Ein Adventure, das im Zweiten Weltkrieg spielt? Indiana Jones. Und sonst? Man wird sich bei der Suche schwer tun, wenn es um Spiele geht, in denen der Krieg so zum zentralen Thema gemacht wird, wie im jüngsten Spross des Anaconda-Labels von dtp. Während der zweiunddrölfzigste WWII-Shooter in der Flut ähnlicher Produkte untergeht fällt Undercover im Adventure-Genre mit dem ungewöhnlichen Setting durchaus auf. Wir haben uns jetzt angeschaut, was der Titel von Sproing Interactive spielerisch hergibt.
London, der 8. Januar 1943. Der britische Geheimdienst MI6 kontaktiert den Physikprofessor John Russell. Offenbar arbeiten die Deutschen an einem streng geheimen Waffenprojekt, dessen Fertigstellung unbedingt verhindert werden muss. In Begleitung zweier britischer Spione macht sich der Spieler als John Russell nun auf den Weg nach Berlin, um dort inkognito Details zu dem Projekt herauszufinden. Doch ein deutscher Obersturmführer, der seine eigenen Pläne mit der Bombe hat, mischt sich ein, und bald stellt sich die Frage, wem man überhaupt trauen darf...
Das zu sabotierende Projekt stellt sich bald als das Uranprojekt heraus, der Versuch der Deutschen im Zweiten Weltkrieg, die Atombombe zu bauen. Bekanntlich wurde eine solche von Deutschland im Krieg nicht eingesetzt, trotzdem ranken sich heute noch viele Theorien um diese Bemühungen. Undercover basiert als fikitive Geschichte damit auf historischen Details, was der Spionage-Geschichte einen zusätzlichen Reiz verleiht.
Mit der heiklen Kriegsthematik geht Undercover relativ defensiv um: So werden Adolf Hitler, die SS und andere konkrete Details nicht beim Namen genannt und das Hakenkreuz musste allein schon aus rechtlichen Gründen durch ein Fantasiesymbol ersetzt werden. Trotzdem fühlt sich der Spieler durch die authentisch wirkenden Kulissen, reale Schauplätze und korrekte historische Details überzeugend in das Deutschland im Jahr 1943 zurückversetzt.
Dem Trend folgend gibt sich das Spiel Mühe, die Inszenierung ins Filmähnliche zu bewegen und von den eher starren Bildfolgen klassischer 2D-Adventures abzurücken. Das gelingt recht gut, da in allen Dialogen in eine eigene Ansicht geschnitten wird. Darin ist der Hintergrund etwas unscharf dargestellt, um die Figuren stärker zu betonen. Diese sind außerdem größer zu sehen als in der Spielansicht. Auch für die selbstablaufenden Zwischensequenzen sind viele zusätzliche Hintergründe gerendert worden, um regelmäßige Schnitte zu ermöglichen. Trotzdem ist Undercover ein gewöhnliches 2,5D-Point-&-Click-Spiel mit bewährter Steuerung. Dass die Maustasten ähnlich wie in Ankh anders als gewohnt belegt sind hat man bereits nach 5 Minuten vergessen.
Auch positiv: Normalerweise ist ein Physikprofessor niemand, mit dem sich Otto-Normal-Spieler mühelos identifizieren kann. Trotzdem kommt John Russell ausgesprochen sympathisch daher und hat neben einigen nett gemeinten Klugscheißereien auch immer mal wieder einen flapsigen Spruch auf den Lippen. Dazu kommt, dass das Motion Capturing dem Wissenschaftler jede Menge Leben einhaucht. In diese Rolle schlüpft man auch ohne Hochschulabschluss gerne.
In der ersten Spielhälfte besteht die Aufgabe für den Spieler meistens darin, unbemerkt an deutschen Wachen vorbeizukommen, um verschiedene Gebäude zu infiltrieren. Das ist abwechslungsreicher, als es sich anhört, denn abgesehen von einer Schleichpassage geschieht das immer durch das Lösen verschiedener Inventarrätsel und einiger weniger Logikpuzzles. Diese sind in der Regel durchaus interessant und vielseitig, doch leider passiert es ab und zu, dass die Rätsel etwas plump in die Spielwelt eingebettet sind und daher etwas aufgepfropft wirken. In einer Szene verbirgt zum Beispiel ein aufwändig gesicherter Schreibtisch lediglich ein Heizungsventil, was innerhalb der Spielwelt keinen erkennbaren Sinn ergibt.
Dazu kommt, dass die Soldaten sehr unintelligent agieren. So lassen sie sich durch ein ablenkendes Geräusch für immer von dem Eingang weglocken, den sie bewachen, und eine Gruppe anderer Soldaten starrt für unbegrenzte Zeit in den Himmel, nachdem sie die Sirene, die einen Luftangriff ankündigt, gehört hat. Damit verlieren sie ihre Rolle als Charaktere in einer Handlung und degradieren sich zu bloßen Elementen der Spielmechanik. Für Spieler, die Undercover wegen der Rätsel spielen möchten, stellt dies keine Beeinträchtigung dar, die konsistente Spielwelt wird allerdings etwas beschädigt.
Davon abgesehen bietet Undercover aber auch viele gelungene und logische Rätsel. Das relativ große Inventar und die vielen Hotspots in der Spielumgebung sorgen für eine relativ hohe Komplexität. Dem wirkt die Möglichkeit, sich alle Hotspots im Bild anzeigen zu lassen, und die logischen Problemlösungen entgegen, sodass der Schwierigkeitsgrad moderat bleibt. Schön ist, dass auch im Sinne des Weiterkommens unnötige aber scheinbar sinnvolle Aktionen auch gelegentlich mit eigenen Kommentaren bedacht sind.
Für ein schnelles Spielchen in der Mittagspause eignet sich Undercover eher wenig, da es sich recht träge spielt. Besonders ärgerlich sind die Ladezeiten, die bei jedem Bildwechsel entstehen. So kann es passieren, dass man beim schnellen Laufen von A nach B über mehrere Hintergründe länger den schwarzen Ladebildschirm sieht als die Szenen selbst. Letztere kann man dank Doppelklick-Funktion nämlich sofort verlassen. Dazu kommt, dass John Russell immer erst zu einem Gegenstand hingeht und ihn dann kommentiert. Immerhin kann er dabei per Doppelklick auch laufen.
Grafisch kann sich das Spiel sehen lassen. Die Hintergründe sind detailliert gerendert und stimmungsvoll beleuchtet. Zwar gibt es echte, vorgerenderte Animationen recht selten, trotzdem wirken die Szenen belebt. Hierfür sorgt in Außenarealen z.B. der leichte Schnee, der zwar relativ einfach umgesetzt wurde, aber trotzdem Bewegung ins Bild bringt. Dazu kommen Partikeleffekte wie dampfende Gullideckel und qualmende Schornsteine. Besonders hervorzuheben ist aber das vorbildliche Schattensystem, das Sproing eingebaut hat.
Zu jeder Szene gibt es in Undercover ein unsichtbares Drahtgittermodell, das einige Informationen über die dreidimensionale Struktur der gerenderten Bilder enthält. Dieses wird genutzt, damit alle Charaktere in Echtzeit berechnete Schatten auf ihre Umgebung werfen können. Diesem System wird von der spannenden Beleuchtung der meist nächtlichen Szenen zugespielt. Geht Russell an einer Tischlampe im Vordergrund vorbei, zieht der Schatten quer über den Bildschirm, geht er an einer Reihe von Straßenlaternen vorbei, wirft er gleich mehrere Schatten. Dadurch sind die Personen im Spiel trotz 3D-Technik hervorragend in ihre Umgebung eingebettet.
Hier und da fällt auch Licht durch ein Fenster in die Szene. Die einfallenden Lichkegel werden dann an den entsprechenden Stellen ausgedünnt, wenn jemand am Fenster vorbeiläuft. Ein sehr gelungener Effekt, der die Szenen lebendiger macht.
Die Charaktere selbst sind in großen Teilen gelungen. In Großaufnahmen merkt man zwar, dass außerhalb der Gesichter Textur- und Modellqualität abnimmt und gerade im Intro fallen die hässlichen Wurstfinger der Figuren auf. Viel wichtiger ist aber, dass die Gesichter exzellent gelungen sind und dank runder Animationen und Lippensynchronität sehr charismatisch wirken. Da sind die Wurstfinger schnell vergessen.
Auch akustisch bereitet Undercover Freude. Die musikalische Untermalung ist meistens eher zurückhaltend, aber zum Setting passend, nicht nervig und trägt zur Spannung bei. Dazu gibt es ambiente Stimmung und Soundeffekte überall da, wo man sie erwartet. Auch bei der Sprachausgabe liefert dtp wie gewohnt eine sehr professionelle Umsetzung ab, gerade Hauptfigur John Russell wurde äußerst überzeugend vertont.
Für das kleine Team von Sproing ist Undercover eine große Leistung. Im Kern ist ein sehr gutes Spiel in einem unverbrauchten Setting herausgekommen, das mit interessanten Hauptcharakteren, stimmungsvoller Optik und einer gelungenen Inszenierung Freude bereitet. Gelegentlich sind die Rätsel etwas unglaubwürdig und die viel zu langen Ladezeiten stören, es überwiegen aber klar die positiven Eindrücke. Da ist es doppelt schade, dass viel zu früh schon das spektakuläre Schlusskapitel und der Abspann über den Monitor flimmern, denn Undercover ist nach deutlich weniger als 10 Stunden schon wieder vorbei. Ein Nachfolger ist weder angekündigt noch ausgeschlossen.
An den gewohnten Weltkriegs-Verpackungen im Spieleregal gehe ich normalerweise vorbei, dafür bin ich im Geschichtsunterricht zu sehr mit dem Thema gequält worden. Bei Undercover war es jedoch anders, da konnten die charismatisch animierten Charaktere mich schon im Intro in die Geschichte ziehen. Von zwei oder drei Spitzen abgesehen bleibt die dann aber doch ein wenig flach und manchmal verdrängt die Spielmechanik die Spielwelt. Trotzdem: Undercover ist ein gelungenes Adventure. Ich wünsche mir hier einen Nachfolger, der etwas länger ist und die angesprochenen Punkte gezielt ausmerzt, denn würde ich mich wieder mit Freude in das eigentlich ungeliebte Szenario stürzen.
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