Hamlet (oder auch Hamlet or the last game without MMORPG features, shaders and product placement) von Mif2000 versetzt den Spieler in die Rolle eines namenlosen Zeitreisenden, der nicht nur in der Welt von William Shakespeares Theaterstück landet, sondern dazu noch auf dem Kopf des dänischen Prinzen Hamlet, der seine geliebte Ophelia aus den Händen von Claudius und Polonius befreien will.
Die Geschichte orientiert sich sehr lose an Shakespeares Werk. Vorkenntnisse der Literaturvorlage sind für das Verständnis aber nicht unbedingt erforderlich, da es grob gesehen auf nichts weiter hinausläuft als auf das typische Strahlender-Held-rettet-die-Prinzessin oder in diesem Fall Zeitreisender-rettet-Freundin-von-dänischem-Prinzen. Weder der namenlose Held noch Claudius, Ophelia oder andere Figuren sind mehr als eindimensionale Figuren, weil sie sich nicht entwickeln und auch nur kurz in Erscheinung treten.
Denn das Spiel bietet keine Dialoge, und die Geschichte ist nicht mehr als ein Aufhänger für die Rätsel. Kenner und Liebhaber des englischen Dramatikers sollten also lieber keine großen Erwartungen an eine werkgetreue Umsetzung des Stoffes haben. Das ist etwas schade, da man den Titel wegen des Zeichenstils durchaus als Parodie verstehen kann. So tauchen zwar einige bekannte Gesichter wie Rosencrantz und Guildenstern auf. Richtig ausgeschöpft wird die Grundidee dieser Alternativwelt aber nicht, gerade wenn dann noch eine Riesenkrake als Gegner in Erscheinung tritt. Ob man dies nun als künstlerische Freiheit oder schlichtweg als dramatisches Element sieht, das in jedem anderen Spiel auch funktioniert hätte, bleibt dem persönlichen Geschmack des Spielers überlassen. Trotzdem hätten mehr Anspielungen und Auszüge aus Shakespeares Stück der Inszenierung gut gestanden, seien es nun Witze über die charakterlichen Stärken und Schwächen der Dramatis Personae, Wortspiele mit Shakespeares Sprache oder originelle alternative Szenen des Dramas.
Hamlet spielt sich ähnlich wie die Samorost-Spiele von Amanita Design: Auf einem Bildschirm muss der Spieler Objekte in der richtigen Reihenfolge anklicken, um weiterzukommen. Ein Inventar und damit Kombinationsrätsel gibt es nicht. Trotzdem sind die Aufgaben alles andere als leicht. Denn Hinweise sind spärlich gesät und neben einem guten Auge sind manchmal auch schnelle Reflexe gefragt.
Die Rätsel sind bis auf einige uninspirierte Ausfälle originell, witzig und anspruchsvoll. Beispielsweise wacht der Held mit Kopfschmerzen unter Deck eines Schiffes auf. Um wieder klar denken zu können, muss der Spieler ihm in der richtigen Reihenfolge Gegenstände an den Kopf werfen. Stupides Mausklicken hilft dabei nicht, weil das eine oder andere Objekt erst nach anderen Aktionen auf dem Bildschirm verfügbar wird. So muss erst eine Maus aus dem Loch eines Fasses herausgelockt werden, die gegen eine Bordkanone läuft und damit ein Loch an der Decke verursacht. Dort fällt ein Affe herunter, der wiederum eine Flasche auf den Zeitreisenden wirft. Was sich vielleicht etwas albern anhört, ist in der Praxis originell gemacht, da es das Ziel der Wurfaktionen ist, die Gedanken des Charakters in Form einer Gleichung zu ordnen. Dabei hat jedes Wurfgeschoss eine andere Auswirkung auf das Durcheinander in dessen Kopf, das mit Symbolen und Zahlen in einer Sprechblase angezeigt wird.
Aber nicht nur die logische Abfolge von Aktionen in der Umgebung ist gefragt, auch kleinere Code-Rätsel und andere Aufgaben wie das Zusammenfügen eines Ausbruchsplans, bei dem Rohrleitungen richtig angeordnet werden müssen, finden sich, sodass für Abwechslung gesorgt ist.
Weitaus weniger kreativ sind dagegen einige Szenen, in denen der Spieler Aktionen wiederholen muss, wie fünfzigmal (!) auf dieselbe Tür klicken, bis sie aufgeht oder den Helden in einer Menschenmenge wiederfinden, wo nur Teile seines Körpers erscheinen, was an die alten Wo-ist-Walter?-Comics oder die TV-Serie erinnert. Auch ein Labyrinth will durchquert werden, was mehr Zeitstreckung des ohnehin recht kurzen Spiels als Spielspaß bedeutet.
Hier wird deutlich, dass es keinen ansteigenden Schwierigkeitsgrad gibt, sondern die Aufgaben willkürlich eingestreut sind. Das mag an der unterschiedlichen Art der Knobeleien liegen, die der eine Spieler vielleicht schneller lösen kann als der andere. Aber trotzdem sind spätere Rätsel nicht viel schwerer oder leichter als in den vorherigen Kapiteln, sodass eine Lernkurve fehlt. Die Spielzeit ist dementsprechend auch schwer einzuschätzen. Wer direkt die Intentionen der Programmierer erkennt und nicht stecken bleibt, kann das Spiel in weniger als einer Stunde beenden, andererseits kann es aber auch vier Stunden dauern.
Genau wie das Rätseldesign bewegt sich auch die Qualität der Bosskämpfe auf unterschiedlichem Niveau. Am Ende jedes der fünf Akte gilt es, einen oder mehrere Widersacher zu überwinden. Dabei erscheint wie bei einem Actionspiel am oberen Bildschirmrand eine Lebensenergieleiste. Wer nun denkt, er bräuchte schnelle Reflexe und Waffen, hat teilweise sogar recht. Zwar wird nicht in Echtzeit herumgesprungen und geballert, zwei der Endgegner verlangen trotzdem schnelle und präzise Mausklicks, was durchaus frustrierend sein kann. Sonst muss der Zeitreisende sich mithilfe der Umgebung einen Vorteil verschaffen, um die Widersacher zu besiegen. So besteht die erste Konfrontation mit Polonius aus dem Versuch, seine Strahlenkanone auf ihn selbst zu richten, ohne von Kanonenkugeln getroffen zu werden, auf die dieser nach einer bestimmten Aktion des Spielers zurückgreift. Die Spielfigur kann zwar nicht sterben, überspringen lassen sich die Kämpfe aber auch nicht.
Wer partout nicht auf die Lösung der Rätsel kommt, darf auf eine Hilfe zurückgreifen. Dies geschieht zum einen durch das Klicken auf den Helden selbst, der seine Meinung zur gegenwärtigen Situation preisgibt. Zum anderen füllt sich langsam alle fünf Minuten an der rechten unteren Ecke des Bildschirms ein Kreis, der in Form einer Skizze einen Hinweis gibt. Das Problem der ersten Hilfsmöglichkeit ist, dass öfters das Offensichtliche noch mal verdeutlicht wird: So sagt der Zeitreisende, er müsse irgendwie durch eine verschlossene Tür oder aus dem Raum heraus, was dem Spieler von Anfang an klar ist und nicht wirklich weiterhilft. Die zweite Möglichkeit ist manchmal sogar kryptischer als die eigentliche Lösung des Problems, wie im Falle eines Kartenspiels, bei dem die Symbole eines Diamanten, einer Schere und eines Pergaments als Lösungsvorschlag präsentiert werden. Dumm nur, dass eben nur diese angezeigt werden ohne eine Erklärung. Fünf Minuten auf eine Lösung zu warten und dabei nur einen manchmal etwas unverständlichen Hinweis zu bekommen ist nicht die beste Möglichkeit, weiterzukommen, sodass es das ein oder andere Mal vorkommt, dass erst herausgefunden werden muss, worauf die Entwickler hinauswollen. Zumal es unverständlich ist, weshalb der Spieler die schon angewählte Lösung nur alle fünf Minuten abfragen kann, obwohl es keine weiteren Hinweise gibt.
Grafisch präsentiert sich Hamlet in einer einfachen 2D-Comic-Grafik. Die Animationen der nett gezeichneten Figuren fügen sich gut in die Hintergründe ein. Es entsteht zwar der Eindruck, eine Art Puppentheater im Southpark-Stil zu erleben, allerdings passt dies auch zum humorvollen Grundton des Titels. Ein gutes Beispiel findet sich in der schon erwähnten Szene unter Deck eines Schiffes, wo dem Zeitreisenden Kanonenkugeln und Sonstiges auf dem Kopf fallen. Das ist witzig im Slapstick-Stil animiert und mit dazu passenden Cartoon-Sounds unterlegt, dürfte aber auch wieder Geschmackssache sein.
Zusammen mit den überzeichneten Gesichtern der Figuren, ob nun gut oder böse, wird dem Betrachter eher eine Travestie als Parodie von Shakespeares Werk dargeboten, da diese mehr an Clownsgesichter in der Manege als ernst zu nehmende Figuren erinnern. Allen voran der namenlose Held, der in einem lilafarbenen Raumanzug gekleidet ist, im Gesicht eine übergroße lange Nase, Knopfaugen und ein breites Lächeln hat, während er eine Leuchtbirne auf dem Kopf trägt. Selbst Hamlet sieht in seinen wenigen Auftritten im Spiel eher wie ein überzeichneter Superheld mit strahlendem Lächeln und wehendem Cape aus als die dramatische Figur, die er ist.
Die Hintergründe leben ebenso von einer grellbunt fröhlichen Ästhetik, sodass sich die Geschichte nie ernst an die Literaturvorlage hält. Obwohl es auch dunklere Levelabschnitte gibt, ist die Atmosphäre mit überdrehten humorvollen Comic-Adventures vergleichbar.
Der persönliche Charakter des Zeichenstils zeigt sich vor allem in den Überleitungen der Kapitel. Die Geschichte wird nämlich in einem Comic erzählt, in dem man sich von einer zur nächsten Szene klickt. Sprechblasen mit Sprachausgabe gibt es aber nicht. So hat man nur den Erzählertext, der sich wie aus einem Märchen liest. Wieder wurde hier etwas Potenzial verschenkt, da die Charaktere mit eigenen Dialogpassagen durchaus lebendiger hätten werden können.
Musikalisch gibt es nur eine Titelmelodie, die sich auch in den comicartigen Überleitungen wiederfindet. Diese erinnert zudem stark an Danny Elfmans Stücke, die Tim Burton in seinen Filmen verwendet, was zwar von hoher Qualität spricht, aber eben auch in mehreren Variationen hätte auftauchen können. Gerade in den Bosskämpfen hätten einige treibendere Klänge für mehr Dramatik gesorgt. Die Hintergrundgeräusche sind wiederum sehr gut eingebunden, sodass die Schauplätze atmosphärisch mit dem Rauschen des Meeres, dem Zwitschern von Vögeln, dem Arbeiten von industriellen Maschinen oder dem Tropfen von Wasser in Szene gesetzt werden.
Hamlet kann seine spielerischen Wurzeln nicht verstecken: Der Entwickler selbst gibt sogar offen zu, Spiele von Amanita Design wie Samorost als Inspirationsquellen benutzt zu haben. Doch obwohl das Spielprinzip der in sich geschlossenen Räume gleich ist, unterscheidet sich dieses durch seinen Humor, der stets im Vordergrund steht, und die an sich sehr simple Geschichte und seine Charaktere nie ernst nimmt. Die Stärken des Spiels liegen also nicht in der Erzählung, sondern in den Rätseln. Diese können über weite Strecken mit Originalität und Abwechslungsreichtum überzeugen. Ebenso sind die Bosskämpfe innovativ im Spiel verankert. Leider stören einige Stellen, bei denen Aktionen schnell hintereinander und zu oft ausgeführt werden müssen. Etwas mehr Feinschliff hätten das Rätseldesign runder gemacht und mit einem ansteigenden Schwierigkeitsgrad oder besseren Hinweise-System für weniger Frust gesorgt. So bleibt ein grafisch und spielerisch recht ungewöhnlicher Indie-Titel, der nur von den narrativen Elementen ein wenig mehr Ideen und Eigenständigkeit hätte vertragen können.
Slapstick und Bosskämpfe in einem von Shakespeare inspirierten Spiel? Ersteres wohl eher Geschmackssache, zweites eine ziemlich geniale Idee, wie ich zuerst fand. Einige der Auseinandersetzungen sind auch gut umgesetzt worden, wobei aber andere wie der letzte Endgegner enttäuschen. Für eine Fortsetzung wäre es interessant, sich seine eigenen Waffen oder Apparaturen mit Inventarrätseln zusammenzubauen. Weniger Linearität würde zwar zu einem veränderten Spielprinzip führen, aber die Kämpfe durchaus dynamischer, origineller und anspruchsvoller machen, ohne dass Reaktionsschnelligkeit und präzises Klicken gefragt sind.
Die Rätsel sind zwar im Großen und Ganzen abwechslungsreich und originell, den Balanceakt zwischen gut in die Handlung integrierte und zeitstreckende Knobeleien scheint Mif2000 jedoch noch nicht gefunden zu haben.
Von der stilistischen Inszenierung erinnerte mich der Zeichenstil und Humor an die Katamari-Damacy-Spiele der Sony-Konsolen, welche aber keine literarische Vorlage und auf ihre eigene Art und Weise einen persönlichen Charme hatten. Ohne Zweifel steckt in Hamlet genauso viel Herzblut, aber dafür verlässt es sich zu sehr auf den titelgebenden Namen, ohne das volle Potenzial der Lizenz auszunutzen. So bevorzuge ich doch eher die von der Spielzeit zwar kürzeren, aber dafür atmosphärischeren Inspirationsquellen Samorost, Samorost 2 und Machinarium.
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