Test

von  LGH
17.09.2005
Bone - Out from Boneville
Getestet auf Windows, Sprache Englisch

Es war einmal...

... ein Riesenaufschrei in der Adventure-Fangemeinde, als LucasArts die Produktion vom sehnlichst erwarteten Sam and Max 2: Freelance Police einstellte und im gleichen Atemzug auch das gesamte Adventure-Genre für tot erklärte. Um die gleiche Zeit herum werden etliche Mitarbeiter entlassen, während andere das Boot freiwillig verlassen.

Als kurz danach Ex-LucasArts Mitarbeiter Dan Connors mit ein paar Kollegen die Spieleschmiede Telltale Games gründet, und nach einer Weile selbst Dave "Tentacle" Grossmann zu dieser Firma hinzustößt, horchten natürlich viele Spieler auf.

Nach einem kleinen Kartenspiel ist das erste Adventure der recht jungen Spieleschmiede Bone: Out from Boneville, das auf dem gleichnamigen ersten Band der (hierzulande recht unbekannten) Comic-Serie von Jeff Smith basiert.

Zur Zeit ist das Spiel nur in englischer Sprache verfügbar und wird exklusiv via Internet-Download verkauft. (Über das Portal Tellltale Now kann man das Spiel, das anfangs nur als Demo funktioniert, gratis runterladen. Mit Kreditkarte oder Paypal kann man dann den Rest des Spiels freischalten. Zur Demo wäre noch anzumerken, dass sie die eigentliche Atmosphäre des Spiels kaum rüberbringt, und man leider erst nach dem Demo-Ausschnitt richtig ins Spiel "rein kommt".

Knochenschwund

Wäre Phoney Bone, der reichste Mann von Boneville, doch bloß nicht so geizig und skrupellos. Durch seine Schuld wurden die drei Bones-Vetter aus der Stadt vertrieben und stranden ohne Karte, Nahrungs- und Wasservorräte mitten in der Wüste. Was Phoney genau verbrochen hat, weiß der Spieler anfangs auch nicht so genau, das erfährt man erst im Laufe der Geschichte. Fest steht, dass der geizige Phoney Bone, der gutmütige und sympathische Fone Bone und der leicht naive, dafür aber stets gut gelaunte Sänger Smiley Bone ganz schön in der Klemme sitzen.

Und als ob das nicht genug wäre, wird die kleine Familie jetzt auch noch durch einen unglücklichen Umstand vollends auseinander gerissen. Ziel der ersten Bone-Episode ist es vor allem, die verlorenen Vettern wieder zusammenzuführen. Dabei begegnet man unter anderem gefräßigen Rattenkreaturen, einem selbstbewussten Mädchen, einer hilfsbereiten Wanze und einem sprechenden Drachen. Gezählt wird die Geschichte hauptsächlich aus der Sicht des netten Fone Bones, aber auch in Rolle des gereizten Phoney Bone darf man gelegentlich schlüpfen.

Bone zeichnet sich vor allem durch die sehr interessanten Charaktere aus, die einem alle irgendwie ans Herz wachsen (selbst der geizige Phoney und die Bösewichte haben zum Teil auch sympathische Züge). Auch die Dialoge sind sehr lebendig, abwechslungsreich und lustig... wobei weniger auf direkte Pointen oder Wortspielereien gesetzt wird, wie man es beispielsweise von Monkey Island oder Clever and Smart her kennt, sondern vor allem auf die Eigenarten der Charaktere, Schauplätze und Situationen.

Von Wüsten und Tälern

Die Hintergründe von Bone wirken auf den ersten Blick ziemlich leer, schlicht und unnatürlich sauber. Räume, die mit etlichen Details gefüllt sind (herumschwirrende Insekten, aufgewirbelte Blätter oder herumliegende Tannenzapfen) wird man in diesem Spiel vergeblich suchen. Auch auf Lichteffekte, Schattenwürfe oder Wasserspieglungen wird weitgehend verzichtet. In der Wüste sieht der Boden braun und glatt aus, im Tal sieht er dann halt grün und glatt aus.

Aber all das tut der Comic-Grafik keinen größeren Abbruch, lebt sie in diesem Spiel doch vor allem von der Bewegung. Dadurch, dass das gesamte Spiel nicht wie die meisten Adventures mit vorgerenderten Hintergründen arbeitet, sondern in Echtzeit-3D daher kommt, erlebt man kaum statische Bildschirme im Spiel. Während man sich bewegt, scrollt die Grafik schön mit, und auch wenn man um die Ecke biegt, wird die Ansicht meist nicht "umgeschaltet", sondern man sieht wie die Kamera kurzerhand eine 90-Grad-Drehung vollzieht. Die besondere Stärke der Animationen wird aber während den Dialogen sichtbar: Gesichtsmimik und Körperhaltung werden so gut in Szene gesetzt, wie man es selten in Computerspielen zu Gesicht bekommt (außer vielleicht in The Westerner). Auch hier finden zahlreiche und vielfältige Close-Ups statt, und gelegentlich schwenkt die Kamera von einer Person zur anderen rüber. So machen Dialoge wirklich Spaß!

Die Ohren essen mit

Was würde diese tolle grafische Umsetzung der Dialoge bringen, wenn sie schlecht vertont wären? Gott sei Dank hat Telltale auf professionelle Sprecher gesetzt und sich mit der Tonregie so richtig ins Zeug gelegt. Die Gespräche sind stets lebendig, und auch die Gefühle der Personen werden gut rübergebracht.

Die Musikuntermalung trägt ebenfalls gekonnt dazu bei, die Atmosphäre des Spiels zu unterstützen. Man könnte die Musik wohl sehr gut mit der aus Monkey Island 2 oder Day of the Tentacle vergleichen, und das bedeutet sowohl, dass sie hervorragend komponiert, stimmungsvoll, abwechslungsreich und passend ist... aber auch, dass man ihr anhört, dass das keine echten Instrumente sind. Altes Midi-Feeling lässt grüßen.

Zeige und klicke

Wer vorhin beim Abschnitt über die Grafik die Augen verdreht hat, als Wörter wie "Echtzeit-3D" oder "The Westerner" gefallen sind, darf ruhig aufatmen: die Tastatur darf man getrost beiseite schubsen, denn gesteuert wird mit einer ur-klassischen Point-and-Klick Steuerung. Der Cursor verwandelt sich in eine Hand, wenn man etwas benutzen oder einpacken kann, in eine Sprechblase, wenn man Plaudern kann und mit einem Rechtsklick kann er zum Betrachten in eine Lupe verwandelt werden. Und trotz 3D-Engine und einigen Kameraschwenks funktioniert die Steuerung einwandfrei. Im Gegensatz zu Fennimore Fillmore haben die Bone-Vetter nie Schwierigkeiten beim zielgenauen Herumspazieren, und auch die Kamera ist stets optimal gedreht, um nichts zu verpassen.

Trotz der kinderleichten und bequemen Steuerung muss jetzt ein wenig über das Interface genörgelt werden: Eine Doppelfunktion zum Laufen käme hin und wieder gelungen (auch wenn man in diesem Spiel wirklich nicht viel durch die Gegend läuft). Und warum um alles in der Welt bin ich auf 8 Felder für Spielstände beschränkt, und muss ständig meine alten Spielstände überschreiben? Schließlich ist ein PC doch kein Gameboy-Advanced mit beschränkter Speicher-Kapazität!

Adventure? Ja! Rätsel? Jein...

Klassische Inventarrätsel sind in Bone sehr, sehr selten! Mehr als drei Gegenstände befinden sich zu keinem Zeitpunkt im Inventar. Maschinenrätsel gibt es überhaupt keine. Waffen zum Glück auch nicht. Und Minispiele im wahrsten Sinne des Wortes gibt es eigentlich auch nur zwei: am Anfang des Spiels (im gratis verfügbaren Demo-Teil) muss Bone vor Heuschrecken flüchten. Der Held wird direkt mit der Maus nach links und rechts gesteuert, mit einem Klick springt man über Hindernisse. Und am Ende des Spiels gibt es noch einmal eine ähnliche Einlage, nur etwas schwieriger. Aber keine Bange, auch ich als Action-Legastheniker konnte diese Szene ohne weiteres schaffen.

Aber worin besteht das Gameplay denn nun, werden sich jetzt sicher einige fragen. Nun, zu 80 Prozent aus den hervorragenden Multiple-Choice Dialogen. (Kleine Innovation ist übrigens auch, dass man sich des öfteren mit zwei Gesprächspartnern gleichzeitig unterhalten kann, wobei man zwei Charakter-Icons zur Verfügung hat, um den Anzusprechenden zu wählen.) Und dann gibt es noch "spezielle" Rätsel, die recht originell und einzigartig sind. Zwar liegen sie schon fast an der Grenze zwischen Rätseln und Minispielen, aber außer den zwei erwähnten Sequenzen sind eigentlich alle "Situationen" mit dem herkömmlichen Point-and-Klick System oder dem Dialogsystem zu bewältigen, und auf Zeitdruck oder Reaktionsschnelligkeit wird ebenfalls verzichtet. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel verraten, aber abwechslungsreich ist das Gameplay auf jeden Fall.

In der Kürze liegt die Würze?

Dass downloadbare Episodenspiele kürzer als Vollpreistitel sind, liegt wohl in der Natur der Sache. Dennoch muss davor gewarnt werden: Selbst für den etwas geringeren Preis ist das Spiel wirklich kurz. Schnellzocker, die sich bei den Dialogen zielstrebig durchklicken, werden in etwa zwei Stunden den Abspann zu Gesicht bekommen. Genießer, welche die Dialoge bis ins letzte Detail auskosten, können immerhin bis zu vier Stunden in der Welt von Bone verbringen.

Wodurch ist dieses Spiel so kurz? Nun, zum einen ist der Umfang selbst recht gering. Bereits bei dem Download von gerade mal 73 Megabytes könnte man schon stutzig werden. Zum anderen wird das ganze durch einige Faktoren aber noch wesentlich verschärft: Man irrt in diesem Spiel praktisch nie durch die Gegend herum, und wird immer sofort zum richtigen Ort geführt. Das geht manchmal sogar soweit, dass die Grafik beim Spazieren mit weiterscrollt, ein rückwärts-scrollen aber nicht möglich ist. Weiterhin hat das Spiel einen extrem niedrigen Schwierigkeitsgrad. Selbst ohne die eingebaute Hilfefunktion (wenn man auf das Fragezeichen in der rechten unteren Ecke klickt, erhält man einen Tipp; klickt man mehrmals werden die Tipps noch konkreter) käme es in diesem Spiel wohl kaum zu einem Hänger von mehr als einer Minute! Frustrationsfreier könnte ein Adventure wirklich nicht sein... bis vielleicht zu dem Moment, wo nach recht kurzer Spielzeit plötzlich die End-Credits über den Schirm laufen. Und dass das Spiel (zumindest teilweise) mit einer Art Cliff-Hanger aufhört, wird wahrscheinlich in Anbetracht des Episoden-Konzeptes auch niemanden verwundern.

Fazit

Wer von einem Adventure vor allem knackige Puzzles, an denen man Wochen lang herumgrübeln kann, erwartet, sollte definitiv die Finger von Bone lassen. Wer sich hingegen von einer fantastischen Welt, lebendigen Dialogen und ungewöhnlichen Charakteren mit unwahrscheinlich viel Charme verzaubern lassen möchte, und dabei bereit ist, für dieses kurzweiliges Vergnügen 20 € auf den Tisch zu legen, sollte auf jeden Fall zugreifen. Auch für Genre-Neulinge (und Adventure-Fans, die sich darüber ärgern, dass sie bei praktisch jedem Adventure in die Komplettlösung spicken müssen) sollte dieser Titel interessant sein.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Faktisch ist dieses Spiel zu kurz und zu leicht... Und trotzdem kann ich mir nicht helfen: es hat mich völlig in seinen Bann gezogen. Subjektiv finde ich, dass das Spiel seinen Preis trotz allem wert ist. Ich habe zirka vier Stunden mit diesem Spiel verbracht, da ich bei Dialogen immer bewusst den langen Weg gewählt habe. (Beim Abendessen in der Farm kann man zum Beispiel das Gespräch nach zwei Minuten durch ein Gähnen beenden, man kann sich aber auch locker zehn Minuten lang unterhalten. An einer anderen Stelle kann man den Possum-Kindern eine Geschichte via Multiple-Choice zusammenbasteln. Dies ist zur Beendung des Spiels völlig fakultativ, aber man hat so viele Optionen, die auch noch tatsächlich zusammenhängende Geschichten ergeben können, dass ich das gleich drei Mal ausprobieren musste.) Weiterhin weiß ich jetzt schon zu 100% Sicherheit, dass ich das Spiel in nicht allzu ferner Zukunft erneut durchspielen werde. Diese 8 Stunden erstklassiger Unterhaltung sind meiner (wirklich sehr persönlichen) Meinung nach die ca 20 EUR wert.

Ich freu mich auf jeden Fall jetzt schon auf Episode 2!

LGH

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • diche Atmosphäre
  • abwechslungsreiche Dialoge
  • Charakteranimationen
  • stimmungsvolle Musik
  • kurze Spieldauer
  • leichter Schwierigkeitsgrad