Lange hat es gedauert, bis die Private Moon Studios Teil vier ihrer Agon-Saga fertig bekommen haben. Zwischenzeitlich kamen gar Zweifel auf, ob überhaupt eine weitere Episode das Licht der Welt erblicken würde, doch nach langwierigen Umstrukturierungen, einer Anpassung des Konzeptes und mithilfe der Unterstützung des französischen Zulieferers Mzone Studio war es dann doch so weit. Im März erschien „Agon – The Lost Sword of Toledo“, das Professor Samuel Hunt ins Herz von Spanien führt. Neu dabei: Anders als die recht kurzen Episoden eins bis drei, die zunächst zum kleinen Preis über das Internet verkauft wurden, ist der neue Titel ein umfangreiches Vollpreisadventure.
Nach seinen Abenteuern in London, Lappland und Madagaskar, die als „The Mysterious Codex“ ebenfalls bei Kalypso erschienen sind, zieht es den Historiker Samuel Hunt auf seiner Suche nach dem sagenumwobenen „Agon“ nach Toledo, wo er den nächsten Hinweis auf das Objekt der Begierde vermutet.
In dem beschaulichen spanischen Städtchen angekommen macht er sich auf die Suche nach Salvador Diez Palencia. Der ist jedoch kürzlich verstorben und seine Tochter Carmen weiß nichts über ein „Agon“ zu berichten. Kann vielleicht die ungewöhnliche Spieluhr aus dem Nachlass des alten Mannes ein Hinweis sein? Bald wird klar, dass das „Schwert von Toledo“ der Schlüssel ist. Es gehörte einst der Familie Diez Palencia, ist jedoch seit längerer Zeit verschollen.
Hunt konzentriert sich zunächst auf das Schicksal des lebendigen Teils der Familie. Carmen ist gegen ihren Willen dem Sohn der reichen Familie Garcia de la Rico als Ehefrau versprochen, während ihr Herz nur für den Schmied Francisco Candelas schlägt. Der wiederum sitzt als angeblicher Dieb des Schwertes im Gefängnis – ein juristischer Irrtum, wie Carmen versichert. Hunt geht der Sache nach und erlebt eine spannende Geschichte, die ihn nicht nur auf die Spur des Schwertes, sondern letztendlich wieder auf die des begehrten Agon führt.
Als Ego-Adventure vertritt The Lost Sword of Toledo wie schon die Vorgänger klassische Werte. Ingame-Spielhilfen gibt es keine, dafür knackige Rätselkost im oberen Viertel des Schwierigkeitsgrad-Spektrums. Dabei sind nicht nur ein paar recht komplexe Inventarknobeleien zu bestehen, auch logisches Denken ist Pflicht.
Markenzeichen der Agon-Reihe waren schon immer die zahlreichen authentisch wirkenden Dokumente aus den Jahrhunderten vor 1904, die in der Spielwelt zu finden sind. Überall gibt es Bücherregale und Schriftrollen, die sich ausgiebig durchwälzen lassen. Von „Masters & Masterpieces of Painting in the 18th Century“, „El Greco - His Life & His Works“ über „Astronomy for All“ bis hin zu „O Arte de Torèar“ oder Auszügen spanischer Prosa des 19. Jahrhunderts, die Vielfalt an Themen ist groß. Manche der Werke sind mit Popup-Texten auch ins Deutsche übersetzt, andere dagegen bloße optische Schmankerl. Die unübersetzten Texte sind für zum Glück für das Lösen von Rätseln nicht von Bedeutung.
Verschont werden die Hirnwindungen der Spieler nicht. Immer wieder gilt es, Informationen von allerlei Stellen zusammenzutragen und raffiniert miteinander zu verknüpfen. Der Zettel neben der Tastatur ist dabei unabdingbar. Agon richtet sich damit an den harten Kern der Rätselfans. Wer nur eine Geschichte erleben will, druckt sich die Lösung am besten vorsorglich aus.
Am Ende des Spiels wird man nach alter Agon-Tradition wieder mit einem Brettspiel belohnt, das gegen den Computergegner zu gewinnen ist. Das Spiel ist sehr originell, unterscheidet sich deutlich von bekannten Klassikern und kann durch das Entwickeln einer geeigneten Strategie mit Nachdenken gewonnen werden. Zwei Schwierigkeitsgrade stehen zwar zur Verfügung, wer es bis zum Ende ohne Lösung geschafft hat, wird sich aber kaum die Blöße geben, den Opponenten künstlich auszubremsen.
Technisch ist Agon nicht gerade State-of-the-Art, es beschränkt sich vielmehr auf die Elemente, die benötigt werden, um das Gameplay auf den Monitor zu bringen. Das sind 360-Grad-Rundumszenen, in denen Echtzeit-3D-Figuren herumstehen, mit denen der Spieler sich unterhalten kann. Hintergrundanimationen sucht man meist vergebens, sodass dem südländischen Toledo ein wenig die Lebendigkeit abgeht.
Erfreulicherweise sind die Umgebungen sehr ansprechend gerendert. Die Bilder sind voller Details und mit viel Liebe zusammengestellt. Das Flair eines spanischen Dorfes im anbrechenden 20. Jahrhundert kommt hervorragend rüber. Die etwas grobschlächtigen 3D-Charaktere sind da weniger zeitgemäß, zumal steife Animationen hier stören.
Auch andere technische Aspekte hinken der Konkurrenz hinterher. Warum darf man Gespräche nicht per Klick abbrechen, sondern muss sich die recht ausschweifenden Dialoge auch beim zweiten Mal komplett anhören? Und warum gibt es nur acht Slots für Spielstände? Immerhin haben die Private Moon Studios die überflüssigen Artefakte der Schriftart – störende Pixel zwischen den Buchstaben – in den Griff bekommen.
Echte Zwischensequenzen gibt es abgesehen von Intro und Outro keine. Muss die Lücke zwischen zwei Spielabschnitten erzählerisch befüllt werden, kommen starre Comiczeichnungen zum Einsatz, die wortlos den Ablauf beschreiben. Das funktioniert zwar, sorgt aber nicht unbedingt für viel Dynamik. Immerhin sind die Bildsequenzen mit passenden Soundeffekten hinterlegt.
Akustisch kann Agon 4 überzeugen. Immer wieder ertönen sanfte Musiken im Hintergrund, die sich niemals aufdrängen, aber gekonnt Atmosphäre schaffen. Dazu gibt es ambiente Geräuschkulissen wie das allgegenwärtige Vogelzwitschern.
Weniger weiß die Lokalisation zu gefallen. Zwar hat Kalypso professionelle Sprecher verpflichtet, die ihr Bestes geben, hin und wieder gewinnt man aber den Eindruck, dass niemand im Tonstudio mit dem Spiel vertraut war. Neben falschen Betonungen stören besonders die heftigen Unterschiede zwischen Untertiteln und Sprachausgabe. Manchmal gehen Ton und Schrift so stark auseinander, dass man kaum noch weiß, auf was man achten soll. Zudem ist beides oft asynchron, sodass der gerade gesprochene Satz schon mehrere Sekunden lang nicht mehr angezeigt wird. So wirkt die Loka leider unfertig.
Insgesamt haben die Entwickler zum vierten Mal bewiesen, dass sie besonders für Knobelfreaks der alten Schule einiges zu bieten haben. Gnadenlos komplexe Puzzles wechseln sich mit harmloseren Standardrätseln ab, während Musik und historische Dokumente für jede Menge Atmosphäre sorgen. Da The Lost Sword of Toledo zum ersten Mal keine Kurzepisode ist, sondern ein Vollpreisspiel, darf sich dabei auch endlich eine interessante Handlung entwickeln, die über den spannend-mystischen Gesamtbogen rund um das Agon hinausgeht und sich im Mikrokosmos der einzelnen Folge abspielt.
Leider ist die technische Umsetzung dem geschickt konstruierten Gameplay nicht ebenbürtig. Nur hübsch gerenderte Hintergründe reichen eben heutzutage nicht mehr aus, um aus der Konkurrenz herauszustechen. Vielleicht wäre es eine gute Idee, bei Episode fünf die komplette Umsetzung in die Hand von Zulieferern zu legen und sich bei den Private Moon Studios auf das eigentliche Design zu konzentrieren. Mit einer runderen Umsetzung und einer weniger halbherzigen Eindeutschung könnte es jedenfalls noch ein gutes Stück mehr Spaß bereiten, in die gelungene Welt rund um Professor Samuel Hunt einzutauchen.
Ich mag die Agon-Reihe. Sie ist technisch rückständig und mangels Animationen wirkt alles recht unbelebt, die spannende Geschichte zeugt aber von viel kreativer Energie beim Entwickler. Samuel Hunt als etwas biedere Rentnerversion von Indiana Jones, der statt Hut und Peitsche Hirnschmalz und Mundwerk schwingt, wächst mir auch immer mehr ans Herz. Ich freue mich auf Teil 5!
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