In Anacapri – The Dream nehmen uns Silvio und Giuseppe Savarese erneut auf eine malerisch-nachdenkliche Reise zum Golf von Neapel mit. Die im Titel erwähnte Ortschaft befindet sich auf der Insel Capri, welche bereits im 2003 erschienenen Vorgänger A quiet Weekend in Capri als Schauplatz diente.
Die unabhängig vom ersten Teil angesiedelte Geschichte ist an vielen Stellen mit dem Leben Axel Munthes verbunden, dem schwedischen Arzt und Autor des Capri-Buches „Das Buch von San Michele“. Dieser Autor verwischt in seinen Werken gekonnt Illusion und Wirklichkeit, und genau dies tun die Savareses im Fortlauf des Spiels immer wieder.
Der Spieler begibt sich zwischen Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und Zukunft. Es gilt, eine sagenumwobene Obsidianscheibe zu finden, die große Auswirkung auf das Schicksal aller Bewohner der Insel haben soll.
Dieses Wechselspiel findet vor der idyllischen und bildgewaltig präsentierten Kulisse Capris statt, in welche der Spieler in dieser Mischung aus fantastisch-futuristischem Adventure und interaktivem Reiseführer eintaucht.
Wir schlüpfen in die Rolle von Dr. Nico N., eines Spezialisten für Altertumskunde. Grund unseres Besuchs auf der Insel ist zunächst die Einladung bzw. die Bitte eines Dr. Orlandi, auf die Insel zu kommen, und als Experte bei der Suche nach der Obsidianscheibe, einem sagenhaften Relikt, zu helfen.
Da der vereinbarte Gesprächstermin mit Dr. Orlandi etwas verschoben wird, streifen wir durch die Stadt Anacapri und müssen feststellen, dass nahezu jeder Bewohner im Ort den Grund unseres Besuchs kennt und weiß, wer wir sind.
Außerdem scheint es Unbehagen über die jüngsten Schlagzeilen in bezug auf diese Obsidianscheibe zu geben, denn die meisten Bewohner sprechen von einem Fluch auf dem Artefakt und wünschen sich dessen Zerstörung. Leider sei bisher jeder, der sich auf die Suche nach diesem Relikt begab, auf unerklärliche Weise verschwunden.
Mit diesem ersten Eindrücken bewegen wir uns weiter durch die Stadt, mit ihren zahlreichen Gässchen und verschlafenen, romantischen Ecken. Wir bekommen mit, dass auch andere Personen nach der Scheibe suchen; wir sind also nicht allein auf Abenteuersuche.
Als wir dann schließlich auf eine überlebensgroße Schildkröte stoßen, die uns anspricht, bekommt das Insel-Idyll just einen surrealen Anstrich.
Wir sollen eine Glocke läuten, sagt uns diese Schildkröte. Als wir in unmittelbarer Nähe genau dies tun, erwachen wir plötzlich ganz woanders, nämlich in einem sauberen, kleinen Zimmer.
Ein kurzes Umsehen offenbart, dass wir eingeschlossen sind, und hier anscheinend geschlafen haben, denn neben einigen anderen Utensilien finden wir Hinweise und Regeln zum gezielten Träumen.
Warum sind wir hier? Ist das ein Traum, oder war es der Ausflug auf die Insel? Müssen wir dieses Zimmer verlassen, oder hat es einen Grund, warum es verschlossen ist?
Es hat den Anschein, als gäbe es eine gezielte Verbindung zwischen dem Hier des Zimmers und dem Dort der Insel, und ein im Zimmer bereitgestellter Schlaftrunk verspricht uns, uns genau dort wieder hinzubefördern, gleich so, als müssten wir träumen, um die Realität zu finden. Oder ist es umgekehrt?
Anacapri mag auf den ersten Blick wie eine reine Diashow daherkommen, jedoch trifft es das nur teilweise.
Für die Darstellung des Spiels liefert die Installation des Spiels über 30.000 Einzelbilder mit (der Vorgänger konnte mit ca. 4000 Bilder aufwarten), die mittels Vorwärts/Rückwärts-Bewegung erkundet werden können. Dabei spielen wir aus einer 1st-Person-Sicht; wir sehen uns also selber nie.
Die Bilder sind durchweg erstklassig und qualitativ hochwertig fotografiert und unterstreichen selber ein wenig die im Adventure enthaltene Präsentation der Insel selbst.
Interaktive Objekte oder Gegenstände sind in den jeweiligen Bildern nicht enthalten, sondern wurden darüber gelegt.
Bei Dialogen mit anderen Personen werden Bilderreihen abgespielt, die Bewegungen und Veränderung in Mimik und Gestik aufzeigen sollen, während das Gespräch stattfindet. Ein vergleichbarer Effekt wäre ein Video, bei welchem nur jedes 60. Standbild gezeigt wird. Dieses Verfahren kann zunächst etwas irritierend sein, da man zur Belebung der Gespräche eher eine kurze Animation erwarten würde.
Vereinzelt finden sich jedoch auch Animationen, wie z.B. ein Dimensionenstrudel oder ein Gecko, der aus einer Höhle schaut; diese sind jedoch eher selten und auch eher punktuell an Rätselstellen eingesetzt.
Weiterhin wird an einigen Schauplätzen eine Panorama-Funktion angeboten, d.h. innerhalb eines Bildes lässt sich nach oben, unten, rechts und links erweitert schwenken, um so größere Plätze oder Straßen sehen zu können. An vielen Stellen werden dadurch auch weitere Wege oder Rätsel gezielt „verdeckt“. Wichtig wird zusätzlich, sich bei der Navigation über die Insel auch mal umzudrehen – diese Bewegung gibt es an vielen Stellen; man kann dann eine Szenerie noch mal aus einer andere Perspektive sehen, und vielleicht sogar einen vorher verborgenen Gegenstand finden.
Die hochwertigen Fotografien sind recht detailreich, aber zumeist menschenleer. Es finden sich keine Personen, Hunde, Vögel, Fahrradfahrer, o.ä., welche einfach nur belebenden Charakter haben – hier finden sich nur die Personen, die zu der Geschichte des Spiels etwas beisteuern können.
Etwas schade ist die Einschränkung auf eine Auflösung von 1024x768 Pixel, auf welche mehrfach im Handbuch hingewiesen wird: Grade bei kleineren Auflösungen können so bestimmte Punkte oder Rätselelemente verdeckt oder abgeschnitten sein, und man käme nicht weiter.
Man hat ebenso nicht die Möglichkeit, eine höhere Auflösung zu wählen, obwohl die Bilder qualitativ eine Extrapolation durchaus erlaubt hätten. Mit einer verwendeten Auflösung von 1280x1024 Bildpunkten verbleibt daher unter dem Spiel ein Restbalken der Windows-Oberfläche.
Die Steuerung in Anacapri – The Dream ist simpel, jedoch recht effektiv: Wenn es im aktuellen Bild einen Ausgang gibt, verwandelt sich unser Mauszeiger in einen Richtungspfeil, sobald wir diesen sensitiven Bereich berühren. Durch einen Linksklick auf diesen Pfeil bewegen wir uns dann in diese Richtung weiter.
Innerhalb eines Bildes werden sehenswerte oder benutzbare Gegenstände mit einem veränderten Mausicon wie Auge oder Hand angezeigt; auch hier genügt dann ein Linksklick.
Die Aufnahme von Gegenständen erfolgt in ein Inventar, das sich über eine Iconleiste, die per Rechtsklick erscheint, öffnen lässt. Innerhalb des Inventars kann es sein, dass der ein oder andere Gegenstand noch geöffnet, ausgepackt oder auch entknüllt werden muss (z.B. alte Zeitung), um weiteren Einblick in dieses Objekt zu bekommen.
Per Programmmenü lassen sich Hotspots hinzuschalten, was bedeutet, dass in den Bildern durch schwarze, rechteckige Rahmen angedeutet wird, dass eine Interaktion – wie Reden oder Gehen - möglich ist.
Diese Funktion ist vor allem dann unabdingbar, wenn man sich nach einiger Zeit recht gut auf der Insel auskennt, und nicht mehr jedes Bild betrachten, sondern nur durchlaufen will bzw. den Bildausgang benötigt. Etwas schwierig wird es allerdings, wenn bei einigen sehr dunklen Bildern diese schwarzen Rahmen nahezu unsichtbar sind, und man recht verzweifelt etwas Interaktives sucht.
Neben der detaillierten Viertelkarte, die bei der Navigation helfen kann, gibt es in der Iconleiste auch einen Globus. Hier gibt es nach Erreichen bestimmter zentraler Schauplätze die Möglichkeit, auf einer Inselübersicht direkt zu einem beliebigen Teilbereich der Karte hinzuspringen.
Die Speicherfunktion im Spiel ist auf 9 Plätze begrenzt, und eine Benennung dieser Saves ist nicht möglich. Hier ist also etwas Vorsicht geboten.
Da das Spiel in zwei Sprachen, also Englisch und Italienisch angeboten wird, lässt sich nach der Auswahl der anderen Sprache und dem Neuladen eines Spielstandes zudem die Spielsprache wechseln, wenn dies gewünscht sein sollte.
Auffällig an den Gesprächen, die wir auf unserer Reise führen, ist: Wir sagen nichts. Jegliche kommunikative Handlung ist ausschließlich auf den Gegenüber beschränkt; hier wird gesprochen, sobald wir nah genug herantreten oder per Hotspot anwählen.
Auch eine Auswahl an Textantworten, welche unseren Gegenüber gezielt zu bestimmten Themen bringen könnte, gibt es nicht. Unser Gesprächspartner spricht ohnehin so lange, bis es nichts mehr zu sagen gibt. Durch ein weiteres Anklicken lässt sich meistens nichts mehr erfahren, es sei denn, es hat sich in der Zwischenzeit etwas verändert, und diese Person will uns etwas Neues sagen.
Die Synchronisation ist angemessen und verständlich, zumal viele der englischen Sprecher ein recht langsames und gut formuliertes Englisch sprechen. Einige der Sprecher lassen einen leichten Akzent hören, was jedoch in keiner Weise stört. Die italienische Vertonung ist ebenfalls gut gemacht, die muttersprachlichen Sprecher überzeugen durch Akzentuierung und gewohnt schnelles, authentisches Sprechen.
Die Musik, die unseren Weg über die Insel begleitet, tritt nicht sehr oft und meistens nur durch das Erreichen bestimmter Punkte auf.
Grundsätzlich werden zur akustischen Anreicherung Hintergrund - und Umgebungsgeräusche verwendet, wie Vogelzwitschern, Meeresrauschen oder leises Stimmengemurmel, welche nur untermalendenden Charakter haben und nicht aufdringlich sind. Die seltene Musik tritt jedoch deutlich lauter ins Spiel ein und erklingt dann zum Teil etwas dissonant. Dieser Umstand mag zwar der gewünschten mystischen Spannung einiger Stellen im Spiel entsprechen; manches Mal wirkt sie aber einfach störend.
Die Atmosphäre ist die Stärke dieses Spiels – man fühlt sich recht schnell eingefangen in diese ruhige und träumerische Stimmung der Insel. Zu Beginn wird man nahezu überwältigt von den zahlreichen Aufgängen, Gassen, Seitenwegen und Plätzen, die es anzuschauen gilt. Häufig bleibt man stehen, schaut sich verwundert die verschlafene Szenerie an und möchte dort einfach nur spazieren gehen. Man fühlt sich wie im Urlaub, ganz ohne Hektik und Lärm.
Die vielen Winkel, die man auf der Insel besuchen kann, aber auch die vielen Wege und Passagen fügen sich nach einer Zeit zu einem Gesamtbild zusammen: Man verläuft sich nicht mehr, sondern entwickelt ein wenig Gefühl für den Aufbau des Ortes und freut sich mitunter über Stellen, die man zuerst übersehen oder zu schnell durchwandert hat.
Ebenfalls förderlich für das Gefühl, einen wirklichen authentischen Eindruck dieser Insel vor sich zu haben, sind die realistischen und ungeschminkten Einstellungen der Bilder: Es gibt rissige, alte Bogeneingänge, verwitterte Türschilder oder angesplitterte Fensterecken; gleichzeitig liebevoll gepflegte Blumenkübel, verschnörkelte Sitzbänke oder wild wuchernde Weinranken. Hier wurde also -bis auf die fehlenden Passanten- ein exaktes Abbild des Ortes eingefangen.
Die Rätsel, die es in Anacapri – The Dream zu lösen gilt, verfügen über eine hohe Spannweite an Schwierigkeit. Meistens besteht ein Rätsel erst einmal darin, innerhalb des einen oder anderen Gesprächs bestimmte Informationen richtig zu deuten, um genau zu wissen, wo man weitersuchen muss.
Ebenso ist die Orientierung auf der Insel bereits ein Rätsel, welches es zu lösen gilt. Mitunter kann es recht knifflig werden, erst mal einen bestimmten Schauplatz zu finden, oder bestimmte Voraussetzungen zum Erreichen dieses Ortes zu leisten. Ein Beispiel dafür ist das Besorgen einheimischen Geldes, um ein Busticket zu einem bestimmten Ort zu kaufen. Teilweise werden einige Wege oder Schauplätze erst später erreichbar, so dass häufige Wanderungen auf den Wegen Anacapris notwendig sind.
Die Gegenstände, die benötigt werden, müssen natürlich im Ort und im Umland gefunden werden, auch gibt es Gesprächspartner, die nach einer Unterhaltung etwas Brauchbares für uns haben.
Dann gibt es natürlich eine Fülle von Verschiebe- oder Logik-Rätseln, die mit der bereits angesprochenen Parallelität zwischen den beiden „Dimensionen“ geschickt spielen: Hier gilt es, Gesehenes auf der Insel in verklärter Form im Haus wieder zu finden, grafische Fingerzeige zu deuten oder einen gewissen Zusammenhang zwischen ihnen zu erkennen.
Die mit Abstand schwierigsten Rätselhürden im Spiel sind von den Entwicklern mit einer möglichen Umgehung ausgestattet worden, d.h. der Spieler entscheidet, ob er die an diesen Stellen vorhandenen „Cheats“ nutzt, um ein bestimmtes Rätsel als erledigt zu behandeln. Das könnte vor allem bei dem zu gewinnenden Scopa-Kartenspiel passieren.
Wenn auch die Rahmenhandlung bzw. die Einbettung der Rätsel einen surrealen Charakter hat, sind die Rätsel durchweg logisch und fair aufgebaut. Wichtig ist, dass jeweilige zugrunde liegende Prinzip zu erkennen; zu verstehen, ob bei einem Rätsel ein Bezug zur Insel, eine Kombination von Informationen oder eine Analogie zu Traumelementen gefragt ist.
Wie im Handbuch erwähnt verfügt das Spiel über keine Rätselelemente oder Stellen, die ein Gameover hervorrufen oder in eine Sackgasse führen. Ebenso gibt es keine zeitkritischen Herausforderungen oder Geschicklichkeitspassagen, die man überwinden müsste.
Anacapri – The Dream bietet nicht umsonst an, sich zu Beginn im Menü zwischen dem Adventure und einer reinen Wanderung über die Insel zu entscheiden: Die Auswahl Adventure erweitert die umfassende Sightseeing-Tour über die Insel um nachdenkliche und historisch-mystisch eingefärbte Tüfteleien – mehr nicht. Die romantische Einsamkeit und der Reiseführer-Charakter bleiben vollwertig erhalten. Daher ist Anacapri – The Dream ein Adventure der etwas anderen Art und setzt, wie auch der Vorgänger, auf eine innovative und eigenwillige optische Umsetzung.
Vielleicht ist dies eine willkommene Abwechslung für den einen oder anderen geduldigen Adventurer, der weitläufige historische Pfade beschreiten und gleichzeitig etwas lernen will. Wer zudem historisches Interesse und eine gute Portion Entdeckergeist besitzt und auf grafische Höchstleistungen verzichten kann, wird sich für dieses Spiel begeistern können.
Die Anhänger des klassischen Point-and-Click-Adventures werden eine gewisse dynamische Spielgeschwindigkeit und Dialog-Interaktion vermissen, und gleichzeitig die fast ausschließliche Ruhe und Bedächtigkeit sowie den Diashow-Charakter auf Dauer zu eintönig finden.
´Anacapri – The Dream´ ist kein normales Adventure, weiß aber auf seine Art zu verzaubern. Meine Geduld wurde schon manches Mal auf die Probe gestellt, sei es, weil ich mich verlaufen hatte, oder manche Laufwege schier endlos waren. Die Knobeleien haben durchaus etwas Forderndes, und nach einiger Zeit wurde die Artefakt- und Identitätssuche durchaus interessant. Schade nur, dass mein Avatar gar nichts zu sagen hatte, und das Ganze daher etwas unbelebt daherkommt...
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