In der letzten Zeit geschieht es recht häufig, dass die Adventure-Spiele von Amateurentwicklern den Sprung in die kommerzielle Vermarktung schaffen. Auch wenn bisher eher selten die Qualität größerer Adventure-Produktionen erreicht wurde, befanden sich doch schon mehrfach echte Perlen wie beispielsweise Scratches darunter, die neben ihrer guten Produktqualität nicht zuletzt auch Dank des günstigen Preis-/Leistungsverhältnisses überzeugen konnten. Mit Aurora – Das letzte Experiment haben es ein paar italienische Hobbyentwickler geschafft, ihr Produkt auf dem Markt unterzubringen.
Wer kennt sie nicht, die Geschichte um das angeblich 1947 bei Roswell abgestürzte UFO, Obduktionen von Außerirdischen in der „Area 51“ und Vertuschungsversuche der US-Armee, die in unzähligen Filmen, Büchern, circa 150 der 201 Akte-X-Episoden und selbstverständlich bei den Simpsons thematisiert wurde? Gut, von Verschwörungstheorien, Aliens und der Wahrheit, die irgendwo da draußen ist, kann man bekanntlich nie genug kriegen. Also spricht wohl nichts dagegen, dass auch Aurora dieses Thema aufgreift und seine ganz eigene Geschichte um jenes Ereignis spinnt.
Dazu wird der Spieler in die Rolle des Privatdetektivs John Pileggi gesteckt, der in Corona, einem Kaff unweit der Gemeinde Roswell, wohnt. Seine Frau hat ihm erst kürzlich den Laufpass gegeben, weshalb er im halbwegs wohnlichen Boulevard-Hotel untergekommen ist, in dem auch das Spiel startet. Die Geschäfte laufen schlecht, John hat Schwierigkeiten seine Miete zu zahlen, nicht mal für eine Zeitung am Kiosk langt es. Da kommt der Brief einer jungen Frau mit einem neuen Auftrag gerade recht.
Die unbekannte Auftraggeberin, die sich selbst Allison McAllister nennt, vermisst ihren Partner, in dessen Garten das Flugobjekt abgestürzt sein soll, das die Armee mittlerweile als Wetterballon identifiziert haben will. John stellt weitere Nachforschungen an und nähert sich langsam der Wahrheit…
Der Versuch, den groben Hintergrund von Aurora möglichst spannend zu beschreiben, scheitert ausnahmsweise nicht an den mangelnden schreiberischen Fähigkeiten des Autors dieses Artikels, sondern ausschließlich daran, dass Aurora storymäßig nichts zu bieten hat. Das Spiel strotzt nur so vor Logiklöchern und führt keine der teils recht netten neuen Ideen ausreichend aus. Dass die Story dann zuletzt in eher abstruse Gefilde abgleitet, gibt dem Ganzen zusätzlich eine bittere Note.
Man könnte vermuten, dass die Entwickler darauf abzielten, die Identifikationen des Spielers mit dem Hauptcharakter zu stärken, indem man ihn zu Beginn erst mal ins kalte Wasser wirft und sich den Hintergrund ohne einleitende Sequenz vollständig alleine erarbeiten lässt. Da es aber kaum etwas Interessantes über Pileggi zu erfahren gibt und die meisten seiner kurzen Kommentare, etwa zu Objekten im Raum, nicht belangloser sein könnten, wird nie ein Mittendrin-Gefühl erreicht. Stattdessen sitzt man vor dem Bildschirm und klickt sich durch sämtliche Hintergründe in der Hoffnung, dass sich daran vielleicht mit der Zeit etwas ändert. So viel sei an dieser Stelle verraten: Diese Hoffnung erfüllt sich leider nie.
Auch die übrigen Charaktere im Spiel bleiben ähnlich flach wie der Hauptcharakter und sind zudem auch meist nicht wirklich glaubwürdig. Hätte man die ohnehin nicht vertonten Dialoge einfach ausführlicher gemacht, hätte man dieses oder jenes Verhalten auch glaubhafter gestalten können. So gibt es immer wieder Szenen, in denen man einem bislang unbekannten Charakter begegnet, der einem bereitwilliger Informationen gibt als Jesus einem Durstigen ein Glas Wasser. Das ufert auch manchmal ins Lächerliche aus, wenn man einem Universitätsprofessor drei wissenschaftliche Fragen beantworten muss, damit dieser einem die Adresse einer gesuchten Person verrät.
“Mitnichten“, würde Bosco wohl an dieser Stelle sagen. Das Flash-Game-artige Spiel kommt im Wesentlichen mit Standbildern der Umgebung aus, durch die wir uns in einer First-Person-Perspektive bewegen. Die wenigen, meist recht kurzen Zwischensequenzen sind nur von minderer Qualität. Die Hintergründe selbst sind zwar hin und wieder recht detailliert ausstaffiert, dabei allerdings auch immer sehr statisch. Anklickbare Objekte gibt es nur wenige, Animationen gibt es fast gar nicht.
Auch akustisch kann das Spiel mit kommerziellen Titeln nicht mithalten. Das liegt nicht nur an der fehlenden Sprachausgabe, sondern nicht zuletzt auch an der bestenfalls mittelmäßigen Musikuntermalung und den größtenteils schlechten Effekten. Bei der Auswahl der Musik wollte man wohl einen gewissen Film-Noir-Stil einfangen, was allerdings nicht gut funktioniert. Nicht nur, da Musikstücke sehr abgehackt starten und enden, auch innerhalb einzelner Locations, sondern auch aufgrund der geringen Häufigkeit, mit der diese zum Einsatz kommen. Vor allem aber, da sie einfach nicht zum Gesamtbild passt. Das gilt auch für sämtliche anderen Musikstücke, bei deren Auswahl man reiflich daneben gegriffen hat.
Das Hauptproblem von Aurora liegt in diesem Bereich in der Orientierung. Die Richtungspfeile, etwa um sich im Raum einem Objekt zur Rechten bzw. Linken zuzuwenden, sind häufig ungünstig positioniert. Etwas mehr Komfort in der klassisch angehauchten Point-and-Click-Steuerung hätte zumindest nicht geschadet. Die Grundfunktionen sind allerdings nicht sonderlich umfangreich und sollten vom Prinzip her schnell in Fleisch und Blut übergehen, jedenfalls sobald einem aufgefallen ist, dass man Gegenstände zum „Betrachten“ oder „Benutzen“ auf die Lupe bzw. das Benutzen-Symbol ziehen muss und nicht umgekehrt.
Die Aufgaben des Spielers bestehen in größtenteils klassischen Rätselaufgaben und sind dabei meist logisch aufgebaut. Oft handelt es sich dabei allerdings nur um das stupide Einsammeln von Gegenständen, die man nach einer Aktion nicht mehr benötigt. Hin und wieder kommt es allerdings vor, dass nicht so ganz klar ist, was man als nächstes zu tun hat. Das ist besonders in der zweiten Hälfte des Spiels der Fall. Die geringen Interaktionsmöglichkeiten sorgen jedoch für einen überwiegend ungestörten Spielfluss, sofern einen nicht zwischendrin wieder mal die Lust verloren geht, weiter zu spielen.
Aber auch die Rätsel sind höchstens einen kleinen Pluspunkt für Aurora wert, da deren Gesamtzahl einfach zu gering ist. Einige davon wirken auch recht aufgesetzt und wurden scheinbar lediglich zur Spielzeitverlängerung eingebaut. Dazu zählen die Aufgaben unter Zeitdruck, die allerdings selten vorkommen und einfach zu lösen sind, aber auch kaum ausmachbare Items, die man manchmal regelrecht erahnen muss.
Es wäre nicht das erste Adventure, das mit massiven Storyproblemen zu kämpfen hat, das alleine macht Aurora noch nicht zu einem schlechten Spiel. Es ist sogar so, dass wenigstens ein paar der Rätsel durchaus gelungen sind und dabei viel klassischer nicht sein könnten. Bei einer Netto-Spielzeit von vielleicht zwei Stunden kann man sich allerdings vorstellen, dass deren Anzahl auch nicht gerade überwältigend ist. An das etwas umständliche Interface hat man sich schnell gewöhnt, auch die Orientierungsprobleme mit den häufig ungünstig platzierten Pfeilsymbolen kann man verschmerzen. Sogar die teilweise fehlende Übersetzung, in welcher der Inhalt des Inventars komplett mit italienischen Begriffen versehen ist, und Kommentare der Spielfigur zu Objekten – vereinzelt auch in Dialogen - manchmal in englischer, manchmal in italienischer Sprache daherkommen, kann man zähneknirschend ertragen. Ja, selbst die nicht vorhandene Sprachausgabe würde nicht weiter stören, wenn nicht gleichzeitig all die anderen Schwächen vorhanden wären.
So bleibt am Ende ein Spiel, dass man selbst knallharten Adventure-Fans nur mit viel Wohlwollen äußerst eingeschränkt empfehlen kann. Gelegenheitsspielern und besonders Neueinsteigern muss man dringend vom Kauf abraten.
Wer ohnehin alles spielt, bloß weil es ein Adventure ist, greift auch zu Aurora. Alle anderen lassen besser die Finger davon.
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