Test

von  Hans Frank
30.04.2008
Lost: Via Domus
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch

Lost ist eine der Fernsehserien, die die einen hassen und die anderen lieben. Ein Dazwischen gibt es kaum. Finden die einen es interessant, eine sich immer weiter verästelnde und verkomplizierende Geschichte zu verfolgen, schreckt die anderen genau diese Tatsache ab. Trotzdem ist Lost zumindest in Amerika ein großer Erfolg, der bereits in der vierten Staffel ausgestrahlt wird. Hierzulande müssen sich Fans allerdings noch etwas gedulden. Die Wartezeit versüßen könnte das Spiel zur Serie, Lost: Via Domus. Was zunächst nach einem reinen Actionspiel oder zumindest nach einem Action-Adventure aussah, entwickelte sich in der Spielerwahrnehmung spätestens in den produzierten Making-ofs zu einem Spiel, das auch für Adventurefans interessant sein könnte. Bisher waren PC- oder Konsolenableger von bekannten abc-Serien zwar nicht unbedingt das Gelbe vom Ei, aber die Screenshots und Gameplayvideos von Lost versprechen Gutes.

Oceanic Flight 815

Im Intro des Spiels erlebt der Spieler den spektakulären Absturz der Oceanic Flight 815, bei dem das Flugzeug sogar in zwei Teile getrennt wird, noch einmal. Die Maschine, die sich eigentlich auf einem Flug zwischen Sydney und Los Angeles befindet, scheint vom Kurs abgekommen zu sein und stürzt über einer sonnigen Insel mit tropischer Vegetation ab. Anders als in der Serie erlebt der Spieler dies mit den Augen des Reporters Elliot Maslow, der im Fernsehen nicht zu sehen war. Nach dem Absturz erinnert sich dieser aber leider nicht an seine Vergangenheit. Ein praktischer, wenn auch etwas einfallsloser Einstieg zum Spiel.

4, 8, 15, 16, 23, 42

"Wie meinen?", werden nicht nur einige Leser jetzt denken. Auch Spieler, die mit der Fernsehserie überhaupt nicht vertraut sind, dürften große Probleme haben, der Geschichte im Spiel zu folgen oder ihr sogar Logik abzuringen. Das Spiel scheint davon auszugehen, dass die Rahmenbedingungen, die auf der Insel herrschen, schon bekannt sind und keiner weiteren Einführung benötigen. Auch die anderen Charaktere auf der Insel scheinen schon unmittelbar nach dem Absturz begriffen zu haben, wie der Hase läuft - und das steht im krassen Gegenspruch zum eigentlichen Storyverlauf in der Serie. Aber nicht nur zu diesem. Denn woher die Charaktere, die im Übrigen sehr hohen Wiedererkennungswert aufweisen, ihr Wissen haben, bleibt im Unklaren. Sowieso dürften auch Serienkenner Probleme haben, der Geschichte zu folgen - schweigt sich das Programm selbst doch völlig zu den Hintergründen der Geschehnisse und Charaktere aus.

Protagonist Elliot bleibt relativ glatt und oberflächlich, was es schwer macht, sich mit ihm zu identifizieren. Im Spiel folgt er einem absolut linearen Handlungsverlauf, der ihn von Minispiel zu Minispiel quer über die Insel schickt. Da gilt es einmal, sich vor der schon aus der Serie bekannten, mysteriösen schwarzen Wolke zu verstecken, per Kompass den Weg durch den Dschungel zu finden, per Schaltplan die Treibstoffzufuhr im Flugzeugwrack zu blockieren, um eine Explosion zu verhindern oder aus einer stockdunklen Höhle zu finden. Nebenbei müssen noch Gespräche mit sämtlichen Charakteren geführt werden und Gegenstände wie Wasserflaschen oder Kokosnüsse, die quer über die meisten Schauplätze verteilt sind aufgesammelt werden, um sie dann im nervigen und überflüssigen Handelssystem gegen Gegenstände wie Fackeln oder Waffen zu tauschen.

Lediglich die Erinnerungssequenzen, in denen Elliots Vergangenheit beleuchtet wird, stechen hervor. In Schlüsselszenen wird der Spieler in die Vergangenheit zurückversetzt und muss bestimmte Augenblicke mit seiner Kamera einfangen, um sich besser erinnern zu können. Was am Anfang wirklich Spaß macht, wird im Spielverlauf zur Qual. Zwar ist es interessant, weiter in die Geschichte vorzudringen, die Umsetzung der Fotoshootings ist jedoch mangelhaft. So muss sowohl der Blickwinkel als auch Schärfe und Zoomlevel genau so passen, wie das Spiel das gerne hätte, sonst wird ein Foto nicht akzeptiert. Und das kann mitunter zur nervenaufreibenden Klickerei ausarten, in der man der Verzweiflung nicht selten nahe ist. So bleibt auch die Funktion, auch im normalen Spiel auf der Insel besondere Gegenstände zu fotografieren, oft ungenutzt.

Und auch wenn das Spiel näher an einem Adventure als an einem Actionspiel ist, nerven die vielen Möglichkeiten, in den Tod zu stürzen oder sich in die Luft zu sprengen und dann nach langer Ladezeit wieder an einem der festen Speicherpunkte von Neuem zu beginnen. Ob das Spiel nun noch als Adventure durchgeht oder nicht, darüber kann man sich wohl streiten. Zahlreiche Dialoge und ein paar einfachere Rätsel sind auf jeden Fall vorhanden. Der Action-Part ist dafür sehr limitiert. Gekämpft wird praktisch gar nicht, die Kugeln in der freispielbaren Waffe reichen locker für die gesamte Spielzeit. Den Rest des Spiels verbringt man dann mit den Minigames, die irgendwann langweilig werden.

Schöne Kulissen

Wie schon die Serie bietet das Spiel traumhafte Kulissen. Die tropische Insel sowie die Schauplätze in der Vergangenheit sind originalgetreu und sehr detailliert umgesetzt. Lost-Fans dürfte vor allem freuen, dass sehr viele der Originalschauplätze zugänglich sind. Die Engine nutzt hierbei viele aktuelle Grafikfeatures, was bei aktuellen Adventures eher unüblich ist. Das verwundert auch nicht, wurde sie doch ursprünglich für Ghost Recon: Advanced Warfighter 2 eingesetzt. Das hat aber auch seinen Preis: Zum einen sind die Systemanforderungen recht hoch, zum anderen sind die Schauplätze sehr klein und die Ladezeiten ungewöhnlich lang. Auch ärgerlich sind die engen Levelgrenzen. Fühlt man sich im Dschungel zunächst noch recht frei wird schnell klar, dass nur ganz kleine begehbare Flächen abgesteckt wurden, die durch Gebüsch und manchmal auch unsichtbare Wände begrenzt sind. Schön sind die cineastisch umgesetzten Zwischensequenzen und die Zusammenfassungen im Serienstil, die beim Laden eines Spielstandes gezeigt werden.

Die Charaktere im Spiel besitzen einen unglaublich hohen Detailgrad und sehen den menschlichen Vorbildern aus der Serie sehr ähnlich, was viel zur Atmosphäre beiträgt. Sie sind sehr gut modelliert und animiert. Auch die gute Sprachausgabe trägt zu diesem Umstand bei, wobei auf Lippensynchronität verzichtet wurde. Unverständlich ist auch, warum bei Dialogen meistens nur die Gesprächspartner mit Sprachausgabe unterlegt sind, nicht aber der Protagonist. Die Lokalisation hinkt hier und da, zum Beispiel wenn Sawyer anderen Charakteren unfreiwillig komische Spitznamen gibt. Auch die restliche Soundkulisse ist gut und durchdacht. Den Fledermausschwarm in einer dunklen Höhle hört man zum Beispiel eher an sich vorbeifliegen, als dass man ihn sieht.

Steuerung

Spätestens bei der Steuerung wird klar: Konsolenumsetzung! Umständlicher hätte man die Bedienung mit einer Mischung aus Maus und Tastatur nämlich kaum gestalten können. Die reine Navigation ist noch recht einfach, diese erfolgt mit der gewohnten Kombination aus den Tasten W, A, S und D für seitliche und Vorwärtsbewegungen sowie der Maus für Drehungen und einige Aktionen. Kann man mit einem Hotspot interagieren, wird dieser sowohl umrahmt als auch eingeblendet, welche Taste nun zu drücken sei, was vorbildlich ist. Warum man aber zum Beispiel im Inventar- und im Kameramodus manchmal mit der Rücktaste, manchmal aber auch mit der eigentlichen Aufruftaste (z.B. "I" für Inventar) und manchmal dann doch auch mit der rechten Maustaste (so wie man es intuitiv machen würde) zurückkommt, bleibt dem Spieler verschlossen. Und so verdrückt man sich oft und hat gerade in Sequenzen, wo es um Geschicklichkeit und Schnelligkeit geht (z.B. erwähnte Fotoshootings, bei denen gleichzeitig Timing, Zoomlevel als auch Bildschärfe manuell gesteuert werden müssen), ein Problem. Elliot bleibt außerdem an jeder Kleinigkeit hängen oder dreht sich spontan und ungewollt um 180 Grad, was gerade die Wegfindung im Dschungel erschwert. Zwischensequenzen können nicht abgebrochen werden, Dialoge aber glücklicherweise schon. Zumindest was die Steuerung an sich angeht, schafft aber ein Gamepad Abhilfe. Mit einem solchen tut man sich wesentlich leichter als mit Tastatur und Maus. Probleme bei den Fotoshootings oder beim Hängenbleiben an winzigen Blättern bleiben aber bestehen.

Fazit

Lost: Via Domus hebt sich zwar positiv von vielen anderen TV-Umsetzungen ab, verschenkt aber trotzdem sehr viel Potenzial. Blendet am Anfang noch die großartige Grafik, treten schnell die Gameplayschwächen in den Vordergrund. Durch die eher oberflächliche Geschichte wird eigentlich nur durch eine Aneinanderreihung der immer gleichen Spielelemente geleitet, die mit der Zeit langweilen. Wer die Fernsehserie nicht gesehen hat, wird den Storyverlauf nicht wirklich verstehen - eine Einführung in dieser Form existiert nicht. Wer Lost gesehen hat und Wert auf konsistente Story legt, wird ebenfalls enttäuscht - das Spiel reißt einige Logiklöcher auf. Und selbst Serienkenner, die nicht mehr jedes Detail im Storyverlauf der ersten Staffeln im Kopf haben, dürften Probleme haben, dem Spiel zu folgen. Das Spiel selbst schweigt sich nämlich gänzlich zu Hintergründen zum Geschehen und zu Charakteren aus. Die Probleme bei der Steuerung tun ihr Übriges. Für jeden Lost-Fan ist es aber zumindest toll, einmal auf eigene Faust die Schauplätze auf der Insel zu erkunden und die Charaktere kennenzulernen.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

War ich am Anfang recht angetan, enttäuscht mich das Spiel spätestens nach einer Stunde. Die begehbaren Flächen sind sehr eingeschränkt und die Ladezeiten zwischen den Schauplätzen extrem hoch. Schon ganz kurz nach dem Absturz am Strand treten außerdem Logiklöcher zu Tage, vor denen man die Augen nicht mehr verschließen kann. Etwa wenn statt panisch herumlaufender Menschen nur die Hauptakteure an verschiedenen Stellen im Sand sitzen und keinen Finger rühren. Wenn dann nach einer Spielzeit im mittleren einstelligen Stundenbereich der Abspann über den Bildschirm flimmert, bleibt jegliche Befriedigung aus. Enttäuschend ist auch, dass das, was ich an der Fernsehserie so mag - nämlich das Rätseln über das Große und Ganze des Lost-Universums - völlig ignoriert wurde und überdies auch noch Fakten aus der Vorlage verdreht oder geändert werden. Wer Lost nicht gesehen oder gemocht hat, kann sich dieses Spiel getrost schenken. Ich als Lost-Fan fand zwar die Möglichkeit toll, die Insel einmal selbstständig zu erforschen bin aber maßlos über die flache Story und das mäßige Gameplay enttäuscht. Auch die Steuerung geht sehr schwer von der Hand - ein Stück weit entschädigt dafür aber die Schönheit der Schauplätze und die hohe Detailfülle. Wer zugreifen will, sollte noch etwas warten, bis der Preis angemessenere Höhen erreicht.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Tolle Grafik
  • Lost-Feeling
  • Viele Originalschauplätze, aber...
  • ... nur sehr kleine begehbare Flächen
  • Schwache Umsetzung der Geschichte
  • Logikfehler
  • Lange Ladezeiten
  • Kurze Spielzeit
  • Mäßiges Gameplay