Dan Brown lässt grüßen: dtp schickt mit Memento Mori – die Spur des Todesengels einen Kandidaten ins Rennen, der voll auf den trendigen Mix „Kriminalgeschichte meets Mystery“ setzt. 46 begehbare Locations in fünf europäischen Ländern, zwei spielbare Charaktere und acht mögliche Storyausgänge sollen das cineastische Adventure von Centauri Production auf den Genre-Thron hieven.
Polizeioberst Sergej Vasilievic Ostankovic ist außer sich vor Wut und zugleich ratlos. In der altehrwürdigen Eremitage von St. Petersburg kam es zu einem Einbruch, bei dem scheinbar nichts gestohlen wurde. Welche Vermutung liegt da näher, als dass Gemälde ausgetauscht wurden. Ohne Zweifel liegt es in Ostankovics Interesse, so wenige Informationen wie möglich an die Öffentlichkeit durchsickern zu lassen, immerhin zeichnet er persönlich für das Sicherheitssystem der Eremitage verantwortlich. Um den Fall zu klären, beauftragt Ostankovic Larisa „Lara“ Svetlova mit den verdeckten Ermittlungen. Eigentlich ist die adrette Polizistin mittlerweile für Interpol in Lyon tätig, ist sie Ostankovic allerdings aus ihrer St. Petersburger Zeit als Expertin für Kunstdiebstähle wohlbekannt.
Dann gibt es da noch Maxime „Max“ Durand, seines Zeichens ehemaliger Kunstfälscher, den Lara in der Vergangenheit verhaften und zur Kollaboration mit der Polizei bewegen konnte, um ihm die Gefängnisstrafe zu ersparen. Seitdem nutzt Ostankovic Max als seine persönliche Marionette. Weigert sich der smarte Franzose, dem unnachgiebigen Russen zu helfen, hat letzterer keine Skrupel, Max doch noch hinter Gitter zu bringen. Durant bleibt also keine andere Wahl und begibt sich auf Geheiß Ostankovics in die Eremitage. Schon nach kurzer Zeit stößt Durand auf eine heiße Fährte. Ein Mönch in schwarzer Kutte und merkwürdiger Tätowierung im Gesicht verschwindet mit einem zuvor ausgetauschten Bild unter dem Arm in den Katakomben des alten Gemäuers. Glück im Unglück hat dabei unser männlicher Protagonist Max, der die Verfolgung beinahe mit seinem Leben bezahlt.
Recht schnell wird klar, dass es sich nicht nur um einen banalen Raub handelt. Vielmehr verstricken sich die Ereignisse zu einer religiösen Konspiration immensen Ausmaßes, bei der wie so oft nichts ist, wie es scheint und Realität und Fiktion nahe beieinander liegen.
Wie ihr es euch sicher schon gedacht habt, übernehmt ihr abwechselnd in der Haut von Max und Lara die Ermittlungsarbeiten, im Zuge derer ihr zahlreiche Schauplätze in Europa nach Spuren untersucht, unter anderem Länder wie Portugal, Schottland und Finnland. Der Spielverlauf ist streng linear, die Abfolge in der man die Schauplätze besucht ist daher fest vorgegeben. Das muss aber nichts Schlechtes bedeuten, denn auf diese Weise ist Memento Mori im Stande, den Spielfluss aufrecht zu halten und die gelungene Hintergrundstory zu entfalten, zumal jede der gebotenen Locations ausreichend Abwechslung bietet und mit etlichen zu erkundenden Räumen aufwartet. So steht Max in Russland eine extra Karte zur Verfügung, um zwischen den einzelnen Szenarien des aktuellen Ermittlungsortes zu wechseln. Auch andernorts dehnt sich euer Tun auf ausreichend breiter Fläche aus, so dass man immer erst Zeit damit verbringt, den jeweiligen Schauplatz nach interessanten respektive relevanten Gegenständen abzusuchen. Bequeme Spielernaturen lassen sich die Sucharbeit vom mittlerweile obligatorischen Snoop Key abnehmen.
Ungleich den Geheimakte-Spielen wechselt ihr nicht frei zwischen den Charakteren Max und Ni… pardon, Lara. Nur selten stehen sie sich in natura gegenüber, denn während Max beispielsweise in einer Petersburger Bibliothek nach Hinweisen sucht, treibt sich Lara im weit entfernten Schottland herum. Wie es sich für ein erfolgreiches Team gehört, stehen sie in ständigem Kontakt via Handy und E-Mail. Wer jetzt befürchtet, dass auf Biegen und Brechen Rätsel unter Verwendung des neumodischen Schnickschnacks implementiert wurden, kann aufatmen. Sowohl Mobiltelefon als auch Computer dienen dem nüchternen Informationsaustausch. Geschickt werden die modernen Hilfsmittel in Szene gesetzt, um die düstere Story voranzutreiben. So vermittelt euch das Spiel sogar ansatzweise das Gefühl, selbst eine E-Mail zu schreiben, wenn ihr euch mit Max an den Computer setzt, um etwa einen ehemaligen Fälscherkollegen um fachlichen Rat zu bitten.
Memento Mori ist ein durch und durch ernster Genre-Vertreter. Vergebens sucht ihr nach Slapstick-Einlagen, dummen Scherzen oder abstrusen Kombinationsrätseln. Letztere sind ausschließlich realistischer Natur. Dies wird deutlich, wenn Max Wasser in einer Kanne über einem Ofen verdunsten lässt, um mit dem entstandenen Dampf eine geheime Nachricht auf einem Spiegel sichtbar zu machen oder aber wenn sich Lara mit Hilfe einer Gaskapsel und einer Pistole Ausgang aus einer Misere verschafft. So realistisch das Gameplay auch ist und in welch Lebensgefahr die Protagonisten auch schweben, niemals setzt das Programm euch unter immensen Zeitdruck, noch müsst ihr einen plötzlichen Bildschirmtod befürchten.
Die Rätsel sind erfreulich vielfältig und vermeiden ermüdende Wiederholungen. Erfrischende Elemente gibt es immer wieder, zum Beispiel wenn ihr bei zwei Gemäldefotografien, mit Lupe und Marker bewaffnet, Original von Fälschung unterscheidet. Insgesamt wechseln sich die Inventarrätsel mit Kombinationsrätseln und Logikaufgaben ab, sind wegen ihrer realistischen Klarheit stets begreifbar und sorgen so für ein angenehm homogenes Spielerlebnis. Zusätzliche Auflockerung versprechen die 360-Grad-Rätsel, welche immer wieder während des Spielverlaufs vorkommen. Wie bei fast allen Adventures gehört es auch bei Memento Mori zum guten Ton gewisse Gegenstände, unter anderem auch die aus eurem Inventar, per Rechtsklick genauer unter die Lupe zu nehmen. In der nun aufgerufenen Detailansicht wendet ihr die Objekte und findet so eventuell wichtige Informationen, die euch im Spielverlauf weiterbringen. Manchmal ist die Lösung eines Rätsels recht banal, zum Beispiel will eine Maschine vor ihrer Benutzung erst angeschaltet werden. In dem Fall dreht ihr über die eingeblendeten Richtungspfeile den Bildschirm, bis ihr an der Rückseite der Maschine den Stromschalter erblickt.
Die Point-and-Click-Steuerung geht zu großen Teilen einwandfrei von der Hand und gewährt dem Spieler leichten Zugang zum Spiel. Die üblichen Icons informieren darüber, ob ein Gegenstand seinen Weg in das am oberen Bildschirmrand angesiedelte Inventar findet oder ob die Protagonisten nur einen Kommentar zum Besten geben. Apropos Kommentare: Lara und Max finden zu so gut wie jedem Gegenstand und versuchter Interaktion individuelle Anmerkungen, was das realistische Spielgefühl umso mehr unterstützt.
Weniger individuell geht es bei den meisten Dialogen zu Gange, denn sie werden von den Spielfiguren weitestgehend autonom geführt. Beeinflussen könnt ihr dies nur insofern, als dass ihr zwischen einer positiven, negativen oder fragenden Äußerung wählt. Oft führt aber nur eine Richtung zum Ziel, weswegen die meisten Dialoge wiederholt werden dürfen, sofern das Gesagte nicht die gewünschte Reaktion beim Gegenüber auslöst.
Als besonderes Feature pries dtp im Vorfeld die acht möglichen Spielausgänge an. Manche Rätsel und Dialoge kann man auf unterschiedliche Art und Weise lösen, woraufhin das Programm im Hintergrund besagtes Verhalten des Spielers an diesen Schlüsselstellen in einen Punktestand umrechnet, anhand dessen das Schicksal von Max und Lara über das eigentliche Spielende hinaus bestimmt wird. Wir wollen nicht zu viel verraten, am eigentlichen Spielverlauf und an der Story sowie deren Auflösung ändert das allerdings nichts. Leider ist auch nicht immer hundertprozentig ersichtlich, welches besagte Schlüsselszenen sind, bei einigen Stellen kann man es sich zwar denken, mehr aber auch nicht.
Quizfrage: Was kommt dabei heraus, wenn Buffy und Superman gemeinsam auf Verbrecherjagd gehen? Antwort: Eine astreine Synchronisation. Selbstverständlich sind weder die blonde Dämonenjägerin noch der muskelbepackte Pyjama-Träger sichtbar im Spiel vertreten, deren Stimmen sind jedoch in Form der beiden Hauptcharaktere Lara und Max mit von der Partie. Nana Spier und Sascha Draeger leisten sensationelle Arbeit und verstehen es, die Charaktere glaubwürdig in Szene zu setzen, vor allem die Vertonung von Lara unterhält mit ihrer subtil vorwitzigen Art prächtig.
Nicht ganz mithalten, kann die Sprechleistung von Dero, bekannt als Sänger der Band „Oomph!“. Seine Stimme leiht er einem wichtigen Nebencharakter, dessen Rolle als ernst zu nehmendes Storyelement durch die künstliche Intonierung geschmälert wird. An einer anderen Stelle fällt negativ auf, dass ein kleines Mädchen scheinbar von einer erwachsenen Dame gesprochen wird, und dies nicht besonders gut. Zwar ist das nur eine Kleinigkeit, fällt aber bei der sonst erstklassigen Präsentation besonders auf.
Ebenfalls in der obersten Liga spielt der Soundtrack. Ruhige, melancholische Stücke wechseln sich mit orchestralen Themes ab und umhüllen die Szenerie allzeit mit atmosphärisch passenden Klängen.
Auch grafisch zaubern die Entwickler allerhand ansehnliches auf den Bildschirm. Egal wo man sich im Spiel befindet: Es ist so gut wie immer etwas los, selbst wenn nur der spielbare Charakter zu sehen ist. Die entsprechende Hardware vorausgesetzt, genießt der Spieler abwechslungsreiche und dank zahlreicher Animationen ebenso lebendige Hintergründe, die darüber hinaus mit sensationellen Licht-, Spiegel- und Schatteneffekten aufwarten. Erwähnt sei hier das inmitten der tiefsten finnischen Wälder gelegene Kloster des Ikuinen-Nukkuja-Ordens, welches mit lodernden Fackeln, Kaminfeuer und Kerzenschein ein optisch und atmosphärisch dichtes Spielerlebnis bietet.
Nicht minderer Qualität ist beispielsweise das Interpol-Hauptquartier, auf dessen blitzblanken Fußboden sich Einrichtungsgegenstände spiegeln und vor dessen Eingang im Wind wehende Fahnen sowie herein- und heraus spazierendes Personal den Eindruck einer belebten Szenerie vermitteln. Es ist überhaupt sehr angenehm, dass zahlreiche Locations mit NPCs ausgestattet wurden, die sich darüber hinaus auch noch selbstständig, wenn auch auf recht simplem Niveau, miteinander unterhalten.
Einen Hauch Cineastik liefern gerenderte Zwischensequenzen sowie die vielen Kameraperspektiven respektive die Bild-im-Bild-Darstellung während mancher Cutscenes, was der Dynamik des Geschehens absolut zuträglich ist.
Nur bei den Animationen der Protagonisten haben es die Entwickler etwas mit der Liebe zum Detail übertrieben. In anderen Adventures wird gerne mal die Kameraperspektive gewechselt oder ausgeblendet, um gewisse Bewegungen nicht animieren zu müssen - nicht bei Memento Mori. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist toll, dass sich die Programmierer so viel Mühe gemacht haben, selbst die einfachsten Aktionen zu animieren und dies auch sichtbar darzustellen. Es gibt nur einen Haken: Man kann sie nicht überspringen. Nachdem man beispielsweise bei Interpol einmal gesehen hat, wie Lara ihre Bürotür öffnet, diese hinter sich wieder schließt, dann den Aufzug ruft, die Aufzugstür sich öffnet, Lara einsteigt, die Aufzugstür sich schließt, runter fährt, sich wieder öffnet und Lara aussteigt, möchte man diese Prozedur keine weiteren zehnmal mitmachen. Dieser Sachverhalt ist zwar kein KO-Kriterium, zehrt zuweilen dennoch an den Nerven ungeduldiger Spieler und bremst ab und zu den Spielfluss.
Es gibt sie doch noch: Adventures mit Spielzeiten über der zuletzt gern angepeilten Acht-Stunden-Marke. Zwar sind die circa 20 Stunden, die man dem Spieler auf der Verpackungsrückseite verspricht, zu hoch gegriffen, der Story wird trotzdem genügend Raum zur Entfaltung geboten, und tatsächlich gelingt es den Entwicklern, die Spannung über die gesamte Spielzeit hinweg zu steigern, bis sich schließlich im Finale alles aufklärt. Bis dahin erfreuen sich Hobby-Detektive an den vielfältigen Schauplätzen, die grafisch fast ausnahmslos aufwendig in Szene gesetzt wurden.
Wo Licht ist, da ist auch Schatten: Auch bei Memento Mori findet man den einen oder anderen Grund zur Beschwerde. So sind wir von der düsteren Story auf der einen Seite äußerst angetan, auf der anderen Seite kommt sie erst ab circa der Hälfte der Spielzeit so richtig in Fahrt. Demzufolge spielt sich insbesondere das erste Viertel von Memento Mori ein wenig fad. Zudem hätte unserer Meinung nach der Schwierigkeitsgrad etwas knackiger ausfallen dürfen. Auf technischer Seite nerven nicht abbrechbare Animationen ein ums andere Mal.
Insgesamt überwiegen die positiven Eindrücke die wenigen Unzulänglichkeiten. Mit „Die Spur des Todesengels“ offenbart sich uns ein fesselndes, glaubwürdiges und vor allem unterhaltsames Kriminal-Adventure, das sich vor Genre-Größen wie etwa Overclocked nicht verstecken muss.
Ich hätte nicht gedacht, dass Memento Mori nach dem eher gemächlichen Beginn noch derart an Fahrt aufnimmt. Die Story konnte mich letztlich voll überzeugen, vor allem war sie stets spannend, da die Auflösung der Geschichte wirklich erst ganz am Ende erfolgte. Komplettierungsfanatiker schöpfen durch die alternativen Enden sogar Motivation für weitere Durchgänge, obwohl man dieses Feature geschickter in den Spielverlauf hätte integrieren können. Auch in den Disziplinen Rätseldesign, Grafik und Sound gibt sich Memento Mori so gut wie keine Blöße und sorgt dafür, dass ich das Krimi-Adventure guten Gewissens weiterempfehlen kann.
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