Adam Raichl müsste eigentlich tot sein. Wer überlebt schon einen Zusammenprall mit einem Tankwagen nebst anschließender Explosion? Umso mehr verwundert es, dass der 23-jährige Tscheche in einer engen Schlafkabine auf einer unbekannten Insel mitten im Ozean aufwacht, zusammen mit knapp einem Dutzend fremder Menschen aus teilweise völlig verschiedenen Epochen. Sie alle eint das gleiche Schicksal, dem Tod vorerst entronnen zu sein.
Als wäre das nicht schon verwirrend genug, erfährt Adam schnell am eigenen Leib, dass auch auf dem Eiland nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Jeden Tag versetzt das Läuten eines bedrohlich empor ragenden Glockenturms alle Anwesenden in Tiefschlaf, woraufhin fürchterliche Albträume am Nervenkostüm der Inselbewohner nagen. Manche der Träume wirken so real, dass sie sich auch auf das „echte“ Leben auswirken. Klar, dass das kein wünschenswerter Dauerzustand ist, also macht sich Protagonist Adam auf, dem unheimlichen Spuk ein Ende zu setzen.
Das Spiel gliedert sich in zwei Phasen. Während des Wachzustands erkundet man per gewohnter Point and Click-Steuerung die trostlose Insel. Adam redet regelmäßig mit allen Mitmenschen, um die neusten Informationen über ihren Gemütszustand und die Beziehung zu den anderen Leuten zu erfahren. Ansonsten werden Adventure-typisch alle begehbaren Örtlichkeiten nach nützlichen Gegenständen abgegrast.
„Abgrasen“ ist übrigens ein überaus treffendes Stichwort, da viele Items nur schwer zu erkennen sind - eingeschränkter Hotspot-Anzeige sei Dank. Sie offenbart nach Druck der E-Taste nämlich nur die Ausgänge des jeweiligen Bildschirms. Mit dem Mauszeiger über den Bildschirm zu fahren ist somit Pflicht. Ist man im Besitz mehrerer Utensilien, kombiniert man diese in klassischer Adventure-Manier, um sie an der passenden Stelle einzusetzen. Oft kommt man aber nur weiter, wenn einer der Inselbewohner etwas gesagt hat, was Adam als hilfreich bewertet. Demnach muss der Spieler nach fast jeder Aktion die gesamte Insel nach den anderen Personen absuchen, in der Hoffnung, dass sie Informationen verraten, die dem weiteren Spielverlauf dienlich sind. Leider sind fast alle, inklusive Adam, äußerst einsilbig, mehr als zwei Fragen stellt er selten. Anstatt ausführlich die gemeinsame Situation zu diskutieren respektive Fluchtmöglichkeiten zu erörtern, halten es alle Beteiligten für klüger geduldig der kommenden Dinge zu verharren.
Überhaupt sind manche Dialoge äußerst unlogisch. So benötigt Adam in einer Szene dringend eine helfende Hand, anstatt aber allen anderen sein Problem zu schildern, um auf diese Weise einen wertvollen Tipp zu bekommen, ist der ersehnte Dialog nur mit wenigen bestimmten Personen möglich. Auch Adams Kommentare zu den erhaltenen Gegenständen sind oftmals wenig hilfreich, da sie meist recht knapp ausfallen. Relevante Items werden zwar durch einen blau gefärbten Cursor gekennzeichnet, was damit anzufangen ist, muss man sich selber erschließen.
Unter der bunt zusammengewürfelten Mannschaft ist so manch komischer Kauz dabei. Da wäre zum Beispiel die italienische Prostituierte Maria, der ewig griesgrämige deutsche Hermann, ein kommunistischer Russe und die stumme Japanerin, die genauso gut aus der US-Serie Lost stammen könnte. Den Charakteren mangelt es durchweg an Persönlichkeit, denn sie geben kaum etwas von sich Preis. Da kommt es auch manchmal zu unfreiwilligen Schmunzlern, etwa wenn Adam Sachen weiß, die ihm niemand gesagt hat. Bei den spärlichen Dialogen fallen solch Logikfehler leider recht schnell auf und stören die Atmosphäre ungemein.
Insgesamt hinterlassen die Passagen auf der Insel einen mäßigen Eindruck. Es ist äußerst ermüdend, ständig den anderen Personen hinterherzulaufen und darauf zu hoffen, dass sie etwas Brauchbares zu sagen haben. Darüberhinaus wird ordentlich Rätsel-Recycling betrieben. So verkommen Stock und Stein zur Allzweckwaffe, um verschlossene Türen zu öffnen und andere handwerkliche Aufgaben zu erledigen.
Hat man bestimmte Stellen im Spiel gemeistert, ertönt die Glocke des auf den Klippen der Insel erbauten Turmes. Der gesamte Trupp fällt dann auf der Stelle in tiefen Schlummer. Doch selbst während des ungewollten Nickerchens kommt Adam nicht zur Ruhe. Hier wird er zum Hauptdarsteller fürchterlicher Albträume – der zweiten Spielphase. In einem der nächtlichen Ausflüge findet sich der junge Held auf einem beängstigend hohen Kran wieder, von dem es gilt heil herunterzukommen.
In einer anderen Traumsequenz verschlägt es ihn in eine Art forensische Pathologie inklusive Leichenhalle und Sezierraum. Diese Abschnitte gefallen durch abwechslungsreiche Szenarien mit vielen klassischen Rätseln und schön schauriger Atmosphäre. Adam kann durch manch unüberlegte Aktion auch sterben. Keine Angst, faire Rücksetzpunkte reduzieren den Frust auf ein Minimum.
Ab und an wird der Spieler durch Zeitlimits unter Druck gesetzt. So müssen nach einem selbstverschuldeten Autounfall die bewusstlosen Unfallgegner am Leben erhalten werden. Obwohl der Schwierigkeitsgrad fair bleibt, empfiehlt es sich oft zu speichern. An wenigen Stellen haben die Programmierer Geschicklichkeitsaufgaben eingebaut, die man leider nicht umgehen kann. Diese beschränken sich darauf zum richtigen Zeitpunkt die richtige Maustaste zu drücken, was äußerst aufgesetzt wirkt.
Traum- und Wachsequenzen wechseln sich naturgemäß ab. Nach jedem Schlaf erwacht Adam mit leeren Taschen in seinem zweckmäßigen Schlafcontainer. Diverse Items muss er somit wieder und wieder einsammeln, da man sie jedes Mal aufs Neue benötigt, wie zum Beispiel die bereits erwähnten Stöcke und Steine.
Reprobates führt die aus Action-Rollenspielen bekannte Ausdaueranzeige ins Adventure-Genre ein. Wasser und Nahrung regenerieren den angeschlagenen Helden, der beim Rennen, Heben und Klettern ins Schwitzen kommt. Auch dieses Spielelement erweist sich als völlig fehl am Platz und sollte besser bei Diablo und Co. bleiben. Zum Glück kann man den lästigen Energieverbrauch weitestgehend vermeiden.
Adam rennt zwar per Doppelklick, das braucht er aber nicht, da Gespräche aus beliebiger Distanz gestartet werden. Ein Klick auf den gewünschten Gesprächspartner reicht aus und Adam steht nach einem kurzen Szenenwechsel direkt vor ihm. Lässt man sich die Ausgänge vom Programm anzeigen, gelangt Adam ebenfalls durch einen Doppelklick auf das jeweilige Symbol zum nächsten Bildschirm. Anders wäre das behäbige Verhalten des Protagonisten nicht zu ertragen. Das Spiel rüttelt auch so schon heftig am Geduldsfaden des Spielers, unter anderem dann, wenn man zum x-ten Mal die komplette Insel nach gewissen Personen absuchen muss.
Grafisch kann Reprobates streckenweise überzeugen. Die Insel ist zwar äußerst karg, das sollte aber eher als Stilelement gesehen werden. Dafür glänzen die Traumsequenzen durch Abwechslungsreichtum. Besonders der Unfall im Wald und das Leichenhaus lassen erkennen, dass hier die Macher von Black Mirror am Werk waren. Durchdachte Rätsel, viele Gegenstände, detaillierte Schauplätze und düstere Gruselatmosphäre – so soll‘s sein!
Die Gesichtsanimationen der Charaktere wirken äußerst realistisch und sorgen auf diese Weise dafür, dass man sie wenigstens etwas ernst nimmt. Die Qualität der Hintergrundanimationen schwankt beträchtlich. Während heftige Regenschauer und im Licht der Straßenlaterne tanzende Motten zu belebten Szenarien beitragen, durchwandert man im Spielverlauf auch einige sterile Passagen.
Dagegen wurde bei den restlichen Animationen durchweg geschlampt. Adam dreht und wendet sich erst ein paarmal, bevor er sich dazu entschließt, eine simple Stufe hinaufzusteigen. Das zehrt unnötig an den Nerven und passt eher zu einem alternden Rheumapatienten. So bewegt sich jedenfalls kein 23-jähriger Bursche.
Akustisch bietet Reprobates solides Mittelmaß. Im Hintergrund vernimmt man passende Umgebungsgeräusche, auf Musik wurde jedoch fast gänzlich verzichtet. Schade, mit spannenden Melodien hätte man die Atmosphäre nochmals verdichten können. Dafür überzeugen die meisten Synchronsprecher, denn die wichtigsten Charaktere, so auch Held Adam, wurden ordentlich vertont. In dieser Hinsicht ist es ein Jammer, dass viele Dialoge so kurz geraten sind und nur mit minderwertigem Inhalt aufwarten können.
Im Auslieferungszustand litt Reprobates unter vehementen Performanceeinbrüchen. Diese äußerten sich im ruckelnden Mauszeiger, fehlerhaftem Sound und anderen störenden Bugs. Deswegen sollte vor dem Spielen unbedingt der offizielle Patch installiert werden, der im Idealfall die schlimmsten Fehler beseitigt. Vereinzelt kann es dennoch zu Ungereimtheiten kommen, die das technische Gesamtbild trüben. So beschweren sich in Internetforen derzeit ungewöhnlich viele User über Bugs, die erst nach dem Patchen entstanden sind.
Reprobates versucht viel, kann aber wenig. Die Story hat durchaus ihre Reize, entfaltet sich wegen der mangelhaften Erzählweise und Dialogführung jedoch kaum. Grafisch erzeugen die Entwickler teils wohlige Gruselatmosphäre, die wird aber vom Ärger über blasse Charaktere und den ungelenkigen Helden negativ überschattet.
Es fällt einfach schwer, sich auf Leute und Story einzulassen, da viele Unstimmigkeiten bei Technik und Spielablauf die Laune drücken. Reprobates hat auf jeden Fall seine unterhaltsamen Momente, das steht außer Frage. Wäre jedes Kapitel so gelungen wie die zweite oder dritte Traumsequenz, läge ein sicherer 80er-Kandidat vor. Über die Hälfte des Spiels besteht allerdings aus uninspirierten Inselpassagen, was eine höhere Wertung unmöglich macht.
Future Games neuestes Werk hat mich ernsthaft enttäuscht. Nach zwei überaus unterhaltsamen Abenteuern musste ich angesichts des eklatanten Qualitätsverlusts heftig schlucken. Wie konnte das überhaupt schief gehen? Eine gut funktionierende Steuerung hatte man bereits bei Nibiru und die Fähigkeit, packende Geschichten zu erzählen, bewiesen die Tschechen bei Black Mirror eindrucksvoll. Nicht dass wir uns missverstehen. Auch der Plot von Reprobates hat viel Potential, angesiedelt zwischen Verschwörung und Esoterik fragt man sich bis zum Schluss, was hier überhaupt los ist. Zu einer guten Detektivgeschichte gehören meiner Meinung nach aber auch interessante Dialoge, abwechslungsreiche Szenarien und kluge Rätsel. Das alles ist nur ansatzweise gegeben. Diese Faktoren, gepaart mit dem trägen Gameplay und manch technischem Problem, ergeben einen bestenfalls mittelmäßigen Titel, den sich nur Genre-Fans einverleiben sollten.
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