Dass mit der Veröffentlichung von Myst vor 12 Jahren ein völlig neues Sub-Genre begründet wurde, da sind sich wohl alle Spiele-Fans einig. Und auch dass die Serie, die von Rand und Robyn Miller Anfang der 90er Jahre erdacht wurde, mit über 14 Millionen verkauften Exemplaren und Übersetzungen in 23 Sprachen die insgesamt erfolgreichsten Adventure-Serie ist steht außer Frage. Doch ob die Myst-Welten fantastische Orte sind, in die man eintauchen kann, wie in keine zweite Spielwelt oder ob es sterile Diashows sind, die mit überflüssigen Rätselheft-Logeleien angereichert wurden, da wurde und wird wohl nie Einigkeit herrschen. Auch Myst V reiht sich in diese Tradition ein und obwohl die 3D-Engine zunächst Erinnerungen an das Serien-Spin-off Uru wach werden lässt ist End of Ages spielerisch eindeutig ein vollwertiger Teil der Myst-Serie. Und zugleich auch der letzte...
Wie üblich wird der Spieler am Anfang realtiv unvorbereitet in die Spielwelt gelassen ohne zu wissen, worum es überhaupt geht und was zu tun ist. Einzig einen vagen Abschiedsbrief von Atrus bekommt man vorgelesen, bevor man die Kontrolle über sein Alter Ego erhält. Auf einem Tisch liegt das Buch Myst, das die Hoffnung aufkeimen lässt, noch einmal auf die Insel zurückkehren zu können, auf der alles begann. Dieses ist aber verschlossen und so bahnt man sich seinen Weg zu einem seltsamen Podest, dass auch für versierte Myst-Spieler neu ist. Anschließend taucht Yeesha auf, die bereits in Revelation eine wichtige Rolle spielte, und erzählt in einem ausschweifenden wie nebulösen Monolog etwas über Tafeln, ein fremdes Volk und dass man ihr auf keinen Fall die Tafel aushändigen dürfe. Die Verwirrung ist perfekt und der Spieler somit ganz wie früher auf das kommende Spiel vorbereitet.
Erst im Laufe der Zeit erfährt man Näheres über die Hintergründe von Geschichte und Schauplätzen, über das Ziel des Spiels und über die Bahro, seltsame Kreaturen, die gelegentlich auch bei Rätseln hilfreich sind. Dazu trägt insbesondere Esher bei, ein Unbekannter, der von Zeit zu Zeit aus dem Nichts auftaucht, Zusammenhänge erklärt und Tipps liefert. Diese Reden werden zum Glück in einem Tagebuch festgehalten, da die teils recht subtilen Andeutungen nicht immer beim ersten Hören klar werden.
Zentraler Schauplatz in Myst V ist eine Welt, in der ein riesiger Schacht tief in das Erdinnere führt. Hier liegen nicht nur überall Teile von Yeeshas Tagebuch verstreut, die im Laufe des Spiels immer mehr von der Geschichte ihrer Familie preisgeben und so im Grunde die Vergangenheit der Myst-Serie Revue passieren lassen, von hier aus lassen sich auch die vier eigentlichen Kernwelten des Spiels erreichen, in denen der Großteil der Rätsel zu finden ist. Diese Welten sehen alle völlig unterschiedlich aus und sorgen so für eine abwechslungsreiche Atmosphäre. So ist Tahgira eine unterkühlte Eiswelt, während auf Laki'ahn die Sonne auf eine malerisches Atoll mit überdimensionalen Steinformationen brennt und auf Todelmer wiederum Teleskope und andere Geräte auf riesigen Felsnadeln errichtet wurden, um den atemberaubenden Nachthimmel zu beobachten.
An dem Ort, an dem man die jeweiligen Welten betritt, befindet sich stets ein Podest, auf dem eine Steintafel mit einer charakteristischen Form liegt. Diese Tafeln stellen die wesentliche spielerische Neuerung dar und sind Kern der gesamten Rätselstruktur von Myst V. Ziel ist es nämlich jeweils, die Tafel zum "Ausgang" der Welt zu bringen, einem weiteren Podest, das sich irgendwo in der Nähe befindet. Dazu sind aber einige Hindernisse zu überwinden. So lassen sich die Tafeln z.B. nicht überall hin mitnehmen, vor dem Erklettern von Leitern oder dem Betätigen von Knöpfen muss sie abgelegt werden. Zwischen "Start" und "Ziel" gibt es einige Zwischenstationen, Ebenfalls Podeste, zwischen denen man sich hin- und herteleportieren kann. Dafür stehen aber nur die Stationen zur Verfügung, die man bereits auf normalem Wege entdeckt hat.
Neben ihrer Funktion als Staffelstab können die Tafeln aber auch bei Rätseln behilflich sein, denn den Bahro, die ansonsten Scheu sind und sich nicht in die Nähe des Spielers wagen können mit ihrer Hilfe Befehle erteilt werden. Legt man eine Tafel auf den Boden und entfernt sich ein paar Meter, dann erscheint ein Bahro und schaut sich die Tafel an. Erkennt er ein Symbol, das mal darauf gekritzelt hat, so nutzt er seine Macht, um die Umgebung zu verändern. In Noloben kann mit dieser Methode z.B. Regen ausgelöst werden und auf Laki'ahn ein Sandsturm. Diese Beeinflussungen der Umwelt sind wiederum nötig, um gewisse Rätsel zu lösen. Die "Schrifterkennung" funktioniert übirgens sehr gut, sodass es kaum Probleme mit nicht erkannten Symbolen geben sollte.
Allgemein bieten die Rätsel klassische Myst-Kost. Ein ganz wesentlicher Bestandteil ist daher, die Spielwelt genau zu beobachten und zu erkunden, Symbole zu entdecken und Zusammenhänge zu schließen. Erst wenn man weiß, wie die Umgebungen aufgebaut sind und was gewisse Maschinen überhaupt sind, hat man eine Chance, die Rätsel zu lösen. Der Rest besteht aus logischem Denken, Inventarrätsel gibt es keine. Faszinierend ist dabei, dass Myst es wieder schafft, dass man nicht über die Mechanik eines Spiels sinniert, nicht über Pixel und Polygone grübelt, sondern völlig in Kategorien der Spielwelt denkt und denken muss. Außerdem wirken die Aufgaben nicht aufgesetzt wie beispielsweise in Schizm 2, sondern sind glaubwürdig in die Umgebungen eingebettet. So wird es dem Spieler ermöglicht, in die Welt einzutauchen, ohne das Gefühl zu haben, vor einem interaktiven Rätselheft zu sitzen.
Der Schwierigkeitsgrad ist, wie zu erwarten war, nicht gerade gering, erfordern die kreativen Rätsel doch eine Menge Beobachtungs- und Kombinationsgabe. Ganz so knifflig wie Riven oder Revelation ist Teil 5 aber nicht, sodass er mit etwas Geduld und Kreativität auch ohne Hilfe gelöst werden kann. Wer dennoch nicht weiter kommt kann auf ein Hilfesystem zugreifen, dass anders als in Myst IV nicht direkt im Spiel integriert ist, sondern, um den Schritt etwas weniger verlockend zu gestalten, eine Homepage ist, auf die das Spiel linkt. Dort kann man sich Tipps in verschiedener Deutlichkeit zuführen, Lösungen im Klartext werden aber nicht gegeben - hierzu soll man sich das offizielle Lösungsbuch kaufen. Gut gelungen ist die Lernkurve: Während Tahgira noch relativ einfach zu bewältigen ist und eher an die Funktionsweise des Tafelsystems heranführt ist in Laki'ahn schon deutlich mehr Hirnschmalz erforderlich, um das finale Podest zu erreichen.
Eine freudige Überraschung für diejenigen, die mit der ungewöhnlichen Steuerung von Uru nicht gut zurechtkamen, bietet die Handhabung von Myst V. Hier kann man nämlich zwischen drei verschiedenen Modi auswählen: Einer davon ist eine Maus/Tastatur-Kombination, die einer klassischen Shooter-Steuerung entspricht und mit der man sich frei umherbewegen kann. Die zweite Methode entspricht der klassischen Methode aus Myst und Riven, d.h. die Kamera ist fixiert und mit Klicks kann man sich auf festen Bahnen von Punkt zu Punkt bewegen. Der dritte Modus erinnert an die Myst-Generationen von Exile und Revelation - hier bewegt man sich auch auf festen Bahnen von Punkt zu Punkt, mit der Maus kann man sich aber frei umschauen.
Leider ist es an einigen Stellen zwingend nötig, auf die Shootersteuerung umzuschalten, da man einige wichtige Dinge von den festen Wegpunkten aus nicht sehen kann. Zusammen mit der Myst-typischen Egoperspektive und dem Verzicht auf Sprung-Einlangen wird klar, dass End of Ages trotz der Verwendung derselben 3D-Engine wie Uru auch spielerisch ein vollwertiges Mitglied der eigentlichen Myst-Saga ist, zu der der Ableger Uru eben nicht gehört.
Technisch hat es sich das Team um Rand Miller nie nehmen lassen, neue Maßstäbe zu setzen. Und auch diesmal hat Cyan für die schönsten Echtzeit-3D-Grafiken gesorgt, die das Adventure-Genre je gesehen hat. Da kann ein Fahrenheit noch so genial inszeniert und ein Westerner noch so witzig animiert sein, atemberaubendere Umgebungen als End of Ages zeigt zur Zeit kein 3D-Adventure. Trotzdem bringt der Sprung von vorgerenderten Landschaften auf Polygonwelten eine geringere Detailfülle mit sich, was aber durch die Möglichkeit, sich frei in ihr zu bewegen, wieder gut gemacht wird. Sehr schön anzuschauende Wasser- und Wettereffekte, spektakuläre mit Wolken verhangene Himmel und zahlreiche Animationen beleben die detailliert modellierten Polygonwelten ungemein. Bäume und Gras wiegen sich im Wind, Vögel fliegen durch die Luft und die Sonne zieht langsam ihren Weg über den Himmel. Überall unterschiedliche Steinformationen, Felszeichnungen und Küstenlinien lassen nicht den geringsten Verdacht aufkommen, irgendetwas sei durch Copy & Paste entstanden.
Nur an sehr wenigen Stellen kann man vermuten, dass Cyan für den letzten Feinschliff dann doch nicht mehr genug Zeit geblieben ist. So verharren auf Noloben ein paar Vögel bewegungslos an ihrer Stelle und das Wasser wäre noch überzeugender, wenn man beim Durchschreiten sichtbare Wellen hinterlassen würde. Dies sind aber nur minimale Kratzer an einer sonst makellosen Grafikfassade.
Neben der Umgebung sind aber auch die Charaktere hervorzuheben. Die abgefilmten Figuren der Vorgänger wirkten vor den Render-Hintergründen immer etwas aufgesetzt, auch wenn Myst IV da schon sehr gute Arbeit geleistet hat. Jetzt wurden die Schauspieler durch 3D-Charaktere ersetzt. Leider ist Esher, der geheimnisvolle Mentor, der einzige Charakter im Spiel, der eine nennenswerte Zahl von Auftritten hat, dafür sind diese umso gekonnter in Szene gesetzt. Sein Gewand baumelt physikalisch korrekt um ihn herum, der Schatten fällt korrekt auf die Umgebung und sein sehr ausdrucksstark agierender Körper ist detailreich modelliert. Das Gesicht wurde von einem Schauspieler abgefilmt und auf die Figur projiziert, sodass neben der Gestik auch die Mimik stimmt.
Musikalisch wurde wegen des geringeren Budgets weniger Aufwand betrieben als bei Uru und Myst IV. Peter Gabriel ist diesmal nicht involviert und auch ein Live-Orchester wurde nicht bemüht. Zwar fehlt ein charakteristischer Titelsong, trotzdem hat Tim Larkin eine beeindruckende Soundkulisse für das Spiel geschaffen. Orchestrale und mystische Klänge führen, wenn auch nicht live eingespielt, äußerst atmosphärisch durch das Spiel. Nie fühlt man sich von der ständigen Musikuntermalung und der durchgängig vorhandenen ambienten Soundkulisse bedrängt oder genervt. Auch die Effekte sind sehr gelungen.
Die deutsche Sprachausgabe ist erfreulicherweise auch gelungen. Die Sprecher sind passend ausgewählt und erledigen gute Arbeit. Wer sich trotzdem lieber in einer anderen Sprache versucht findet End of Ages auf der 5-sprachigen DVD aber auch auf englisch, französisch, italienisch und spanisch.
Myst ist Geschmackssache. Das war schon immer so und das ändert sich auch mit Myst V nicht. Von ein paar minimalen Schnitzern abgesehen ist auch dieser Titel wieder eine hervorragende technische Leistung mit wunderschönen Grafiken und äußerst atmosphärischer Soundkulisse. Die Rätsel sind der Serie absolut würdig, auch wenn das Spiel leider nicht besonders lang geraten ist. Nur spielerisch spaltet Myst die Gemüter: Wer sich von einer originären Fantasy-Welt entführen lassen möchte, um diese en détail zu erkunden, zu erleben und durch logische Schlüsse und Überlegungen eine Reihe abstrakter Rätsel lösen möchte, der sollte unbedingt zugreifen, da er in diesem Bereich für lange Zeit nichts Besseres finden wird.
Wer Myst dagegen noch nie mochte, der wird auch an End of Ages keinen Spaß haben. Wer Lust bekommen hat, die Welt der Miller-Brüder einmal auszuprobieren, der ist vielleicht mit dem vierten Teil besser bedient, der schon für unter 15 Euro zu haben ist, technisch midestens so eindrucksvoll ist (wenn auch vorgerendert) und die etwas durchsichtigere Story bietet. Trotzdem wird man auch im fünften Teil als Neuling nicht alleine gelassen und gerade durch die Yeesha-Tagebücher und Eshers Monologe an die Geschichte herangeführt.
Ein in jeder Hinsicht würdiger Abschluss einer denkwürdigen Serie!
Für mich war End of Ages ein rundum gelungener Myst-Teil, trotz der, wie man hört, sehr kritischen letzten Produktionsphase und der kurzen Entwicklungszeit. Etwas länger hätte es schon sein können, trotzdem war jedes einzelne Rätsel eine Freude.
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