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Test

von  Jan "DasJan" Schneider
24.12.2006
Runaway 2: The Dream of the Turtle
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch
87%

Auf kaum ein Adventure wurde wohl so sehr gewartet, wie auf Runaway 2. Nach etlichen Verschiebungen ist die deutsche Version dann endlich am 24. November in den Handel gekommen. Der Vorgänger wird oft zitiert, wenn es um den Aufschwung des nach der Jahrtausendwende angeschlagen vor sich hinkränkelnden Genres geht und galt zu seiner Zeit trotz Schwächen für viele als das beste Adventure seit Grim Fandango und The Longest Journey. Da durfte man natürlich besonders gespannt sein, ob die Pendulos Fehler ausmerzen und die hervorragenden Ansätze des Road Adventures konsequent zu einem Hit ausbauen können, der sich im dichten Adventuremarkt Ende 2006 gegen die zahlreich vorhandene Konkurrenz behaupten kann.

Es war einmal...

Wir erinnern uns. Am Ende von Runaway 1 sind Brian Basco und Gina Timmins den finsteren Mafiaschergen entwischt und haben sich mit deren Geld irgendwohin abgesetzt, wo sie unbeschwert teure Cocktails schlürfen und der Sonne hinter dem Meer beim Untergehen zuschauen können.

Zu Beginn des Sequels brechen die beiden von ihrem Domizil auf Hawaii zu einem Ausflug zum berühmten Tiki-Wasserfall auf. Leider stellt sich der Flugunternehmer von Platypus Tours als so unzuverlässig heraus, wie er aussieht, und das Flugzeug muss auf der dicht bewaldeten Tropeninsel bruchlanden. Vorher stößt Sunnyboy Brian, der inzwischen die Patina des neunmalklugen Physikstudenten abgestreift hat, seine Flamme mit dem einzigen Fallschirm an Bord aus der abstürzenden Klapperkiste.

Brian übersteht den ruppigen Aufprall mit ein paar Schrammen und muss nach den ersten Rätseln feststellen, dass die Insel so unberührt, wie sie von oben aussah nicht ist. Um den See, in dem Gina gelandet ist, hat die Armee unter dem knallharten Colonel Kordsmeier ein Camp aufgebaut. Der beansprucht die Insel für sich und hat inzwischen praktisch alle Touristen von dem idyllischen Eiland vergrault. Außerdem weigert er sich, Gina in die Freiheit zu entlassen.

Auf den Spuren der Allmächtigen

Runaway 2 beginnt spannend. Man fragt sich, was es mit dem Armeecamp auf sich hat, wieso Gina nicht freigelassen wird, wer die strenge Schönheit im Latexanzug ist, die durch das Camp marschiert und was diese Insel für Kordsmeier so interessant macht. Bald trifft man auch auf den alten Bekannten Joshua, der in Teil 1 per UFO entschwebt ist und inzwischen ein Schweigegelübde abgelegt hat.

Der spätere Storyverlauf ist diskutabel. Wer neben Comichumor auch eine spannende, vielleicht sogar komplexe Krimihandlung erwartet hat, dürfte enttäuscht sein. Runaway 2 folgt dem Comic-Credo und erzählt stattdessen eine stark überzogene Geschichte, die eng mit Joshuas damaligen UFO-Abgang zusammenhängt und nicht weniger abgedreht ist wie mit Zeitmaschinen ausgerüstete Klohäuschen. Vielleicht wären die Entwickler hier besser beraten gewesen, eine etwas ernsthaftere Richtung einzuschlagen und es damit dem Vorgänger gleichzutun. Außerdem sollte man sich darauf einstellen, dass "The Dream of the Turtle" nur den Anfang einer Geschichte erzählt, die frühestens in Runaway 3 ihr Ende findet.

Wer Runaway stattdessen als Comic-Adventure sieht, bekommt viele ausgiebige Dialoge mit etlichen witzigen Seitenhieben, dafür aber mit weniger Tiefgang serviert.

Nichts für Schattenparker

Rätseltechnisch gesehen gibt es in Runaway 2 die volle Breitseite. Die Rätseldichte ist sehr hoch, die Komplexität auch kein Pappenstiel und Komfortfunktionen wie den Snoop Key aus Geheimakte Tunguska gibt es nicht. Viele Rätsel sind auch für den erfahrenen Abenteurer fordernd, aber logisch und damit fair. Geschickt verstehen es die Entwickler, falsche Fährten auszulegen - nicht etwa in Form von unnötigem Inventarfüllstoff, sondern als in die Spielwelt integrierte Elemente, die eine Problemlösung suggerieren, welche am Ende dann doch nicht praktikabel ist. Nur hin und wieder schlägt mal eine Aufgabe über die Stränge der Logik, sodass munteres Rumprobieren oder ein Blick in die Komplettlösung vonnöten ist. Dem Trend, die Spiele leichter zu machen, um ein möglichst großes Marktsegment anzusprechen, stellen sich die Pendulos jedenfalls selbstbewusst entgegen.

Neben der Unzahl an Inventarrätseln gibt es auch ein Wiedersehen mit den guten alten Dialogrätseln. Hier hätte man sich noch wünschen können, dass unwichtig gewordene Gesprächsverläufe nicht mehr angeboten oder zumindest farbig markiert werden. Dialoge lassen sich zwar überspringen, das ist aber auf Grund der Rätselstruktur sehr oft nötig, sodass hier ein wenig mehr Komfort den Klickfaktor reduzieren könnte.

Die Spielmechanik betreffend sind die ersten zwei Drittel die besten, ab Kapitel 5 gesellen sich auch ein paar Ausrutscher in die gelungene Rätselkost. Auch lassen sich plötzlich einige Laufwege nicht mehr abkürzen, sodass der Spielfluss mehr gestreckt wird als nötig.

Vom Umgang mit Kritik

Kritik am Vorgänger haben die Entwickler merklich wahrgenommen. Ein großer Kritikpunkt, das nervige Pixelhunting, wurde effektiv beseitigt. Hotspots sind jetzt entweder so groß, dass man sie kaum übersehen kann, oder es wird explizit darauf hingewiesen. Eine im Schatten liegende Pilotenbrille kann man zum Beispiel direkt finden, man kann aber auch einfach den großen Treibsand-See anklicken, auf dem diese liegt, was dazu führt, dass Brian die Brille von sich aus entdeckt. Nur selten besteht die Gefahr, mal einen wichtigen Hotspot zu übersehen.

Ein anderer Kritikpunkt war die erzwungene Linearität. So konnte man Objekte beispielsweise nur mitnehmen, wenn Brian schon genau absehen konnte, wozu er diese gebrauchen kann. Dieses Verhalten gehört offenbar trotz der Spielerproteste zur Gamedesign-Philosophie der Pendulos, denn auch in Runaway 2 ist das im Prinzip ähnlich. Im Prinzip deshalb, weil Brian jetzt beim Interagieren Tipps gibt, die andeuten, dass etwas später noch zu gebrauchen ist ("Solange ich nicht weiß, wobei mir das Xyz helfen kann, lasse ich es da, wo es ist"). Das ist dem Spieler gegenüber deutlich fairer als vorher, dennoch wirken viele dieser Kommentare erzwungen und es stellt sich die Frage, ob es nicht einfacher gewesen wäre, Brian die Dinge einfach direkt mitnehmen zu lassen.

Augenweide

Pendulos Comicgrafik lässt sich wohl am besten mit grandios beschreiben. Die liebevoll gezeichneten Hintergründe sind ungeheuer detailliert ausgeführt und hier und da mit vorgerenderten 3D-Objekten angereichert, die im Comicstil gerendert sind und sich ohne großen Stilbruch in die Umgebung einpassen. Ein schönes Detail sind auch die Fußabdrücke, die Brian im Schnee hinterlässt und die langsam wieder zuschneien. In anderen Kapiteln könnte man hier und da die wunderschönen Hintergründe durch ein oder zwei zusätzliche Animationen noch etwas aufpeppen.

Besonders große Mühe haben sich die Entwickler mit der Animation der Charaktere gegeben. Brian und seine Kollegen führen jede einzelne Aktion mit einer eigens dafür angefertigten Bewegung aus - egal ob jemand für einen Sprung Anlauf nimmt, eine Treppe hochgeht, etwas nimmt, drückt, wirft oder sich hinsetzt. Leider lassen sich viele dieser Animationen, so schön sie auch sind, nicht abbrechen, sodass sie gerade in Spielabschnitten mit vielen solcher Einlagen ein wenig auf Kosten der Kurzweil gehen können. Trotzdem ist es ein Fest, den Cel-shading-Figuren bei ihren unzähligen Aktionen zuzuschauen. Hier wird kein unbeachtlicher Teil der über 6 Gigabyte verborgen sein.

Die Zwischensequenzen sind wieder besonders zwischen den sechs Kapiteln sehr lang, schick anzusehen und frei von Kompressionsartefakten. Hier kann man sich nach einer Reihe gelöster Rätsel zurücklehnen und den Verlauf der Story beobachten. Wer mag darf die Filme aber auch abbrechen.

Eierlikör

Musikalisch war schon im Vorfeld der Veröffentlichung der poppige Titelsong von RykC, der den Spieler durch das Intro begleitet, unter Beschuss. Über die Qualität der Produktion kann man hier nicht meckern, in der Tat fragt man sich aber, warum Vera Domínguez von Liquor, die den bejubelten, Cranberries-esquen Song zum Vorgänger gesungen und auch wieder Stücke zu The Dream of the Turtle beigetragen hat, im Hintergrund von verschiedenen Zwischensequenzen untergehen muss, anstatt den Platz an der Sonne in Intro und Promovideos zu bekommen.

Sieht man aber von der geschmacklich umstrittenen Wahl des Titelsongs ab, bleibt ein rundum gelungener Soundtrack, der für jede Umgebungen mit eigenen Themen aufwartet. Während sich am Strand vom Mala überzeugende Karibikstimmung verbreitet, werden die Töne auf einem verlassenen Friedhof oder in geheimnisvollen Katakomben der Ureinwohner deutlich mystischer. Auch von ambienten Klängen wie Vogelzwitschern oder Wind wird ausgiebig Gebrauch gemacht, was der Atmosphäre sehr zuträglich ist.

Starke Sprecher, ärgerliche Macken

Die Sprachausgabe selbst ist wieder einmal sehr gut gelungen. Die bekannten Figuren werden von denselben Sprechern wie im ersten Teil vertont, allen voran Christian Stark in der Rolle des Brian Basco. Auch die Sprecher der neuen Figuren sind gut gewählt und erfüllen ihre Charaktere mit Leben. Die Übersetzung ist weitgehend in Ordnung, auch wenn offenbar Uneinigkeit darüber herrschte, ob es nun um den Traum der Schildkröte, des Seepferdchens oder des Schnabeltiers geht.

Leider haben sich in der deutschen Version einige technische Macken eingeschlichen. In Zwischensequenzen wird die Sprachausgabe schon mal zu früh abgehackt, im Spiel werden Sätze an der falschen Stelle abgespielt oder sind falsch nachbearbeitet. Nach dem Wort "Benutz", das bei möglichen Interaktionen angezeigt wird, fehlt im gesamten Spiel das Leerzeichen. Gegen Ende gibt es sogar einen reproduzierbaren Bug, der das Spiel zum Absturz bringt.

Abgesehen vom Bug sind das alles Kleinigkeiten, die so auch in vielen anderen Spielen auftreten, auch in größerer Zahl. In einem Adventure, von dem man nichts anderes als Perfektion erwartet, stoßen solche Nachlässigkeiten aber besonders sauer auf. Bei ein paar zusätzlichen Tagen im Betatest hätte viel davon erkannt und behoben werden können. Immerhin wurde bereits angekündigt, dass die meisten dieser Probleme mit einem Patch beseitigt werden.

Der Traum des Spieletesters

Die sehr hohe Qualität der ersten Spielhälfte leidet im späteren Spielverlauf etwas. Während die ersten Kapitel noch mit hervorragender Rätselkost und kurzweiligem Gameplay begeistern können, gesellen sich ab Kapitel 5 auch weniger glorreiche Aufgaben und träge Animationen dazu. Außerdem weiß die Wirre Geschichte um Joshuas UFO-Eskapaden nicht wirklich zu überzeugen und hier und da trübt ein an falscher Stelle abgespieltes Soundsample das Gesamtbild.

Das alles soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Runaway 2 ein sehr gutes Adventure ist, das durchaus länger beschäftigt als sein Vorgänger, obwohl es nur die erste Hälfte einer Geschichte erzählt. Nicht zuletzt die geniale Grafik samt passender Musikuntermalung lässt einen über manche Holprigkeit mit Milde hinwegsehen.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Von keinem anderen Adventure habe ich mir in diesem Jahr so viel erwartet wie von Runaway 2. Teil 1 zeigte schon hervorragende Ansätze und Schwächen, die mit realtiv wenig Aufwand vermieden werden können.
Ganz das erhoffte Super-Adventure ist Runaway 2 dann aber doch nicht geworden. Ich hatte das Gefühl, dass sich die Entwickler nicht so recht zwischen abstruser Comicwelt und halbrealistischem Abenteuer entscheiden konnten. Für ersteres ist die geniale Comicgrafik nicht krumm und die Dialoge nicht zotig genug, für letzteres ist die Geschichte viel zu überzogen.
So schade es aber um das verschenkte Potenzial ist, Runaway 2 hat mich immer noch prächtig unterhalten und gehört trotzdem zu den besten Titeln des Jahres.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Grandiose Grafik
  • Klasse Musik (bis auf Titelsong)
  • Rätsel meistens gelungen
  • Unzählige Charakteranimationen
  • Gute Sprachausgabe
  • Wirre Story
  • Kapitel 5
  • Erzwungene Linearität
  • Joshua nervt
  • Zu viele kleine Fehlerchen