Keine Innovationen, keine technischen Fortschritte und zu starke Orientierung an den Hits der 90er Jahre. Das sind nur einige der vielen Vorwürfe, die von Nicht-Adventure Spielern gegenüber dem Adventuregenre erhoben werden. Ob sie damit recht haben, wird wohl nie ganz zu klären sein. Fest steht aber: Ein wenig neuer Wind kann aktuellen Adventures zumindest nicht schaden. Und so erblicken Jahr für Jahr auch ein paar "moderne" Abenteuerspiele das Licht der Welt. 2005 heißt einer dieser Titel "In 80 Tagen um die Welt", basierend auf der berühmten Romanvorlage von Jules Verne und entwickelt von Frogwares, die sich unter anderem auch für die beiden letzten Sherlock Holmes Spiele verantwortlich zeigten. Unser Test zeigt, ob "In 80 Tagen um die Welt" den Titel "Adventure" zurecht trägt und ob es auch darüber hinaus spielenswert ist.
Vergessen wir steife britische Gentleman, vergessen wir ergebene Diener und vergessen wir die übliche britische Distanzierung. Die Geschichte basiert zwar auf der Romanvorlage von Jules Verne, spielt aber 1899, also 30 Jahre später. Als Handlungsschauplatz dient außerdem ein nur an die Realität angelehntes Universum, in dem fliegende Teppiche oder andere abgedrehte Transportmittel keine Seltenheit sind.
Der 22 jährige Oliver Lavisheart wuchs in Amerika auf und erfährt nach seiner Rückkehr nach London, dass für ihn schon eine Heirat arrangiert wurde. Um diesem Unglück zu entgehen, und um seinen Onkel vor dem finanziellen Ruin zu bewahren begibt er sich auf eine Reise um den gesamten Erdball. Sein Onkel Matthew hat ihn nämlich damit beauftragt, vier Dokumente aus verschiedenen Städten mitzubringen, die seinen Erfindergeist beweisen sollen. Um Spannung in die Sache zu bringen hat Onkel Matthew außerdem fast sein gesamtes Vermögen auf den Erfolg dieser Mission verwettet.
So beginnt für den Spieler, verkörpert durch Oliver Lavisheart, ein spannendes Rennen gegen die Zeit und um den gesamten Globus.
In 80 Tagen um die Welt läuft sehr linear ab. Der Spieler weiß immer ganz genau, was er machen muss. Dafür sorgen nicht zuletzt Markierungen auf der Minikarte als auch Angaben im Aufgabenbereich (aufzurufen mit TAB). Diese Linearität nimmt viel Geschhwindigkeit aus dem Spiel, die langen Laufwege tun ihr Übriges. Interaktion mit anderen Charakteren ist (neben wenigen Dialogen) kaum möglich.
In seiner Reise um den Erdball betritt Oliver Kairo, Bombay, Yokohama und San Francisco und reist mit Zeppelin, Bahn und Schiff. Er muss sich unter anderem Wissen über Gewürze aneignen, einen Elefanten baden und eine Haremsdame aus einem Kairoer Palast entführen.
Die Grafik ist in 3D gehalten. Je nach Hardwareausstattung sind Auflösungen bis zu 1280x1024 Bildpunkten bei einer Farbtiefe von 32 Bit möglich. Außerdem lässt sich optional Schattenwurf und Kantenglättung (Anti-Aliasing) zuschalten. Der erste Eindruck der Grafik ist sehr gut. Zwar kann die Qualität nicht mit der aktueller 3D Shooter wie z. B. Quake 4 mithalten, aber diesen Anspruch hat sich Frogwares wohl auch garnicht gestellt. Herausgekommen sind hübsch modellierte Landschaften in die sehr realistisch gestaltete Charaktere gesetzt wurden. Den Texturen merkt man an, dass größtenteils echte Fotos als Vorlage dienten. Das sieht bei Türen oder allgemein glatten Flächen zwar recht schön aus, verliert bei einer Kiste voller Äpfel aber schnell seinen Reiz (besser gesagt, verdirbt die ansonsten ansehnliche Grafik). Auch die Wasseranimation ist nicht besonders ansprechend. Einige Bäume schießen jedoch den Vogel ab: Anstatt einzelne Blätter als 2D Bitmaps darzustellen, werden teilweise ganze Äste als einziges, einseitiges Bitmap angezeigt. Was aus dem Stand nur wenig auffällt, wirkt bei jeder seitlichen Bewegung grässlich, da von der Kamera aus ja immer die gleiche Oberfläche zu sehen ist. Eine Technik, die schon seit Jahren in dieser Form aus 3D Spielen verschwunden ist. Für solche Patzer kann auch Termindruck nicht als Entschuldigung dienen, sie wirken einfach laienhaft - vor allem auf Grund der Tatsache, dass manche Bäume auch relativ schön umgesetzt sind. Ein weiterer aus mangelnder Qualitätssicherung entstandener Kritikpunkt sind fehlende Texturen, die man an vielen Ecken der Städte findet, Clippingfehler, die das Spiel gerade in Fahrzeugsequenzen auch ab und an zum Abstürzen bringen und fehlerhaft dargestellte Schatten.
Was noch positiv auffällt, ist der realistische Tag-Nacht Rhythmus. Die Sonne geht unter, es ist ein paar Stunden dunkel bis dann wieder Morgengrauen auftaucht. Außerdem ist es den Entwicklern gut gelungen, den jeweiligen Flair der Großstädte einzufangen und viele Elemente aus der jeweiligen Kultur einfließen zu lassen.
Die Musik ist sehr schön ausgefallen. Es gibt ein Grundthema, dass für jeden einzelnen Spielabschnitt angepasst wurde. Die Musikbegleitung läuft permanent, aber dezent im Hintergrund und passt gut zu den meisten Spielsituationen.
Lustig sind die Musikvideos am Ende einiger Kapitel, in denen alle Protagonisten noch einmal tanzend und singend zu sehen sind. Die Musikstücke sind eingängig und Hits der 80er und 90er Jahre nachempfunden. Eine schöne "Belohnung" für eine erfüllte Aufgabe.
Auch die Hintergrundgeräusche und sonstigen Soundeffekte sind gut gelungen, und lassen den Spieler schnell in die Spielwelt eintauchen. Hier wurde ganze Arbeit geleistet.
Wer schon dtp/Anaconda Spiele gespielt hat, weiß die erstklassige Übersetzung und Synchronisation dieser Titel zu schätzen. So wurden auch diesmal hochkarätige Synchronsprecher angeheuert, unter anderem die deutschen Synchronstimmen von Matt Dillon und Tobey Maguire. Die Vertonung ist recht gut, die Stimmung auf die jeweiligen Situationen perfekt angepasst. Schade sind nur die gelegentlichen Aussetzer der Sprachausgabe am Ende mancher Sätze. Ärgerlich ist auch, dass in Zwischensequenzen die Positionierung der Stimmen von der Kamera abhängig ist. Fährt die Kamera von den Sprechenden weg, so werden die Stimmen manchmal so leise, dass man sie nicht mehr verstehen kann.
Außerdem kommt der Sprachwitz in der deutschen Lokalisation nicht ganz so gut an. Ungewollt komische Redewendungen oder bemüht (un)lustige Witze schwächen das Gesamtbild ab. Die dauernden Seitenhiebe auf das eigene Team (Oliver: "... und wieder ein typisch schweres Rätsel von Frogwares") nerven mit der Zeit. Die Artikulationsversuche Olivers sind oft mehr als peinlich und man bekommt in Dialogen (die übrigens alle selbstablaufend sind) den Eindruck, Oliver lebt in seiner eigenen kleinen Welt und reagiert garnicht auf seine Mitmenschen. Aber auch die Charaktere, die nicht in die Geschichte eingebunden sind, reden ausschließlich unsinniges.
So oder so ähnlich könnte man den Großteil der gebotenen Rätsel zusammenfassen, obwohl das Spiel eigentlich garnicht so schlecht anfängt. Oliver kommt mit dem Schiff in Kairo an und muss von einer vorgelagerten Insel übers Meer aufs eigentliche Festland gelangen. Da er nicht schwimmen kann, muss wohl eine der vorhandenen Feluken zum Übersetzen dienen. Dass er die erste der insgesamt vier erreichbaren Feluken nicht benutzen kann, leuchtet noch ein, da er sonst die Blicke neugieriger Passanten auf sich ziehen würde. Doch dann gibt es auf der anderen Seite der befestigten Insel, im Schatten, noch einmal zwei Feluken. Eine davon ist angekettet, die andere nicht. Natürlich kann man die frei schwimmende nicht benutzen (warum, verrät das Spiel nicht) und für die angekettete muss erst eine Lösung gefunden werden. Hat man diese Aufgabe bestanden, muss man zum Festland übersetzen (was auf Grund der miserablen Steuerung garnicht so einfach ist) und sich durch die Zollabfertigung schleichen. Hierzu kann man sich hinter Kisten vor den patroullierenden Wachen verstecken und gelangt dann recht schnell in die eigentliche Stadt. Nach einem kurzen Aufenthalt im Hotel bekommt man den Auftrag, mit vier Personen in der Stadt zu sprechen. Diese werden als Punkte auf der Karte, die immer oben links zu sehen ist, angezeigt.
Dieser Rätseltyp setzt sich leider das ganze Spiel über fort. Kombinationsrätsel gibt es kaum, die vorhandenen sind auf einfachstem Niveau. Den Rest des Spiels verbringt man damit, Objekte von A nach B zu bringen. Die Zielorte sind immer auf der Karte eingetragen. Diese Methodik ist vor allem dann sehr dumm, wenn man etwas finden soll, von dem Oliver noch nie vorher etwas gehört hat (z. B. einen Generalschlüssel, Verkleidung, etc.). Hier muss man sich nicht überlegen, wo sich der Gegenstand befinden könnte, sondern einfach auf der Karte dem Pfeil folgen. Wer sich hier an Spiele wie GTA erinnert fühlt, hat vollkommen recht. Nur die Möglichkeit, eine Waffe zu ziehen, fehlt (obwohl man oft die Lust dazu verspüren würde).
In 80 Tagen um die Welt arbeitet mit Speicherpunkten. Vor und nach jeder Mission wird abgespeichert. Diese Praxis dient bestenfalls dazu, die Spielzeit künstlich zu verlängern. Ärgerlich ist, dass man sich auch die Missionseinführungen immer wieder ansehen muss und keine Möglichkeit hat, diese abzubrechen.
Ab und zu sind auch noch ein paar Schalter- bzw. Logikrätsel versteckt, bei denen die Lösung jedoch meist offensichtlich ist.
Die Steuerung des Spiels ist für alle, die sich schon einmal jenseits vom Adventuregenre (z. B. bei 3D Shootern) bewegt haben, sofort verständlich. Für alle anderen ist sie zumindest schnell zu erlernen. Gespielt wird am besten mit einer Kombination aus Tastatur und Maus (wobei auch eine reine Tastatursteuerung möglich ist). Mit den Tasten W, A, S, D bewegt man sich in alle Richtungen, mit Leertaste und X springt bzw. duckt man sich und den Rest (Navigation, Inventar, Interaktion) erledigt man mit der Maus. Praktisch ist, dass benutzbare Gegenstände grün umrahmt werden, sobald sie in Reichweite gelangen. Doch trotz der einfachen Tastaturbelegung hat die Steuerung ihre Tücken. So bleibt Oliver oft hängen, läuft zu weit, lässt sich nicht vernünftig durch die Landschaft navigieren. Der Übergang von "Gehen" zu "Rennen" (Umschalttaste) klappt oft nur, wenn man die W-Taste noch einmal loslässt. Geht es dann ans Springen oder Klettern (ein recht häufiges Vergnügen), wird die Navigation zum reinen Glücksspiel. Oliver kann sich auch an einer Kante nach oben ziehen. Allerdings nur dort, wo es die Entwickler vorgesehen haben. Das Problem dabei ist: Es gibt viele Stellen im Spiel, die nur durch riskante Sprungmanöver erreicht werden können. Diese sind jedoch oft nicht höher gelegen, als Oliver sich an anderen Stellen auch nach oben ziehen hätte können. Das nervt und demotiviert (vor allem deswegen, weil diverse Sprungmanöver auf Grund der mangelhaften Steuerung einfach nervtötend sind). Was Oliver nicht kann ist schwimmen: Auch hier wären einige "Rätsel" sinnfrei geworden.
Ein weiteres Kapitel ist die Steuerung der Fahrzeuge. Während man mit der motorisierten Rikscha noch recht gut vorankommt, sind Fortbewegungsmittel wie Elefanten oder fliegende Teppiche entweder viel zu langsam oder einfach nicht mehr kontrollierbar. Hier spielt auch das Verhalten der Kamera eine entscheidende Rolle. Während sie sich bei der Rikscha wenigsten träge seitlichen Bewegungen anpasst (sie kann auch manuell gesteuert werden), ist eine vernünftige Steuerung beim fliegenden Teppich nicht mehr möglich. Des Weiteren bleibt jedes Fahrzeuge grundsätzlich an jeder Ecke/Säule/Mauer hängen, an die man näher als einen Meter (!) herankommt. Weiter eingeschränkt wird man durch die vielen "unsichtbaren Wände". Während man die Spielwelt auch natürlich mit Zäunen oder Mauern begrenzen hätte können, wird man "an jeder Ecke" von unsichtbaren Wänden unsanft gestoppt. Krasses Beispiel: Ein Zug hält in freier Natur an, Oliver steigt aus und kann sich dann höchstens drei Meter über eine freie Wiese bewegen, bevor er wieder gestoppt wird. Ein paar Meter weiter wäre eine natürliche Begrenzung (Wald/Gestrüpp) vorhanden gewesen.
In 80 Tagen um die Welt baut im Spielverlauf stark ab. Während in Kairo und Bombay die Aufgaben noch interessant sind, macht sich im späteren Verlauf (wo Spiele typischerweise spannender werden) eher Langeweile breit. Die Story wird mehr als einmal unbeabsichtigt lächerlich, obwohl ja eine starke Romanvorlage vorhanden gewesen wäre. Die Idee, die Vorlage auszubauen gelingt stellenweise sehr gut. Manchmal aber auch nicht, wie die Einbindung des "Sohnes von Mr. Fix" zeigt. Das Zeitlimit ist eine nette Idee, ändert aber nicht viel am Spielverlauf. Die Möglichkeit, die eigene Zeit mit der von Phileas Fogg zu vergleichen ist auf Grund der völlig veränderten Geschichte sinnfrei. Hier ist es auch möglich, aus dem Spiel auszuscheiden. Hat man nicht mehr die Aussicht auf Erfolg vor Ablauf der Frist, wird das Spiel beendet.
Ich hatte hohe Erwartungen an In 80 Tagen um die Welt - und wurde enttäuscht. Ist die technische Umgebung bis auf kleinere Macken noch angenehm, nerven die löchrige Story, der missglückte Sprachwitz von Oliver und vor allem die Rätsel, die eigentlich garkeine sind, mit der Zeit gewaltig. Das ganze Spiel besteht eigentlich nur darin, Gegenstände von Punkt A nach Punkt B zu bringen (Punkte auf der Karte genau markiert), sich vor Wachen zu verstecken und ganz ganz selten einmal ein einfaches Kombinationsrätsel zu lösen. Die Spielzeit schätze ich auf 12 Stunden, wovon die Rätselzeit höchstens 1 Stunde beträgt. Die Motivation nimmt den Spielverlauf über ab und erreicht spätestens in Yokohama den Tiefpunkt. Lange Laufwege, langweilige Dialoge und die verkorkste Steuerung tragen ihren Teil dazu bei.
Dieses Machwerk trägt sicherlich nicht dazu bei, Adventures einer breiteren Masse an Spielern schmackhaft zu machen, es schreckt eher ab und rückt das Adventuregenre in ein negatives Licht. Könnte er es spielen, Jules Verne würde sich im Grab umdrehen.
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