Im Oktober des vergangenen Jahres erschien in den USA mit Rhiannon - Curse of the Four Branches das Erstlingswerk des walisischen Entwicklers Arberth Studios, das Noel Bruton gemeinsam mit seiner Frau und seinem Schwager auf die Beine gestellt hatte. Ursprünglich wollte der insolvente niederländische Publisher Lighthouse Interactive das Spiel in Europa auf den Markt bringen - auch in Deutschland. Nach den finanziellen Querelen des Anbieters fand sich bislang leider kein neuer Publisher, weshalb sich die Briten entschlossen, das Spiel in Eigenregie zu vermarkten. Seit Mitte September ist das Spiel nun erhältlich. Wir haben für Euch herausgefunden, was sich hinter dem Fluch der vier Zweige verbirgt und wollen Euch unsere Eindrücke nicht vorenthalten.
Chris befindet sich auf dem Weg zum Gehöft seiner Freunde, Malcolm und Jennifer Sullivan. Die Sullivans haben mit ihrer 15-jähirgen Tochter Rhiannon ihr neues Heim in Wales vorübergehend verlassen, da das Mädchen von seltsam realen Alpträumen geplagt wird und sich unwohl auf dem Hof von Ty Pryderi fühlt. Ein bisschen Abstand soll ihr gut tun, während wir in der Zeit ihrer Abwesenheit nach dem rechten sehen. Schon früh sehen wir uns selbst mit allerlei seltsamen Ereignissen konfrontiert und entdecken nach und nach, dass bereits zuvor an diesem Ort seltsame Dinge passiert sein müssen und Rhiannon Sullivan nicht die Erste mit diesem Namen ist, deren Schicksal an diesem Ort fehlgeleitet wurde...
Die Geschichte des Point-and-Click-Abenteuers kommt anfangs nur schleppend in Fahrt und hat nicht nur aufgrund des eher mauen Einsatzes von Soundeffekten - Musik gibt es nur sehr selten - gewisse Schwierigkeiten, Atmosphäre zu erzeugen. Ist man jedoch bereit sich intensiv mit der Umgebung auseinanderzusetzen, zunächst einfach mal auf Erkundungstour zu gehen und brav die vielen Schriftstücke zu studieren, zahlt einem das Spiel dies später doppelt und dreifach zurück. Das liegt auch daran, dass man nach einer gewissen Spielzeit mit dem eher ungewohnten Handling und der hierzulande nicht gerade vertrauten Thematik warm geworden ist.
Die Story des Spiels basiert auf der walisischen Legende aus dem Mabinogion, was im gesamtem Spiel von zentraler Wichtigkeit ist. Die Geschichte wird, wie zahlreiche andere Details aus der keltischen Mythologie, vereinfacht dargestellt. Das erscheint aufgrund des Umfangs und der hohen Komplexität der vielen Aspekte, die im Spiel behandelt werden, auch überaus sinnvoll. Hätte man zum Beispiel die Ogam-Schrift eins zu eins ins Spiel eingebaut, würden wohl selbst Adventure-Veteranen an ihre Schmerzgrenzen stoßen. Trotz solcher Vereinfachungen gibt es immer noch viele Informationen, die man sich in Textform zu Gemüte führen muss. Zum Glück hat man sich um eine gute Eindeutschung des Spiels bemüht, die nicht nur den Inhalt korrekt wiedergibt, sondern sich auch überwiegend angenehm liest und weitestgehend ohne Schreibfehler auskommt.
Die wenigen vertonten Textzeilen sind ebenfalls gelungen. Da das Spiel abgesehen von ein paar wenigen Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, zwei vorgelesenen Briefen und ein paar weiterer kurzer Sprechzeilen keine Sprachausgabe aufweist, fällt dies jedoch kaum ins Gewicht.
Zugegeben, ein optischer Leckerbissen ist Rhiannon nicht unbedingt. In der 1st-Person-Ansicht durchqueren wir den Hof und die nähere Umgebung, was wir alles in Form von Standbildern erleben. Es gibt zwar manchmal animierte Details wie etwa den künstlich angelegten Teich in der Mitte des Hofes, die meisten Hintergründe präsentieren sich jedoch eher statisch. Einzelne davon sind mit beinahe fotorealistischen Texturen ausgekleidet, die meisten sind allerdings optisch wesentlich gröber umgesetzt.
An manchen Stellen gibt es aufwändigere Animationen und Effekte wie farbigen Rauch, der aus einer Bodenöffnung aufsteigt oder teils knallbunte Grafikeffekte, die an ein Mini-Feuerwerk erinnern. Dabei handelt es sich oft um vorgerenderte Videosequenzen, die sich in einem fließenden und beinahe unmerklichen Übergang über die Spielgrafik legen und sich im Anschluß wieder dorthin zurückverwandeln. An einer Stelle befinden wir uns beispielsweise im Badezimmer des Hauses und drehen den Heißwasserhahn auf. Der Wasserdampf kondensiert auf dem darüber befindlichen Spiegel, auf dem plötzlich jemand beginnt, eine Nachricht zu schreiben.
Es gibt einige dieser meist kürzeren, jedoch sehr atmosphärischen Cutscenes. Insgesamt geht man damit aber relativ sparsam um, weshalb derartige Atmosphäreschübe insgesamt ein bisschen zu kurz kommen. Hin und wieder werden zudem verschiedene Aktionen dargestellt, die man im Spiel ausführen muss. Wenn man beispielsweise mit einem motorgetriebenen Trimmer versucht, ein hinderliches Buschwerk aus dem Weg zu räumen, kreist das Arbeitsgerät sichtbar im Vordergrund rhythmisch umher, während sich der Strauch Stück für Stück auflöst. Soundeffekte, die solche Aktionen begleiten oder an bestimmten Stellen für ein glaubwürdiges Umfeld sorgen sollen, schwanken deutlich in der Qualität. Das Wasserrad an einer Mühle klingt beispielsweise sehr authentisch, genauso wie der Kühlschrank in der Küche oder das Plätschern eines Baches. Andere Effekte haben hingegen manchmal B-Movie-Charakter oder im sonst fast lautlosen Spiel, gelegentlich eine Spur zu zentral.
Hintergrundmusik gibt es so gut wie keine. Abgesehen von den Kapitelübergängen und bei wenigen anderen Gelegenheiten schallt selten etwas Melodisches durch den Raum. Das ist mit Blick auf den vollkommen allein auf dem Anwesen befindlichen Spielcharakter sicherlich so gewollt. Der Atmosphäre hätte der häufigere Einsatz von dezenter Musik und vielfältigeren Soundeffekten allerdings wohl nicht geschadet und vielleicht manches Mal eine festgefahrene Spielsituation auflockern können.
Das Gameplay des First-Person-Adventures orientiert sich recht deutlich an Spielen wie Myst. Unser stummes Alter Ego befindet sich alleine auf dem Hof und erkundet die Umgebung. Dabei legt er nach und nach weitere Teile der Umgebung frei, die teilweise auch im Rahmen von Kapitelsprüngen freigegeben werden. Der Umfang scheint auf den ersten Blick nicht sonderlich groß. Bedenkt man allerdings, dass es rund 100 unschiedliche Standpunkte gibt, an denen man sich fast immer in vier, teilweise in fünf Richtungen wenden kann, und viele weitere Nahansichten von Schreibtischen, Medizinschränkchen und an deren Objekten, erreicht Rhiannon eine beachtliche Größe.
Wer die Steuerung eines solchen Spiels allerdings nicht gewohnt ist, könnte schon Probleme kriegen, sämtliche Pfade in und außerhalb des Hauses zu finden. Aufsammelbare Objekte findet man zudem häufig nur dann, wenn man sich an bestimmten Standpunkten in die richtige Richtung dreht. So kann man leicht etwas übersehen. In den meisten Fällen sind diese aber wenigstens so groß bzw. deutlich hervorgehoben, dass man nicht anfangen muss, jeden Bildschirm Millimeter für Millimeter abzusuchen.
Auch sonst fordert Rhiannon dem Spieler viel Geduld, Ruhe und Aufmerksamkeit ab. Die Hinweise auf die Rätsel sind zwar meist relativ eindeutig, jedoch selten offensichtlich. Manche der relevanten Hinweise hat man eventuell schon in einem früheren Kapitel entdeckt, sich diese dann mehrere Stunden später zu Nutze zu machen, fällt daher nicht gerade leicht. Die Schriftstücke mit den zentralsten Hinweisen sammelt die Spielfigur ein, sobald man sie gefunden hat. Diese kann man im Inventar jederzeit nochmals einsehen. Hin und wieder kommt es vor, dass man gar nicht weiß, was zu tun ist. In einem späteren Kapitel muss man zum Beispiel Objekte zusammentragen, die bestimmte chemische Elemente enthalten. Dazu zählt zum Beispiel eine Büchse mit Rattengift. Ob wir den Hinweis übersehen haben, wo diese zu finden ist, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass wir nach bald 60 Minuten Stillstand per Zufall einen Hotspot entdeckten, an dem wir mithilfe einer Leiter das Nagetiergift in seinem Versteck aufspüren konnten.
Ähnliche, jedoch nicht ganz so zeitraubende Situationen können an mehreren Stellen im Spiel auftreten. Zahlreiche Objekte, die man schon recht früh im Spiel entdecken und zumindest in die Hand nehmen kann, können erst dann eingesammelt werden, wenn die Spielfigur einen Grund dazu hat. Das ist einerseits nachvollziehbar und entlastet das ohnehin ziemlich überfüllte Inventar, führt andererseits aber auch dazu, dass man sich deren Standorte gut einprägen und immer wieder im Spiel rumlaufen muss, um die dann relevanten Objekte einzusacken. Besonders für Spieler, die zwischendrin längere Spielpausen einlegen, könnte das zur Geduldsprobe werden, da eine genaue Ortskenntnis von hoher Wichtigkeit ist. Hat man eines der aufnehmbaren Objekte übersehen oder vergessen, wo es sich befindet, kann man schnell in eine Situation des absoluten Stillstands geraten. Meist hilft dann nur noch, so lange alles nochmal abzusuchen, bis man es gefunden hat.
Ansonsten bietet das Spiel meist anspruchsvolle und abwechslungsreiche Aufgaben, die häufig eine intensive Lektüre von Tagebucheinträgen, Briefen, Zeitungsberichten oder Bedienungsanleitungen erfordert. Wer sich dem Spiel darüber hinaus im ersten Kapitel besonders intensiv gewidmet hat, wird im späteren Spielverlauf deutlich weniger Probleme bekommen.
Wenn man bedenkt, dass gerade mal drei Leute rund zwei Jahre an diesem Projekt gearbeitet haben, muss man schon einen gewissen Respekt vor der Leistung haben, zumal es sich bei Rhiannon um das Erstlingswerk der Arberth Studios handelt. Allerdings kann dieser Umstand nicht das Kriterium für die Bewertung eines Adventures sein, genauso wenig, wie es der mit rund 25 Euro vergleichsweise günstige Preis ist.
Rhiannon ist sehr speziell. Das gilt für das Thema, die Optik und das Gameplay. Optisch ist es sicherlich kein Kracher, dafür kann es mit einer recht glaubwürdigen Umgebung und einigen gleichsam außergewöhnlichen wie hübschen Grafikeffekten punkten. Genauso unverbraucht wie das Setting ist das Thema des Spiels, dem es gelingt, sich deutlich vom Einheitsbrei abzusetzen. Die Atmosphäre ist angenehm und kann darüber hinaus keinem gängigen Genre zugeordnet werden. Es bietet gruselige und durchaus spannende Momente, schafft es jedoch auch an einigen Stellen für kleinere Schmunzler zu sorgen. Atmosphärischen Leerlauf gibt aber immer wieder, nicht nur dann, wenn man wieder mal irgendwo festhängt.
Spielerisch ist es eher durchwachsen. Die einen, die es lieben, tief in ein Abenteuer einzutauchen und sich vor Hängern und viel Rumlauferei nicht scheuen, werden sich viele Stunden gut unterhalten fühlen. Wer schon bei kleineren Hängern die Flinte ins Korn wirft und zudem ungern längere Texte am Bildschirm liest, der sollte sich einen Kauf nochmal überlegen.
Wer Spiele wie die von Kheops mag, auf Dialoge verzichten kann und bereit ist, kleinere Abstriche bei der optischen und akustischen Präsentation zu machen, dem sei das Spiel wärmsten empfohlen.
Spätestens mit Scratches hatte ich meine letzten Vorbehalte gegenüber 1st-Person-Adventures abgelegt und Rhiannon zeigte mir einmal mehr, dass einem einiges durch die Lappen gehen kann, wenn man kategorisch auf solche Spiele verzichtet. Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht, auf dem Hof rumzustöbern, die vielen Schriftstücke zu studieren und die überwiegend schön designeten Rätsel zu lösen. Dabei fiel die nicht ganz so gut gelungene optische und akustische Präsentation nicht so sehr ins Gewicht.
Ich bin jetzt umso mehr gespannt auf das nächste Projekt der Arberth Studios, die sich bei Coven aber unbedingt im audiovisuellen Bereich steigern sollten.
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