht abgebrochen werden können. Zudem wirken die Charaktere relativ unproportioniert. Das Hauptmanko aber ist das völlige Fehlen von Mimik. Die Figuren schauen sich beim Sprechen praktisch nie an, teilweise stehen sie mit dem Rücken zueinander, die Augen sind glasig und der Blick starr, der Kopf bewegt sich kaum und auch Gestik gibt es nur das Standardprogramm wie mal am Kopf kratzen oder die Hände ausbreiten. Spätestens hier wird deutlich, dass sich hinter den Figuren halt eben nur ein einfaches Drahtgestell verbrigt. Wirkliche 'Seele' haucht das Spiel Christies Charakteren also nicht ein.

Das ist besonders schade, denn 'The Adventure Company' hat sich bei der deutschen Lokalisation alle Mühe gegeben. Die Sprecher bringen noch am meisten Atmosphäre in das Spiel und es macht wirklich Spaß, ihnen zuzuhören. Schade, dass die Figurmodelle des Spiels diesen Atmosphärebonus nicht mittragen können.

"Bitte rechts drücken!"

Wenn man von den Zwischensequenzen mal absieht, äußern sich die Charaktere zudem auch nur, wenn man sie anspricht. Gerade in abgeschlossenen Erlebniswelten wie hier wirkt das manchmal ziemlich unrealistisch: So treffen sich zu Beginn des Spiels alle Teilnehmer im Auditorium und stehen mit ihren steifen Drahtgittergerüsten erst Mal nur starr im Saal herum und schweigen: Keine Tätigkeit, keine Handlung - höchstens leichtes Schwanken. Man könnte doch erwarten, dass sich die Gäste zumindest etwas unterhalten. Doch selbst als einer von ihnen in der selben Szene urplötzlich zu Boden sinkt und stirbt rührt sich von den Gästen schlicht niemand. Lediglich der Arzt grummelt ein kurzes: 'Er ist tot.' Danach warten wieder alle fleißig darauf, vom Spieler ausgequetscht zu werden, während die Leiche am Boden vor sich hinblutet.

So ein Verhalten ist einfach wenig realistisch und nimmt einen aus dem Spielgeschehen heraus - und damit auch den Spielspaß. Gerade für ein Adventure, das sehr viel mit Zwischen- und Filmsequenzen arbeitet, hätte man hier mehr erwarten können. Apropos Filmsequenzen: Die sind im Großen und Ganzen eigentlich ganz gut geworden, unterscheiden sich von den Ingame-Sequenzen grafisch aber nicht besonders. Vor allen Dingen wirken manche Sequenzen etwas ruckelig, als wären sie nur mit 15 oder noch weniger Bildern pro Sekunde gerendert worden. Auch bei so was müsste eigentlich noch mehr gehen. Diese Kleinigkeiten ergeben in der Summe ein Gesamtbild, das 'Und dann gabs keines mehr' von einem Topspiel unterscheidet. Erwähnen könnte man noch einiges - beispielsweise dass Narracott bei Schwungtüren mit der Hand immer rechts drückt, selbst wenn dort eigentlich das Scharnier sitzt, dass sich Objektbeschreibungen selbst dann noch nicht abbrechen lassen, wenn man sie schon zehn Mal gehört hat, dass man Textobjekte erst umständlich in das Notizbuch übertragen muss, bis man sie lesen kann usw... Dazu gesellt sich ein Bug, der das Spiel beim Betrachten eines Buches unter Umständen zum Absturz bringt (jedoch nicht am weiterspielen hindert).

"Entschuldigung, die Platte hängt..."

Was die Musik betrifft so ist hier das gleiche anzuführen wie bei der Grafik: sie ist nicht mehr als zweckmäßig. Im Prinzip ist sie sehr eingängig und passend. Jede Szene wird meist durch ein Klavierstück begleitet, was zunächst sehr gut zur Atmosphäre beiträgt. Leider hört man sich an den sonst recht hübschen Melodien aber auch recht schnell satt, zumal die Stücke fast durchgehend in Endlosschleife gespielt werden. Weniger wäre hier manchmal mehr.

"Narracott, warum hast Du so große Taschen? - Damit ich mehr kombinieren kann!"

Das Gameplay ist ansonsten ordentlich: das Spiel spricht in erster Linie den storyinteressierten Spieler an, sodass die Rätsel nicht allzu schwer sind. Für die Motivation ist das ein großer Pluspunkt, was über die oben erwähnten technischen Mängel hinwegtröstet. Wirkliche Ratefüchse sollten um das Spiel also lieber einen größeren Bogen machen. Problematischer als das Rätseldesign könnte da schon eher das manchmal doch recht ausuferende Inventar werden. Im späteren Verlauf wird man um ein wenig Herumprobieren wohl nicht herumkommen. Zudem muss man manchmal etwas viel im Haus umherlaufen, um den richtigen Raum oder die richtige Person zu finden, die weitere Handlungssequenzen auslösen und das Spiel vorantreiben. Freunde von großen Inventarsammlungen und der schon aus den Kheops-Titeln (u.a. Rückkehr zur geheimnisvollen Insel) bekannten Multi-Kombinationsleiste werden dagegen ihre helle Freude haben. Recht positiv ist auch Lee Sheldons Interpretation der Geschichte - man merkt dem Spiel schon an, dass sich ein Drehbuchautor mit der Romanvorlage befasst hat: Zu jedem der Anwesenden gibt es zahlreiche Hintergrundinformationen zu entdecken - aus Briefen, Tagebüchern oder persönlichen Gegenständen. Innerhalb der Geschichte bleibt das Gefüge dabei trotzdem relativ kohärent und stimmig - mit Sicherheit eine Leistung, die man im Adventuregenre honorieren muss. Christie-Fans werden sich bei dem Spiel jedenfalls nicht vor dem Kopf gestoßen fühlen. Auch, dass das Spiel zahlreiche Nebengeschichten und Optionales anbietet ist bei den derzeitig recht steifen und linearen Adventures eine erfrischende Wohltat.

Leider wirkt sich die Qualität der Geschichte nicht auf die bereits erwähnten Mängel im Gameplay aus: Nicht nur beim Verhalten der Charaktere (wie in der bereits erwähnten Auditorium-Szene) wurde schlampig gearbeitet - auch bei einigen Dialogen erwartet man von Lee Sheldon eigentlich Interessanteres. Hätte man am Ende auf solches Finetuning und auf Grafik und Musik etwas mehr Wert gelegt, hätte 'Und dann gabs keines mehr' ein sehr gutes Adventure werden können. Angesichts der sehr wertvollen Lizenz kann man nur hoffen, dass die noch folgenden Agatha-Christie-Titel den Qualitätsstandard etwas höher schrauben, um sich aus der Masse der beliebigen Titel hervorzuheben.

Wer auf neueste Technik verzichten kann und ein Fan von Detektivadventures oder Agatha Christie ist, kann durchaus zuschlagen. Alle anderen Mord- und Totschlaginteressierten besorgen sich lieber das technisch deutlich fortschrittlichere Still Life und drücken dafür bei Synchronisation und beim Finale beide Augen zu.

 



thumb
Vorsicht, Bug! Im Laufe des Spiels findet man ein Buch über die Imkerei, das auf vielen Systemen zum Absturz führt, wenn man es liest. Vor dem Lesen sollte man also auf jeden Fall abspeichern! Ein Patch für dieses Problem ist zum aktuellen Zeitpunkt leider noch nicht vorhanden.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Und dann gabs keines mehr ist ein Spiel, dass durchaus Spaß machen kann, wenn man sich an den vielen kleinen Mankos nicht stört. Mich haben sie auf Dauer jedenfalls gestört: Die ewig vor sich hindudelnde Musik, die wenig detailreiche Grafik, die man auf Grund der wenigen Locations aber immer wieder zu Gesicht bekommt, zahlreiche kleinere Fehler im Gameplay... Irgendwann verfliegt die anfängliche Euphorie, die Motivation auf das Spielicon zu klicken wird immer geringer und der Wunsch in die Komplettlösung zu blicken immer stärker. Summa Sumarum: Und dann gabs keines mehr ist ein ganz gutes, leicht überdurchschnittliches Adventure für Zwischendurch - nicht mehr und nicht weniger.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Handlungsvielfalt
  • Geschichte
  • Synchronsprecher
  • viele CloseUp-Dialoge
  • Atmosphärische Musik...
  • ... die aber durch Dauereinsatz auf die Nerven geht
  • sterile Modelle
  • unrealistisches Verhalten der Charaktere
  • Bug beim Betrachten eines Buches
  • Mühsame Suche nach Triggern