Wer eine halbwegs normale Kindheit erlebt hat, wird wenigstens eines der zahlreichen Märchen der Gebrüder Grimm gehört und eventuell auch Gefallen an den Geschichten von Schneewittchen und den sieben Zwergen oder Rapunzel gefunden haben. In den USA sind diese Märchen durch mehrere inhaltlich aufgepeppte Disney-Verfilmungen zwar ebenfalls sehr bekannt geworden, die Kinder jenseits des großen Teichs werden auf die Frage nach Grimms Märchen allerdings eher mit einem Schulterzucken antworten. Fragte man sie allerdings nach dem Zauberer von Oz, dem Metall-Mann oder dem feigen Löwen, so würden bei den meisten die Glocken klingeln. Lyman Frank Baums modernes Märchen hat in den Staaten nämlich einen Bekanntheitsgrad wie bei uns das Rotkäppchen oder Frau Holle.
Was allerdings keiner weiß ist, wie es nach den Geschehnissen des Kinder-Romans in der fantastischen Welt weitergeht. Dave Gilbert und Wadjet Eye Games geben mit Emerald City Confidential eine mögliche Antwort auf diese Frage und bereichern die Welt dabei mit neuen Charakteren in einem Film-noir-artigen Szenario. Ob diese Mischung passt oder nicht, haben wir uns genauer angesehen.
Wer schon einmal einen Humphrey-Bogart-Streifen gesehen hat, wird eine grobe Vorstellung von dem haben, was unter einem Film noir zu verstehen ist. Eine pessimistische Sicht auf die Welt, in der sich jeder selbst der nächste ist, ein angespanntes Sozialgefüge, Armut und Elend auf der einen Seite, Reichtum und Dekadenz auf der anderen sowie eine Ausdrucksweise, die nicht zuletzt von einem aus der Verzweiflung geborenen Sarkasmus geprägt ist sind Elemente, die man in diesem Genre häufig antrifft. Zudem spielen sich die Geschichten normalerweise in den 30er-, 40er- oder 50er-Jahren ab.
In Emerald City Confidential (ECC) übernehmen wir die Rolle von Petra, einer im Krieg desertierten Soldatin, der es nun als Privatermittlerin gerade so gelingt, den Kopf über Wasser zu halten. Ihren Hass gegenüber der Obrigkeit von Emerald City, Königin Ozma, kann sie nur schwer verbergen. Schließlich scheint eben jene für die vielen unerfreulichen Entwicklungen im Königreichs verantwortlich zu sein, die Verbrechen und Korruption begünstigt haben und Petra einst während des Krieges auch das Liebste im Leben genommen haben, ihren Bruder William. Immer noch klammert sich Petra an die Hoffnung, dass ihr spurlos verschwunder Bruder noch am Leben ist, auch an jenem Tag, als Dorothy Gale ihr Büro betritt und ihr ein Angebot macht, das man nur schwer ablehnen kann. All ihre finanziellen Sorgen könnten der Vergangenheit angehören, wenn es ihr gelänge, den Fall um den spurlos verschwundenen Anzel aufzuklären.
Schon bald merkt sie, dass mehr als nur eine vermisste Person hinter dem Auftrag steckt. Scheinbar sind selbst die Mächtigsten im Reich in eine große Verschwörung verwickelt, die ihre Ürsprünge im großen Krieg gegen die bösen Hexen des Reiches hat...
Die Story von ECC ist spannend erzählt und teilweise sehr gekonnt mit der des Zauberers von Oz verknüpft. Am gelungensten sind die Dialoge, die besonders in der ersten Hälfte noch vor der optischen durchaus gelungenen Kulisse und im großartigen Zusammenspiel mit der Sprachausgabe für ein ansprechendes Film-noir-Feeling sorgen. Die Charaktere, allen voran Petra, verstehen es zudem, dem Spieler immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Subtiler Sarkasmus und dezent humorvolle Anspielungen auf die berühmte Vorlage sind häufig anzutreffen. Die Dialoge mit der Vogelscheuche, welche scheinbar intellektuellen Nonsens absondert, oder dem snobischen Löwen, dessen Überheblichkeit wohl kaum zu überbieten ist, sind einfach nur köstlich, ohne offensiv Lacher erzeugen zu wollen. Innerhalb des Szenarios erreicht man ein hohes Maß an Identifikation mit dem glaubwürdigen Hauptcharakter, was bei der Verquickung mit einer Märchenwelt, in der Magie eine Rolle spielt und sprechende Tiere auftauchen, nicht unbedingt ein leichtes Unterfangen darstellt.
Etwas schade ist, dass man diese Stärken nicht bis zum Ende auf dem hohen Niveau der ersten Spielhälfte halten kann. Später im Spiel rücken die anfangs noch eher nebensächlichen Bezüge zur Märchenwelt deutlich in den Vordergrund. Trotz des Versuchs über Wissenpillen, die man an einem Automaten in der Universität ziehen und Schlucken kann, eine gewisse Grundlage zu schaffen, die es dem Spieler später etwas leichter machen kann, ist besonders der Übergang zur zweiten Spielhälfte etwas holprig geraten. Die Überleitung besteht aus einer Reihe längerer weit weniger unterhaltsamer Dialoge, die auch qualitativ etwas unter den bis dahin gehörten Sprechzeilen liegen. Zudem wirken die Bezüge zum Zauberer von Oz an dieser Stelle besonders gezwungen, was in der zweiten Spielhälfte immer wieder mal vorkommt.
Das Spiel fängt sich kurze Zeit später wieder - die Dialoge mit dem Metall-Mann zum Beispiel zählen ebenfalls zu den Highlights des Spiels - und erreicht wieder ein absolut solides Niveau. An die Qualität der ersten Spielstunden kann es jedoch nicht mehr anknüpfen.
Emerald City Confidential ist ein reines 2D-Spiel, böse Zungen könnten auch von rückständiger Technik sprechen. Spätestens seit The Whispered World sollte allerdings jeder bemerkt haben, dass der Aufwand für ein gut gemachtes 2D-Abenteuer nicht zu unterschätzen ist und es vor allem auch richtig gut aussehen kann. Wadjet Eye Games' Adventure hatte zweifellos nicht das Budget des Daedalic-Titels, weshalb man seine Erwartungen nicht zu hoch ansetzen sollte. Das Ergebnis in Dave Gilberts Spiel kann sich allerdings durchaus sehen lassen.
"Ach nichts, ich sage einfach nur gerne Jack."
Die Gestaltung der Umgebungen ist den Entwicklern ansprechend gelungen, obwohl sich eine gewisse Detailarmut nicht verleugnen lässt. Bei den Animationen ergibt sich ein durchwachsenes Bild: Einerseits gibt es viele sehr schöne Charakteranimationen, etwa wenn der Metall-Mann an die Stallwand gelehnt an seiner Ölkanne nippt, andererseits haben schon die Standardanimationen einige Schwächen. Läuft Petra von links nach rechts oder umgekehrt über den Bildschirm wirkt es etwas stacksig, ansonsten gibt es aber kaum etwas auszusetzen. Muss sie jedoch diagonal über den Bildschirm wandern sieht das nicht wirklich gut aus. Die Laufanimationen der Nebencharaktere sind, soweit überhaupt vorhanden, allesamt recht schwach umgesetzt. Hinzu kommen oftmals sehr statisch wirkende Hintergründe, da man nur vereinzelt bewegte Bildteile eingbaut hat und die Charaktere während der in ECC sehr zentralen Dialoge nicht unbedingt den lebendigsten Eindruck machen. Einige Dialoge werden in einem kleinen Fenster angezeigt, in dem die Gesprächspartner aus einer geringeren Distanz zu sehen sind. Auch hier erscheinen teils sehr schöne Spezialanimationen, wenn zum Beispiel die Vogelscheuche ihre Zeitung zusammenfaltet, ansonsten herrscht jedoch ein eher statischer Eindruck vor. Viel mehr als den Mund bewegen die Spielfiguren in der Regel nicht und stehen mehr oder weniger wie zur Salzsäule erstarrt an ihrem Platz. Bedenkt man, dass Entwicklungszeit auch immer Entwicklungskosten mit sich bringt und das Budget wohl nicht allzu üppig war, kommt man jedoch nicht umhin, ein Auge zuzudrücken und über diese Schwächen hinwegzusehen.
In diesem Abschnitt soll es natürlich nicht um John Farnhams im Radio rauf und runter gespieltes Lied gehen, sondern um den Sound des Spiels. An der Sprachausgabe scheiden sich oft die Geister. Wer bei Emerald City Confidential allerdings einen Schwachpunkt ausmachen will, der kann sie im Bereich der nicht optimalen technischen Qualität finden. Lässt man aber manchmal leicht unsauber klingende Dialoge oder Probleme, die zusammen mit der Hardwarebeschleunigung auftreten können, außen vor, ergibt sich das Bild einer überaus hochwertigen Vertonung.
Sämtliche Sprecher für Haupt- und Nebencharaktere liefern eine einwandfreie Leistung ab und sind passend gewählt, was bei den sehr zentralen Dialogen auch äußerst wichtig ist. Insbesondere bei Petra hat man ein gutes Händchen bewiesen. Die Sprecherin versteht es sehr gut, deutlich gefärbte Betonungen zu setzen, ohne dass es gekünstelt bzw. gestellt klingt. Das gilt für die meisten anderen Sprecher in gleichem Maße, wobei man den Sprecher von Anzel ebenfalls lobend hervorheben sollte. Es gibt auch einzelne weniger stark besetzte Rollen, wie beispielsweise Königin Ozma. Aufgrund der größtenteils wundervoll geschriebenen Dialoge und einer insgesamt als hervorragenden zu bezeichnenden Demonstration der Synchronisationskunst, fällt das nicht ins Gewicht.
Die Hintergrundmusik ist ebenfalls überwiegend sehr gelungen und kommt praktisch durchgehend zum Einsatz, ohne dass man das Gefühl hat, zugedudelt zu werden. Hin und wieder bemerkt man das eine oder andere sehr vertraut wirkende Musikstück, bei dem sich der Komponist scheinbar stark hat inspirieren lassen. Gerade dann ist die musikalische Untermalung besonders angenehm.
In ECC trifft man auf ein gewöhnliches Rätseldesign, das sich lediglich etwas im Aufbau unterscheidet. Der Spieler erhält seine Aufgaben im Rahmen von Quests, die man meist in einer vorgeschriebenen Reihenfolge abarbeiten muss. Manchmal besteht eine solche Quest lediglich darin, einen bestimmten Charakter noch einmal anzusprechen oder einen neuen Schauplatz zu erkunden. Mit den anderen Spielfiguren am jeweiligen Schauplatz zu sprechen reicht dazu manchmal aus; hin und wieder gilt es jedoch, durch Dialoge mit dem einen Charakter, neue Dialogoptionen für andere freizuschalten. Inventarrätsel gibt es nur wenige. Zwar trägt Petra immer ein paar Objekte mit sich herum, diese muss man aber nur selten mit Objekten in der Umgebung verwenden. Später im Spiel gibt es derartige Rätsel häufiger. Petra bekommt im Laufe des Spiels verschiedene Magiefähigkeiten, die sie zwingend einsetzen muss. Dafür ist jedoch kein Geschick erforderlich, die Icons verwendet man quasi genauso wie gewöhnliche Inventarobjekte.
An einer Stelle im Spiel muss Petra diese Fähigkeiten auch in einem Showkampf einsetzen, denn nur durch einen Sieg in diesem Duell gelangt sie in den Besitz eines Schlüssels. Dabei muss sie ihr Gegenüber schwächen und mehrmals verschiedene magische Attacken abwehren. Um überhaupt den Kampf bestreiten zu können, müssen zunächst verschiedene Voraussetzungen geschaffen werden: Aufgaben, die wieder in einzelne Quests aufgeteilt sind, etwa das Beschaffen eines Seils als Hilfsmittel. Außerdem wird man nicht umhin kommen, den Kampf mehrfach von neuem zu beginnen, da man immer nur einen Versuch hat, die einzelnen Angriffe abzuwehren und vielleicht den einen oder anderen Tipp seines Trainers braucht, den man in einer weiteren Quest zunächst anheuern muss.
An einer anderen Stelle benötigt man einen Strauß Blumen, der aus zwei verschiedenfarbigen Arten bestehen muss. Natürlich funktioniert nur eine Farbkombination. Die Hinweise erhält man im Rahmen von Dialogen, ein Blick auf eine Karte an einem der Schauplätze verrät Petra die Farben.
Man sieht, das Design ist durchaus klassisch, anspruchsvollere Knobeleien sollte man in ECC allerdings nicht erwarten. Am Anfang sind die Aufgaben besonders leicht, weshalb auch die zwischenzeitlich etwas zahlreicheren Schauplätze das Vorankommen nicht erschweren. Später sind die betretbaren Plätze sehr begrenzt, wodurch man selbst bei einer leicht anspruchsvolleren Aufgabe keine Probleme haben sollte. Kommt man dennoch nicht weiter, steht im Menü eine weitreichend mehrstufige, jedoch etwas unübersichtlich gestaltete Hilfsfunktion zur Verfügung, bei der man sich hilfreiche Tipps geben lassen kann. Die Hinweise führen dabei zunächst nur näher ans Ziel, bevor im letzten Hinweis die Lösung zu erfahren ist.
Die spielerische Komponente ist nicht unbedingt eine Stärke von ECC. Dafür ist der Abwechslungsreichtum nicht groß genug, die Aufgaben sind vielleicht einen Tick zu leicht und vom Einfallsreichtum, den die Entwickler bei Story, Charakteren und Dialogen zeigen, ist in diesem Bereich wenig zu spüren.
Dennoch muss man feststellen, dass der überaus einsteigerfreundliche Schwierigkeitsgrad kein wirklicher Nachteil ist. Durch die geringen spielerischen Hürden kommen die Stärken von Story und Charakteren wesentlich stärker zum Tragen, wovon besonders die Spiel-Atmosphäre in Emerald City Confidential profitiert.
Wadjet Eyes Auftragsarbeit für den Online-Distributor Play First, die jedoch vollständig auf der geistigen Grundlage von Dave Gilbert beruht, ist ein sehr schönes Spiel geworden. Emerald City Confidential dürfte vor allem jene reizen, die auf eher subtileren Humor stehen, an umfangreichen, gut geschriebenen und gleichsam gut vertonten Dialogen sowie an einer über weite Strecken gelungenen Story Gefallen finden, die mit einer interessanten Verquickung von modernem Märchen und Film noir aufwartet.
Wer von längeren Dialogen schnell genervt ist oder gerne spielerisch gefordert werden möchte, dürfte nicht allzu viel vom Spiel haben. Grafikfetischisten kommen ebenfalls nur sehr bedingt auf ihre Kosten, da die Kulisse zwar größtenteils liebevoll in Szene gesetzt ist, insgesamt aber eher durch ihren Minimalismus und die starken Qualitätsunterschiede bei den Animationen auffällt.
Freunden dialog- und storylastiger Abenteuer, die bereit sind auf deutsche Sprachausgabe und Untertitel zu verzichten, sei der Titel aber wärmstens empfohlen.
Emerald City Confidential lebt von seinen Dialogen, der Story und den interessanten Charakteren. Dort liegen die Stärken und deshalb ist es ein gutes Spiel geworden. Würde die Dramaturgie und die Qualität von Story und Dialogen das hohe Niveau der ersten Spielhälfte halten, hätte ECC den Award sicher. So schrappt es knapp daran vorbei.
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