Kaum eine Spieleschmiede ist so fleißig wie Kheops Studio aus Frankreich. Auch wenn, abgesehen vom durchaus respektablen The Secrets of da Vinci, die Wertungen der Adventures meist nur im Mittelfeld lagen, ist zumindest eine optisch hübsche Präsentation und eine auch ansonsten saubere technische Umsetzung schon fast vorprogrammiert. Das neuste Werk der Egypt- und Safecracker-Macher setzt den legendären Schatzinsel-Roman von Robert Louis Stevenson fort. Die Geschichte wurde also nicht einfach nur umgesetzt. Das Adventure spielt nach den ursprünglich beschriebenen Geschehnissen. Ob die Aufarbeitung des Buches gelungen ist und auch das restliche Spiel überzeugen kann, zeigt unser Test.
In der Buchvorlage fällt dem siebzehnjährigen Jim Hawkins die Schatzkarte eines berüchtigten Piraten in die Hände. Der anschließenden Suche schließen sich nicht nur die deutlich älteren Herren Dr. Livesey und Squire Trelawney an, sondern auch einige zwielichtige Gestalten, die sich den Schatz selbst zu eigen machen wollen. Auf der Insel schließlich überlebt Hawkins nur durch die Hilfe des einbeinigen Piraten Long John Silver, dessen Markenzeichen ein Papagei auf der Schulter ist. Nach vielen Erlebnissen und Wendungen endet die Geschichte mit der Flucht von Long John Silver und Jim Hawkins von der Insel mit einem Teil des Schatzes. Drei Piraten bleiben auf der Insel zurück... Der Stoff des Buches war Vorlage für wohl unzählige andere Produktionen der Unterhaltungsindustrie (Monkey Island lässt grüßen).
Die Geschichte spielt vier Jahre nach dem Ende des Romans. Jim Hawkins ist inzwischen erwachsen und stolzer Kapitän eines Dreimasters geworden. Seine Situation ist allerdings alles andere als angenehm: Die Piraten, die auf der Schatzinsel zurückgelassen wurden, haben ihn aufgespürt und in seiner Kabine eingesperrt. Sie wollen sich an ihm rächen. Doch plötzlich fliegt ein Papagei durch das Fenster. Es ist nicht irgendein Papagei, sondern der stetige Begleiter seines alten Kumpanen Long John Silver - Captain Flint. Er überbringt eine Nachricht: Eine Schatzkarte! Jim zögert nicht, flüchtet vom Schiff, zerschellt mit seinem Dingi (kleines Beiboot) am Kap der Angst, das vor der Smaragdinsel liegt und macht sich sofort auf Schatzsuche.
Schon in der Zwischensequenz nach der ersten Szene fallen erste Unzulänglichkeiten auf: Wie schafft Jim es überhaupt, die Smaragdinsel zu erreichen? Schließlich überbrückt er auf der gezeigten Karte mit einem Beiboot eine Strecke von über 1500 Kilometern auf offener See. Dass das Dingi erst bei Erreichen der Smaragdinsel kentert, grenzt an ein Wunder. Trotzdem schafft es das Spiel, in der ersten Spielhälfte eine gute Atmosphäre aufzubauen. Die Insel ist wunderschön und man kann die eingeborenen Indianerstämme und gröhlenden Piraten, die ums Lagerfeuer sitzen fast spüren. In Wirklichkeit ist die Insel aber schon länger verlassen, so dass Jim die meiste Zeit auf sich alleine gestellt ist (vom leicht vergreisten Papageien Captain Flint einmal abgesehen). Ein weiteres Manko, das an den Kheops-Adventures immer wieder kritisiert wird.
Der tollen Atmosphäre wird ein jäher Dämpfer verliehen, als Jim das erste Mal auf menschliches Leben stößt und die Geschichte aufgeklärt wird. Eine sinnfreiere und mehr an den Haaren herbeigezogene Auflösung hätte man sich kaum vorstellen können. Abgesehen davon bleibt der Spielverlauf aber spannend, lediglich die Endsequenz fällt viel zu kurz aus und enttäuscht. Aus der Geschichte und der Umgebung hätte man definitiv mehr machen können. Neue Abenteuer auf der Schatzinsel wirkt so, als wäre den Entwicklern Zeit und Geld ausgegangen. Darauf deuten auch die sehr kurze Spieldauer und der verzicht auf animierte Zwischensequenzen hin.
Das Spektrum an Rätseln beschränkt sich im Allgemeinen auf Kombinations- und Logikrätsel. Auch hier ist wieder die Möglichkeit gegeben, Gegenstände zu zerlegen und zu anderen Objekten zusammenzusetzen. So können Gegenstände wie eine Flasche Rum und Flickzeug (also typischem Piratenzubehör) unter anderem für einen Kompass oder eine Angel verwendet werden. Dies bietet einiges an Abwechslung und durchaus einige Kopfnüsse, über die man etwas länger nachdenken muss.
Das Spiel läuft fast linear ab. Jim strandet mit nichts als einer Schatzkarte auf der Insel. Die Karte enthält nicht ganz offensichtliche Hinweise. Im Laufe des Spiels werden sowohl die Karte als auch die vorhandenen Anweisungen ergänzt und erweitert. So ist es unter anderem Jims Aufgabe, Metall einzuschmelzen und eine Kanonenkugel daraus zu gießen. An einer anderen Stelle müssen Piraten überwältigt und ein paar Meter weiter ein Schiff versenkt werden. Diese oft spannenden Stellen hören sich nicht nur gefährlich an - sie sind es auch. Ist Jim nicht vorsichtig, stirbt er. Der Spieler wird dann automatisch wieder unmittelbar vor die tödlich abgelaufene Sequenz gestellt.
Eine Besonderheit bieten die Seemannsknoten, die Jim beherrschen muss. Um sich zum Beispiel an einem Abgrund abseilen oder ein Schiff mit einer Halterung vertauen zu können, müssen Taue und Seile auf eine bestimmte Art verknotet werden. Der Spieler bestimmt hier die Knotreihenfolge. Liegt man einmal falsch, beginnt man einfach wieder von vorne. Das führt dazu, dass man sich die Sequenzen einfach auswendig merkt und gar nicht erst versucht, die Logik hinter einem Knoten zu verstehen.
Alles in allem ist die Schwierigkeitsstufe recht einfach. Die Rätsel sind überwiegend logisch aufgebaut und abwechslungsreich. Wer keine Logik-/Schalterrätsel mag, dürfte sich nicht besonders über das Endrätsel freuen. Hier wartet ein Rätsel auf den Spieler, das sich vom Schwierigkeitsgrad her deutlich vom restlichen Spiel abhebt.
Wie in vielen Kheops-Spielen zuvor überzeugt die Grafik durch ihre Schönheit und ihren Detailreichtum. Was da auf 1024x768 Pixeln präsentiert wird ist beindruckend. Bei der Ausarbeitung der unterschiedlichsten Schauplätze auf der Smaragdinsel wurde sich viel Mühe gegeben. Da gibt es das karge und felsige Kap der Angst (inklusive Steinschädel in Monkey-Island-Affenkopfgröße). Nach kurzem Fußmarsch und der waghalsigen Überwindung einer tiefen Schlucht erreichen wir die Blumenküste, die Dank farbenfroher Blumen, Sträuchern, Palmen, Bananenbäumen und Tieren wie einem Papageien oder einem Chamäleons ihren Namen redlich verdient. Im weiteren Verlauf des Spiels besucht der Spieler noch Orte wie eine verlassene spanische Mine, einen nebligen Sumpf oder das berüchtigte Fallental.
Was dem ganzen Spiel fehlt, sind Animationen. Zwar rauscht hier und da ein Wasserfall durchs Bild und fliegen Vögel durch die Luft, so richtig belebt scheint die Karibikinsel allerdings nicht zu sein. Auch dynamischer Schattenwurf oder sonstige Lichteffekte sind kaum vorhanden. Richtig schade ist allerdings das Fehlen von animierten Zwischensequenzen. Lediglich am Anfang und ganz am Schluss finden sich gerenderte Videos. Alle anderen Zwischensequenzen werden mit an Konzeptbilder erinnernde Handzeichnungen erzählt. Am Anfang ist das noch in Ordnung, aber gerade, wenn es um spannende Szenen und schnelle Bildwechsel geht, nimmt diese Methode einiges an Geschwindigkeit aus dem Spiel und dämpft Spannung und Atmosphäre.
Die anderen Charaktere, die Jim in seinem Abenteuer trifft und die fast an einer Hand abzuzählen sind, wurden gut ausgearbeitet. Lediglich die Animationen wirken hölzern. Neben der Tatsache, dass die Charaktere sich nie vom Fleck bewegen sind ihre Animationen beim Sprechen mehr als hakelig.
Die Musikuntermalung ist sehr gut gelungen. Auch wenn die Hintergrundmusik meist auf dem gleichen Thema zu basieren scheint (Piratenlieder), so ist diese doch immer perfekt an die jeweilige Situation angepasst. Titelmusik oder ähnliches gibt es aber leider keine. Auch die Soundeffekte überzeugen, sind jedoch eher spärlich vorhanden.
Die Lokalisation enthält einige Fehler, die aber nicht weiter negativ auffallen. So spricht zum Beispiel das Inventar davon, dass ein Vorgang nicht "autorisiert" sei wenn man versucht, zwei Gegenstände zu kombinieren, die nicht zueinander passen. Die Synchronisation ist in Ordnung, wenngleich die Sprecher nicht überaus motiviert wirken.
Gesteuert wird aus der Egoperspektive mit der Maus. Der Cursor bleibt immer fest in der Mitte des Bildschirms und verändert sich bei Berührung eines Hotspots. Mit einem Linksklick wird die entsprechende Aktion auseführt, mit einem Rechtsklick öffnet sich das Inventar. Dieses ist in verschiedene Felder eingeteilt. Das Menü auf der linken Seite ermöglicht den Zugriff auf Bereiche wie der Schatzkarte, den Rätseln und Zielen, schon gelösten Knoten, Kombinationsmöglichkeiten von Inventargegenständen und das Hauptmenü (Speichern, Laden, ...). Speichern ist in jeder spielbaren Sequenz möglich. In der Mitte befindet sich das eigentliche Inventar, das in fünf Reiter mit jeweils 18 Ablageplätzen eingeteilt ist. Mehr als 36 der insgesamt 90 Plätze werden im Spielverlauf aber nicht benötigt. Unpraktisch ist die Tatsache, das neu aufgenommene Gegenstände erst alle in einem Feld abseits vom eigentlichen Inventar gelagert werden. Der Spieler kann diese dann manuell weiterverteilen oder diesen Vorgang mit einem Klick auf "Auto" automatisch stattfinden lassen. Da meistens sowieso auf "Auto" geklickt wird, hätte dieser Zwischenschritt auch entfallen können.
Am unteren Rand befindet sich die Kombinationsleiste. Hier können Gegenstände kombiniert werden. Auf dem links daneben abgebildeten Schraubenschlüssel lassen sich gekennzeichnete Gegenstände zerlegen.
Was mit einer Meuterei beginnt und in eine spannende Schatzsuche auf einer malerischen karibischen Insel übergeht, endet in einer verkorksten Geschichte rund um einen alten Piraten und einen leicht dämlichen Naseweis. Der Bezug zum Roman "Die Schatzinsel" ist zwar vorhanden, wird aber auf eine völlig abstruse Weise fortgesetzt. Überzeugen kann die technische Umsetzung des Spiels. Die Grafiken sind auf einem hohen Niveau, auch wenn Animationen überwiegend fehlen und auch die Musikuntermalung passt perfekt zur Atmosphäre. Ein grober Schnitzer sind aber die fehlenden animierten Zwischensequenzen und die kaum vorhandene Interaktion mit anderen Charakteren.
Schade. War The Secret of da Vinci ein wirklich gutes Adventure, das bis auf wenige Kleinigkeiten voll und ganz überzeugen konnte, ist Kheops Studio bei Neue Abenteuer auf der Schatzinsel wieder ins alte untere Mittelmaß verfallen. Die Geschichte beginnt spannend, die Atmosphäre ist hoch. Auch die Rätsel fordern und unterhalten. Schnell wird aber klar, dass der Protagonist Jim wieder sehr einsam in seiner Spielwelt agiert und auch die nur in Handzeichnungen dargestellten Zwischensequenzen nicht unbedingt zu einem guten Spielerlebnis beitragen.
Andererseits ist auf die technische Umsetzung Verlass. Die Hintergründe sind alle mit viel Liebe zum Detail erstellt und bleiben auch nach dem Spielen in Erinnerung. Beim Ausblick von einem dicht bewachsenen Riff hinab in die Blumenbucht, in deren glitzernden blauen Wasser ein Dreimaster vor Anker liegt, verweilt man gerne einen Augenblick. Auch der Tauchgang in dieselbe Bucht ist ein Erlebnis. Dem Spieler öffnet sich eine faszinierende Unterwasserwelt. Alle Szenen sind mit einer zur jeweiligen Stimmung passenden Musik unterlegt, die zwar leicht synthetisch klingt, aber trotzdem perfekt zur Atmosphäre beiträgt. An kleine Unzulänglichkeiten bei der Steuerung (Inventar) hat man sich schnell gewohnt.
Trotzdem enttäuscht das Spiel im Gesamtbild. Wenn nach etwa fünf Stunden der Abspann über den Bildschirm flimmert bleibt die Frage, ob die Entwickler nicht doch lieber etwas mehr Zeit in ihr Werk investieren hätten sollen. Fans des Romans und alle anderen, die gerne Ego-Adventures spielen können zwar einen Blick wagen, sollten aber eine Preissenkung abwarten. Für ein Produkt im Vollpreissegment erhält der Spieler hier eindeutig zu wenig Leistung.
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