Das Jahr 2010 hat sich für Adventure-Freunde bislang wenig ergiebig gezeigt. Seit August rollen aber die ersten großen Titel vom Stapel, um im letzten Quartal gleich in Scharen aufzutreten. A New Beginning beendet am 8. Oktober endgültig die Adventure-Flaute. Das neue Abenteuer des Hamburger Spielepublishers und Entwicklers Daedalic wird als Öko-Thriller angepriesen und kommt wie schon The Whispered World nicht nur aufgrund seiner 2D-Optik sehr klassisch daher. Ob die in den frühen 80er-Jahren angesiedelte Geschichte von Funkerin Fay und Wissenschaftler Bent ähnlich begeistern kann, wie die Reise des traurigen Clowns Sadwick, lest ihr in den folgenden Zeilen.
Im Jahr 2500 ist die Oberfläche der Erde nicht mehr bewohnbar. Die Schutzschicht der Erde ist nicht mehr in der Lage, die gefährliche Sonnenstrahlung zu filtern, selbst das Erdmagnetfeld ist in Mitleidenschaft gezogen, weshalb der Planet einer Sonneneruption hilflos ausgeliefert ist. Eine neue, große Eruption kündigt sich an, von der sich die letzten noch lebenden Menschen sicher sind, dass sie das endgültige Aus bedeutet. Ihre letzte Chance sehen sie in einer riskanten Zeitreise ins 20. Jahrhundert, um die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels rechtzeitig aufhalten zu können.
Bent Svensson schlägt mal wieder die Zeit in der norwegischen Einöde tot. So ganz freiwillig hat sich der Algenforscher nicht in den Ruhestand begeben, trägt sein neues Leben jedoch mit Fassung. Hin und wieder kommen aber doch die Erinnerungen an seine Arbeit hoch, von der er sich einst so viel versprochen hatte. Die Welt wollte er retten mit seiner Alge - dem Energieträger der Zukunft. Genauso sehr wie sein gescheiterter beruflicher Ehrgeiz schmerzt ihn aber der Verlust seiner Frau Meta, die immer erst an zweiter Stelle nach seiner Algenforschung kam. Zu spät für eine Wiedergutmachung.
Doch vielleicht war zumindest seine Entdeckung wichtiger als er bislang dachte. Plötzlich steht nämlich die junge Fay vor seiner Tür, die dem verdutzten Schnauzbartträger etwas von einer Zeitreise erzählt und dass nur seine Blaualge den Untergang der Menschheit noch abwenden könne. Bent glaubt der etwas naiv wirkenden Dame zunächst kein Wort. Doch das, was Fay über ihre Odyssee durch Zeit und Raum berichtet, klingt so unglaublich, dass etwas Wahres dran sein muss...
A New Beginning ist weit mehr als nur ein Öko-Thriller. Tatsächlich bedient das Spiel gleich mehrere Genres und beinhaltet sowohl Thriller- als auch Science-Fiction-Elemente, bei dem selbst der Humor nicht zu kurz kommt. Das hervorstechendste Merkmal ist allerdings das Drama. Die von allen Seiten eher belächelte Fay und der vom Leben gebeutelte Workaholic Bent, der seine Frau verloren und keinen Kontakt mehr zu seinem einzigen Sohn hat, wecken Mitgefühl und Anteilnahme. Beiden möchte man unbedingt helfen, ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben.
Um diese Bindung des Spielers zu erreichen, hat Daedalic die Hauptcharaktere fein ausgearbeitet und führt diese recht behutsam ein. Das sorgt auf der einen Seite langfristig für einen sehr engen Bezug zu den Spielfiguren, während eher nebenher die eigentliche Story weiterläuft, auf der anderen Seite geht dieses behutsame Vorgehen, bei dem die Charaktere und ihre persönlichen Probleme über rund 2/3 des Spiels im Vordergrund stehen, etwas auf Kosten der Dramatik. Hier und da haben beide Spielfiguren zwar einschneidende Erlebnisse, wirklich spannend, dramatisch und wendungsreich wird es aber erst nach gut der Hälfte des Spiels - dann allerdings beinahe im Minutentakt.
Später kommen zunehmend auflockernde Elemente hinzu, wenn sich Fay mit einem klischeehaften Security-Mann herumärgern muss oder ihr neuer, etwas vorlauter Begleiter Oggy den einen oder anderen flotten Spruch absondert. Das funktioniert meist sehr gut, ab und zu überzieht Daedalic jedoch ein wenig, wenn wir beispielweise einen brutal und skrupellos wirkenden Wachmann in ein Trinkspiel verwickeln müssen. Dabei gilt es zwar gleichzeitg eines der schönsten Rätsel im Spiel zu lösen, so kurz vor dem Finale wirkt es aber dem Ernst der Situation und der des eigentlichen Themas, auf das man sich später im Spiel deutlicher stärker fokussiert, nicht gerade angemessen.
A New Beginning bietet in seinen 8 Kapiteln die ganze Bandbreite an Rätseln. Bent und Fay, die wir in etwa zu gleichen Teilen während des Abenteuers steuern, haben es überwiegend mit Inventar- und Kombinationsrätseln zu tun, müssen aber auch immer wieder Puzzle-, Schalter-und Logikrätsel lösen. Diese sind im Gegensatz zu The Whispered World stets gut in die Handlung integriert und wirken nicht wie nachträglich aufgepfropft. Einige dieser Aufgaben weisen Minispielcharakter auf und können bei Bedarf nach einigen Fehlversuchen übersprungen werden. An einer Stelle müssen wir zum Beispiel mithilfe von elektronischen Widerständen die Stromdurchflussmenge regulieren. An einem anderen Punkt gilt es eine Funkantenne zu errichten, deren Empfangsteil aus einer kubenförmigen Anordnung besteht. Die meisten dieser Aufgaben sind selbsterklärend und sollten von erfahreneren Spielern ohne Schwierigkeiten gelöst werden können. Einzelne Aufgaben sind aber nicht ganz so leicht zu durchschauen, wie etwa ein Minigame, bei dem Fay durch ein elektronisches Fernglas blicken und verschiedene, verschlüsselt markierte Punkte aufspüren muss. Wer genau hinsieht, wird feststellen, dass die Aufgabe letztlich simpel ist, im ersten Moment allerdings scheint die Aufgabe übertrieben anspruchsvoll. Kooperatives Gameplay im eigentlichen Sinne gibt es übrigens nicht.
Sehr schön sind zudem einige längere Rätselketten gestaltet, die sinnvoll aufeinander aufbauen. Dabei werden dem Spieler eher selten eindeutige Tipps im Rahmen von Dialogen und Kommentaren der Spielfigur gegeben, weshalb man öfters recht genau seine Umgebung beobachten muss und wie sich bestimmte Charaktere verhalten. In einer Szene beobachtet zum Beispiel ein Beleuchtungstechniker aufmerksam die Bühne auf dem Bildschirm zu seiner Rechten. Gleich neben dem Monitor liegt sein Schlüsselbund, den er zumindest aus dem Augenwinkel sehen kann. Daran befinden sich unter anderem die Schlüssel zu seinem PS-Boliden, der ihm offenbar viel bedeutet. Auf der Mattscheibe links sind einige Demonstranten zu sehen, die recht friedlich vor dem Gebäude protestieren. Wenn es zumindest zum Schein gelingt, die Demonstranten aufzuwiegeln, könnte seine Aufmerksamkeit aus Sorge um sein schmuckes Gefährt auf diesen Monitor gelenkt werden. Natürlich finden wir einen Weg und können den Schlüssel unbemerkt entwenden, womit wir aber längst noch nicht am Ende der Rätselkette angelangt sind.
Spielerisch leistet sich das Spiel also kaum eine Blöße, wenngleich nur wenige originelle Knobeleien vorhanden sind. Einzelne Kombinationsaufgaben sind allerdings etwas seltsam geraten. Um eine Schraube herauszudrehen, zerbricht Bent beispielsweise einen Kamm, um die Einzelteile dann mit entgegengesetzten Zacken zusammenzustecken. Ein adäquater Schraubenzieherersatz scheint uns das nicht gerade zu sein - was Bent selbst übrigens ebenfalls so sieht -, aber es funktioniert. Derartige Dinge gibt es aber selten und aufgrund des stets recht aufgeräumten Inventars und der überschaubaren Anzahl an Hotspots, kommt man dennoch schnell auf die Lösung.
Gesteuert wird das Ganze traditionell per Point-and-Click. Inventarkombinationen funktionieren per Drag & Drop, die Fortbewegung erfolgt per einfachem Klick auf die linke Maustaste. Bei allen übrigen Aktionen innerhalb und außerhalb des Inventars - mit Ausnahme der meisten Minispiele - muss der Spieler die linke Maustaste gedrückt halten, woraufhin bis zu vier unterschiedliche Interaktionsmöglichkeiten angeboten werden, wozu neben dem Betrachten das Abbrechen einer Antenne oder das Ansprechen eines Charakters zählen kann. Das Inventar wird per Rechtsklick geöffnet und geschlossen. Da hin und wieder Hotspots im Bereich der Inventarzeile liegen, muss diese Funktion auch manchmal genutzt werden. Ebenfalls nützlich ist die Hotspotanzeige, ohne die leicht etwas übersehen werden kann.
Optisch macht das reinrassige 2D-Adventure eine gute Figur, hat aber ein paar Schwächen bei den Charakteranimationen. Bent und Fay bewegen sich teilweise recht staksig über den Bildschirm. In manchen Szene schiebt sich Fay relativ deutlich über den Boden, während Bent eher etwas auf der Stelle trippelt.
Im Vergleich mit The Whispered World verfügen die Spielfiguren insgesamt über eine etwas größere Menge an Bewegungsphasen. Die Vielfalt an Charaktersprites scheint zudem höher, insbesondere bei den häufiger als noch in Sadwicks Abenteuer anzutreffenden Spezialanimationen. Nachzieheffekte gibt es hier also deutlich weniger. Dafür können die Hintergründe weitaus seltener mit aufwändigen Parallax-Effekten glänzen und wirken ferner nicht nur mit Blick auf Hintergrundanimationen eher karg im Vergleich mit Marco Hüllens Abenteuer. Letzteres ist natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass es sich bei A New Beginning nicht um ein fantasievolles Märchenadventure handelt, ändert aber nichts daran, dass die 2D-Grafik insgesamt zwar sehr hübsch anzuschauen ist, überdies aber nicht unbedingt begeistern kann.
Bei den Zwischensequenzen, die in The Whispered World noch von einem externen Dienstleister animiert wurden, hat Daedalic sich diesmal für selbsterstellte, Comic-Strip-artige Einspieler entschieden. Dabei werden sowohl Standbilder als auch teilanimierte Bilder eingeblendet, die Dialogtexte erscheinen hier comictypisch in Form von Sprechblasen. Die Comic-Strips geben den Cutscenes eine etwas ernstere Note, was der Thematik angemessen scheint, sie nehmen aber gleichzeitig viel Dynamik aus den Zwischensequenzen heraus, die nur bedingt mithilfe der Sounduntermalung aufgefangen werden kann. Von den mal besser gelungenen, mal weniger gelungenen Sequenzen gibt es dutzende im Spiel, diese darf man sich nach dem Spielende leider nicht nochmal anschauen. Ein paar davon sind übrigens interaktiv, wobei der Spieler allerdings lediglich ein paar Dialogzeilen manuell aktivieren muss. Daraus hätte Daedalic vielleicht mehr machen können.
Wie üblich bei reinen 2D-Spielen wurde A New Beginning ebenso für nur eine Auflösung optimiert. Sämtliche der Szenen, die in nicht wenigen Fällen horizontal und/oder vertikal scrollen, werden lediglich mit 1024x768 Bildpunkten dargestellt. Einer verzerrten Bilddarstellung auf Breitbildmonitoren hat Daedalic diesmal aber einen Riegel vorgeschoben. Auf 16:9- bzw. 16:10-Monitor werden nun die Seitenbereiche mit schwarzen Balken aufgefüllt, alternativ kann das Spiel aber auch im Fenstermodus betrieben werden. Die Anzahl der Szenen an sich ist deutlich größer. Zählt man die Nahansichten hinzu, kommt das Spiel auf etwa 100 Screens, bei The Whispered World waren es knapp 70.
Gleichsam punkten kann A New Beginning im akustischen Bereich. Die Hauptfiguren Bent und Fay sind mit Jürgen Holdorf und Simona Pahl sehr gut vertont, wobei es uns Bent besonders angetan hat. Der trockene Humor des frustrierten Wissenschaftlers kommt richtig gut rüber und die markante Sprecherstimme ist einfach nur klasse. Auch Fays anfangs etwas kindliches Wesen kommt gut zur Geltung, bei den Nebenrollen hat der Entwickler allerdings nicht immer ein gutes Händchen bewiesen. Die deutlich schwächeren Sprechrollen beschränken sich jedoch zumeist auf Charaktere, die nur selten bzw. nur sehr kurz in Erscheinung treten.
Richtig toll geworden ist der Soundtrack, der sehr vielfältig ist und die jeweilige Spielsituation passend untermalt. Die futuristischen, leicht mechanisch anmutenden Stücke im zerstörten San Francisco oder die dramatischen Kompositionen an anderer Stelle verfehlen ihre Wirkung selten, wirken machmal aber etwas dick aufgetragen.
Besonders die melancholischen Melodien, die Bent gerade am Anfang begleiten, wissen zu gefallen. Abgesehen von den zahlreichen Vokuhilas und Schnauzbärten merkt man zwar meist nicht so viel davon, dass das Spiel uns in die 80er-Jahre zurückversetzt, auf einer Forschungsstation im Ozean allerdings wird es beim Einlegen einer Musikkassette auch akustisch offensichtlich. Belangloser 80er-Jahre-Retro-Pop vom Feinsten.
Ein bisschen schade ist, dass die Einbettung von Musik und Soundeffekten nicht selten etwas inkonsistent geraten ist. Das Ein- bzw. Aussetzen der Musik ist manchmal schlecht getimed, in einigen Cutscenes herrscht zwischendrin ab und zu plötzlich Stille. An diesen Stellen merkt man, dass für Feinheiten am Ende ein bisschen die Zeit fehlte. Atmosphärisch abträglich ist das aber nur manchmal.
Mit A New Beginning festigt Daedalic seinen Ruf als Entwickler hochwertiger, klassischer Adventures. Der Öko-Thriller erreicht dabei jedoch alles in allem nicht ganz die Klasse von The Whispered World. Bent und Fay müssen zwar die besser designeten Rätsel lösen und die Sprachausgabe ist mehr als einen Zacken besser, aber wo Sadwick und Spot mit humorvoller Melancholie mitreißen und mit detailliert ausgearbeiteten, umfassend animierten Szenen entzücken, fehlt es der durchaus gelungenen Kombination aus Science-Fiction, Thriller und Drama über weite Strecken zu sehr an Dramatik, den Zwischensequenzen an Dynamik. Die Thriller-Elemente kommen außerdem insgesamt zu kurz. Man ist vom Anfang bis Ende mit großem Interesse dabei, was nicht zuletzt an den fein ausgearbeiteten Charakteren und den gut geschriebenen Dialogen liegt, wird allerdings erst im letzten Spielviertel mit größeren Spannungsspitzen und unerwarteten Wendungen konfrontiert. Dadurch wird das Spiel der Bezeichnung 'Öko-Thriller' nur bedingt gerecht und es gelingt ihm im Gegensatz zu Marco Hüllens Märchenadventure einfach zu keinem Zeitpunkt, den Spieler platinwürdig zu packen.
Das alles ändert aber nichts daran, dass A New Beginning sehr viel aus dem schwierigen Thema macht und eines der besten Adventures im Jahr 2010 ist.
Ich bin keinesfalls enttäuscht von A New Beginning, aber ich hatte insgeheim gehofft, dass Daedalic sich direkt noch einmal steigern kann - und in mancher Hinsicht haben sie das auch. Denn das Spiel macht vieles goldrichtig, insbesondere, was das Rätseldesign und die Einbettung der einzelnen Aufgaben in die Handlung angeht. Auch die Ausarbeitung der Charaktere ist richtig gut, die Story selbst sehr schön. Weshalb es dann letztlich nur für Gold reicht, das liegt vor allem daran, dass es dem Spiel zu selten gelingt, wirklich Spannung aufzubauen. Besonders den Zwischensequenzen fehlt es an Dynamik, teilweise fehlt der Feinschliff beim Sound. So wichtig das grundlegende, über weite Strecken eher nebensächliche Thema ist und so interessant die Charaktere auch sein mögen, so richtig will der Funke einfach nicht überspringen.
Aber das ist alles Meckern auf hohem Niveau. Wirklich tragisch ist es bei der hohen Qualität, die Daedalic wiederholt abliefert, eigentlich nur, dass wir auf Deponia wohl noch wenigstens ein Jahr warten müssen.
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