Traditionen soll man pflegen - das dachten offensichtlich auch die für die Übersetzung und Veröffentlichung in Deutschland verantwortlichen Publisher, als sie den aktuellen Law-&-Order-Ableger Criminal Intent in Händen hielten. Wie schon bei den Vorgängern erscheint die deutsche Version mit erheblicher Verspätung (Erstveröffentlichung: Oktober 2005).
Die Fernsehserie Criminal Intent, auf der dieses Spiel basiert, ist ein Ableger von Law & Order, auf dem die bisherigen Spiele aufbauen. Anders als in der Hauptserie hat die Arbeit des Staatsanwalts hier nur noch wenig Gewicht. Der Fokus liegt auf der polizeilichen Ermittlungsarbeit.
Ein ganz normaler Tag für Detective Robert Goren. Sein Captain - Mr. James Deakins - unterrichtet ihn über drei Mordfälle, die sich auf New Yorks Straßen ereignet haben. Lisa Stokes hat aufgeschnittene Pulsadern, der Vizepräsident einer großen Bank wurde in seinem Haus von Unbekannten zu Tode geprügelt und der Staatsanwalt Martin Castillo schwimmt mit Stichverletzungen und einer aufgeschlitzten Kehle im East River. Auch wenn die Fälle zunächst sehr unterschiedlich erscheinen, kristallisiert sich im Laufe der Ermittlungsarbeit heraus, dass eine Verbindung zwischen den Morden bestehen muss. Aber welche?
Detective Goren hat die Wahl, in welcher Reihenfolge er die verschiedenen Fälle bearbeiten möchte. Die Ermittlungsarbeit läuft Criminal-Intent-typisch: Tatort begutachten, Zeugen vernehmen, Beweismaterial sammeln und dabei eng mit den Kollegen vom Major Case Squad zusammenarbeiten, die z.B. Beschattungsaufgaben übernehmen oder Details zu Beweisstücken recherchieren. Dabei unterscheidet sich Criminal Intent schon allein technisch von seinen Vorgängern. Es wird nicht mehr in der Ich-Perspektive ermittelt, sondern aus der dritten Person. Anders als in der Fernsehserie wurde der Charakter Alexandra Eames komplett weggelassen. Sie taucht im gesamten Spiel nicht auf. Auch wenn dies zunächst gerade für Fans der Serie ungewöhnlich sein dürfte, vermisst man Alexandra im weiteren Spielverlauf nicht wirklich.
Criminal Intent verwendet - wie viele andere Adventures auch - in Echtzeit berechnete 3D-Figuren, die auf vorgerenderten 2D-Hintergründen agieren. Diese Hintergründe basieren auf typischen 3D-Drahtgittermodellen (also keine Handzeichnungen) und liegen in einer Auflösung von 800x600 Pixeln vor. Das ist leider nicht mehr zeitgemäß und dürfte außerdem bei der Verwendung von aktuellen Flachbildschirmen zu Qualitätseinbußen führen. Abgesehen davon wirken die Grafiken ansehnlich und bestechen vor allen Dingen durch ihren Abwechslungsreichtum und die hohe Authentizität. Die insgesamt über 70 Schauplätze sind quer über und um New York verteilt. Vom dreckigen Ufergelände unter einer Brücke über ein verwaistes Umspannwerk zu Privatwohnungen, Hotels und Bars ist alles dabei. Auch an Animationen wurde nicht gegeizt. Diese sind teilweise in Form von echten 3D-Objekten, teilweise aber auch vorgerendert vorhanden. Hier wirken die 3D-Objekte etwas aufgeklebt. Die starren Hintergründe erhalten dadurch einiges an Lebendigkeit - der East River wiegt sich sanft im Wind - wenn auch in zu wenig Animationsstufen - Autos bevölkern die Straßen und Vögel die Lüfte. Trotzdem kann die Qualität der Grafik lange nicht mit aktuellen Adventures mit gerenderten, realistischen Hintergründen mithalten - dafür ist die Auflösung zu niedrig, einige Texturen zu breiig und so manches Objekt zu eckig. Für langsame Computer lassen sich die Animationen auch komplett deaktivieren, und das sogar während des Spielens ohne Neustart. Damit geht aber ein ganzes Stück Atmosphäre verloren, denn auch die zahlreichen Nebencharaktere, die nicht zur Story gehören sondern einfach nur die Straßen New Yorks bevölkern, verschwinden dadurch.
Die Charaktere an sich sind ordentlich gestaltet, die einzelnen Animationen wirken jedoch etwas hölzern. Sie ähnelt auch nur bedingt ihren realen Vorbildern aus der Fernsehserie. Außerdem werden Animationsabläufe nicht zu Ende geführt, wenn der Spieler eine neue Aktion ausführen lässt. Die Charaktere "springen" also von einer Animation in die nächste. Man merkt, dass die Engine hier an ihre Grenzen stößt - denn auch relativ performante PCs sind sehr schnell ausgelastet. Und das nicht, weil die Grafik so aufwändig ist, sondern weil die vorhandenen Ressourcen so schlecht genutzt werden. Viele Besitzer älterer PCs dürften diese Tatsache verfluchen - denn ohne die erwähnten Effekte verliert die Grafik viel von ihrem Charme.
Nicht nur bei der Grafik haben die Entwickler einiges an Arbeit investiert, auch die Sound- und Musikuntermalung hebt sich - wenn auch nicht so stark wie die optische Gestaltung - von ihren Vorgängern ab. So gut wie jede Szene ist mit passender Musik in der richtigen Stimmung untermalt, wobei atmosphärische Klänge dominieren. Und auch die Soundkulisse bewegt sich immer dezent, aber passend, im Hintergrund. An manchen Stellen sind die Hintergrundgeräusche jedoch so laut eingestellt, dass es schwer wird, die Sprachausgabe zu verstehen. Dies kommt besonders häufig vor, wenn im gleichen Raum ein Fernseher läuft (auf denen im Übrigen immer echte Fernsehbilder gezeigt werden). Die Lautstärke lässt sich nicht getrennt regeln. Trotzdem erstaunen die vielen kleinen Details, an die gedacht wurde. So hört man zum Beispiel, ob Detective Goren sich gerade auf Sand-, Stein- oder Teppichboden bewegt.
Auch wenn bei der Synchronisation nur wenige Originalsprecher eingesetzt wurden, ist das Ergebnis recht gut ausgefallen. Die Stimmen passen zu ihren Charakteren und wussten offensichtlich auch, um was es ging. Nahaufnahmen von Charakteren gibt es kaum, deshalb fällt die fehlende Lippensynchronität nicht zu schwer ins Gewicht. Schon fast amüsant sind die kleinen Übersetzungsfehler, die einen manchmal (aber wirklich nur selten) glauben lassen, man hätte die englischen Texte nur durch einen automatischen Übersetzer gejagt. So fragt Mr. Goren zum Beispiel nach dem "Wissen" des Opfers. Gemeint war wohl etwas in Richtung "Bekanntschaft". An anderer Stelle wird von "Abreise" gesprochen, wenn das Verlassen eines Raumes gemeint ist. Ein Pluspunkt sind die weitgehend eingedeutschten Grafiken. So sind alle relevanten Beschriftungen und Ähnliches in deutscher Sprache zu sehen.
Die Rätsel in Criminal Intent sind abwechslungsreich und entsprechen der typischen Polizeiarbeit eines Fernsehkommissars: Beweise sammeln und in den entsprechenden Abteilungen untersuchen lassen, Verdächtige und Zeugen vernehmen und so mit der Zeit ein immer genaueres Täterprofil erstellen, das schließlich zur Festnahme eines Verdächtigen führt. Im Laufe eines jeden Falles werden immer mehr Orte in New York City und Umgebung freigeschaltet, die nach weiteren Zeugen, Verdächtigen oder sonstigen Hinweisen abgesucht werden müssen. Neben dem Sammeln von Beweisen, auf dem eindeutig der Schwerpunkt liegt, gibt es natürlich auch einige Kombinations- und Logik-/Schiebe-/Schalterrätsel. Alles in Allem sind die Rätsel eher mäßigen Schwierigkeitgrades, dafür aber interessant aufgebaut und vielfach vorhanden.
Der Schwierigkeitsgrad lässt sich beliebig in drei Stufen einstellen, auch jederzeit während des Spiels. Je leichter die Einstellung, desto mehr Hinweise werden gegeben. Das Spiel ist nicht streng linear, sondern orientiert sich nur an einem Leitfaden. Schon alleine durch die Möglichkeit, die Stimmung von Dialogen zu beeinflussen ergeben sich bei mehrmaligem Spielen leicht variierende Verläufe und Ergebnisse.
Der Spieler steuert Detective Goren ausschließlich mit der Maus und benötigt dazu sogar nur die linke Maustaste. Mit Criminal Intent erscheint endlich wieder ein Adventure, in dem man zumindest noch bis zu einem gewissen Grad entscheiden kann, welche Aktion man ausführen möchte. Mit einem Klick auf einen Hotspot öffnet sich zunächst ein Menü, in dem man zwischen den Aktionen Ansehen, Benutzen, Sammeln, Analysieren und Sprechen wählen kann. Aktionsbuttons, die keinen Sinn ergeben, sind entsprechend ausgegraut. Die Aktion "Sammeln" hätte man sich allerdings sparen können, da "Analysieren" dasselbe bewirkt - nur dass der Gegenstand gleich an die entsprechende Abteilung weitergeleitet wird - und das sollte mit möglichst jedem Objekt passieren, damit keine Beweise verloren gehen. Nur die wenigsten mitnehmbaren Objekte sind rein zur praktischen Verwendung vorgesehen. Die Analysieren-Funktion ist definitiv eine der besten Änderungen im Vergleich zu den Vorgängern. Dort musste jeder Gegenstand einzeln den unterschiedlichen Abteilungen zugeordnet werden - eine mühsame Arbeit, bei der schnell der Überblick verloren ging. Als Cursor dient eine kleine graue Scheibe, die sich bei Hotspots gelblich verfärbt. Diese Verfärbung ist nur sehr schlecht zu erkennen (auf hellem Hintergrund manchmal gar nicht) und führt dazu, dass man gerade am Anfang wichtige Gegenstände übersieht. Die Steuerung des Protagonisten an sich funktioniert gut. Die Möglichkeit, Laufwege abzubrechen, existiert leider nicht. Detective Goren verschnellert nach einem Doppelklick aber seine Laufgeschwindigkeit.
Ein großes Hindernis in den Vorgängerspielern war das vollgestopfte und völlig unübersichtliche Inventar. Hier wurden radikale Änderungen vorgenommen. Ständiger Begleiter im Spiel ist der PDA eines bekannten finnischen Unternehmens, der unter anderem das Inventar enthält. Aufgenommen werden nur noch Gegenstände, nicht mehr sämtliche Akten von völlig unwichtigen Indizien. Akten und Berichte wichtiger Indizien, Verdächtiger oder Beschattungen werden in einem extra dafür vorgesehenen Bereich gespeichert. Außerdem werden im PDA immer nur für den gerade bearbeiteten Fall relevante Objekte angezeigt. Des Weiteren kann eine Karte New York Citys abgerufen (mit Hilfe derer man dann von einem Ort zum anderen springt), telefoniert oder ein Notizbuch (in dem alle wichtigen Erkenntnisse erfasst sind) angesehen werden. Außerdem gelangt man über einen Button zum Menü, wo jederzeit gespeichert werden kann. Die Spielstände sind leider chronologisch aufsteigend geordnet, so dass man erst immer ans Ende der Liste scrollen muss.
Eine weitere Neuerung stellen die Dialoge dar. Wo füher der komplette Bildschirm verdeckt war und nur nach bestimmten Themengebieten gefragt werden konnte, glänzt jetzt ein schickes Optionsmenü, das wie alle anderen Overlay-Menus in Criminal Intent, frei auf dem Bildschirm positioniert werden kann. Nach der Themenauswahl hat der Spieler noch die Möglichkeit, die Stimmlage von Detective Goren zu bestimmen und so zu beeinflussen, wie er auf den Befragten wirken will. Und hier gilt: Der Ton macht die Musik. Mit Schwerverbrechern im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses pflegt Detective Goren einen anderen Umgangston als mit den trauernden Angehörirgen eines Mordopfers. Reagiert der Spieler unpassend, kann es passieren, dass Charaktere die Fortsetzung der Unterhaltung verweigern. Man muss dann später wiederkommen und es noch einmal versuchen. Über den Gemütszustand des Gesprächspartners informieren ein roter und ein grüner Fortschrittsbalken. Wenn einer der Balken seine maximale Länge erreicht hat, wird das Gespräch entweder abgebrochen oder erfolgreich beendet. An bestimmten Situationen müssen die Verdächtigen auch mit einzelnen Beweisen konfrontiert werden, um einen Fortschritt zu erzielen.
An einem Arbeitsplatz-PC in den Büros des Major Case Squads lassen sich im Verlauf des Spiels Täterprofile erstellen. Der Computer ermittelt aus Tätermerkmalen, Täterpersönlichkeit und Motiv ein möglichst genaues Täterprofil, mit dem dann die Verdächtigen abgeglichen werden können. So ist auch der Fortschritt innerhalb eines Falles messbar.
Die Law-&-Order-Spieleserie wird immer besser. Criminal Intent ist in Sachen Qualität und Spielspaß seinen Vorgängern einen Quantensprung voraus. Die Kriminalfälle sind sehr spannend aufgebaut. Es macht viel Spaß, die Ermittlungen durchzuführen, dem Täter langsam auf die Spur zu kommen und eine Verbindung zwischen den Fällen zu erkennen. Die technische Umsetzung muss sich endlich nicht mehr vor der Konkurrenz verstecken. Auch wenn die Grafik nicht mit aktuellen Titeln mithalten kann, wirkt sie passend und gelungen. Der Hardwarehunger der Engine steht allerdings in keinem Verhältnis zur Qualität derselbigen. Ein Minuspunkt sind die zufällig auftretenden Abstürze, gegen die nur regelmäßiges Abspeichern hilft.
Ich bin begeistert. Zugegeben, meine Erwartungshaltung war auf Grund der Erfahrungen mit den bisherigen Law-&-Order-Adventures eher niedrig. Doch schon in den ersten Minuten mit Criminal Intent ist offensichtlich: Es hat sich was geändert. Spätestens bei der ersten Zeugenbefragung, bei der klar wird, dass es endlich ein vernünftiges Interface für die Gesprächsführung gibt (und die Möglichkeit, sein Gegenüber durch unterschiedliche Stimmungslagen geschickt zu manipulieren super aus der Fernsehserie übernommen wurde) oder bei der Beweismittelaufnahme und Weitergabe, bei der endlich nicht mehr tausende Objekte manuell verglichen, kombiniert und korrekt zugeordnet werden müssen, sind die ersten Zweifel beseitigt und man ist bereit, sich in vier hochspannende Kriminalfälle zu stürzen, die im Übrigen von Originalautoren der Fernsehserie entworfen wurden. Darauf habe ich seit Police Quest 4 gewartet. Darüber hinaus unterhält das Spiel auch noch ungewöhnlich lange: Zwischen 10 und 15 Stunden dürfen auch erfahrene Spieler einplanen. Denn auch wenn die Rätsel an sich nicht zu große Hürden darstellen, ist die Spielzeit dank der hohen Dialogdichte und der Vielzahl an zu lösenden Aufgaben so hoch.
Auch technisch stimmt alles. Die Grafik ist passabel, wenn auch nicht perfekt. Sound und Musik sind passend und auch die Synchronisation fällt positiv auf. Weiterhin wurden einige Logikfehler aus der englischen Version behoben. Der deutschen Version liegt ein ausführliches Handbuch in gedruckter Form bei.
Jeder, der gerne Adventures spielt und/oder die Fernsehserie mag, darf beruhigt zugreifen.
Adventure-Treff-Verein
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