Für den Gameboy Advance (GBA) erschienen, zumindest in Japan, die erfolgreichen „Gyakuten Saiban“ Spiele. In dieser Serie schlüpft der japanische Spieler in die Haut eines jungen Anwalts, der verzwickte Fälle lösen muss. Doch den Sprung in die USA oder Europa haben sie leider nicht geschafft. Erst mit dem Nintendo-DS-Titel (NDS) „Gyakuten Saiban: Yomigaeru Gyakuten“ (Originaltitel von „Phoenix Wright: Ace Attorney“) kommen endlich auch wir Europäer dazu, vor Gericht „Einspruch!“ zu rufen.
Konsolen sind nicht gerade berühmt für das große Angebot an Adventures. Und dann erscheint dafür auch noch ein praktisch nicht beachtetes Szenario: die Abenteuer eines Anwalts. Etwas verwunderlich mag das schon sein, denn besonders im Fernsehen sind Justiz- und Krimiserien („Richter-Shows“ mal ausgenommen) durchaus erfolgreich und gern gesehen. Sei es „Law and Order“, „Matlock“ oder der gute alte „Tatort“.
Aber anders als die TV-Serien nimmt sich „Phoenix Wright“ nicht ganz so ernst. Auch wenn sich jeder Fall um einen Mord dreht, ist doch viel Humor enthalten. So repräsentieren viele Charaktere überspitzte Klischees wie die Wächterin mit dem treffenden Namen „Oldbag“ (auf Deutsch: „alte Schachtel“), während der Gerichtsverfahren gibt's lustige Patzer vom Richter und verblüffende Auflösungen manch eines Geheimnisses. Das Spiel hat den Spagat zwischen einem anspruchsvollen und einem humorvollen Spiel eindeutig hinbekommen.
Die nahe Zukunft in der Welt von Phoenix Wright scheint jedoch nicht so lustig wie das Spiel selbst: durch die Überlastung der Gerichte wurde das Rechtssystem gnadenlos reformiert: jede Gerichtsverhandlung hat höchstens drei Prozesstage und beginnt bereits wenige Tage nach dem Verbrechen – und endet meistens mit einem Schuldspruch. Komplexe Gesetze sind auf Dreipunkteregeln runtergebrochen. Staatsanwälte haben den Status von Berühmtheiten - und Anwälte (wie Herr Wright) den von nassen Handtüchern. Diese Umgebung führt aber zu keiner bedrückenden Stimmung wie in den Romanen von Huxley oder Orwell, sondern sorgt einfach dafür, dass auch Spieler ohne abgeschlossenes Examen in Jura vor Gericht bestehen und dabei sogar Spaß haben können. Die Spielwelt selbst ist bunt, freundlich und voller Humor.
Kommen wir zum eigentlichen Spiel. Es gliedert sich in zwei Phasen, in die Ermittlungs- und Gerichtsphase. Die Ermittlungsphase kann man dabei als klassisches Adventure sehen: man bewegt sich zwischen verschiedenen Orten hin und her, redet mit Zeugen und sammelt Beweise. Der obere Bildschirm zeigt dabei immer den aktuellen Ort während der untere Touchscreen auf die Interaktionen des Spielers wartet. Will man den oberen Bildschirm genauer durchsuchen, verschiebt sich dieser auf den Touchscreen und der Spieler kann nach Beweisen suchen oder (eingeschränkt) mit der Umwelt interagieren. Anders als in normalen Adventures können Gegenstände nicht beliebig kombiniert werden, denn alles, was man einsammelt, sind Beweise in einem Mordfall. Diese kann man nur anderen Charakteren zeigen und hören was sie zu sagen haben. Bevor man vor Gericht kann, muss man erst alle Beweise gefunden und Charaktere der Spielewelt befragt haben. Hier ist auch der erste wirkliche Kritikpunkt am Spiel: es ist absolut linear. Selten kann man eine Aktion durchführen wenn nicht eine Schlüsselaktion vorher ausgelöst wurde. Natürlich sind alle Adventures in gewissen Rahmen linear, aber bei Phoenix Wright fällt dies stark auf. Es kann leicht vorkommen, dass man die Ermittlungsphase einfach nicht abschließen kann, weil man noch eine Kleinigkeit fehlt. Hier wäre etwas mehr Flexibilität schön gewesen.
Das Spiel kann komplett mit dem Taststift gemeistert werden – oder (zumindeste die ersten vier Kapitel) ohne Taststift nur mit Hilfe des Steuerkreuzes und den Tasten. Man kann je nach Lust und Laune zwischen beiden Steuerungsarten wählen, beide Versionen sind gleich gut bedienbar.
Ist man nun in die Gerichtsphase eingetreten, so ändert sich die Spielmechanik. Die Staatsanwaltschaft präsentiert Zeugen, die eine Aussage vor Gericht machen. Nun liegt es am Spieler diese Aussagen genau zu zerpflücken und Widersprüche aufzuzeigen. Dafür habt ihr die Gerichtsakte zur Hand. Hier sind alle Beweisstücke enthalten und können genauer betrachtet werden. Wenn ein Zeuge z.B. den Mord genau um 12 Uhr gesehen hat, im Autopsiebericht aber der Todeszeitpunkt mit 10 Uhr ausgewiesen wird, könnt ihr den Zeugen damit konfrontieren und ihn Lügen strafen. Doch so leicht ist es natürlich nicht immer, oft müsst ihr die Zeugen unter Druck setzen, bluffen oder gar absichtlich in die falsche Richtung zielen um den Zeugen bloßzustellen. Dieser Teil des Spieles macht am meisten Spaß, denn hier muss man sich wirklich mit den Beweisen auseinandersetzen, um die Ecke denken und wissen, wann man einen Beweis hervorbringen darf – denn wenn man einen Beweis ungerechtfertigt präsentiert, verliert man… nun… ein Leben. Während eines Gerichtstages hat man nur wenige Leben, sind diese verbraucht steht „Game Over“ auf dem Bildschirm. Man kann jedoch jederzeit Speichern, um dieses Ärgernis zu umgehen.
Das Spiel umfasst insgesamt fünf Fälle, die ersten vier Fälle sind dabei bereits aus den „Gyakuten Saiban“ Spielen vom GBA her bekannt – zumindest in Japan. Der letzte Fall wurde jedoch neu für den NDS entwickelt und macht auch von seinen speziellen Fähigkeiten gebrauch: sowohl der Touchscreen als auch das Mikrofon werden sehr sinnvoll eingesetzt, um nicht die Überraschung zu verderben, wird über die Verwendung jedoch geschwiegen. Der erste Fall ist mehr ein Tutorial, um den Spieler einzuführen und besteht auch nur aus einem Gerichtstag. Die anderen Fälle haben es jedoch wirklich in sich und haben mehrere Gerichtstage mit entsprechenden vorherigen Ermittlungen. Auch kann man am Anfang des jeweiligen Falles nicht ahnen, wer der wahre Täter ist. Es gibt dafür zu viele Geheimnisse, Wendungen und überraschende Zeugenaussagen. Die Spielzeit kann man mit gut 20-30 Stunden veranschlagen.
Das Spiel bietet den typischen japanischen Anime-Stil: errötende Gesichter, übertriebene Gefühlsausbrüche, überraschend vollbusige Damen und Augen, die eine Größe zwischen einem schwarzen Strich und Walaugen aufweisen. Die Hintergründe und sämtliche Charaktere sind in 2D gezeichnet. Die Grafik ist dabei gut gelungen, doch viel Bewegung gibt es in dem Spiel leider nicht. Vielmehr werden nur wenige Zwischenstadien und das Endstadium einer Bewegung gezeigt, dabei wackelt das Bild jedoch teilweise, es gibt schnelle Schnitte und eine treibende Musik unterstützt diese Effekte. Es mag sich hier vielleicht komisch lesen, aber trotz mangelnder Animationen hat das Spiel doch eine sehr gute Dynamik.
Da ein NDS-Spiel auf einer Karte mit begrenzter Speicherkapazität erscheint, gibt es keine Sprachausgabe im Spiel (abgesehen von den Worten „Moment mal!“ und „Einspruch“ während der Gerichtsverhandlung). Jedoch gibt es mehrere Musikstücke, die sich aber eher im Hintergrund halten. Außerdem haben die Hauptcharaktere ihr eigenes Musikthema, da sie in mehreren Fällen auftauchen wird so die Wiedererkennbarkeit der Charaktere erhöht. Auch die Übersetzung sei hier einmal lobend erwähnt: die meisten Wortspiele wurde korrekt ins Deutsche übertragen ohne ihren Humor zu verlieren. Die wenigen Aussetzer und Tippfehler lassen sich leicht verschmerzen. Die unrühmliche Ausnahmen bilden jedoch die Kapitelnamen: in der englischen Version beinhalten die ersten vier Episoden das Wort „turnabout“, z.B. „Turnabout Goodbyes“. Das Wort „turnabout“ wird in jedem Kapitelnamen, ohne mit der Wimper zu zucken, mit „Wandel“ übersetzt. So heißt eine Episode auch hierzulande „Adieu und Wandel“. Eine freiere Übersetzung wäre hier wohl angebracht.
Bei diesem Spiel gibt es wenig zu meckern. Spannende Fälle, viel Humor und durch die Gerichtsphase spielt es sich auch erfrischend neu. Während „Another Code: Doppelte Erinnerung“ nur für NDS-Besitzer interessant war, können sich auch spätestens jetzt PC-Spieler den NDS genauer anschauen. Übrigens ist Teil zwei „Phoenix Wright: Justice for All“ bereits in den USA erschienen – und Teil vier erscheint demnächst in Japan. Teil drei ist bisher GBA-exklusiv, eine NDS-Umsetzung ist bisher noch nicht angekündigt. Termine für die potenziellen deutschen Versionen existieren allerdings noch nicht.
„Phoenix Wright: Ace Attorney“ hat mich in seinen Bann gezogen. Über mehrere Wochen hat das Spiel meine S-Bahn Fahrten zu einem freudigen Ereignis gemacht. Nur die starke Linearität und Tatsache, dass mir die S-Bahn teilweise zu schnell ans Ziel ankam kann ich dem Spiel ankreiden. Wer einen NDS und auch nur die leichteste Affinität für Adventures besitzt, sollte unbedingt zuschlagen!
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