Test

von  Hans Frank
01.09.2006
Geheimakte Tunguska
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch
90%

Eher unspektakulär, ja schon fast verhalten war die Ankündigung von Geheimakte Tunguska durch Koch Media im Rahmen der E3 im Mai 2005. Gameplay unbekannt, Entwickler unbekannt (allerdings schon Spekulationen darüber, dass das Entwicklungsstudio eventuell aus Deutschland stammen könnte), Name der Protagonistin unbekannt (man hört allerdings, sie wäre hübsch). Nicht einmal eine Pressemitteilung wird versendet.

Spätestens bei der offiziellen Ankündigung im folgenden Monat ist klar: Geheimakte Tunguska soll ein reinrassiges Adventure aus deutschen Landen werden. Die deutschen Studios Fusionsphere Systems, von dem die technische Umgebung bereitgestellt wird und Animation Arts, die den eigentlich Inhalt (Story, Gafik, etc.) entwickeln, zeigen sich verantwortlich. Die ersten Screenshots, Trailer und Vorschauartikel werden von der Fangemeine überwiegend mit freudiger Erwartung quittiert und so schafft es das Spiel, eines der am meisten erwarteten in diesem Jahr zu werden.

Ungeklärte Umstände

Wladimir Kalenkow, Archäologe im Naturkundemuseum, arbeitet viel und lang. Eines Abends öffnet sich plötzlich die Tür seines Büros, aber niemand ist zu sehen. Bei näherer Betrachtung findet Wladimir Kalenkow Fußspuren auf dem Boden, denen er folgt. Später taucht Nina Kalenkow, die junge Tochter des Archäologen und Protagonistin des Spiels auf, um ihren Vater abzuholen. Doch was sie vorfindet, macht ihr Angst. Ihr Vater ist verschwunden und sein Büro verwüstet, die Polizei interessiert sich nicht sonderlich für den Vorfall. Also macht Nina sich selbst auf den Weg, um das Verschwinden ihres Vaters aufzuklären und stößt dabei auf zurückliegende Forschungen, die ihr Vater in der Tunguska-Region (siehe Infokasten) durchgeführt hat. Doch irgendetwas scheint nicht in Ordnung zu sein... Im weiteren Verlauf deckt Nina immer mehr Details aus der Vergangenheit ihres Vaters und ihrer eigenen auf und wird in ein spannendes und gefährliches Abenteuer verwickelt, das sie nicht nur nach Kuba, sondern sogar bis ins tiefste Russland, genauer gesagt nach Sibirien und in den Himalaya führt.

Während des Spiels schlüpft nicht nur Nina in unterschiedliche Rollen, der Spieler erhält auch die Möglichkeit, einen zweiten Charakter zu steuern. In den Zwischensequenzen wird außerdem eine Hintergrundgeschichte aufgebaut, von der Nina und Max (so heißt der zweite spielbare Charakter) anfangs noch nichts ahnen.

Bei der Gestaltung der Schauplätze haben sich die Entwickler viel Mühe gegeben. Jedes der besuchten Länder auf insgesamt drei Kontinenten ist sehr authentisch umgesetzt. Plakate und Schilder sind in der jeweiligen Sprache beschriftet und auch andere Merkmale wie Architektur oder Kleidung der Menschen wirken korrekt. So darf auch die typisch deutsche gelbe Telefonzelle oder der Fluchtplan inklusive deutscher Notrufnummern in der Haupthalle eines Naturkundemuseums oder das Gelände eines maroden Militärbahnhofs in Russland nicht fehlen.

Jede wichtige Information schreibt Nina in ihr Tagebuch. Während die ersten Einträge tatsächlich von Nina verfasst zu sein scheinen (zumindest spricht sie davon), werden im weiteren Verlauf Einträge automatisch hinzugefügt. Diese sind außerdem aus der Sicht eines außen stehenden Erzählers verfasst, so dass die Verbindung mit Nina schwer fällt.

Augenweide

Die Grafik besteht aus vorgerenderten Hintergründen auf denen in Echtzeit berechnete 3D-Figuren agieren. Teilweise sind Animationen auf den Hintergründen auch in Echtzeit-3D realisiert. Die Auflösung beträgt 1024x768 Pixel. Die verschiedenen Schauplätze wurden alle mit viel Aufwand und Liebe zum Detail erstellt. Jeder kleinste Bereich wirkt durchdacht und gut ausgearbeitet. Die Stimmung wird durch die gute Lichtgebung vermittelt und so entsteht schnell eine einzigartige Atmosphäre. Das schöne daran: Die Lichtgebung ist nicht statisch und vorberechnet, sondern dynamisch. Wenn ein Charakter sich also an einer roten Lichtquelle vorbeibewegt, wird er auch tatsächlich rötlich beleuchtet. Dies führt zu einer in dieser Qualität selten gesehenen Einbettung der Charaktermodelle in die übrige Spielwelt.

Die Modelle an sich sind detailliert und realistisch gestaltet. Gerade die Gesichter der Hauptdarsteller wirken sehr echt. Auch die Animationen der 3D-Figuren überzeugen. Diese wurden per Motion-Capturing erstellt, einer Methode, bei der echte Darsteller an mehreren Körperstellen mit kleinen weißen Kugeln ausgestattet und dann bei bestimmten Bewegungen gefilmt werden. Per Computer werden diese Bewegungen anschließend auf das Gittermodell der 3D-Charaktere übertragen. So sind nicht nur für viele unterschiedliche Aktionen Animationen vorhanden, sie wirken auch noch sehr realistisch. Einen kleinen Minuspunkt aber gibt es: In manchen Szenarien scheint Nina nicht perfekt mit dem Boden verbunden zu sein, was die Gehen-Bewegung etwas unschöner wirken lässt.

Auch sonst sind viele Animationen vorhanden, auf fast jedem Bildschirm bewegt sich irgendetwas. Manche Animationen sind statisch mit dem Hintergrund verbunden, manche aber auch in echtem 3D gehalten. So fliegt zum Beispiel schon einmal ein Vogel oder ein Schmetterling nahe an der Kamera vorbei, was noch etwas mehr Tiefenwirkung beschert. Besonderes Augenmerk sollte man noch auf die Bewegungen des Wassers in manchen Szenen legen. Diese sind so realistisch, dass es kaum noch besser geht.

Die vorgerenderten Zwischensequenzen brauchen sich vor der restlichen Grafik nicht zu verstecken. Schon im Intro wird klar, dass hier viel investiert wurde. Die gut geschnittenen, kinoreifen Videoclips begeistern mit schönen Animationen und einer gelungenen Musikuntermalung. Auch wenn in manchen Szenen kleinere Details fehlen, steigt bereits nach wenigen Minuten der Adrenalinspiegel ein gutes Stück höher, als sich Wladimir Kalenkow durch einen dunklen, nur durch seine Taschenlampe beleuchteten Gang tastet. Diese Qualität wird auch das ganze Spiel über aufrechterhalten.

Ohrenschmaus

Bei Geheimakte Tunguska brauchen die Ohren die Augen nicht zu beneiden. Denn auch die Sound- und Musikuntermalung sind außerordentlich gut ausgefallen. Neben der gelungenen Sprachausgabe sticht hier besonders die atmosphärische Soundkulisse hervor. Im deutschen Wohngebiet rast akustisch ein Auto mit viel zu lauter Musik und quietschenden Reifen vorbei (den jungen Fahrer des tiefergelegten Golfs mit erhöhtem Testosteronwert hat man dabei sofort vor Augen), in der russischen Tundra kann man die Schönheit der Natur förmlich hören. Was überwiegend fehlt sind Sounds für bestimmte Aktionen und vor allen Dingen ein Lauf-Geräusch.

Die Musikuntermalung ist meist eher dezent im Hintergrund und gut auf die Soundkulisse und auf die Atmosphäre abgestimmt. Die Synchronisation ist sehr gut gelungen. Die Sprecher wirken eigentlich immer so, als wüssten sie wovon sie gerade sprechen und als hätten sie die Szene auch vor Augen. Die Betonungen und Stimmlagen sind fast immer korrekt auf die jeweilige Umgebung und Atmosphäre abgestimmt. Auch die Stimmen an sich sind gut gewählt und passen zu ihren Charakteren. Es gibt allerdings auch hier die klassische Ausnahme: Ein kleines Mädchen. Dessen Stimme scheint die einer erwachsenen Sprecherin zu sein, die künstlich verjüngt wurde - mit eher unschönen Auswirkungen auf die Ohren. Dieser Schnitzer betrifft aber nur eine Szene des Spiels, tut dem Spielspaß also keinen Abbruch.

Rätsel

Auch die Rätsel in Geheimakte Tunguska sind klassisch. Neben den üblichen Inventar-/Kombinationsrätseln sind auch einige Logik-/Schalterrätsel dabei, bei denen z. B. bestimmte Gegenstände richtig geordnet werden müssen. Die Rätseldichte ist sehr hoch, die Rätsel aber meist gut nachvollziehbar. Der Schwierigkeitsgrad steigt im Spielverlauf an. Während im ersten Teil des Spiels die Lösung oft sofort klar ist, sind im späteren Verlauf auch härtere Nüsse zu knacken. Hier ist es unter anderem auch notwendig, bei Dialogen oder anderen Textpassagen sehr aufmerksam zu sein. Manche Aufgaben lassen sich allerdings nur mit viel Kreativität lösen und erinnern schon fast an Denkstrukturen à la Guybrush Threepwood. Dies lockert den Spielverlauf aber auf. Nur ganz am Schluss des Spiels wirken manche Rätsel etwas gezwungen. Ein Beispiel: Nina weiß, wie sie ein bestimmtes Ziel erreicht, weil sie es im Spielverlauf schon einmal erledigt hat. Nun weigert sie sich aber mit einer fadenscheinigen Begründung, dieselbe Aktion noch einmal durchzuführen. Später wird dann klar, dass sie den Gegenstand, den sie für die Aktion hätte benutzen müssen, an einem späteren Punkt des Spiels noch einmal braucht. Das konnte sie allerdings vorher noch nicht wissen. Trotzdem bleibt dieses Verhalten eher die Ausnahme und das Lösen der Rätsel macht Spaß. Wer sich mit Logik-/Schalterrätseln nicht anfreunden kann, erhält zu dieser Rätselgattung eine Hilfestellung, die über das Tagebuch aufgerufen werden kann. Ist zu einem bestimmten Rätsel eine Lösungshilfe vorhanden, erscheint ein entsprechendes Icon am oberen Bildschirmrand.

Die Option "Lösungshilfe" im Einstellungsmenü bietet die Möglichkeit, sich per Tastendruck alle verfügbaren Hotspots anzeigen zu lassen. So wird unnötiges Pixelhunting vermieden. Die Anzahl an Hotspots per Raum ist ausgewogen. Es können also nicht nur tatsächlich wichtige Hotspots angeklickt werden und Nina hat auch für Rätsel irrelevante Dinge eine gute Beschreibung parat. Sowieso fallen in Geheimakte Tunguska kaum "Standardbeschreibungen" für Gegenstände oder Aktionen ("Das geht so nicht!") negativ auf.

Steuerung

Die Steuerung erfolgt komplett über die Maus und ist denkbar einfach: Mit der rechten Maustaste untersucht man einen Gegenstand, mit der Linken interagiert man mit ihm. Praktisch hier: Der Mauszeiger hat die Form einer kleinen Computermaus und färbt die entsprechend nutzbare Taste grün ein. So muss man bei Kombinationsrätseln nicht erst klicken, sondern sieht sofort, ob zwei Gegenstände sinnvoll miteinander kombinierbar sind oder nicht.

Das Inventar befindet sich - immer sichtbar - am unteren Bildschirmrand und bietet Platz für eine unbegrenzte Anzahl an Gegenständen. Diese trägt der Spieler aber meistens nicht zu lange mit sich herum, sondern kann sie schnell sinnvoll einsetzen, so dass das Inventar nie unübersichtlich wird.

Dialoge laufen im Multiple-Choice-Verfahren ab. Die Auswahlmöglichkeiten sind durch aussagekräftige Icons dargestellt. Außerdem lassen sich sowohl Dialoge als auch Laufwege zu Ausgängen per Klick oder Doppelklick abkürzen. Abspeichern ist an jeder Stelle möglich, an der auch der Charakter direkt gesteuert werden kann. Dabei stehen unbegrenzt viele Speicherplätze zur Verfügung. Beim Verlassen des Spiels wird außerdem automatisch gespeichert.

Fazit

Geheimakte Tunguska gehört zu jenen Spielen, die man am liebsten nie enden lassen würde. Das klassische Adventure überzeugt mit einer spannenden Geschichte, netten Protagonisten (mit denen man sich als Spieler schnell und gut identifizieren kann) und einer sehr guten technischen Umgebung. Damit sind nicht nur die herausragende Grafik und der ebenfalls sehr gute Sound gemeint, sondern auch die restliche Anwendung. Bugs oder Abstürze waren beim Testen nicht vorhanden und auch Dinge wie der Wechsel zu anderen Windows-Applikationen funktionieren problemlos. Die ganz kleinen Minuspunkte (kein Laufgeräusch, einzelne gezwungen wirkende Rätsel und ganz wenige ganz kleine Logikfehler) fallen im Gesamtbild kaum auf. Egal ob Genreneuling oder eingesessener Adventureprofi - Geheimakte Tunguska kann jedem empfohlen werden.

thumb
Tunguska Als Tunguska-Ereignis wird eine Explosion bezeichnet, die sich am 30. Juni 1908 in Sibirien ereignete. Dieser Vorfall ist bis heute ungeklärt und der Quell vieler Spekulationen. Damals wurden in einem Radius von 30 Kilometern Bäume entwurzelt (auf 2000 km² rund 60 Millionen Bäume) und noch in 65 km entfernten Siedlungen Fenster eingedrückt. Selbst in über 500 Kilometern Entfernung berichteten Augenzeugen von einem hellen Lichtschein und starken Erschütterungen. Obwohl seitdem einige Expeditionen in das Gebiet des Epizentrums (Tunguska - benannt nach dem Fluss "Steinige Tunguska") durchgeführt wurden, sind die Ursachen dieses Vorfalls bis heute unbekannt. Als wahrscheinlichste Erklärung wird der Absturz eines Kometen oder Asteroiden genannt. Quelle: Wikipedia.org

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Die Berichterstattung im Vorfeld war ja schon viel versprechend, das veröffentlichte Material wirklich schön, aber Geheimakte Tunguska hat meine Erwartungen sogar noch überboten. Die Entwickler Fusionsphere Systems aus dem bayrischen Aichach, Animation Arts aus Naumburg und die anderen Beteiligten haben wirklich alles richtig gemacht: Ein tolles Spiel entwickelt, die Fans regelmäßig mit neuen Informationen versorgt und zum richtigen Zeitpunkt (nämlich kurz vor Veröffentlichung) eine Demo veröffentlicht, die schon sehr gut anzukommen scheint. Schon im Intro hat mich die tolle Vertonung und spannende Geschichte in ihren Bann gezogen und auch im eigentlichen Spiel setzt sich die Grafikpracht fort. Die Rätsel sind überwiegend sehr gut durchdacht und sind so eingesetzt, dass der Spieler ständig zum Weiterspielen motiviert wird (an einigen Stellen im Spielverlauf möchte man sich gar nicht mehr von Nina oder Max trennen). Die Geschichte fesselt und bleibt bis zum Schluss (der auch bei geübten Spielern nicht zu schnell über den Bildschirm flimmert) spannend, wird aber gut abgerundet. Für mich stellt Geheimakte Tunguska das beste Adventure seit mindestens The Moment of Silence oder Black Mirror dar und lässt Erinnerungen an echte Klassiker aus den 90er Jahren wieder aufflammen, garniert mit Technik von heute. Hoffentlich halten sich die Verantwortlichen an ihr Versprechen und entwickeln einen Nachfolger, oder zumindest ein weiteres ebenbürtiges Adventure.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • spannende Story
  • Grafik + Sound
  • gute Sprachausgabe
  • perfekte P&C-Steuerung
  • fehlendes Gehen-Geräusch
  • wenige Rätsel wirken gezwungen