Bei dem Namen Jonathan Boakes dürfte es vor allem in den Ohren aller Dark-Fall-Spieler klingeln, handelt es sich hierbei doch um den Mann, der in Eigenregie diverse Adventures aus dem Boden gestampft hat. The Lost Crown: A ghost-hunting Adventure steht hier in einer Linie mit den genannten Vorgängern und verspricht wieder einmal Geister, Grusel und Gänsehaut. Dabei setzt Allrounder Boakes nach eigener Aussage sowohl sein Interesse an Fotografie als auch sein Faible für Kunstgeschichte ein, um die Handlung, die sich an real existierenden Orten abspielt, in Szene zu setzen.
Die Geschichte beginnt etwas abrupt. Nigel Danvers, Angestellter der Hadden Corporation, schnüffelt einmal zu viel in internen Unterlagen, steht damit recht schnell auf der Abschussliste und muss flüchten. Leider wird seiner Flucht ein jähes Ende gesetzt, als der Zug aus London in dem ländlichen Kaff Saxton strandet. Unser Held muss wohl oder übel aussteigen und sich über sumpfige Wege in das Örtchen durchkämpfen.
Seltsamerweise ist gerade dieses Dorf zu dieser Zeit Anlaufpunkt für zahlreiche Schatzsucher, die die sogenannte verlorene Krone suchen. Nigel hört davon und beschließt, ebenfalls danach zu suchen. Je weiter er in dieser Sache kommt, desto mehr paranormale Dinge sieht und hört er. Was hat es mit dem geheimnisvollen Örtchen Saxton und der Spukerei auf sich? Und was könnte das mit den Unterlagen über paranormale Aktivitäten zu tun haben, die er seinem Arbeitgeber entwendet hat?
Eigenwillig ist sie, die Grafik, denn hier wird weder ein buntes Farb-Feuerwerk geboten, noch erwartet den Spieler totale Düsternis. The Lost Crown setzt auf akzentuierte Schwarz-Weiß-Optik, in welcher sich vereinzelt farbige Elemente befinden. Diese Color-Key-Technik (ähnlich wie im Film Sin City) verleiht der Grafik etwas Kühles, aber auch Bedrohliches und passt sehr gut in die düstere Detektiv- und Geistergeschichte.
Die 2D-Hintergründe sind schön gerendert und bieten auch die eine oder andere Animation, wie zum Beispiel Vögel oder Dampfschwaden. Weniger schön sind die 3D-Charaktermodelle, die eher durch Detailarmut bestechen und leicht verwaschen wirken. Der Protagonist verfügt zudem über keinerlei Mimik und schaut stets aus völlig ausdruckslosen Augen. Auch der Bewegungsapparat ist bei den Figuren nicht sonderlich gut entwickelt; wenn unser Held geht, erinnert das Ganze mehr an eine Schlittschuhfahrt, da er bei jedem Schritt zusätzlich über den Boden gleitet. Zu allem Überfluss ist ist die gesamte Motorik eher behäbig geraten; Nigel dreht eine zähflüssige Kurve, wenn er eine winzige Idee nach links oder rechts schauen will. Auch das Manipulieren von Gegenständen, wie zum Beispiel das Aufschließen von Türen, wird dadurch zur Geduldsübung.
Die Videosequenzen sind kurz und keine optischen Highlights. Gerade zu Beginn werden wir recht knapp und schmucklos in die Szenerie geworfen; Nigels Chef ist sauer, wir sind bereits auf der Flucht, man lässt uns verfolgen. Im späteren Verlauf des Spiels bieten die Zwischensequenzen etwas mehr, da wir Zeuge der Alpträume werden, unter denen unser Held leidet, wenn er sich für einen Tagwechsel schlafen legt.
Die Musik und die Hintergrundgeräusche passen zum Szenario; dezent und ruhig plätschern die Klavierklänge dahin und unterstreichen die Einsam- und Bedrohlichkeit der Umgebung. Die Sprecher machen ihre Arbeit solide, schaffen es aber nicht, vollständig zu überzeugen. Ab und an wirkt ein Dialog arg gequält, da ein Sprecher krampfhaft versucht, einem Charakter durch besondere Betonung etwas Leben einzuhauchen - mal gelingt es, mal eben nicht.
Störend ist auch der Sprechrhythmus: Jeder Satz wird mit dem Versuch, Leben hineinzubringen, sehr gedehnt und verlangsamt, die Satzabfolge bzw. der Wechsel im Gespräch ist hingegen einen Tick zu schnell. Nigel und sein Gegenüber antworten sich wie aus der Pistole geschossen, wodurch der Dialog abgelesen wirkt. Hier hätte man etwas von der Langsamkeit innerhalb der Sätze streichen und diese dem Dialog als Ganzes gönnen können.
Die hier beschriebenen Eindrücke werden von einem Umstand besonders verstärkt: Dialoge lassen sich nicht abbrechen und müssen vollständig ablaufen. Zudem führt nur eine der Antworten zu einem Gesprächsausgang, da es im Pool der Antworten nicht immer eine "Ich geh dann mal"-Antwort gibt. Bei einigen Gesprächen muss man dann alle Sätze durchgehen, auch wenn man das Gespräch vorzeitig abbrechen will. Wenn man sich dann mal verklickt und eine alte Antwort erwischt, durchläuft man den Dialogbaum erneut.
Auch bei der Steuerung bietet sich ein zwiespältiges Bild: Bei der Bewegung des Protagonisten stört die zu ungenaue und hakelige Steuerung, die zu häufigen Korrekturen zwingt. Unser Held hat die Angewohnheit, sich gerne mal vor ein interessantes Objekt zu stellen und damit die Mausaktion zur Pixelsuche zu machen.
Dazu gesellen sich das Fehlen einer Hotspot-Anzeige und das fallweise Aussetzen der schnellen Level-Ausgänge, was in Kombination mit der langsamen Bewegung manchmal nerven kann. Die grundsätzliche Bedienung ist hierbei eher klassisch gehalten: Der Mauszeiger dient als Werkzeug für alles und zeigt Interaktion oder Manipulation durch Veränderung des Zeigers an.
Was die rätseltechnischen Herausforderungen angeht, muss man etwas differenzieren: An sich ist der Kern der Rätsel recht einfach bzw. man findet schnell heraus, was Nigel in einer bestimmten Situation tun muss oder was ihm zur Lösung fehlt. Etwas anspruchsvoller ist das Ganze Drumherum. Man sammelt unzählige Informationen, Zettel, Notizen, Bücher, Bilder, etc. Diese gilt es minutiös zu sichten, da Nigel eine Schlüsselinformation oftmals erst am Ende eines Schriftstücks erfährt. Daher sollte alles Lesbare auch bis zur letzten Seite durchgeblättert werden.
Ebenso verhält es sich mit den Dialogen: Man sollte alles und jeden ansprechen und vor allem alle angebotenen Fragerichtungen mit dem Gesprächspartner durchgehen. Das Notizbuch hält hierbei die Fäden beieinander und fasst stets in einer Aufgabenliste alles Wesentliche zusammen. Dieser Liste sollte man viel Aufmerksamkeit widmen, da Nigel an einigen Stellen nicht weiterkommt, wenn er woanders etwas vergessen hat. Dagegen gibt es zwar im Sinne der Storyline nichts einzuwenden, jedoch entbehrt es oftmals des Zusammenhangs: Warum fehlt ein Objekt in einem Zimmer, nur weil man sich ein Dachfenster im Gang davor nicht angeschaut hat? Das wirkt manchmal etwas gezwungen.
Die Rätselvarianz ist erfrischend hoch, da Nigel neben dem Kombinieren von Objekten auch akustische Rätsel oder zeitkritische Dinge lösen muss.
Im späteren Spielverlauf erhalten wir Zugriff auf die Geisterjäger-Ausrüstung und fügen den zahlreichen Inventar-, Kombinations- und Manipulationsrätseln den Typus "Spurensuche und Analyse" hinzu: Nigel kann, mit Digitalkamera, Tonbandgerät und elektromagnetischem Messgerät ausgestattet, nach paranormalen Erscheinungen suchen und diese aufzeichnen. Hierbei ist nicht immer jedes Gerät nützlich; mal geht es um akustische Phänomene, ein anderes Mal um etwas, das man nur mit einem Nachtsichtgerät sehen kann. Das gibt der Geistersuche eine neue Motivation und macht Spaß. Alles, was man aufzeichnet, lässt sich hinterher ebenso wie alle anderen Dokumente nachlesen bzw. -hören. Zur Lösung einiger Rätsel bzw. um die ca. 20 Stunden dauernde Geschichte voranzutreiben, ist es manchmal nötig, dass ein Tageswechsel herbeigeführt wird. Für Nigel heißt das: Einfach mal Schlafenlegen und schauen, wo sich etwas in der Umgebung verändert hat oder bei welchem Gesprächspartner ein neuer Dialogaspekt hinzugekommen ist.
The Lost Crown ist kein Horror-Adventure. Vielmehr geht es um den subtilen Gruseleffekt, das Gefühl, dass die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits an einigen Orten zu verschwimmen scheint. Dabei wird nicht mit Schocker-Effekten gearbeitet, sondern mit ruhiger, bedächtiger Düsternis. Die Ortschaft Saxton wirkt in ihrer ländlichen Ruhe und Kargheit fast beklemmend; die Einwohner sind recht wortkarg und wenn sie etwas sagen, klingt es stets so, als wüsste jemand mehr oder dürfte etwas nur andeuten. So baut sich langsam, aber stetig eine bedrückende Stimmung auf, die dann in den übersinnlichen Erscheinungen gipfelt. Man hat ständig das Gefühl, man würde beobachtet und jemand wäre einen Schritt vor uns.
Hier punktet The Lost Crown und zeigt, dass es keiner aufwändigen Effekte bedarf, damit Spannung oder Thrill entsteht. Einzig und allein die Technik und das Gameplay schmälern hier etwas das Gesamtbild.
Dieses Spiel braucht Zeit und Geduld. Die Stärke des Spiels, die Atmosphäre, lässt sich gerade zu Anfang (vielleicht zu viel?) Zeit und wird zudem von der Steuerung und anderen kleinen technischen Malessen etwas ausgebremst. Nach anfänglichem Geplänkel nimmt die (An-) Spannung jedoch zu, sobald mehr Geisterjäger-Elemente hinzukommen. Im Zusammenspiel mit der unkonventionellen Farbwahl, der Musik und den geheimnisvollen Einwohnern gelingt es Lost Crown, diesen Effekt zu etablieren und zu halten, wenn man sich einmal darauf eingelassen hat. Denn: Unter der manchmal technisch etwas altbacken anmutenden Haube steckt ein interessantes Adventure mit ansprechender Story und viel Atmosphäre. Man muss der Tatsache, dass dieses Adventure aus nur einer Hand stammt, durchaus Respekt zollen.
Der ungeduldige Abenteurer wird bei diesem Adventure zumindest am Anfang sehr gefordert. Auch jene, die Wert auf Komfort-Funktionen wie schnelle Levelausgänge oder eine Hotspot-Anzeige legen, könnten einen erschwerten Zugang zu dieser Geisterjagd haben. Ist die Sache dann aber einmal in Gang gekommen, hat man es durchaus mit einer atmosphärischen und umfangreichen Geschichte zu tun.
Es ist wie bei manch einem Buch: Man muss sich durch die ersten 100 Seiten arbeiten, bis alles richtig in Gang kommt und man gefesselt wird. Genau so ist es bei The Lost Crown. Nach etwas Einarbeitung zeigt das Spiel nach und nach seine Stärken, vor allem in Sachen Nervenkitzel.
Oftmals störte mich jedoch die hakelige Steuerung, die gerade den sensibel etablierten Spannungsbogen ausbremste. Dieser Effekt wurde durch die Seelenlosigkeit des Hauptcharakters unterstützt. Schade sind die Wermutstropfen, die es in jeder Kategorie gibt und welche auf die Atmosphäre bzw. deren Entwicklung drücken.
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