Zum vergangenen Jahreswechsel lieferte Kheops Studio mit Nostradamus: Die letzte Prophezeiung bereits eine sorgsam recherchierte und aufgearbeitete Thematik rund um die Figur des Nostradamus. Auch dieses Mal widmet sich der Entwickler einem aus Literatur und Film allzu bekannten Thema: Dracula. Fernab von modernen Aufarbeitungen beschäftigt sich Kheops mit dem ursprünglichen Mythos des rumänischen Grafen Vlad III. Draculea, der als vermeintlich bluttrinkender Graf Dracula in Erinnerung geblieben ist.
Grundlage dafür sind die historischen Ereignisse und Überlieferungen, die sich um diese Person ranken; liest sich doch bereits das Handbuch zum Spiel wie ein geschichtlicher Abriss.
Kheops steuert mit Dracula 3: Der Pfad des Drachen erstmalig etwas zu diesem Thema bei; zwei vorangehende Teile kamen 1999 und 2000 von Wanadoo/France Telekom. Dracula 3 ist jedoch keine eindeutige Fortsetzung, da eine unabhängige und eigenständig spielbare Story geboten wird. In diesem Teil soll eine Reise angetreten werden, die zwischen Realität und Mythos pendelt und deren Wege nach Budapest, Transsylvanien und die Türkei führen. Dort kreuzt man zugleich die Wege der geheimnisvollen Thule-Gesellschaft…
Bevor wir uns auf den titelgebenden Pfad des Drachen begeben, beschreiten wir zunächst andere Wege: Als junger Pater Arno erhalten wir eine wichtige Aufgabe, um dessen Erledigung uns ein Monsignore des Vatikans bittet. In dem kleinen rumänischen Dorf Vladoviste gilt es, Nachforschungen über die kürzlich verstorbene Ärztin Marta Calugarul anzustellen. Diese Medizinerin soll bemerkenswerte Heilkünste besessen haben, und der Vatikan erwägt, eine Seligsprechung vorzunehmen.
Mit diesem Auftrag betraut, macht sich Arno auf die Reise, die, wie er glaubt, recht schnell erledigt sein dürfte. In Vladoviste angekommen, offenbaren sich die jedoch ersten Hindernisse dieser Unternehmung: Ein düsteres, fast verlassenes Dorf mit wenigen scheuen Einwohnern erschweren die ersten Recherchen. Gleichzeitig schwebt über der Ortschaft ein mysteriöser Schatten, der zweifellos von der Ruine des nahe gelegenen Schlosses des Grafen Dracula herrührt.
Je weiter die Recherchen führen, desto stärker vermischt sich die Vergangenheit Calugaruls mit der Geschichte Draculas und Arno muss zwangsläufig den Pfad des Drachen gehen...
Wie auch schon in Nostradamus: Die letzte Prophezeiung erscheint die Grafik in Form von vorgerenderten 3D-Räumen, in welchen mittels Richtungspfeilen feste Positionen eingenommen werden können. Die Bewegung erfolgt in Form von Überblendungen, das heißt einem sanften Bildwechsel. Von den erreichten Punkten aus ist eine freie Drehung in alle Richtungen möglich.
Die zugrunde liegende Grafik ist schön gerendert und zaubert neben plastischen Oberflächen detaillierte Texturen an die Wände. Ein leichter Weichzeichner lässt viele Räume wie ein Stillleben wirken und verstärkt zudem die Myst-ähnliche Optik.
Das stilistische Bild ist gewohnt stimmig ausgefallen: Kheops fängt Zeit und Schauplatz der Handlung hervorragend ein - ob Häuser, Inneneinrichtungen oder Kleidung der Personen. Ebenso überzeugen die Darstellungen der verschiedenen Umgebungen. Erinnert Vladoviste an eine erschreckend authentisch dargestellte verwitterte Geisterstadt, so unterscheiden sich die Besuche in der Bibliothek in Budapest deutlich: Hier dominiert eine prunkvoll verzierte und verspielte Szenerie.
Wie auch in der letzten Veröffentlichung sind weitere Eigenschaften der Grafik ebenfalls identisch geblieben: Der Anteil an Animationen ist recht gering; bis auf etwas Nebel oder ein paar Gesten der Gesprächspartner bewegt sich eher wenig. Die Mimik der Gesprächspartner ist sehr gut dargestellt worden; dennoch wirken die Bewegungen insgesamt etwas hölzern. An vielen Stellen werden Übergänge zwischen Gebieten durch kurze, geheimnisvolle Videosequenzen aus der Sicht eines Unbekannten dargestellt; ebenso unterbrechen einige Traum-Sequenzen Arnos nächtliche Ruhe.
Des Weiteren schafft Kheops mit überwiegend statischen Schatten und dem bereits erwähnten Weichzeichner auf Entfernung ein sehr kühles Gesamtbild, das viele Räume etwas wächsern aussehen lässt. Dieser Effekt mag den Grusel erhöhen, nutzt sich aber manchmal genau dann ab, wenn wiederkehrende Laufwege auftreten: Man klickt sich einfach durch zu viele starre Bilder.
In Sachen musikalischer Untermalung weiß Dracula 3 etwas mehr zu überzeugen; neben landestypischer Musik sind für die einzelnen Schauplätze angenehme Klänge zu vernehmen, die stets eine düster-schaurige, aber auch melancholische Note transportieren. Die Musik verbleibt angenehm im Hintergrund und wirkt stets stimmig eingesetzt.
Weitere akustische Effekte der Umgebung sind ähnlich den Animationen eher spärlich, aber passend eingesetzt: Mal kreischt ein Vogel, mal bellt ein Hund oder pfeift ein Kind. Ebenso gibt es etwas zu hören, wenn wir etwas anfassen, manipulieren oder in einer der zahlreichen Situationen scheitern, in denen man sterben kann.
Die Sprachausgabe ist auf sehr hohem Niveau, gibt sie doch mit perfekter Betonung und Klang die Stimmung des Gegenübers gut wieder. Ebenso präzise wurden Akzente und Sprechrhythmus umgesetzt.
Die Bewegung innerhalb des Spiels erfolgt mittels Mauszeiger, der sich entsprechend verändert, je nachdem, ob etwas manipuliert, angeschaut oder aufgenommen werden kann. Die Ausgänge und möglichen Positionsänderungen innerhalb eines jeden Raumes werden ebenfalls kenntlich gemacht, sobald die Maus über einen solchen Punkt bewegt wird. Die Suche mit der Maus ist in jedem Fall notwendig, da es keine Hot-Spot-Anzeige gibt, die interaktive Elemente hervorhebt.
Ein allzu bekannter Haderpunkt ist wieder einmal die Varianz der Gegenstände: Wenn man etwas Anklicken kann, wird es meistens unmittelbar oder später wichtig. Es finden sich nur wenige Gegenstände, welche unterhaltenden Charakter haben oder die Linearität etwas verwischen.
Häufig wird der Spieler jedoch ins Inventar blicken: Das Tagebuch, welches Arno selbständig um Objekte, Unterlagen, Fotos, Briefe und Zeitungsausschnitte erweitert, ist stetes Nachschlagewerk, um den zahlreichen Wendungen der Story, aber auch den Rätselanforderungen folgen zu können. Neben Gegenständen können hier eine Fülle von Dokumenten sortiert und kategorisiert werden, um sie gezielt einzelnen Etappen der Reise zuordnen zu können. Ebenso finden sich hier bereits geführte Dialoge und eine kurze Auflistung der momentan dringlichsten Aufgaben.
Die Speicherfunktion fällt auch hier wieder durch das Kategorisieren der Spielstände auf: Ein jeder Spieler, der das Abenteuer neu beginnt, wählt zunächst eines von 5 Symbolen aus, unter welchem später alle persönlichen Spielstände, die man jederzeit anfertigen kann, abgelegt werden. Passend zum Setting bestehen die Symbole aus 5 voneinander leicht abweichenden Dämonenköpfen, wobei man sich merken sollte, welches Symbol man vorher ausgewählt hat.
Die Rätselaufgaben, die Dracula 3 an den Spieler stellt, reichen in Bezug auf den Schwierigkeitsgrad von einfach bis sehr herausfordernd. Da die Entwickler mit viel Hintergrundwissen an die Darstellung des Themas herangegangen sind, fließt viel davon auch in die Rätsel ein.
Es genügt zu Beginn des Spiels durchaus, einige Gegenstände aufzusammeln und einem Gesprächspartner zu zeigen oder zu geben, im späteren Verlauf dominieren jedoch übergeordnete Rätsel literarisch-historischer, religiöser oder medizinischer Art.
Aus Gesprächen kann Arno zwar erfahren, das mittelalterliche Schriften zu Vlad Tepes existieren, er muss jedoch in Teilaufgaben zunächst die Quellen sichten, Literaturhinweise verfolgen, in lokalen Zeitungschroniken Ereignisse finden und lateinische Abschriften entziffern oder diese mit der Lupe untersuchen. Ebenso entwickelt sich die Abnahme einer Blutprobe zu einem verzweigten Aufgabennetz aus Kombinieren von Objekten, Nachlesen von Verfahrensweisen und Transkribieren von Ergebnissen.
Prinzipiell sind diese Aufgaben angenehm fordernd und unterbrechen die Linearität, die häufig bei Ein-Schritt-Aufgaben eintritt. An einigen Stellen ist jedoch der Schwierigkeitsgrad dadurch auf hohem Niveau, weil zur Lösung sprachliches, religiöses oder naturwissenschaftliches Wissen benötigt wird. Eine gewisse Hilfestellung können die eigens sortierten Zettel und Abschriften sein, die man in der Regel zu jedem wichtigen und erforschten Thema erhält. Doch auch hier gilt es, historische und theologische Zusammenhänge zu erkennen. An einigen Stellen kann das zu mehr Raten als Lösen führen.
Die Zufallsfunktion, mittels derer eine zufällige Passage aus Arnos Bibel angezeigt wird, die in einer Rätselsituation eventuell Hinweise enthält, erwies sich in der Praxis als eher unbrauchbar; konkrete Hinweise finden sich dort nicht. Möglicherweise bringt das interpretative Lesen der Bibel-Zitate den Spieler zu einer neuen Perspektive, in welcher ein Problem angegangen werden kann, mehr aber auch nicht.
Auch in Dracula 3 bestehen viele Rätsel aus einer komplizierten Abfolge von Rezepturen chemischer Art, die penibel eingehalten werden wollen. An einigen Stellen führte die empfindliche Abfolge von Mausklicks jedoch zu etwas Frust, da kleinste Fehltritte eine Wiederholung des gesamten Vorgangs erfordern.
Sterben kann Arno an vielen Stellen im Spiel; auf den Tod folgt jedoch angenehmerweise ein Zurücksetzen an den Zeitpunkt vor der letzten Handlung.
Atmosphärisch hinterlässt Dracula 3 einen äußerst positiven Eindruck, da es die Entwickler geschickt verstanden haben, die gruselig-mystische Stimmung von der ersten Minute an zu etablieren und konstant aufrechtzuerhalten. Ist man nach den umfassenden Informationen aus dem beiliegenden Handbuch bereits auf das Thema eingestimmt, wird man direkt zu Beginn von schwermütiger Musik und kalter Grafik empfangen. Hier scheint die Abstinenz von Bewegtem sogar fast vergessen; die Umgebung wirkt dadurch eher unheimlicher und trostloser.
Durch die Anforderung, stets neue Puzzle-Stücke zu finden, zwischen Fiktion und Wahrheit zu trennen und diese zu einem Gesamtbild zusammen zu fügen, steuert die Story einen immensen Teil zur Gesamtatmosphäre bei. Gleichzeitig wird stets die Brücke zu belegten historischen Fakten geschlagen, so dass sich diese Dinge auf interessante Weise vermischen. Der Verlauf des Abenteuers nimmt geschickte Wendungen, und vermeintlich freundliche Helfer auf dem Weg zur Wahrheitsfindung entpuppen sich kurzerhand als Feinde oder sterben unvermittelt. Viele Erlebnisse und Begebenheiten können nicht gänzlich vom Vampir-Kult getrennt werden und scheinen stets auf eben diesen hinzudeuten. Immer wieder wird die Spekulation genährt, dass doch ein Quäntchen Wahrheit im Mythos des Dracula steckt...
Dracula 3: Der Pfad des Drachen schafft es auf faszinierende Weise, lehrreich und zugleich gruselig zu sein. Die düstere Spurensuche weiß zu begeistern, nicht zuletzt durch die sehr gute Aufarbeitung des Stoffes. Das Zusammenspiel von Grafik, Akustik und Aufgaben setzt dieses zentrale Motiv gekonnt in Szene und dürfte all jene, welche dieses Thema reizvoll finden, in jeder Hinsicht überzeugen.
Ebenso dürften Freunde von Kheops-Adventures auf ihre Kosten kommen: Ein gewohnt mystischer Flair, Rätsel mit (manchmal etwas forderndem) Bildungscharakter und die grafische Aufbereitung erinnern stark an Nostradamus: Die letzte Prophezeiung und andere Titel des Entwicklers. Generell sollte man jedoch keine Scheu zeigen, komplizierte Rezepturen zusammenzuklicken oder eine größtenteils unbelebte Umgebung zu erkunden - diese Eigenschaften finden sich nämlich in Dracula 3: Der Pfad des Drachen unverändert wieder.
Mein Interesse am Thema Dracula flammt wieder auf - dank Kheops. Der Entwickler leistet hier eine ansehnliche Arbeit im Umgang mit diesem Stoff und damit einen gelungenen Beitrag zu den zahlreichen Interpretationen aus Film, Medizin und Religion.
Nur allzu häufig inspiriert das Spiel zum Griff ins Bücherregal oder zur Internetrecherche in Sachen Vampirmythos, um noch mehr über dieses Thema zu erfahren. Für die Stimmung hätte ich mir fast noch eine Sache zusätzlich gewünscht: Etwas schlechteres Wetter, um die düstere Grundstimmung des Spiels bei Regen, Kerzenschein und Tee genießen zu können...
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