Zugegeben, als im September 2005 ein Sam-&-Max-Spiel von Steve Purcell und Telltale Games angekündigt wurde, war ich ein wenig enttäuscht. Ein Spiel im Episodenformat, nicht von LucasArts und vorerst nur als Downloadversion in englischer Sprache? Nichts für mich. Trotz guter Kritiken der einzelnen Episoden bleibe ich abstinent. Wenn ich für Unterhaltungssoftware Geld bezahle, will ich auch etwas in Händen halten. Am besten etwas mit Verpackung und lustigen Gimmicks. Punkt.
Als JoWood dann gut zwei Jahre später die eingedeutschte Version der gesamten Staffel auf DVD veröffentlicht, kann ich doch nicht nein sagen. Schließlich kann ich mich noch gut an den achten Geburtstag erinnern, an dem ich Sam & Max - Hit the Road erstmals in Händen hielt. Jenes VGA-Adventure alter Schule (heute gemeinhin als LucasArts-Klassiker bezeichnet), das mit schräger Story und abgedrehten Rätseln aufwartete und mein Hasen- und Karnickelherz für Wochen höher schlagen ließ.
Und so wird es mir doch warm ums Herz, als ich die Testversion der "Season One" auf dem Schreibtisch liegen habe. Äußerlich erinnert die Packung, abgesehen von der Größe, wahrscheinlich beabsichtigt ein bisschen an die Spiele aus dem Hause LucasArts. Und auch der Inhalt ist nicht zu verachten: Neben der wohl notwendigen DVD gibt es noch ein umfangreiches, gedrucktes Handbuch und (das Beste) ein absolut cooles, gezeichnetes Sam-&-Max-Poster. Erster Pluspunkt für JoWood.
Nach der Installation wird schnell klar: Für den Release im Paket wurden die sechs einzelnen Episoden nicht zu einem Stück verwurstet. Der Spieler muss also weiterhin jede Episode von Hand starten. Das ist aber kein Problem und hemmt den Spielfluss nicht wirklich. Nach einem eher schlichten Intro mit ansprechendem Jazz-Soundtrack finden sich der Hund Sam und der Hase Max in ihrem alten Büro der Freelance Police wieder. Das Telefon klingelt, allerdings findet es das Duo nicht an seinem angestammten Platz wieder. Die Bewohner des Mauselochs haben es entwendet und verlangen für die Herausgabe ein Stück echten Schweizer Käse. Blöd, dass das riesige Käsestück, das Max im Wandschrank gebunkert hat, nicht aus der Schweiz kommt. Und so beginnt schon der erste Fall mit Hürden. Zunächst scheinen Sam & Max in den ersten beiden Episoden voneinander unabhängige Vorfälle untersuchen zu müssen. Spätestens ab der dritten Folge wird aber klar, dass ein Zusammenhang besteht. Und je weiter man spielt, desto mehr driftet die Story im positiven Sinne in den Wahnsinn ab - der unter anderem Max zum Präsidenten der Vereinigten Staaten macht und das Duo letztendlich auf dem Mond landen lässt.
Eine ausführliche Besprechung der einzelnen Episoden ist in unserem Feature zur Staffel 1 zu finden, das wir parallel zur englischen Veröffentlichung geschrieben haben.
Schon wenige Sekunden nach dem Intro stellt sich beim Spielen ein Grinsen ein, dass von Lachern mindestens im Minutentakt abgelöst wird. Denn das Wichtigste hat das Duo auch in seiner Neuauflage beibehalten: seinen Humor. Unter der Voraussetzung, dass man diese Art von Spaß versteht, treffen die oft bitterbösen, rabenschwarzen und tiefironischen Seitenhiebe genau ins Schwarze.
Durch die Trennung der Geschichte in einzelne Episoden, die auch jeweils Einleitung und Ende aufweisen, fällt auch die Wiederverwendung des Straßenzugs, in dem sich das Büro der Freelance Police befindet, als Start- und Nebenschauplatz nicht weiter negativ auf. Einerseits, weil auch in einem "regulären", zusammenhängenen Spiel ein Schauplatz oft mehr als einmal besucht werden muss und andererseits, weil trotzdem genug Veränderung da ist (oft ändern sich sogar die Kommentare zu bestimmten Gegenständen oder Personen). Mal betreibt Multitalent und Nachbarin Sibyll einen Zeitungsverlag, mal ein Tatoo-Studio. Und auch Bosco, dessen Laden schon in Teil Eins zu sehen war, ist mit von der Partie, absolut paranoid und schizophren (ab und zu hält er sich sogar für einen Franzosen oder einen Briten). Die übrigen Schauplätze sprühen nur so vor Kreativität: ein abgedroschenes Fernsehstudio, eine Mafia-Hochburg, Washington D.C., der Mond.. Was hingegen ein wenig stört, ist das Charakterrecycling. Ist es in den ersten Episoden noch ganz amüsant, die Charakterentwicklung z.B. bei den "Limo-Lausern" (ehemalige Kinderstars) zu beobachten, beginnen die wiederkehrenden Auftritte irgendwann zu nerven. Zumindest aber wünscht man sich die Einführung von mehr neuen Charakteren.
Auch wenn die bunte 3D-Comicgrafik keinen Grafikfetischisten vom Hocker hauen wird, so passt sie doch perfekt zum Spiel. Die Engine von Episode 1 glänzt weniger mit technischer Raffinesse als viel mehr mit künstlerischem Anspruch. So ist die Auflösung mit höchstens 1024x768B ildpunkten zwar noch in Ordnung, einige Texturen, der Schattenwurf und ähnliche Aspekte überzeugen aber nicht wirklich. Dafür ist der Stil unverkennbar und mit so viel Liebe zum Detail umgesetzt, dass man über einige technische Schwächen schnell hinwegsieht. Die Schauplätze könnten genau so den Künstlern des ersten Teils entsprungen sein und machen einfach Spaß. Die Charaktere sind passend ausgearbeitet und gut animiert. Es verwundert immer wieder aufs Neue, wie die Gesichtszüge der Comiccharaktere, die eigentlich nur aus ein paar Strichen bestehen, Emotionen transportieren können. Besonders hervorzuheben ist die perfekte Inszenierung mit rasanten Kamerafahrten und zahlreich eingesetzten Close-ups. Endlich einmal ein 3D-Adventure, das die Möglichkeiten einer 3D-Umgebung gut ausschöpft und nicht nur versucht, den zweidimensionalen Stil längst vergangener Klassiker nachzuahmen.
Auch die Musikuntermalung ist gut gelungen. Die meisten jazzigen Hintergrundtöne (die auch ab und zu in Richtung Dixieland und Swing abdriften) passen sehr gut zu den jeweiligen Lokalitäten und besitzen Stellenweise Ohrwurmqualität. Da verwundert es nicht, dass der Soundtrack dem Abspann nach zu urteilen extra für das Spiel eingespielt wurde. Gut, dass der Soundtrack auch als MP3-Archiv auf die DVD gepresst wurde und zum separaten Anhören einlädt. Soundeffekte sind mit Bedacht eingesetzt und fallen nicht weiter auf, weder positiv noch negativ. Die Soundkulisse passt aber zur abgedrehten Comicwelt.
Nur weil etwas im Amerikanischen witzig ist, muss es das im Deutschen noch lange nicht sein. Genau dieser Fehler wird oft begangen und Texte einfach Eins zu eins in die jeweils andere Sprache übersetzt. Nicht bei Sam & Max: Läge der Schauplatz nicht zu offensichtlich in den Staaten, könnten die Charaktere durchaus als deutsche Muttersprachler mit einem äußerst feinen Sprachsinn durchgehen. Der Humor ist göttlich, spätestens bei Sams bis zur Vollendung getriebenen Alliterationen reißt es sicher den ein oder anderen vom Hocker ("Ach du heiliger Hubertus mit Harfe, Hornbrille und haarigem Hintern! Wir sind schon unterwegs!").
Und auch die Synchronisation ist passend. Die beiden Hauptrollen werden von den gleichen Sprechern vertont wie in "Hit the Road". Dabei ist Sams Stimme wesentlich prägnanter, hat aber im Vergleich zum Vorgänger ein klein wenig an Charme verloren. Und an Max' deutscher Stimme scheiden sich sowieso die Geister: Entweder man mag sie, oder man mag sie nicht. Die beiden Hauptdarsteller sind jedenfalls genauso wie die übrigen Charaktere sehr gut besetzt und die eingesprochenen Textzeilen sehr gelungen.
Positiv fällt auch noch auf, dass einige Texturen, wie zum Beispiel Werbetafeln, eingedeutscht wurden.
Wer sich mit der deutschen Übersetzung so gar nicht anfreunden kann, muss es auch nicht. Auf der DVD sind nämlich auch die englischen, französischen Sprachversionen sowie die italienischen und sogar finnischen und schwedischen Untertitel vorhanden. Um in deren Genuss zu kommen, muss das Spiel allerdings neu bzw. parallel installiert werden, ein einfaches Wechseln ist nicht möglich.
Ein Vorteil eines Spiels im Episodenformat ist, dass sich die Entwickler schon während einer Staffel auf die Bedürfnisse der Spieler einstellen können. Ansätze davon sind auch in der zweiten Hälfte von Staffel 1 zu spüren. Während die Rätsel in der ersten Hälfte sehr einfach sind, nimmt der Schwierigkeitsgrad später ein wenig zu - laut Telltale eine Reaktion auf die Aussage vieler Fans, die Ansprüche seien zu niedrig. Doch auch wenn das Niveau relativ niedrig ist, werden einige Spieler Probleme damit haben, um genügend Ecken zu denken, um die abgedrehten Rätsel zu lösen. Und genau da liegt die Qualität von Sam & Max.
Auch Geschicklichkeitseinlagen haben wieder ihren Weg ins Spiel gefunden. So begegnet man alten Bekannten wie "Bratz-das-Vieh" und auch wilde Verfolgungsjagden im kultigen DeSoto sind mit von der Partie. Hier geht es aber weniger um Fingerfertigkeit als viel mehr um die richtige Idee.
Die Steuerung von Sam & Max ist sehr einfach und adventuretypisch. Bewegt man den Mauszeiger über einen Hotspot, wird dieser grün. Mit einem Linksklick läuft man und das Inventar befindet sich traditionsgemäß in einer alten Schachtel am unteren linken Bildschirmrand. Allerdings können dort Gegenstände nicht miteinander kombiniert werden, was einige Rätselmöglichkeiten ausschließt. Manchmal wünscht man sich eine Abkürzungsmöglichkeit der Laufwege, meistens sind diese jedoch kurz genug. Gespeichert werden kann in unbegrenzter Anzahl an fast jeder Stelle im Spiel. Dialoge sind abkürzbar und laufen im Multiple-Choice-Verfahren ab. Auch die Minispiele wie eine Fahrt im DeSoto werden mit der Maus gesteuert.
Sam & Max - Season 1 ist ein mehr als würdiger Nachfolger zum Klassiker. Schon in den ersten Minuten erobert das schräge Duo das Herz des Spielers. Die Geschichte ist wunderbar abgedreht und man darf auch nicht viel Sinn erwarten - auch nicht beim Staffelende - aber dafür unterhält das Spiel auf eine derart lustige Weise, dass alles andere zu verzeihen ist. Die Lachmuskeln kommen auf jeden Fall voll auf ihre Kosten, wenn man mit der Art des Humors auch nur ein wenig anfangen kann. Wem Comicadventures mit abgedrehter Story Spaß machen oder wer schon damals von Sam & Max begeistert war ist hier genau richtig aufgehoben.
Für mich war schon nach den ersten Spielminuten klar: Das Spiel ist klasse! Diese Erwartungshaltung wurde auch nicht enttäuscht. Der Brechstangenhumor ist äußerst witzig und einfallsreich, die Steuerung geht leicht von der Hand, die Musik- und Soundkulisse ist großartig und trägt einen enormen Teil zur Atmosphäre bei und die Grafik ist zwar nicht hochmodern aber dafür liebevoll erstellt und für ein Comicadventure bestens geeignet. Die Schauplätze sind abwechslungsreich und bieten Spielspaß für etwa 12 bis 15 Stunden. Nach dem Spielen bietet die DVD noch Wallpaper, Charakterstudien, ein Behind-the-Scenes-Video, Zeichnungen, Trailer und den Soundtrack im MP3-Format an.
Auch wenn mich diese Staffel überzeugt hat, werde ich vor dem Kauf der zweiten wieder bis zur deutschen Veröffentlichung warten - schon allein wegen der deutschen Sprachausgabe, die mir aus nostalgischen Gründen aber auch auf Grund ihrer Qualität zusagt. Für Sam-&-Max-Fans alter Schule ist die Season 1 ein Pflichtkauf. Ein Besprechung der ersten schon erschienenen Folge aus Staffel zwei findet man in unserem Feature zur Staffel 2.
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