Als In Memoriam vor etwa 3 Jahren erschien, war es schon etwas Besonderes. Nicht ganz rundgefeilt, mit ein paar Problemen, aber etwas Besonderes war es auf jeden Fall. Seitdem hat Lexis Numérique viel Zeit gehabt, die Kritikpunkte anzugehen, und die hat der französische Entwickler sichtbar genutzt. Das letzte Ritual ist eine noch raffiniertere Verquickung von Realität und Fiktion als der Vorgänger. Aber von vorne...
Am Ende von In Memoriam konnte mit der Hilfe des Spielers der Journalist Jack Lorski aus der Gefangenschaft eines perversen Ritualmörders, der sich Phoenix nannte, befreit werden. Seitdem war das Beinahe-Opfer zusammen mit dem deutschen Profiler Gerd Hanke auf der Suche nach dem Killer. Die Nachricht von Lorskis Tod Mitte 2006 schockierte daher alle, die den spektakulären Fall verfolgt haben. Das letzte Ritual ist nach In Memoriam das zweite Spiel, das der Phoenix selbst zusammengestellt hat, um in der Öffentlichkeit Informationen über seine Motive und Vorgehensweise zu streuen (sofern man das hier nie erschienene Add-On nicht mitzählt). Unter Phoenix-Killer.info werden Informationen zum Fall gesammelt.
Theoretisch zumindest, denn all das ist natürlich rein fiktiv. Die Figuren sind Erfindungen von Lexis Numérique, die allerdings in den virtuellen Weiten des Internet ihre Spuren hinterlassen haben. Jack Lorskis ebenfalls fiktive Firma SKL Network ist beispielsweise schon seit Jahren im Netz, auch der Phoenix unterhält eine Website.
Woraus besteht aber nun das Spiel? Auf der DVD befindet sich eine Reihe von Aufgaben, Rätseln, deren Lösung sukzessive Informationen über den vermeintlichen Hergang der Dinge preisgeben. Oft ist dabei nicht einmal klar, was die Antwort sein soll. Nur eine Eingabemaske weist dann darauf hin, dass ein bestimmtes Wort gesucht ist. Die Anweisungen des Phoenix, was zu tun ist, sind meist sehr kryptisch und schwer zu interpretieren. Der Bildschirm enthält dann interaktive Elemente, Bilder, Textschnipsel oder andere Dinge, die weitere Hinweise darauf liefern, was gerade gesucht wird.
Wie nun die Lösung gefunden werden kann ist äußerst vielfältig. Häufig müssen Hinweise mit Hilfe des Internet recherchiert und zusammengepuzzelt werden. Dabei können echte Quellen wie Wikipedia helfen, oder fiktive Webseiten, die die Entwickler als Köder ausgelegt und mit den benötigten Informationen präpariert haben. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sind noch viel fließender, als das im ersten Teil der Fall war, wo fast alle vom Entwickler ins Netz gestellten Seiten auf den ersten Blick als solche erkennbar waren.
Das trifft jetzt nur noch auf einen deutlich kleineren Teil der Seiten zu. Oft surft man durch Blogs, bei denen unklar ist, ob die Autoren tatsächlich existieren und lediglich an geeigneter Stelle eine passende Information untergebracht haben, oder ob das ganze Blog eine Kreation der Entwickler ist. Viele der benötigten Informationen lassen sich auch über gänzlich echte Seiten finden, auf denen zum Beispiel eine bestimmte Geheimschrift erklärt wird. Es erstaunt immer wieder, wie gut es den Entwicklern hier gelingt, die Grenze zwischen erdachtem Spiel und wirklicher Internetwelt nahezu verschwinden zu lassen. Sogar Google Earth kann man zur Lösung sinnvoll zum Einsatz bringen.
Längst nicht alle Aufgaben auf der DVD werden allerdings durch Google & Co. gelöst. Genau so gut können es Details in den Filmen auf der DVD, subtile Wörter im Hintergrund oder pures logisches Denkvermögen sein, die zum Ziel führen. Verschiedene Tools wie eine Bildschirmlupe oder ein Textdecoder helfen bei diesen Aufgaben. Meistens führt nur eine Kombination aus mehreren Methoden ins nächste Level.
Wie im ersten Teil kommt es hier und da auch wieder auf eine geschickte Bedienung der Maus an, wenn Buchstaben geeignet über den Monitor geschoben werden müssen oder ein Schalter im richtigen Moment ausgelöst werden muss. Dieser Aspekt wurde aber spürbar zurückgefahren, die intellektuellen Herausforderungen des Spiels sind weitaus fordernder als die Geschicklichkeitseinlagen.
Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben reicht in der Regel von schwer bis bockeschwer. Das Letzte Ritual ist ein monströses Rätsel, das durch die Unmengen an Hintergründen, die man im Internet zu den Themen des Spiels finden kann, beliebig komplex wird. Das Interpretieren der kryptischen Anweisungen, das Ergründen der Funktionsweise der einzelnen Rätsel und das Entschlüsseln des Ganzen sind eine so anspruchsvolle Aufgabe, wie es die immer leichter werdenden klassischen Adventures nicht mehr bieten.
Überhaupt erst realistisch lösbar wird dieses vertrackte Räderwerk aus Mystik, Legenden und Historie erst durch die zahlreichen E-Mails, die der Spieler während seiner Ermittlungen zugeschickt bekommt. Denn bevor man loslegen kann, muss man sich mit seiner E-Mail-Adresse beim Internationalen Komitee zur Festnahme des Phoenix anmelden. Kurz darauf melden sich virtuelle Mitstreiter wie Julie Massenet, die regelmäßig per E-Mail ihre eigenen Ergebnisse mitteilen. Je länger man an einem Rätsel im Spiel sitzt, desto mehr dieser E-Mail-Tipps kommen in der Zwischenzeit im Postfach an. Leicht hat man es dann aber immer noch nicht: Recherchearbeit und Hirnschmalz sind dennoch reichlich zu investieren.
Für die Lösung eines Rätsels belohnt der Phoenix den Spieler regelmäßig mit Videosequenzen. Zur einen Hälfte bestehen diese aus den Filmen, die Jack Lorski über seine Nachforschungen hat anfertigen lassen. Darin erfährt der Spieler in ein- bis vierminütigen Häppchen von Lorskis Reise quer durch Europa, auf der er auf immer mehr Opfer des irren Killers stößt. Ob in Südfrankreich, Portugal oder Schottland, der Phoenix hat überall seine Spuren hinterlassen.
Die andere Hälfte besteht aus Videoclips, die die amerikanische Anwältin Jessica Moses bei der Suche nach ihrem lange verschollenen Bruder Adrian zeigen. Als Spuren von Adrian in einer verfallenen Holzhütte in Vermont gefunden werden, begibt sie sich zusammen mit ihrer Freundin Sharon als Kamerafrau auf die Suche. Wie beide Handlungsstränge im späteren Spiel zusammengeführt werden, welche überraschenden Wendungen der Phoenix konstruiert und die Frage, ob dem Serienkiller am Ende endlich das Handwerk gelegt werden kann ist so spannend, dass die Aussicht auf die nächste Videosequenz extrem motivierend ist.
Die Videosequenzen sind mit guten Schauspielern an Originalschauplätzen produziert worden und bieten mit einer Auflösung von 720 mal 280 Pixeln auch eine sehr gute Bildqualität. Zusammen bilden sie einen Film von knapp 80 Minuten Länge.
Die größte Stärke von In Memoriam 2 ist die exzellente Aufmachung. Auf der DVD des Phoenix klickt man sich nicht durch langweilige Textpassagen, sondern bekommt kunstvoll designte Collagen aus recherchierten Motiven, Textschnipseln, Codes, Zeichnungen, umherfliegenden Buchstaben. Alles flimmert verstörend, scheinbar bedeutungslose Flackereien erscheinen und verschwinden, schwer zuordenbare Objekte fliegen über den Monitor. Während man die Welten eines Geheimkults rund um Dante Alighieri, die Tempelritter und andere Mythen durchstreift, befeuert das morbide Werk den Spieler mit düsterer Todessymbolik. Immer wieder tauchen auch voyeuristische Filmschnipsel der gepeinigten Opfer auf, die der Phoenix für seine perversen Spiele einspannt.
Untermalt wird das Ganze weniger von Musik denn von kakophonischem Rauschen, verzerrten Hilferufen oder undeutbaren elektronischen Geräuschfolgen. Was in jedem anderen Spiel Grund zu heftiger Kritik wäre, verstärkt hier perfekt die Illusion, die erzeugt werden soll. Ein Spiel zwischen Faszination und Ekel.
Die Schwächen von In Memoriam 2 liegen nicht so sehr an der Umsetzung durch Lexis Numérique, sondern mehr am ungewöhnlichen Spielprinzip selbst. So können zum Beispiel keine Spielstände angelegt werden. Zwar ist es möglich, eine Kopie mit mehreren Personen zu bespielen, da anders als im ersten Teil Profile unterstützt werden. Am Ende noch ein mal bestimmtes Rätsel oder eine bestimmt Stelle im Spiel per Savegame anzuspringen ist aber nicht möglich. Immerhin lassen sich die bereits gesehenen Videosequenzen dank Filmbrowser jederzeit noch mal betrachten - was auch nötig ist, denn darin befinden sich wertvolle Hinweise auf die Lösungen.
Ein anderes Problem ist die Lebensdauer des Produktes. Niemand kann vorhersehen, wie lange die Server mit den präparierten Websites online sind und wie lange der Server steht, der die E-Mails versendet. Das wirkt sich nicht auf den Spielspaß aus, der Käufer muss aber damit rechnen, dass die DVD in wenigen Jahren wertlos ist.
Je länger man mit dem Spielen wartet, desto mehr werden sich in die Google-Ergebnisse Seiten einmischen, die nicht die Themen aus dem Spiel behandeln, sondern das Spiel selbst. Schon jetzt tauchen gelegentlich Treffer aus dem Adventure-Gamers-Forum oder dem Frogster-Forum auf, wo über die Rätsel diskutiert wird. Solange man nicht aufgegeben hat und nach einer Lösung sucht, sollte man in diesen Fällen widerstehen und weiter nach der eigentlich weiterführenden Webseite suchen. Auch dieser Punkt zeigt, dass In
Memoriam 2 ein Spiel für den Augenblick ist, nicht für die Ewigkeit.
Auch die Übersetzung stellt ein Problem dar. Nicht weil die Übersetzer schlechte Arbeit abgeliefert hätten. Im Gegenteil, die Texte sind meistens überzeugend ins Deutsche übertragen und die Sprecher in Ordnung. Das eigentliche Problem ist ein prinzipielles: Wer würde schon glauben, dass ein amerikanischer Künstler sein Blog sechssprachig führt? Niemand. Und deswegen ist das Blog auch nur englisch im Netz. Auch manche echte Informationsquelle liegt nur in englischer Sprache vor. Zwar tauchen oft sprachenunabhängige Schlüsselwörter auf, gerade Lösungswörter sind oft Eigen- oder Ortsnamen, mit guten Englischkenntnissen hat man aber definitiv Vorteile bei der Recherche.
Manchmal scheinen sich auch die deutsche Version der eintreffenden E-Mails, die Spieltexte und die entsprechenden Internetseiten nicht ganz einig über verschiedene Übersetzungen zu sein. Es kann deswegen sinnvoll sein, verschiedene Versionen eines Namens auszuprobieren.
In Memoriam 2 bietet ein faszinierendes Spielerlebnis, das von Autor Eric Viennot brillant konstruiert und von Lexis Numérique hervorragend umgesetzt wurde. Aber: Das Spielprinzip ist äußerst speziell und wird längst nicht jeden, vielleicht sogar nur die wenigsten ansprechen, die an klassischen Adventures Gefallen finden. Wer Internetrecherche nur mit Arbeit verbindet, sollte die Finger von diesem Titel lassen, wer sich aber vorstellen kann, sich auf diese Weise in die Lösung vertrackter Rätsel zu verbeißen, der wird nichts Vergleichbares auf dem Markt finden.
Die meisten Schwächen, die In Memoriam 2 offenbart, liegen im Spielkonzept verborgen. Der Schwierigkeitsgrad ist so hoch, dass es manchmal schon frustrierend sein kann, der Spur des Phoenix zu folgern. Wer sich dennoch der Herausforderung stellen will, sollte nicht zu lange damit warten. Die Gefahr besteht nämlich, dass Google in einigen Monaten mehr Forenbeiträge zum Spiel als eigentliche Spielinhalte findet.
In Memoriam 2 werde ich so schnell nicht vergessen. Die knüppelharten Rätsel haben mich schon die ein odere andere Nacht beschäftigt, auch wenn Lexis Numérique es mit dem Schwierigkeitsgrad bei der ein oder anderen Aufgabe doch etwas übertrieben hat. Die Schauspieler aus den spannenden Videosequenzen sind mir ans Herz gewachsen und Schwachstellen des Vorgängers wurden konsequent angegangen. Daumen hoch dafür! Ich persönlich würde mir von Lexis Numérique unbedingt ein weiteres Spiel dieser Art wünschen, jetzt bin ich aber erst mal gespannt, was für ein Eisen sie mit dem ebenfalls sehr innovativen Experience112 im Feuer haben.
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