Das von Andrew Goulding entwickelte und selbst vertriebene Comic-Adventure Jolly Rover versetzt den Spieler in die Rolle von Gaius James Rover, Sohn des Clowns und Jongleurs Jolly Rover. Nachdem dieser durch eine unglücklich platzierte Kanonenkugel in die Magengegend das Zeitliche gesegnet hat, will sein Sohn nun selbst einen Zirkus aufmachen. Das Geld dazu verdient er sich zunächst durch die zufällige Mischung von Rum und Tabak, die ein wohlschmeckendes Gebräu ergeben, das er zu Ehren seines Vaters Jolly Rover nennt. Doch um noch mehr Kapital zu erwirtschaften, will er einen Vertrag mit dem Gouverneur von Groggy Island abschließen, der den Rum weiterverkaufen will. Auf dem Weg zu dessen Insel gerät Rover allerdings in die Hände von Piraten.
Die Geschichte ist inspiriert von klassischen Piratenfilmen und unterscheidet sich zunächst einmal dadurch, dass alle Figuren Hunde sind. Was anfangs noch etwas befremdlich wirkt, hat später durchaus seinen Charme.
Die Figuren selbst und die Art der Erzählung sind dabei eher konventionell ausgefallen: Ein böser Antagonist, der besiegt werden muss, eine schöne Frau, die befreit werden muss, ein Schatz, der gefunden werden muss und ein dunkles Familiengeheimnis, das aufgedeckt werden muss. Bekanntes wird hier nur durch die Tierfiguren etwas anders dargestellt.
Die Geschichte ist wendungsreich, aber aufgrund des zähen Erzähltempos etwas spannungsarm und recht simpel konstruiert. Etwas verwirred ist die Tatsache, dass eine Inhaltsangabe über die Geschehnisse vor James Rovers' Gefangenschaft durch die Piraten zwar in der Beschreibung des Spiels zu finden ist, eine Introsequenz aber fehlt.
Die Beziehungen einiger Charaktere zueinander gehen bis auf die typischen Nebenfiguren stellenweise in eine erwachsene Richtung, so wie der junge Rover mit dem Tod seines Vaters und dem Erbe als Clown zurechtkommen muss. Allerdings gibt es nur wenige Szenen und Dialoge, in denen dem Spieler dies näher gebracht wird. Es gibt beispielsweise nur zwei kurze, nicht spielbare Rückblenden aus seiner Vergangenheit. Das kann zwar als subtilere Form der Charakterdarstellung verstanden werden, aber die fehlenden Informationen finden sich auch später, wenn Rover eine Verschwörung und das Geheimnis einer anderen Familie aufdeckt. Handlungsrelevante Szenen wie eine Unterhaltung zwischen dem Gouverneur und einem Voodoo-Priester tauchen kurz auf, längere Zeit tappt Rover danach im Dunkeln, nur um kurz vor Schluss erst über die Machenschaften der beiden Antagonisten aufgeklärt zu werden. Die bruchstückhafte Erzählung steht so der Glaubhaftigkeit der Geschichte und der Entwicklung der Charaktere etwas im Weg, obwohl bei beiden durchaus Raum für Spannung und Tiefe gewesen wären.
Der Humor setzt sich aus einigen witzigen Objektbeschreibungen, Slapstick-Elementen und etwas verschrobenen Charakteren zusammen. Situationskomik oder schwarzer Humor tauchen selten auf, was vor allem daran liegt, dass die Witze häufig zu brav und wenig originell sind. Anspielungen auf das Adventure-Genre finden sich teilweise auch, ansonsten fallen auch hier Dialoge und Monologe eher konventionell aus.
Die Rätsel sind abwechslungsreich, fügen sich meistens gut in die Handlung ein und richten sich vor allem an Einsteiger. Erst zum Ende hin zieht der Schwierigkeitsgrad etwas an. Die meiste Zeit werden klassische Inventarrätsel gelöst, die zwar selten den Einfallsreichtum von LucasArts' alten Piratenabenteuern erreichen, aber zu unterhalten wissen.
Direkt am Anfang muss James Rover einen Piraten davon überzeugen, dass er zur Crew gehört. Dafür rekonstruiert er eine frühere Fahrt des Schiffes durch die Auswahl verschiedener Dialogteile. Durch einen Papagei, dessen Käfig erst mit einer Kombination von Inventargegenständen geöffnet werden kann, bekommt er die nötigen Hinweise, um die Fragen des Piraten über diese Schiffsreise richtig zu beantworten.
Neben recht simplen und offensichtlichen Inventarrätseln muss das eine oder andere Mal aber auch um die Ecke gedacht werden, sodass die Lösungen nicht direkt in ein und demselben Bildschirm zu finden sind, wie die ersten Spielminuten vielleicht vermuten lassen.
Zum Schluss hin kommt sogar ein recht knackiges Rätsel, bei dem Codescheiben auf Bäumstümpfe gelegt werden und die Löcher im Holz zugedeckt sein müssen. Da man am Ende vier unterschiedlich beschaffene Scheiben hat, die auch noch aufeinandergelegt und verschoben werden müssen, zieht der Schwierigkeitsgrad deutlich nach oben und könnte für den ein oder anderen Spieler durchaus für Frust sorgen.
Ein besonderes Highlight und innovatives Spielelement ist die Benutzung von Zaubersprüchen aus einem Voodoo-Buch. Anhand einer Tabelle mit Symbolen müssen die richtigen Kombinationen in der dahzugehörigen Reihenfolge gefunden werden. Daraufhin vollführt James Rover unterschiedliche Tanzbewegungen und kann so zum Beispiel Tiere vertreiben, Früchte von Bäumen fallen lassen oder Eisen erhitzen. Während die ersten Sprüche noch im Buch direkt zu sehen sind, müssen die anderen erst in der Umgebung in Form von kleineren Rätseln gefunden werden. Bis zum Ende hat man die Auswahl zwischen 8 unterschiedlichen Magieformen, die für mehr Komplexität bei den Rätseln sorgen.
Die Steuerung geht leicht von der Hand: Ein Klick mit der linken Maustaste auf ein Objekt oder eine Person lässt Rover dieses aufheben oder benutzen bzw. mit ihr reden, während ein Drücken der rechten Maustaste eine Beschreibung des Gegenstandes oder des Charakters liefert. Das Inventar befindet sich am unteren Bildschirmrand und klappt bei Berührung mit dem Mauszeiger auf, während mit der linken Maustaste die Objekte miteinander oder mit der Umgebung benutzt werden können.
Obwohl es bei den Spieloptionen keine Grafikauflösungen zur Auswahl gibt und nur die Lautstärkeregelung von Musik, Soundeffekten und Sprachausgabe zu finden ist, hat der Spieler die Möglichkeit, die Laufgeschwindigkeit der Figuren zu ändern. Das mag bei höchster Geschwindigkeit bei den Animationen der Charaktere etwas unnatürlich aussehen, spart jedoch Zeit bei den Laufwegen, die Rover auf sich nehmen muss.
Das Spiel ist nicht nur aufgrund der Rätsel auf Neulinge des Genres zugeschnitten, sondern bietet auch viele zusätzliche Lösungshilfen an. Am oberen Bildschirmrand wird die derzeitige Aufgabe angezeigt, so dass der Spieler immer weiß, was er momentan machen muss. Dabei nimmt sich das Spiel aber auch nicht allzu ernst. So wechseln ab und zu die Quest-Beschreibungen, ohne dass aktiv ins Geschehen eingegriffen werden muss. Das sorgt für einige witzige Momente, wenn Rover zum Beispiel anfangs in einer Schiffskammer aufwacht, die derzeitige Quest „Wake up“ beendet und die nächste Aufgabe „Search Room“ eingeblendet wird.
Wer trotz der überschaubaren Anzahl von Schauplätzen und wenigen Inventargegenstände nicht weiß, wie es weitergeht, hat die Möglichkeit, einen Papagei namens Juan zu befragen. Dieser gibt zuerst allgemeine Hinweise zur gegenwärtigen Situation, kann aber auch auf einzelne Probleme angesprochen werden. Ist der erste Tipp noch frei, verlangt das Tier für jeden weiteren Hinweis einen Cracker. Obwohl das Gebäck erst gefunden werden muss und es nur eine begrenzte Anzahl gibt, sind die Cracker auch ohne viel Suchen schnell zu finden, sodass Frustmomente und Sackgassen für weniger geübte Spieler so gut wie nicht auftreten.
Eine weitere optionale Hilfefunktion ist die Hotspot-Anzeige, die mit der Leertaste aktiviert werden kann. Diese ist aber nicht fehlerfrei, da kein Text oder blinkende Punkte über den Interaktionsmöglichkeiten der Umgebung erscheinen, sondern die Interaktionsflächen weiß umrandet erscheinen. Bei mehreren Gegenständen nebeneinander kann es dazu führen, dass der eine oder andere übersehen wird.
Eine zusätzliche, dafür nicht abschaltbare Hilfe ist die Texthervorhebung von Gegenständen. Hat der Spieler diese noch nicht angeklickt, erscheint der Text grau, danach wechselt er in weiß. Später kann es sein, dass zuvor nutzlose Objekte ähnlich wie in Runaway doch benutzt oder aufgenommen werden können, sodass diese Möglichkeit in Grau signalisiert wird.
Das wiederholte Durchsuchen der Umgebung ist nicht nur für das Weiterkommen des Spiels notwendig, sondern fördert auch zusätzliche Gegenstände zu Tage. Neben den optionalen Crackern für den Papagei finden sich auch Münzen und Teile von Piratenflaggen. Obwohl diese für das Beenden des Spiels nicht wichtig sind, lassen sich damit zusätzliche Boni freischalten wie Konzeptzeichnungen, Musikstücke oder auch Biografien einiger Charaktere.
Zusätzlich zum Sammeltrieb motiviert auch ein aus Rollenspielen bekanntes Aufleveln. Was sich zunächst innovativ anhört, ist einfach die Möglichkeit, einen höheren Rang im Piraten-Metier zu erlangen. Der Stufenaufstieg findet dabei nicht nur beim Aufsammeln der Bonusgegenstände, sondern auch durch das Lösen von Aufgaben statt. Am oberen Bildschirmrand findet sich nämlich eine Punktezahl, die ähnlich wie bei den alten Sierra-Klassikern steigt. Allerdings kann diese beim Befragen des Hinweis-Papageien auch wieder sinken.
Da das Speichern nur automatisch bei Verlassen des Spiels erfolgt und keine zusätzlichen Spielstände angelegt werden können, muss der Spieler selbst entscheiden, wieviel Hilfe er in Anspruch nehmen will. Denn je mehr Cracker er dem Papageien gibt, desto mehr Punkte verliert er. Außerdem gibt es noch, wie bei anderen Steam-Spielen üblich, einige Achievements, die als Belohnung für das Lösen von handlungsrelevanten, aber auch optionalen Aufgaben dienen. Erneutes Durchspielen wird zusätzlich interessant, da am Ende ein Audiokommentar des Entwicklers freigeschaltet wird, der während des zweiten Durchlaufs interessante Anekdoten und Informationen über die Entstehungsgeschichte wie auch einige Testaufnahmen und Outtakes der Sprecher bietet.
Die Hintergründe sind schön gezeichnet und aufgrund der zahlreichen Schauplätze ist für Abwechslung gesorgt. Einzig die wenigen und etwas ruckeligen Animationen, wie Wolken im Himmel oder Wellen im Meer, trüben den Gesamteindruck etwas. Dasselbe gilt für die Figuren: Diese sind mit viel Liebe zum Detail von Hand gezeichnet und zeigen bei Gesprächen einige nette Gesten. Allerdings verlaufen die Bewegungen etwas abgehackt. Verschiedene Kameraperspektiven oder Zwischensequenzen gibt es ebenfalls nicht.
Die Vertonung ist im Gegensatz zur Grafik von durchgehend professioneller Qualität. Nicht nur eine Reihe abwechslungsreicher Melodien mit Instrumenten wie Gitarre und Piano, sondern auch eine hervorragende Sprachausgabe überzeugen. Obwohl viele Rollen doppelt besetzt sind, bleiben Betonung und Stimmen auf hohem Niveau. Besonders der Piraten-Slang und die unterschiedlichen Dialekte der Spielfiguren dürften schwer zu übersetzen sein. Die Qualität der vielen Umgebungsgeräusche sorgt zusätzlich für eine Karibikatmosphäre, die die Grenzen zu einem kommerziellen Vollpreis-Produkt fast aufbrechen.
Mit Jolly Rover ist Brawsome ein gelungener Einstieg ins Comic-Adventure-Genre geglückt. Eine nette Grafik und hervorragende Soundkulisse bieten mehr als nur eine gute technische Basis. Die Spielzeit ist mit 4-6 Stunden zwar nicht sehr lang, allerdings laden einige versteckte Boni zu erneutem Durchspielen ein. Die Rätsel sind bis auf einige Ausnahmen zwar nicht unbedingt originell, abwechslungsreich und spaßig sind sie aber auf jeden Fall. Besonders Einsteiger werden aufgrund des Schwierigkeitsgrades und des Bedienkomforts schnell Erfolge erzielen, Fortgeschrittenen und Profis dürften aber die richtigen Herausforderungen fehlen. Etwas enttäuschend sind dagegen Story, Humor und Charaktere, denen Spannung, Wortwitz und Tiefe fehlen.
Mit Sicherheit ist Jolly Rover kein zweites Monkey Island, obwohl es stellenweise versucht, den Witz und einige Rätsel zu kopieren. Dazu ist der Humor zu brav, die Rätsel zu leicht und die Charaktere wie auch die Story zu seicht. Trotzdem fand ich das Rätseldesign bis auf einige Ausnahmen gelungen und abwechslungsreich. Besonders das Magiesystem wirkte nicht nur als Gimmick, sondern fügte sich fließend ins Spielgeschehen ein. Was mich aber etwas enttäuschte: Es gab zu wenige skurrile Ideen wie den Tod von Rovers Vater durch einen Kanonenball oder auch die Welt der Hunde, die dem Spiel etwas mehr Identität gegeben hätten. Weder die Hauptfigur noch die Spielwelt setzen sich vom Durchschnitt ab. Richtig gut gefallen haben mir aber sowohl Musik als auch Sprachausgabe. Das Punktesystem in alter Sierra-Form fand ich zusätzlich motivierend und die Quest-Beschreibungen, die sich ständig aktualisieren, sorgten für den ein oder anderen Schmunzler.
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