Schon die Verpackung kündigt es an: HCA - Die Rettung des Königreichs ist ein „Märchenadventure“. Allerdings werden hier keine Märchen nachgespielt, sondern bekannte Märchenelemente mit Andersens Biographie in einer Rahmenstory verwoben. Der Spieler steuert den jungen Hans Christian Andersen, einen arbeitslosen Tagelöhner. Er trifft zu Beginn des Spiels in einer Stadt ein, die von Trollen belagert wird.
Um die bösen Mächte zu vertreiben und die Prinzessin zu retten muss Hans ein verzaubertes Feuerzeug und das „magische Leuchten“ finden. Bei seinen Abenteuern helfen ihm Charaktere wie die Meerjungfrau und das Mädchen mit den Zündelhölzern, die märchenerfahrenen Spielern aus Andersens Märchen bekannt sein dürften.
Das Spiel ist in 5 Kapitel eingeteilt, zwischen denen HCA als Erzähler jeweils eine kleine Überleitung gibt. Die Stadt besteht aus mehreren Vierteln, jedes mit einer anderen Bevölkerungsschicht. Hans muss sich von der untersten Schicht hocharbeiten, wobei er jedes Viertel erst betreten darf, wenn er den entsprechenden gesellschaftlichen Rang erworben hat. Um dies zu bewerkstelligen, muss er verschiedene Jobs annehmen, wodurch er bei den Bürgern im Ansehen steigt. So arbeitet Hans unter anderem bei einem Schneider, einem Bildhauer, im Theater und als Schweinehirt. Dadurch verdient er Geld für edlere Kleidung oder bekommt von seinen Arbeitgebern Empfehlungsschreiben, mit deren Hilfe er dann immer bessere Jobs in immer edleren Stadtbezirken bekommen kann.
Hans lässt sich wahlweise per Maus oder Tastatur durch die Spielwelt steuern. Leider sind beide Arten der Steuerung unausgereift. Die Maussteuerung ist ungenau: Hans bleibt an Ecken und Gegenständen hängen, anstatt um sie herumzulaufen. Ist ein Ortswechsel möglich, verwandelt sich der Mauszeiger am gesamten Bildschirmrand in einen Pfeil, auf den Mausklick reagiert jedoch nur eine sehr kleine Fläche. Ist eine Interaktion möglich, wird der Mauszeiger zu einer Hand und die Art der möglichen Interaktion wird als Icon in der rechten oberen Bildschirmecke angezeigt. Steht Hans nicht genau vor einer Person oder einem Gegenstand, bleibt der Mausklick allerdings oft folgenlos. Es ist zwar möglich, per Doppelklick zu rennen, allerdings wird dieser Komfort durchs Hängenbleiben zunichte gemacht.
Die Tastatursteuerung über die Pfeiltasten dagegen ist wesentlich einfacher. Man kann zwischen kameraorientierter und ortsorientierter Tastenbelegung wählen, mit Shift wird gerannt und mit Enter eine Aktion ausgeführt. Die Laufrichtung bleibt bei einem Kamerawechsel bestehen. Ist eine Interaktion mit Personen oder Gegenständen möglich, blickt Hans Christian in dessen Richtung. Allerdings ist diese Kopfbewegung sehr dezent und Hotspots sind dadurch leicht zu übersehen. In der rechten oberen Bildschirmecke wird der aktuell angewählte Inventargegenstand angezeigt, mit Tab oder dem Scrollrad der Maus wechselt man diesen.
Lobenswert ist das Tagebuch, in dem automatisch die erledigten und noch ausstehenden Aufgaben vermerkt werden. Sterben kann man in diesem Spiel nicht. Wird man von einem Polizisten oder Troll erwischt nehmen diese Hans ein paar Geldstücke weg und versetzen ihn zurück an den Anfang des Abschnitts. Es ist jederzeit möglich zu speichern. Bei jedem Speichervorgang wird automatisch ein neuer Spielstand erstellt. Eine Autosavefunktion gibt es leider nicht.
Bei der Grafik kann das Spiel voll punkten. Die vorgerenderten Hintergründe überzeugen mit liebevollen Details, exzellenter Ausleuchtung und photorealistischen Texturen. Gelegentlich raucht ein Feuer, wirft das Wasser Wellen oder dreht sich eine Windmühle.
Die Charaktere sind in Echtzeit berechnete 3D-Modelle auf ebenfalls hohem Niveau, im Gegensatz zu den Hintergründen aber ein wenig comic-hafter. Die Bürger der Stadt führen ein Eigenleben, interagieren und bewegen sich frei umher, wodurch eine Lebendigkeit entsteht, wie sie z.B. in Ankh fehlte. Leider hat die Kollisionserkennung einige Probleme, was zu seltsamen Verkantungen bei Umarmungen und Händeschütteln der Bürger führt. Dies fällt aber im Gesamtbild kaum auf.
Interessanterweise lief das Spiel auch auf einem Testrechner mit nur 64 MB Videospeicher relativ flüssig, obwohl Publisher Braingame in den Systemanforderungen eine Grafikkarte mit mindestens 128 MB Speicher angibt.
Die Synchronisation des Spiels ist gelungen, die Sprecher gut gewählt. Fans von Dialogrätseln werden allerdings enttäuscht, denn es gibt keine interaktiven Dialoge zwischen Hans Christian und den anderen Personen. Hans spricht nur in den Cutscenes zwischen den Kapiteln, ansonsten bleibt er stumm. Klickt man auf die Bewohner der Stadt, so geben diese meist einen Hinweis zum nächsten Rätsel oder machen abfällige Bemerkungen über Hans Christians Aussehen. Die Sätze variieren, es lohnt sich also, mehrmals auf eine Person zu klicken. Die Dialoge sind nicht Lippensynchron, was aber nur bei wenigen Nahaufnahmen auffällt. Sie lassen sich mit der Enter-Taste abbrechen, wobei die Lippenbewegungen und Gestik der Person aber manchmal weitergehen.
Untermalt wird die Szenerie von klassischen Musikstücken, einige davon aus Edvard Griegs „Peer Gynt“. Sie unterstützen die Atmosphäre, halten sich dabei aber dezent im Hintergrund und werden auch nach längerem Durchlaufen eines Abschnitts nicht nervig.
Auch Fans von knackigen Rätseln werden bei diesem Spiel nicht auf ihre Kosten kommen.
Nur sehr wenige Gegenstände findet man in der Umgebung, denn der Großteil der Rätsel besteht aus Botengängen zwischen den anderen Bürgern. Durch die frei herumlaufenden Figuren kommt es da auch schon mal zu der Situation, dass man einen Brief an eine Person überbringen soll die sich gerade im selben Bildschirm aufhält. Das Inventar bleibt mit maximal 10 Gegenständen stets überschaubar, untereinander kombinieren lassen sie sich leider nicht. Der meistgenutzte Gegenstand ist Geld, womit Hans Christian viele kleinere und ein paar große Einkäufe tätigt. Die üblichen Listenrätsel, in denen eine Reihe von Gegenständen besorgt werden müssen, sind auch vorhanden. Einige Schalterrätsel gibt es auch, diese sind aber mit wenigen Mausklicks durch ausprobieren lösbar.
Die Jobs, die Hans Christian annimmt, reichen vom Zutatenbesorgen über Schalterrätsel bis zum simplen Erledigen von Aufgaben. So müssen beispielsweise die Einzelteile für ein königliches Kostüm gesammelt, ein Kran mit Hilfe von Schaltern gesteuert, oder im Theater mittels verschiedener Schalter ein Gedicht mit den passenden Kulissen und Geräuschen unterlegt werden. Für den Schweinehirten muss Hans Christian dessen Schwein durch die Straßen treiben und gewährleisten, dass es eine bestimmte Anzahl an Pflanzen frisst.
Gegen Ende jedes Kapitels gibt es noch eine Schleichsequenz, bei der man den in der Stadt herumlaufenden Trollen ausweichen muss. Das stellt jedoch kein Problem dar, da die Trolle Hans Christian weder verfolgen noch Alarm schlagen. Man kann sogar ungehindert zwischen zwei Trollen hindurchspazieren, solange man sie nicht mehr als einige Sekunden lang berührt.
Die meistgenutzte Aktion, neben dem Sprechen und übergeben von Gegenständen, ist Treten. Ja, ihr habt richtig gelesen. Viele Rätsel erfordern, dass Hans Tieren wie Ratten, Hühner, Ziegen und sogar einem Kind einen kräftigen Tritt verpasst. Nicht gerade pädagogisch wertvoll… Es kommt noch besser: In der Umgebung kann Hans Christian an vielen Stellen gegen Häuserecken, Fässer oder Kisten treten um Geldmünzen zu erhalten. So etwas kennt man sonst nur aus Action-Adventures oder Rollenspielen wie Zelda.
Mit einer Spielzeit von ca. 4-5 Stunden ist Hans Christian Andersen – Die Rettung des Königreichs leider ziemlich kurz. Insgesamt ist das Spiel sehr linear, neue Abschnitte können oft erst nach Lösung der aktuellen Aufgabe betreten werden. Leider wiederholen sich der Aufbau der Kapitel und teils auch die Rätsel selbst. So müssen in fast jedem Kapitel eine geheime Tür und der dazu passende Schlüssel entdeckt werden, jedes Kapitel endet mit einer Schleichsequenz.
Obwohl das Spiel mit Bezug zu Andersens Biographie und seinen Märchen wirbt, werden diese leider nur fragmentarisch verarbeitet. Für Kinder ist dieses Spiel sicherlich ein längerer Zeitvertreib, Adventure-Veteranen können schon nach einem Nachmittag den Abspann betrachten. Graphisch und atmosphärisch kann das Spiel überzeugen, aber aus der Geschichte hätte sich noch mehr machen lassen. Da hier nur ein Bruchteil des Märchenfundus von Hans Christian Andersen abgedeckt wird, kann man auf eine Fortsetzung hoffen.
Dem Spiel um Hans Christian Andersen gelingt etwas, das auch den zugrunde liegenden Märchen gelingt: zu unterhalten und für eine kurze Zeit in eine fremde Welt zu entführen. Die märchenhafte Atmosphäre wird durch tolle Grafik und träumerische Musik unterstützt. Getrübt wird das Erlebnis allerdings durch die fehlerhafte Steuerung und die seichte Story. Aufgrund der leichten und immer fairen Rätsel bietet sich das Spiel besonders als Einstieg für die jüngere Generation an.
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